9 - Erzähl weiter
Tate: Iva?
Tate: Iva? Hallo?
Tate: Wo bist du, ich sehe dich nirgends mehr!!!
Tate: IVA WESTWICK!
Tate: Ich finde das langsam nicht mehr lustig. Wo zum Henker bist du?
Tate: Wenn du dich nicht gleich meldest, dann rufe ich die Polizei. Ich meine es ernst.
Tate: IVA
Tate: IVAAA WESTFick
Tate: Ich meine WestWICK. Wo steckst du?
Tate: hjdgndhgeueofffffff!
Wenn die Lage und seine Sorge nicht so ernst wäre, würde ich über die siebte Nachricht in Lachtränen ausbrechen.
Aber nein.
Stattdessen wusste ich, dass ich lieber gehen sollte. Er war anscheinend krank vor Sorge und offenbar hatte ein Kommunikationsmissverständnis zwischen uns stattgefunden. Außerdem würden mich Easton und Charon sowieso nicht weiter vermissen.
Ich schob und schlängelte mich also zwischen den Menschen vobei in Richtung Eingang. Auf dem Weg dahin verbot ich es mir, die Umgebung nochmal nach den beiden geheimnisvollen Kerlen Ausschau zu halten.
Sie hielten nach mir schließlich auch nicht mehr Ausschau.
An der doppelflügigen Tür angekommen, wurde mir diese auch gleich geöffnet. Draußen vor dem Clubraum gab ich das weiße Armband ab, dann wählte ich so gleich Tates Nummer und hielt mir das Handy an mein Ohr, während ich den langen Gang wieder zurücklief. Vorbei an der ersten doppelflügigen Tür, hoch zu der Treppe, die ich mit Tate vorhin hinabgelaufen bin.
Erst als ich draußen vor dem kleinen, unscheinbaren Haus weiter abseits vom Eingang stehenblieb, konnte ich wieder richtig ein und ausatmen.
Die kühle Nachtluft strich um mein erhitztes Gesicht und ich schlang einen Arm um meinen Körper, dabei wartete ich ungeduldig darauf, dass Tate endlich den Hörer abnahm.
"Iva?"
Ich stieß erleichtert mit ihm gleichzeitig die Luft aus. "Tate!"
"Iva, du hast mich fast in den Wahnsinn getrieben! Wo warst du? Und wo bist du jetzt?"
"Ähm", fing ich an. "Das ist eine etwas längere Geschichte. Jetzt steh ich wieder draußen vor dem Club."
"Gut, bleib da ja stehen. Bis gleich." Er legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten.
Ich zuckte nur mit den Schultern und trat von einem Bein auf das andere, währendessen behielt ich den Eingang des Clubs fest im Blick. Endlich sah ich seine vertraute Gestalt in dem schwachen Licht der Laterne auf mich zukommen.
Seine trainierten Arme umschlossen meinen Körper, als er nahe genug bei mir war und der gewohnte herbe Duft nach seinem Parfüm stieg mir in die Nase. So plötzlich wie er mich umarmt hatte, ließ er mich auch wieder los und boxte mir gegen die Schulter.
"Aua", kam es gleich von mir und klagend hielt ich mir die Stelle.
Finster funkelte er mich an. "Das war dafür, dass du dich in diesem Club einfach aus dem Staub gemacht hast! Du hast mich fast in den Wahnsinn getrieben, Iva Westwick!"
"Nicht Westfick?"
Das ärgerliche Funkeln verschwand und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. "Ach halt die Klappe." Er legte den rechten Arm um meine Schultern. "Komm, wir gehen. Es ist schon sehr spät. Du musst morgen arbeiten und ich habe Uni... und muss ja auch noch arbeiten." Er rieb sich mit der Hand über sein kantiges Gesicht. "Oh man, warum habe ich mich überhaupt dazu entschieden, mitten in der Woche wegzugehen?"
"Weil du unbedingt herwolltest und Brokenhill nicht so weit weg ist."
"Wenn ich aber gewusst hätte, dass ich den halben Abend damit verbringen würde, nach dir zu suchen, dann wäre ich nie auf die Idee gekommen, hierher zu fahren", schoss er prompt zurück.
Ich zog die Nase kraus. "Ja, es tut mir leid. Aber um ehrlich zu sein dachte ich, dass du verschwunden bist. Du weißt schon, mit dem Mädchen an der Bar, was du gleich ganz am Anfang so toll fandest."
"Lenk nicht vom Thema ab", brummte er.
Ich stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite. "Oh doch, das tu ich. Denn dann war ich allein und musste mich selbst beschäftigen. Nur deswegen kam es zu diesem Missverständnis."
Er schnaubte. "Und du hast dich ja offenbar ganz wunderbar allein beschäftigt. Wer waren denn diese zwei Kerle da? Denn so viel habe ich noch mitbekommen, ob du es glaubst oder nicht. Danach warst du weg. Deswegen hatte ich ja auch so eine Panik. Und überhaupt, müssen das dann auch gleich zwei sein? Was hast du da überhaupt auf deinem Gesicht?"
"Jetzt lenkst du vom Thema ab", merkte ich an und hob meine Augenbrauen.
"Iva."
"Du hörst dich schon an wie mein Vater. Erzähl mir erstmal lieber von deiner Bekanntschaft."
Tate seufzte genervt. "Na gut. Wie du bestimmt noch mitbekommen hast, saß ich eine ganze Weile mit ihr an der Bar. Man konnte sich da gut unterhalten und sie war sehr nett. Irgendwann wollten wir dann endlich tanzen gehen und ich habe die ganze Zeit versucht deinen Blick aufzufangen. Aber du warst ja völlig gefangen zwischen deinen beiden Eroberern. Also dachte ich, ich tanze eben etwas weiter am Rand und kann dir dann immer noch Bescheid geben. Oder du würdest mich sehen. Ja und was soll ich sagen? Im nächsten Moment warst du einfach so verschwunden."
Ich überging seinen vorwurfsvollen Ton und stellte die nächste Frage. "Und wie hieß sie nun?"
"Venice."
Das kam mir doch irgendwie bekannt vor... ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, plapperte Tate weiter und brachte mich davon ab, meine Erinnerungen weiter durchzuforsten.
"Sie wollte mich dann irgendwann noch überreden einen anderen Teil des Clubs kennenzulernen. Ich wäre übrigens sehr gern mitgegangen. Aber mir war es erstmal wichtiger, herauszufinden, wo du bist. Und ab da begann meine Suche."
Dazu fiel mir nur eine Sache ein: Tate war so süß. Ich hingegen lief erstmal mit den nächstbesten Typen mit, ohne zu wissen und weiter zu suchen, wo sich Tate aufhielt und gönnte mir den anderen Teil des Clubs. Ich überlegte wirklich langsam, ob ich ihm von diesem Bereich überhaupt erzählte.
"Ich bin so assozial", murmelte ich.
"Vielleicht nicht unbedingt das", hielt Tate gegen. "Aber nett war es nicht."
"Hast du wenigstens ihre Nummer bekommen?"
Er nickte.
Lächelnd drehte ich meinen Kopf wieder geradeaus und ließ meine Augen über die leere Straße schweifen. "Gut. Sonst würde ich mich jetzt noch schlechter fühlen."
Nun ging Tate nicht weiter auf mein Gesagtes ein. "Und jetzt zu dir. Wo warst du? Und wer waren die beiden?"
Ich knabberte an meiner Unterlippe und überlegte, wie detailliert ich ihm alles erzählen wollte. Er war mein bester Freund und wusste sonst fast alles über mich, aber irgendwie war es mir dieses Mal unangenehm, ihm alles von diesem Abend zu erzählen. Ich beschloss erstmal loszulegen und beim Sprechen zu entscheiden, was ich einkürzte oder wegließ.
"Sie hießen Charon und Easton-"
"Charon?", hakte Tate so gleich nach.
Ich hielt inne. "Ja? Was ist mit dem Namen? Kennst du ihn?"
Er schüttelte den Kopf. "Nein, ich glaube nicht. Aber den Namen habe ich irgendwo schonmal gehört... oder gelesen? Egal." Er schüttelte nochmals den Kopf. Erzähl weiter."
Komisch. Ließ er vielleicht auch ein Detail aus? Aber warum sollte er?
Hm.
Ich erzählte erstmal weiter. "Charon hat mich also angesprochen und mich zu dieser Bar mit herübergenommen, an der du mich das letzte Mal gesehen hast. Easton stieß irgendwie dazu, weil er Charon gesucht hatte. Jedenfalls hatten beide mitbekommen, dass ich mich etwas gelangweilt hatte und wir kamen ins Gespräch..."
"Und weiter?"
Und weiter... ich beschloss, ihm doch von dem anderen Clubteil zu erzählen. Früher oder später hätte ich mich eh verplappert. "Jedenfalls schlugen sie mir ebenfalls vor, den gesamten Club kennenzulernen-"
"Warte was? Du warst in dem anderen Teil ohne mich? Hey, wie unfair."
"Es tut mir leid Tate-"
"Darüber reden wir noch", fiel er mir ein weiteres Mal ins Wort. "Erzähl weiter, ich will wissen, wie es war."
"Wenn du mich nicht die ganze Zeit unterbrechen würdest", maulte ich. "Also habe ich zugestimmt und bin mit ihnen mitgegangen. Ich dachte nämlich, dass du dich aus dem Staub gemacht hast mit deinem Mädchen da."
"Tja, habe ich aber nicht."
Das wusste ich jetzt auch.
Bevor Tate sein nerviges neues Lieblingswort weiter sagen konnte, setzte ich meine Erzählung von allein fort. "Der andere Clubraum befand sich den langen Gang weiter hinunter, man musste nach links abbiegen. Da gab es auch eine Doppelfügeltür. Wir haben Armbänder bekommen - weiße und jeder eines jeweils - und dann haben die Türsteher die Türen geöffnet. Du weißt ja nicht, wie atemberaubend dieser Clubraum war."
Tate stieß ein trockenes Lachen aus. "Ganz richtig Iva. Ich weiß tatsächlich nicht, wie atemberaubend dieser Club war."
"Ich weiß, ich fühle mich schon schuldig genug..."
"War es wirklich so wie Venice meinte? Man sieht nur, was man sehen soll oder so ähnlich? Und gab es da auch diese Dark Hour?"
Moment, er wusste von der Dark Hour Bescheid? Wieso hatten mir Charon und Easton nichts davon erzählt?
Oder hatten sie es mit Absicht mit keinem Wort erwähnt? Diese Schlingel.
"Was weißt du über diese Dark Hour?", fragte ich so gleich nach.
"Naja. Irgendwie wird um 24 Uhr dort alles abgedunkelt und man würde angeblich nicht mehr erkennen, mit wem man es dort zu tun hat. Und nach etwa drei Minuten geht das Licht wieder an. Länger dürfen sie es aus Sicherheitsgründen nicht komplett dunkel machen."
Das ist ja interessant. Kein Wunder, dass die Leute da alle so gehypt waren, wenn das nur einmal an diesem Abend passierte - aber dann war dieser Cinderella-Vergleich ja auch nicht weit hergeholt.
Char-Fay und Easton-ella.
Meine Mundwinkel zuckten.
"Also ja, ich habe die Dark Hour miterlebt, aber davor und danach war es nicht vollkommen hell", beantwortete ich Tates Frage. "Aber auch nicht vollkommen dunkel. Irgendwie schwebte so eine Art... ähm Nebel über den Fußboden. Und man konnte sich mit fluoreszierender und phosphoreszierender Farbe bemalen lassen. Das sah genial aus, deswegen sieht mein Gesicht auch noch so aus."
"Wow. Also spätestens jetzt bist du mir schuldig, dass wir da nochmal hingehen."
"Mal schauen", erwiderte ich ausweichend.
"Mal schauen? Das was du da erzählst, hört sich einfach nur geil an. Und ich möchte das auch sehen. Also müssen wir da nochmal hin." Sein entschlossener Ausdruck auf dem Gesicht verwandelte sich in einen Flehenden. "Bitte."
"Mhm", machte ich nur und war mir in meinem Inneren trotzdem noch unsicher. Wenn ich da wieder hingehen würde, dann würde ich automatisch nach den beiden wieder Ausschau halten. Tate hatte es gut, er hatte wenigstens Venice' Nummer und konnte somit auf direktem Weg mit ihr in den gesonderten Bereich.
Ich wollte ungerne ein drittes Rad am Wagen sein. Ich hingegen würde auf unzuverlässige Kerle wie Charon oder Easton hoffen und warten.
Es lag mir noch immer wie ein Stein im Magen, dass ich einfach allein gelassen wurde - und wer mich da überhaupt am Ende geküsst hatte.
"Du bist so in Gedanken - ist da etwa noch was passiert, was du mir nicht erzählt hast?", roch Tate sofort den Braten.
"Naja neee, nicht direkt."
"Was heißt nicht direkt?"
Ich seufzte. "Ich hatte mit Easton etwas getanzt, aber das war schon alles."
"Mehr nicht?"
"Mehr nicht."
Tate beließ es dabei, er wusste in den meisten Fällen, wann er nicht weiter fragen sollte, wenn ich nichts dazu sagte.
Und dazu konnte ich eh nichts weiter sagen. Ich würde weder Charon, noch Easton jemals wiedersehen und ich würde leider auch niemals herausfinden, wer dieser unbekannte, unglaublich gute Küsser gewesen ist.
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