68 - Der Versuch normal zu sein
Bevor ich mir Gedanken machen konnte, wie ich es nun alleine mit Easton in der Küche ohne Dummheiten aushalten sollte, klingelte es an der Tür.
So schnell konnte er wahrscheinlich gar nicht schauen, flitzte ich zurück in den Flur und riss die Tür auf.
Tate lächelte mich entschuldigend an. "Sorry, hat ein bisschen länger gedauert-"
Ich unterbrach seine Entschuldgung, indem ich ihm zur Begrüßung um den Hals fiel. "Das ist doch nicht schlimm, jetzt bist du ja hier."
"Oh wow, du bist ja so stürmisch heute." Er strich mir in vertrauter Geste über den Rücken und lachte brummig in sich hinein. Da war er, mein Fels in der Brandung.
"Hey Iva!" Venice schob sich nach Tate in den Flur und schenkte mir eine kurze Umarmung, bevor sie sich wie Tate die Schuhe auszog. "Ich habe echt gedacht, wir kommen heute gar nicht mehr an", erzählte sie gleich weiter. "Das war ein giiigaaaantischer Stau. Du Tate, vielleicht solltest du es Eastons Mum nachmachen und einfach nur Fahrrad fahren."
Tate verzog angewidert das Gesicht. "Nee lass mal."
"Also ich finde die Idee gar nicht so schlecht", schlug ich mich amüsiert grinsend auf Venice' Seite. "Die Vorstellung, dasss du in Zukunft an deinem Drahtesel herumschraubst und dort neue Speichen einziehst und vielleicht noch die Reifen verbreiterst... das ist schon sehr lustig."
"Selbst wenn es so wäre, ich würde da schon einen Weg finden, um mir einen Minimotor in meinem Drahtesel einzubauen", antwortete mir mein bester Freund süffisant grinsend.
Ich wollte gerade etwas erwidern, als uns ein lautes Lachen aus dem Wohnzimmer unterbrach.
Venice runzelte augenblicklich ihre Stirn. "Hab ich Halluzinationen oder war das gerade eben Adriana? Ich dachte, sie ist krank."
Kopfschüttelnd drehte ich mich in Richtung Wohnzimmer. "Nein, ist sie nicht - nicht mehr. Sie ist gerade eben mit Charon angekommen."
Venice blinzelte verdattert. "Wow, was für eine Turbogrippe hat sie denn bitte durchlebt?"
Tate zuckte mit den Schultern. "Egal. Für mich ist der Gedanke, was das Abendessen angeht, viel wichtiger. Was gibt es heute eigentlich? Bestellen wir wieder etwas? Wo ist denn der Hausherr?"
"In der Küche", erwiderte ich belustigt.
Venice machte große Augen. "In der Küche? Was macht er denn da?"
Ich hob die Schultern. "Kochen. Mit mir."
Während das Staunen aus Venice' Gesicht nicht weichen wollte, redete Tate gleich weiter. "Das beantwortet auf jeden Fall meine Frage, ob wir was bestellen - tun wir wohl offentsichtlich nicht. Und was kocht ihr Schönes? Ach nein, sag es nicht. Ich gehe einfach direkt mal hin und sage gleich Easton hallo." Damit rauschte Tate neugierig in die Küche der Henrys ab und Venice und ich tappelten ihm sogleich hinterher.
Easton ging gerade von der Herdplatte weg, in der Hand einen leeren großen Glasbehälter haltend. Wahrscheinlich hatte er gerade die Nudeln in das kochende Wasser gegeben. In diesem Moment schaute er auf und lächelte dann Tate efreut an, als er ihn vor sich stehen sah.
Während sich die beiden Hallo sagten, ging ich hinüber mit Venice zur Pfanne und kümmerte mich weiter um die Tomatenstückchen und den restliche Teil der Soße.
So wie es aussah, würden Easton und ich nicht mehr allein kochen, da weder Tate noch Venice Anstalten machten, die Küche zu verlassen. Tate entdeckte das Küchenradio und drehte es ohrenbetäubend laut auf, Venice half mir beim Würzen von der Soße - und Easton verhielt sich auffällig im Hintergrund. Ich registrierte zwar, dass Tate mit ihm ein Gespräch in dem plärrenden Songgedudel führte, doch wann immer ich zu den beiden hinübersah, kreuzte sich mein Blick mit Eastons.
Ob er auch noch immer an die Situation von vorhin dachte?
Vielleicht ja schon, er ist schließlich eher selten so abgelenkt, schaltete sich meine innere Stimme ein.
Mein Herz fing an noch kräftiger und schneller zu klopfen.
Ein paar Minuten später gesellten sich Charon und Adriana mit zu uns die Küche, die wohl nun auch mitbekommen hatten, dass der Rest zu uns gestoßen ist.
Adriana drehte zwar erstmal das Küchenradio leiser, doch eine angespannte Stimmung herrschte nicht. Vielleicht auch, weil ich mich gekonnt von ihr fernhielt und gar nicht weiter in ihre Richtung blickte. Sie fing mit Charon an den Tisch im Wohnzimmer zu decken. Es dauerte nicht lange, da konnten wir das Essen auf den Tisch stellen und setzten uns vor unsere Teller.
Venice füllte uns großzügig die Nudeln auf und Charon schöpfte die Soße wie eine Lawine auf die Teller. Teilweise so schwungvoll, dass nicht wenige Tropfen den Weg auf die Tischdecke fanden. Doch er ging gekonnt mit unseren neckenden Sprüchen um und rechtfertigte sich mit der Aussage, dass er ja gott sei dank in keiner Kantine arbeitete und man die Flecken mit links herauswaschen könnte.
Auch das Essen verlief nicht schweigsam ab. Ich versuchte normal zu wirken und meinen Kreislauf unter Kontrolle zu behalten, was nicht so einfach war, da Easton und ich uns genau gegenüber saßen und mir jeder weiterer Blickkontakt die blanken Nerven kostete. Wir beide klinkten uns in die Gespräche der Runde ein, doch für den größeren Anteil sorgten eher die anderen am Tisch.
Schließlich waren wir mit dem Essen fertig (gleichzeitig ich auch mit meinen Nerven am Ende), räumten ab und zogen zur Couch um.
"Welchen Film wollen wir schauen?", fragte Charon und schnappte sich die Fernbedienung, um sich durch das Menü des Fernsehers zu klicken. Man merkte eindeutig, dass er mindestens genauso oft bei Easton hocken musste wie Easton bei ihm.
"Ich wär für Action", kam es von Tate.
Grinsend rollte ich mit den Augen. "War ja klar."
"Neee, ich wäre eher für eine Komödie", lenkte Adriana dagegen, worauf ihr Easton, der sich noch nicht hingesetzt hatte und sich mit den Unterarmen an einer Sessellehne abgestützt hatte, überraschenderweise zustimmte.
Sowohl mein Kopf als auch Adrianas Kopf ruckten zu ihm. Adriana versuchte ihn strahlend anzulächelnd, doch Easton wich ihr aus und fixierte lieber zusammen mit Charon den Fernseher an, da dieser gerade die Filmauswahl durchskippte.
Wieder flatterte eine unendliche Nervösität in mir auf.
Zwar war die Runde ganz okay, aber tatsächlich würde ich mir wünschen, lieber mit Easton über das von vorhin zu sprechen. Ich wollte unbedingt wissen, was es bedeutete und nun fühlte ich mich so, als würde ich für ungewisse Zeit auf glühenden Kohlen sitzen und werde dabei auch noch von Adrianas misstrauischen Seitenblicken überwacht.
Hilfe.
Da lag mir selbst das leckere Essen quer im Magen.
"Können wir nicht einen Animationsfilm schauen oder so? Rapunzel neu verföhnt oder sowas?", meldete sich nun auch Venice zu Wort und traf gleich auf die lautstarken Proteste von Charon und Tate.
Lächelnd verfolgte ich die hitzige Diskussion, ehe ich erneut Bekanntschaft mit einem von Adrianas komischen Seitenblicke machte. Dieses Mal schaute ich nicht weg, sondern zog nur fragend die Augenbrauen in die höhe.
Sie saß in dem anderen Sessel, auf dem sich Easton nicht gelehnt hatte. Ein Bein ausgestreckt, dass andere angewinkelt, die Arme auf den Lehnen beidseits abgelegt. Wie eine Königin auf ihrem Thron. Sie nickte mir zu. "Möchtest du nicht die Schürze ausziehen? Die muss doch langsam voll unbequem sein oder?" Auch wenn sie das in einem normalen und ausnahmsweise vernünftigen Ton sagte, traute ich ihr dennoch keinen Meter über den Weg.
Allerdings war ihre Frage berechtigt. Ich hatte meine Schürze tatsächlich vergessen auszuziehen und wollte das gerade machen, als ich inne hielt.
Verflixt, darunter trug ich doch nur mein dünnes Unterhemd, wodurch meine rote Unterwäsche absolut durchschien - und mein Pullover lag oben in Eastons Zimmer auf seinem Bett fiel mir siedend heiß nachträglich ein.
Verdammt.
"Ich ähm klar", kam es von mir. "Ich geh auch nochmal kurz auf Toilette. Die anderen streiten sich eh noch wegen dem Film, also verpasse ich ja nichts", ich stand eilig auf, ließ Venice, Charon und Tate ihre Gefecht weiter fortführen und Adriana auf ihrem Thron thronen. Was Easton machte? Ich wusste es nicht, ich hatte es vermieden unter Adrianas Aufsicht in seine Richtung zu schauen.
Trotzdem blickte ich mich nochmals um und stellte zufrieden fest, dass man von der Couch aus nicht sehen konnte, wenn ich jetzt die Treppe nach oben in Eastons Zimmer ging. Ich meine, klar, es war ein komisches Gefühl ohne ihn nach oben zu gehen. Aber ich holte ja nur meinen Pullover, das ist doch kein großes Ding. Oder?
Flink erklomm ich die Treppenstufen nach oben und hechtete den Flur entlang, um in Eastons Zimmer abzubiegen. Der Fernseher ist mittlerweile ausgegangen, meine Urkunde befand sich nach wie vor auf dem Schreibtisch und auf der etwas verhuschelten Decke am Fußende seines Bettes lag mein Pullover.
Ich lief zielsicher zu ihm, band mir die Schürze ab und streifte mir dann meinen kuscheligen Pullover über - auch wenn mir in dem Ding wahrscheinlich viel zu warm sein wird.
"Ich hatte schon Angst, dass du die Schürze im Wohnzimmer ausziehst."
Spontane kleine Lesenacht 😌❤️
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