44 - Billigen und missbilligen
Charon parkte sein Auto in einer Nebenstraße und gemeinsam stiegen wir dann aus. Es nieselte mal wieder und jetzt um zweiundzwanzig Uhr war mittlerweile auch schon die Sonne untergegangen, sodass die Umgebung von den altmodischen Straßenlaternen beleuchtet wurde.
"Aber dann ist ja dein Dad echt viel unterwegs oder?", fing Charon plötzlich ein Gespräch an und schloss somit wieder an das Thema von vorhin an. Nebenbei kramte er eine Zigarrette hervor und zündete sie sich an.
Ich steckte die Hände in meine Jackentaschen und passte mich seinem gemächlichen Laufschritt an. Offenbar war er eher die Sorte gemütlicher Mensch, die nicht den Gehweg entlang hechtete.
"Nun ja", sagte ich. "Schon. Aber ich kenne es ja fast gar nicht anders."
Er nahm einen Zug und stieß den Rauch aus, ehe er das Feuerzeug in seine Jackentasche verschwinden ließ. "Und was ist mit deiner Mutter?"
Ich biss mir auf die Lippe.
Natürlich konnte er nicht wissen, dass mir das Thema unangenehm war, woher auch. Ich verkniff es mir also auch schnippisch zu antworten, da ich sonst echt immer zu einer Kratzbürste wurde, wenn es um sie ging.
"Sie lebt nicht bei uns", antwortete ich schlicht.
Charon schaute mich überrascht von der Seite an. "Oh echt nicht? Krass. Aber hast du Kontakt zu ihr?"
Ruhig bleiben, Iva. Er kannt auch nichts dafür, dass es bei dir so ist, wie es nunmal ist.
Gerade so konnte ich meine aufkeimende Gereiztheit herunterschlucken. "Nein, habe ich nicht. Ich glaube auch, sie will das gar nicht. Sie ist damals einfach verschwunden und seit dem lebe ich nur mit meinem Dad zusammen."
"Dann muss die Bindung zu deinem Dad echt tief sein oder?"
Ich nickte und überlegte fieberhaft, wie ich ein anderes Thema anreißen könnte. Das Einzige, was mir einfiel, war es ihn etwas zu seiner Familie zu fragen. "Und du? Wohnst du noch bei deinen Eltern? Und leben sie noch zusammen?"
Ein ersticktes Lachen und er hustete etwas, bevor er antwortete.
"Was ist daran so lustig?", hakte ich irritiert nach.
"Naja", erwiderte er und räusperte sich. Sicher kratzte der Rauch jetzt ordentlich im Hals. "Wenn sich meine Eltern trennen, ist es so, als würden wir plötzlich zwei Sonnen haben - mit anderen Worten, die werden sich niemals trennen. Unmöglich. Sie sind total vernarrt ineinander, obwohl oft bei uns Zuhause die Fetzen zwischen denen fliegen, aber nie lange. Und ja, das beantwortet deine Frage. Ich wohne noch bei ihnen. Aber bald nicht mehr."
Deutlich hörte ich heraus, wie er beim Erzählen lächelte. Er musste seine Eltern echt gern haben, wenn man so strahlend von ihnen erzählte. Wie damals im Kindergarten, als man stolz erzählt hat, was die Eltern denn arbeiten würden oder was man am Wochenende mit ihnen unternommen hat.
"Hast du schon eine neue Wohnung?", fragte ich ihn interessiert.
"Noch nicht, bin noch auf der Suche", gestand er. Seine Zigarette war mittlerweile von seinem vielen Erzählen ziemlich heruntergebrannt. Er merkte es, schnipste sie herunter und trat sie aus. "Aber ich bin ehrlich gesagt ziemlich neidisch darauf, wenn ich ständig sturmfrei hätte. Eigentlich wohnst du doch schon so gut wie allein."
Ich wiegte den Kopf hin und her. "Ja schon irgendwie. Es hat eben alles seine Vor- und Nachteile."
"Ich glaube, wenn es bei mir so wäre, würde Easton halb bei mir wohnen. Macht er ja jetzt schon fast", lachte Charon.
"Ach wirklich?"
"Ja," bestätigte er. "Ich bin zwar mit mehreren Leuten zusammen aufgewachsen, aber niemand ist wie Easton. Er ist wie mein Bruder und bester Freund zugleich. Da kommen weder Venice, noch Adriana heran. Hab die beiden natürlich auch echt gern und Adriana kann tatsächlich nett sein, wenn sie mal keine Zicke ist. Aber Easton ist halt Easton." Grinsend zuckte Charon mit den Schultern. "Du verstehst das bestimmt, dein Tate und du seid doch genauso dick."
Auf meinem Gesicht bildete sich nun ebenfalls ein Grinsen. "Ohja. Tate kann mir auch keiner ersetzen. "
"Ich finde es schön, dass sich Venice und er so gut verstehen. Ich stand auch mal auf Venice... aber das hat leider nicht so gut funktioniert, wie wir es uns beide vorgestellt haben", erzählte mir Charon. Seine Ehrlichkeit haute mich jedes Mal auf das Neue um und vorallem, dass er mir das anvertraute. Aber da schien wohl Tate mit seiner Vemutung echt recht gehabt zu haben, dass zwischen Venice und Charon wohl mal was war. "Und deswegen haben wir uns entschieden, wieder nur befreundet zu sein und ich muss sagen, das klappt echt gut. Viele Leute meinen ja, weiblich und männlich, Freundschaft unmöglich - nicht in allen Fällen."
"Sehe ich genauso", stimmte ich ihm zu. "Also ist es für dich auch nicht schlimm, wenn die beiden sich jetzt so gut verstehen?"
Charon schürzte die Lippen. "Ach was, nein. Ich freue mich für die beiden. Ich bin da nicht so", lächelte er und irgendwas sagte mir, dass er auch das ehrlich meinte. Er schaute wieder von mir weg nach vorn. "Ach schau mal an. Da sind sie ja alle schon. Sind wir wohl die letzten", er schuckelte mich spielerisch mit der Schulter an, dann beschleunigte er seinen Schritt und nur mit Mühe konnte mithalten.
Tate löste sich aus der kleinen Gruppe vor dem Eingang des Clubs und kam mit einem fröhlichen Gesichtsausdruck auf mich zu. "Hallo Iva, lange nicht mehr gesehen." Wie bei fast jeder Begrüßung schloss er mich in die Arme. "Warum habt ihr so lange gebraucht? Hast du wieder so getrödelt?", fragte er als er wieder von mir abließ.
"Nein", schaltete sich nun Charon an und die beiden Jungs machten ihren Handschlag zur Begrüßung. "Wir haben uns gerade nur ein bisschen festgequascht."
"Ach na dann. Soll vorkommen, habe ich gehört", witzelte mein bester Freund herum. Mit beiden zusammen trat ich näher zu den anderen heran - und warum auch immer, von den vier Menschen, die ich erblickte, blieben meine Augen zuerst bei ihm stehen.
Easton hob genau in diesem Augenblick den Kopf an und unsere Blicke trafen sich. Es war genauso intensiv wie beim letzten Mal, nichts hatte sich daran verändert. Langsam wanderten seine Augen an mir herunter, nahmen mein Kleid eingehend unter die Lupe.
Ich tat genau das gleiche bei ihm.
Er trug heute ein grünes Shirt, auf das in schon reichlich verwaschener Schrift gerade noch so das Wort Houston zu lesen war. Die Farbe des Stoffs passte perfekt zu seinen Augen und betonte seine lockerliegenden Haare. Auch heute fielen sie in vereinzelten Strähnen auf seine Stirn. Zu dem Shirt trug er eine hellblaue, verschlissene Jeans mit Löchern auf der Höhe von den Knien und die Füße steckten in weiße, ebenfalls ziemlich verwaschenen Converse. Die Hände hatte er in seinen Hosentaschen vergraben.
Warum sah er nur so gut aus?
Ich musste mich stoppen, um nicht zu überprüfen, ob er wieder nach diesem schönen Duft roch. Ich musste echt mal dringend herausfinden, was das für ein Duft war, dann hatte ich noch eine kleine Nebenbeibeschäftigung.
Im Hintegrrund hörte ich, wie die anderen sich schon lachend unterhielten, doch das blendete ich fast vollkommen aus - offenbar genauso wie er.
Mir fiel der letzte Abschied ein, der ja im Grunde genommen eigentlich aus meiner Flucht vor Adriana bestanden hatte.
Vor Adriana, die heute Abend natürlich mitbei sein musste und dicht neben ihm stand. Eine braune Lederjacke hing über ihre Schultern, die verdächtig nach Eastons aussah. Als ich in ihr Gesicht blickte, gefror mir beinahe das Blut in meinen Adern.
Sie hatte mir schon längst ihre Aufmerksamkeit geschenkt und wer weiß, wie lange schon. Verdammt, hoffentlich hatte sie nicht mitbekommen, wie ich Easton schon wieder angeschmachtet hatte...
Zu meinem Unglück setzte sich genau in diesem Augenblick ein teuflisches Lächeln auf ihrer Miene fest und sie schlang einen Arm um Eastons.
Oh scheisse.
Sie hat es ganz genau gesehen.
Es war, als hätte man mir einen Stein in meinen Magen eingenäht. Angestrengt schluckte ich und am liebsten hätte ich mir wieder gegen die Stirn geklatscht.
Wie kann ich nur so dumm sein?
Ich mache mich allmählich nicht nur vor ihm zum Trottel, sondern auch noch vor ihr. Große Klasse, ganz große Klasse.
Ich registrierte, wie sich jemand neben mich hinstellte und dieser jemand zog die Aufmerksamkeit sowohl von Adriana als auch von Easton auf sich. "Ich wäre ja dafür, dass wir endlich reingehen", schlug Charon vor und ich spürte, wie er mir eine Hand an meinem Rücken legte.
Die Wärme breitete sich von dort kribbelnd über meinen gesamten Körper aus und ließ meine eingefrorenen Adern endlich auftauen.
Ich war sehr froh darüber, dass er zu mir herangetreten ist - nur hoffentlich nicht aus dem Grund, weil er die komische Situation zwischen Easton und mir ebenfalls gemerkt hat...
"Na was denkst du, auf was ich die ganze Zeit schon warte?", erst jetzt sah ich, dass Habeck noch neben Venice und Tate stand. Der Blonde grinste wie ein Honigkuchenpferd und als er sah, dass ich ihn anschaute, grinste er gleich noch eine Spur breiter.
Venice klatschte begeistert in die Hände. "Auf was warten wir? Los gehts."
Die Gruppe setzte sich in Bewegung, an der Spitze Beck und Tate mit Venice. Zu meiner Erleichterung wandte sich Adriana ohne einen weiteren gehässigen Blick in meine Richtung ab, um den anderen zu folgen und zu meiner Überraschung entzog Easton sich ihrem Arm. Aber wahrscheinlich auch nur, um auf Charon zuzugehen und ihn ebenfalls per Handschlag zu begrüßen.
"Gar keine Begleitung heute Abend? Du nimmst doch sonst immer jemanden schon gleich am Anfang mitherein", plänkelte Easton mit Charon herum.
Na klar, warum überraschte mich das nicht. Charon, dieser Frauenheld. Ein Grund mehr, heute gewaltig aufzupassen. Auch wenn Charon verdammt attraktiv ist, aber eigentlich hatte ich die Nase voll von Jungs, die nichts Festes wollten. Das Einzige, was sie versprachen, waren Herzschmerzen. Und die, die was Festes wollten, hatten meist nur Augen für ein Mädchen. Ein Beispiel dieser Gattung stand direkt vor mir und wartete interessiert auf eine Antwort von Charon.
Interessant, dass Charon nicht erzählt hatte, dass er mich heute als Begleitung hatte. Sie sagten sich doch anscheinend sonst alles. Oder es war in Charons Augen nicht erwähnenswert, konnte natürlich auch sein.
Ich kannte beide eigentlich kein Stück, also sollte ich weiterhin auf der Hut bleiben.
Wahrscheinlich dachte Easton auch gar nicht mehr an die Regel mit der Altersbegrenzung und wusste, dass ich so oder so ohne Probleme mit ihnen in den Club hineinkommen konnte. Schließlich war der Großteil der Gruppe die Kinder der Eigentümer und alle älter als Tate und ich.
Charon nahm die Hand von meinem Rücken und legte seinen Arm nun stattdessen um meine Schultern. "Iva ist heute meine Begleitung. Ich habe sie schon letztes Mal gefragt..." Er sprach noch weiter, doch irgendwie konnte ich ihm nicht so recht zuhören.
Mich schockierte vollends der Ausdruck auf Eastons Gesicht. Gerade eben noch wirkte er entpannt und locker - nun aber hatten sich seine Gesichtszüge deutlich verhärtet und er presste die Lippen aufeinander. Aus etwas schmaleren Augen heraus kommentierte er den Arm um meine Schultern mit so etwas wie... Missbilligung.
Aber warum?
Doch so schnell ich diese Veränderung bemerkt hatte, so schnell schien er sich wieder zu fassen. Auch wenn er nicht mehr ganz so locker wirkte, wie noch vor ein paar Sekunden.
"Ach verstehe", meinte er schließlich.
Mehr konnte er auch gar nicht sagen, da riefen auch schon die anderen nach uns, wir sollten doch endlich mal jetzt mit in den Club kommen und nicht draußen weiter herumstehen.
Mit einem mulmigen Gefühl und mit dem Wissen, dass Easton direkt neben mir und Charon lief, liefen wir den anderen nach.
Sooooo... ich habe für heute noch ein Update geschafft 😊
Was haltet ihr davon, dass Charon seine Begleitung gegenüber Easton verschwiegen hat, wenn sie sich doch sonst immer alles erzählen?
Und wie findet ihr Eastons Reaktion darauf?
Oh und Adriana hat nun das, was auch immer zwischen Easton und Iva ist, deutlich gemerkt... es bleibt spannend.
Im nächsten Kapitel sind sie dann endlich im Club. Ich freue mich schon auf eure Reaktionen und genießt noch ein bisschen den Sonntag, bevor es wieder Montag wird 😣💕
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