26 - Erste Hilfe für Trecker
Der nächste Tag - ein Donnerstag.
Er hat schon wenig vielversprechend angefangen. Dank meiner Überlegungen und weil ich irgendwie doch nicht so gut schlafen konnte, war ich heute Morgen hundemüde - und natürlich hatte ich deswegen auch meinen Wecker ausgestellt, statt auf die Schlummertaste zu drücken.
Was auch sonst.
Also hatte ich meinen Bus verpasst, der mich pünktlich auf die Ranch bringen sollte.
Stattdessen bin ich also im Nieselregen - das Wetter schien es heute auch super mit mir zu meinen - und mit einem leeren Magen auf meinem Drahtesel zum Hof gestrampelt. Sodass die Tiere noch halbwegs pünktlich essen konnten, während ich beim Heu, Silage und Kraftfutter verteilen an einer Möhre mümmelte, um überhaupt irgendetwas erstmal gegessen zu haben.
Piet und Hamish, die oft zusammen mit mir arbeiteten, da man als einzelne Person die Ranch gar nicht wuppen könnte, hatten keinen Kommentar abgegeben und mir stattdessen so gut wie es ging geholfen.
Das waren tatsächlich beide mal nette Kerle. Piet war Mitte Dreißig und hatte Landwirtschaft und alles was dazu gehörte, studiert. Seit dem er siebzehn ist, arbeitete er schon auf dem Hof. Sein Erscheinunsbild war zwar hager und dünn, doch er hatte die Kraft und Ausdauer von zwei Männern. Davon konnte ich mich mal höchstpersönlich überzeugen, als er einen wildgewordenen Bullen wieder eingefangen und einfach so in den Stall zurückgedrückt hatte.
Nicht zu fassen.
Das strohblonde Haar stand fast immer in alle Richtungen und er trug richtig dem Streotyp Farmer entsprechend ein kariertes Hemd und Cowboychaps.
Das war Piet.
Hamish hingegen war im Sachen Aussehen das komplette Gegenteil. Er hatte kurz geschorene dunkelbraune Haare, dunkelbraune Augen und ist sehr muskelbepackt. Im Sommer wie auch im Winter rannte dieser Mensch mit Tanktops durch die Gegend.
Unsereins frierte sich die Brüste ab und er ließ sich von der Wintersonne die Haut bräunen.
Einfach nur abgefahren.
Hamish ist Mitte zwanzig und arbeitete erst seit zwei Jahren auf der Ranch.
Mit beiden kam ich von Anfang an super zurecht und vielleicht wurden gerade deswegen wir drei meist zusammen eingeteilt. Der Hofbesitzer selbst, Mr Silver, arbeitete mal hier und mal da mit. Ein recht netter älterer Mann, der sich besonders zu den Pfernden hingezogen fühlt und jeden Morgen und Abend auf seinem Lieblingspferd eine Runde über die Ranch drehte.
Und für so eine Runde brauchte man wirklich entweder ein Pferd, ein Auto oder irgendwas anderes mit Rädern. Sie war riesig. Die Stallungen, die Weiden, die Ackerflächen. Alles war nach einem gewissen Schema unterteilt. Rinder-, Schaf- und Pferdeställe. Die Tiere weideten auf verschiedenen Flächen je nach Jahreszeit. Und die Ackerflächen stapelten sich entweder um die Ranch herum oder lagen über die Landstraße oder Feldwegen gut zu erreichen etwas außerhalb. Außer den Ställen und alles andere gab es natürlich noch das Wohnhaus von Mr und Mrs Silver. Mrs Silver war leider nicht so nett wie ihr Mann. Sie war ein Drache und bewachte das Büro. Die einzigen Tiere, die sie liebte, waren Hunde, weswegen ihr auch stets zwei treue Dackel hinterherrannten - Tino und Tini.
Und natürlich musste dieser Drache genau aus dem Fenster des Wohnhauses schauen, als ich viel zu verspätet und keuchend auf dem Hof ankam und abgehetzt zum Personalraum hechtete, um mir meine Stallsachen anzuziehen.
Das wird noch Ärger geben.
Ich versuchte, das erstmal zur Seite zu schieben und mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Nachdem ich noch etwas mit Piet und Hamish geredet hatte - nach dem Füttern aller Tiere gönnten wir uns versteckt bei den Heuballen eine kurze Pause - teilten wir uns die restliche Arbeit auf dem Hof untereinander auf.
Da ich weder die Schafherde in dem immer stärker werdenen Nieselregen auf die weiter ab gelegene Weidefläche zu Pferd ohne Schirm und Regenkleidung (ich hatte diese besagte Kleidung noch nicht reinigen lassen, sie war noch voll mit Pferdemist) treiben wollte, noch den Pferdestall ausmisten wollte, nahm ich lieber die Aufgabe an, die zwei neuen Rinder von der benachbarten Ranch abzuholen.
Ich hätte ein Dach über dem Kopf, würde mindestens zwei Stunden brauchen und könnte auf dem Hinweg noch einen Abstecher zur Tankstelle machen, um mir wenigstens ein Brötchen zum Frühstück zu holen und mich nicht nur von Karotten zu ernähren.
Da die Jungs schon immer recht freundlich und rücksichtsvoll mir gegenüber gestimmt waren, durfte ich also mit dem Jeep und den Viehanhänger wegdüsen - jedenfalls war das der Plan.
Dass der Jeep den Geist schon nach fünf Metern Fahrweg aufgibt, war nicht vorhergesehen.
Da Mr Silver überraschenderweise mit dem anderen Jeep nach Brokenville gefahren ist und ich leider keinen Führerschein für den großen Viehtransporter besaß, setzte man mich auf einen Trecker. Für den hatte ich zwar auch keinen Führerschein, aber mit dem war ich schon deutlich öfter gefahren und Piet und Hamish waren der Meinung, Treckerfahrer wurden eh nie von der Polizei angehalten.
In dem Punkt hatten sie auch recht.
Ich kam ohne einen weiteren Zwischenfall bei der Tankstelle an, holte mir gleich zwei Brötchen, da die Fahrt mit Trecker erheblich länger dauern würde, und holte die zwei besagten Rinder ab. Nachem ich alles verladen hatte, war aufeinmal auf dme Rückweg die Landstraße gesperrt. Ein Unfall wegen des nassen Wetters.
Also kämpfte ich mich mit dem Ding über einen Landweg, um die Landstraße zu umfahren und war natürlich noch langsamer unterwegs als ohnehin schon. Alles kein Ding - ich hörte mein Hörbuch, aß mein Brötchen und musste eigentlich nur das Lenkrad festhalten - bis auf einmal eine rote Lampe aufblinkte und wenige Sekunden später der Motor ausfiel.
Da stand ich nun.
Mitten auf einem Feldweg, der Regen prasselte weiter auf das Dach und im Schlepptau hatte ich zwei Rinder, die jetzt muhend herummaulten.
Ich knüllte die Brötchentüte zu und stöhnte laut auf.
Das konnte doch nicht wahr sein!
Ich versuchte den Motor mehrmals zu starten, doch es brachte so gar nichts. Langsam bekam ich Angst, dass ich bei dem sintflutartigen Niederschlag zu tief in den ohnehin schon weichen Boden einsinken würde, wenn ich mich nicht weiter fortbewegte.
Verdammt.
Es half ja nichts. Also stieg ich aus und watete im Regen durch den Schlamm zum Motorbereich. Von außen war nichts auffällig und es qualmte auch nichts. Beim Aufklappen der Motorhaube und beim Überprüfen des Innenraumes schienen auf dem ersten Blick auch keine Kabel oder Schläuche abgerissen zu sein.
Nur ab da war mein Wissen um Erste Hilfe für Trecker schon beschränkt und ich konnte nichts weiter tun.
Wieder zurück im Fahrerhaus rief ich Hamish an, da Piet meistens nie an sein Handy heranging. So richtig old Cowboy like schien der vielleicht auch gar keins zu besitzen, wer wusste das schon.
Hamish war natürlich gar nicht begeistert. Er meinte, er würde Mr Silver Bescheid sagen, aber ich musste natürlich eine Werkstatt kontaktieren.
Mir fiel der Unfall auf der Landstraße ein und ob dann überhaupt Tates Dad herausrücken konnte. Vielleicht schleppte er auch gerade das Auto am Unfallort ab. Und irgendjemanden in Brokenville wollte ich auch nicht anrufen.
Also wählte ich kurzerhand die Nummer von Tates Vater.
"Hallo Iva! Wie kann ich dir denn helfen?", meldete sich auch schon die vetraute raue Stimme. Tates Dad war ein wahrer Hüne und man konnte Vater und Sohn nicht verleugnen. Das gleiche Gesicht, die gleiche Mimik, die gleiche Körperstatur. Nur das Alter und die Stimme waren ein kleiner Unterschied.
Ich erklärte ihm also mein Problem und wie erwartet befand er sich auf der Landstraße beim Unfallort.
"Aber Iva", sagte er gleich darauf. "Das ist kein Problem. Ich kann Tate bestimmt herausschicken, der hat ja erst heute Nachmittag Uni und arbeitet deswegen in der Werkstatt. Der ist gleich bei dir, ich sag ihm Bescheid."
Ach auf Tate freute ich mich tatsächlich. Dann konnte er mir ja gleich mal erzählen, wie es denn so gestern Abend gewesen ist. Sonst hätte ich ihn heute so oder so noch besucht, weil ich echt darauf brannte, wie er den anderen Clubbereich fand.
Vorallem wollte ich aber auch mehr über diese komische Venice wissen.
Also lehnte ich mich zurück und wartete mehr oder weniger geduldig auf meinen besten Freund. Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis ein Werkstattwagen in meinem Rückspiegel auftauchte - nur als der kleine LKW langsam immer näher kam, saß dort nicht Tate hinter dem Steuer.
Es sei denn, er hätte sich in einem Anflug von neuem Eifer die Haare pechschwarz gefärbt und sie sich auch noch gelockt, da Tate echt eine aalglatte Mähne besaß.
Ich stöhnte ein zweites Mal genervt auf.
Das darf doch nicht wahr sein - warum kam denn der hierher und nicht Tate? Charon hatte mir gerade noch gefehlt.
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