25 - (K)eine Offenbarung
"Du kennst ihn bereits."
Das war gleich der erste Satz von meinem Vater, als wir uns von den Henrys verabschiedet hatten und wieder auf dem Weg nach Hause waren.
"Kann sein." Ich verdrehte die Augen und kreuzte die Arme vor meiner Brust.
Der darauf prüfende Blick von meinem Vater, den er mir von der Seite aus zuwarf, war deutlich zu spüren. "Wusste ich es doch. Und woher kennst du ihn?"
"Dad, bin ich bei einem Verhör?", stellte ich die Gegenfrage. "Ich könnte dich zum Beispiel auch genauso gut fragen, warum du schlecht auf den Sohn von irgendeinem Adrael zu sprechen bist."
Sofort herrschte eisige Ruhe.
Kann sein, dass ich zu weit gegangen bin. Aber warum interessierte es ihn bitte, woher ich Easton kannte? Hatte er etwa Angst, dass ich schon in Ians Club feiern war? Wenn ja, die Angst kam wohl etwas zu spät seinerseits.
"Kennst du denn diesen Sohn von irgendeinem Adrael auch?", fragte er mich dann plötzlich.
Verdattert schaute ich zu ihm herüber. "Und wenn? Was spielt das für eine Rolle? Nur weil man jemanden kennt, Dad, heißt das nicht, dass man mit diesem Menschen auch seine Zeit verbringt."
"Also war das ein ja?", bestand er unbedingt auf eine Antwort und seine Kiefer arbeitete angestrengt. Als würde er fest die Zähne aufeinander beißen.
Meine Augenbrauen zuckten in die Höhe. "Soll ich ihn denn kennen?"
Er stöhne entnervt auf. "Iva. Was ist das denn jetzt für eine Antwort? Kannst du nicht einfach vernünftig sagen, ob du... diesen Charon kennst oder ob du ihn nicht kennst?"
"Warum ist das denn so wichtig? Das hört sich ja an, als wäre Charon und dieser... Adrael totale Halunken und hätten den übelsten schlechten Einfluss."
Nun gut.
Dass Charon kein braver Junge ist, das wusste ich ja bereits. Wenn der also nach seinem Vater schlug, dann war sein Dad wohl auch nicht ohne.
"Okay, ich gibs auf. Wenn du ihn kennst, dann kannst du dir natürlich liebend gerne deine eigene Meinung bilden. Ich verbiete dir nicht den Umgang mit irgendjemanden, falls du das jetzt denkst und mir deswegen nicht verraten willst, ob du Charon kennst. Aber du solltest defintiv vorsichtig sein. Die Frays... die sind so eine Familie für sich."
"Die Frays?", schnappte ich den Namen auf. "Was heißt denn das?"
Mein Dad schaute weiter super ernst gerade aus. "Das heißt genau das, was ich meine. Sie bekommen zum Beispiel immer das, was sie wollen. Selten erlebt, dass das mal nicht der Fall war..." Jetzt wirkte er noch nachdenklicher.
"Ach. Verstehe." Was wollte er mir denn jetzt damit sagen? "Und du kennst die Frays auch wirklich gut?"
Er lachte, es war ein trockenes Lachen. Irgendwie hatte es einen Tick Melancholie. "Ohja, ich kenne - ich meine, ich kannte die Frays gut. Sie waren auch in der Gruppe aus meiner Jugend, so wie es Ian vorhin erzählt hatte. Adrael und Adrian. Zwillinge sind sie, könnten aber nicht unterschiedlicher sein. Sie sind sehr gewitzt und selbstbewusst. Habe mit beiden schon eine Menge Mist gemacht. War eigentlich eine gute Zeit. Nur irgendwann hatte sich etwas verändert."
Jetzt hatte er mich noch neugieriger gemacht. Automatisch rückte ich näher zu meinem Vater heran. "Ach und was?"
Jetzt schaute er endlich mal zu mir herüber und als er mein fragendes Gesicht erblickte, lächelte er breit.
Es war herzerwärmend und ich liebte diese Art von Lächeln an ihm.
"Ach Iva. Du bist eigentlich schon so groß, aber Momente wie diese erinnern mich daran, wenn ich dir Sachen im Kleinkindalter erklärt habe. Warum zum Beispiel der Eisbär nicht am Südpol wohnt."
Ich schnaubte und boxte ihm sanft gegen die Schulter. "Dad! Nun spann mich nicht so auf die Folter. Eine anscheinend so tolle Freundschaft kann doch dann nicht aufeinmal so schnell zerbrechen."
Seine Mundwinkel sanken nach unten. "Oh doch. Schneller als du denkst."
"Erzähl doch mal endlich!"
Er seufzte. "Naja, viel zu erzählen gibt es da nicht. Ich habe eben einen Fehler in meinem Leben begangen - wobei, wenn ich etwas anders gemacht hätte, dann hätte ich dich ja jetzt nicht." Er zwinkerte mir zu.
"Goldrichtig", bestätigte ich. "Aber jetzt rück endlich heraus mit der Sprache. Komplett. Bitte."
"Gut also komplett", nutzte er mein Wort jetzt wieder schmunzelnd als Aufhänger. "Ich habe mich damals in der Highschool in jemanden verliebt und war leider zu feige, ihr meine Gefühle rechtzeitig zu gestehen."
"Was heißt denn jetzt wieder rechtzeitig? Immerhin hast du sie ihr überhaupt gestanden und das erfordert viel Mut", meinte ich.
Er wiegte den Kopf kurz hin und her. "Naja. In diesem Fall habe ich aber diese... nennen wir mal Offenbarung einfach nur versaut. Erst habe ich mich ständig nicht getraut und mich ihr gegenüber wie der größte Idiot aufgeführt. Und als ich dann den Mut hatte, war es zu spät. Sie hatte sich bereits in jemanden anderen verliebt, der ganz für sich allein hart um sie gekämpft hatte, auch wenn er es nicht jedem gezeigt hat. Aber ihr hat er es gezeigt und das zählt. Und das habe ich irgendwie... an Adrael bewundert. Obwohl er auch nicht immer der Netteste zu ihr war. Außerdem hatte auch Adrian an ihr Interesse, aber Adrael hat es irgendwie besser geschafft als wir drei, das zu bekommen, was er wollte. "
Wow. Hörte sich nach einem ganz schönen Drama an. "Und wer ist sie nun?"
"Cassie. Die Mutter von Charon."
Erstaunt riss ich die Augen auf. "Krass, also sind sie immer noch zusammen?"
"Ja. Sind sie immer noch. Und wenn immer jemand vor dir herumläuft, den man tief im Inneren liebt, aber nicht haben kann - dann ist leider Abstand das beste. Am Anfang konnte ich das noch ertragen und verstand mich mit Cassie auch sehr gut. Aber irgendwann hält das kein Mensch mehr durch, leider. Deswegen hatte ich mich dazu entschieden, mich von allen ein bisschen abzuschotten. Bin von hier weggezogen. Deshalb bist du auch in New York geboren und nicht hier. Deine Mutter habe ich ja damals auch dort kennengelernt und auch wenn du immer denkst, ich habe sie nie geliebt. Doch, das habe ich. Aber nie so sehr wie Cassie. Und ich weiß, ich hätte deine Mutter auch nicht untreu sein dürfen und ich will ihr auch nicht die Schuld geben, warum ich es getan habe. Der Fehler war nur eben, dass sie ausgerechnet und unbedingt hier in diese Gegend ziehen wollte. Ich wollte ihr den Wunsch nicht abschlagen. Und so blöd der Zufall auch war, traf ich wenige Wochen nach dem Umzug auf Cassie zufällig im Supermarkt - und ich fühlte mich wieder wie der kleine Junge damals in der Highschool. Ab da ging die Beziehung zwischen deiner Mutter und mir bergab. Sie merkte, dass etwas nicht stimmte. Ich hatte schließlich schon alleine das Gefühl, dass ich sie betrog, wenn ich nur an Cassie dachte und ich wurde diese Gedanken nicht los. Ich distanzierte mich, um selbst wieder klarzukommen und weil das nichts brachte, erklärte ich ihr irgendwann natürlich auch den Grund. Und genau damit kam dann deine Mutter nicht zurecht."
Das war... meine Güte. Das ist eine Geschichte, die man erstmal verdauen musste. Dass auch erst ein komisches Abendessen bei den Henrys geschehen musste, um dass mir mein Vater aus seiner Vergangenheit erzählte. So viel hatte er mir nie preis gegeben. Immer nur mal hier und mal da.
Und nach dieser Erzählung verstand ich allmählich ein wenig die Seite meiner Mutter. Wer wollte schon nicht ausreichend geliebt werden und nur der Ersatz sein? Die zweite Wahl? Aber es entschuldigte trotzdem nicht ihr Abgang ohne Abschied gegenüber mir.
"Ach Dad", sagte ich also nur, weil mir ehrlich mal die Worte fehlten.
Er schenkte mir ein weiteres Lächeln, nur dieses war sehr sehr bepackt mit Trauer. "Ja Iva, ich sage es dir. Also was lernt man daraus? Man muss zu seinen Gefühlen stehen - und die Frays sind ernstzunehmende Gegner in allen Bereichen", versuchte er zum Ende des Satzes ein wenig Humor unterzumischen, doch so richtig gelang es ihm nicht.
Aber ich wollte ihn mit der Vergangenheit nicht weiter quälen. Er hatte so glücklich gewirkt und nun war er so traurig. Es war also Zeit für einen Themawechsel. Außerdem wollte ich seine Lust zur Auskunft über diese reichlich unangenehmen Sachen auch nicht zu sehr ausreizen. Ich würde nachher eh nochmal in Ruhe über alles nachdenken.
"Ian und du scheint euch aber nach wie vor gut zu verstehen", stellte ich fest.
Mein Vater grinste nun doch, wenn auch etwas schief. "Ohja, das tun wir. Ian ist echt die herzlichste und gutmütigste Person der Welt. Und Liv ist sein brilliantes Gegenstück. Sie haben sich auch in der Highschoolzeit kennengelernt. Liv war da übrigens sehr schüchtern und zurückhaltend. Ständig musste sie sich Kommentare wegen ihrer Nerdigkeit anhören, zugegeben auch von mir. Aber sie war auch echt ein kleiner Streber - nun gut. Ihr Sohn Easton scheint es ihr nachzumachen, wenn er auch nicht ganz so streberhaft aussieht."
"Nee. Streberhaft sieht der nicht wirklich aus", pflichtete ich ihm bei. "Und gutmütig ist er auch nicht. Und herzlich? Dass ich nicht lache."
Mein Dad lachte. "Ach nein? So wirkte das aber nicht. Immerhin seid ihr auch eine ganz schön lange Zeit verschwunden. Ich hoffe, es ging um die Uni und um nichts anderes."
Automatisch fiel mir wieder die direkte Klarstellung von Easton ein.
"Das heißt, dass ich dir keine falschen Hoffnungen machen möchte-"
"Wer sagt denn, dass ich mir welche gemacht hätte?"
Er lächelte mich vielsagend an. "Wie du meinst... Iva. Dann haben wir ja nun klare Verhältnisse gschaffen. Die Vorgeschichte ist vergessen. Ich helfe dir an meiner Uni angenommen zu werden und du hältst dich an die Regeln."
"Keine Sorge Dad. Der sieht mich nur als Anhängsel. Die Tochter vom Kumpel seines Vaters."
"Das ist auch besser so, wenn es dabei bleibt. Ich habe ohnehin keine Lust, dass er noch auf die Idee kommt, dich in diesen Club von Ian mithereinzuziehen. Irgendwie würde die Sache nach Drama schreien."
"Drama?"
"Drama. Habe ich so im Gefühl. Ist eh besser, wenn du dich erstmal auf die Bewerbungen konzentrierst. Hat er dir noch etwas zu der Uni gesagt?"
Und bumm, da war er wieder. Der überfürsorgliche, strenge Vater.
"Er würde mich in diesen Schnupperkursen anmelden, dann habe ich eine sehr große Chance angenommen zu werden. Müsste ihm nur Bescheid sagen, welchen Studiengang ich für die Schnupperkurse belegen möchte."
"Na das ist doch mal sehr nett von ihm. Melde dich ruhig rechtzeitig, das Angebot solltest du nicht ausschlagen und als Chance sehen, Iva. Aber das weißt du ja genauso gut wie ich. Und durch Easton hast du da echt einen sehr guten Vorteil. Ich denke, wenn du angenommen wirst, kannst du bestimmt auch eine Menge von ihm lernen."
Dafür musste es auch erstmal so weit kommen und wer weiß, ob er mich nicht dann einfach ins kalte Wasser schubsen würde. "Mhm ja vielleicht. Ich schaue mir erstmal noch heute Abend die Angebote an, dass ich ihm im morgen dann Bescheid sagen kann. Jetzt wird er wahrscheinlich eh keinen Kopf mehr dafür haben."
Weil er damit beschäftigt sein wird, Kandidaten für den anderen Clubbereich auszusuchen. Vielleicht Kandidaten wie mich. Oder Mädchen, die wirklich seinen Geschmack trafen und eine, mit der er aufeinmal doch tanzen würde.
Irgendwie löste es ein seltsames Gefühl in mir aus. Ich konnte doch nicht etwa eifersüchtig darauf sein - aber irgendwie war ich es wohl doch.
Ich unterdrückte ein Seufzen und versuchte, meine Gedanken besser zu ordnen. Doch das misslang mir gründlich.
Alleine schon die hingekritzelten Zahlen oben in der Ecke des Infoblattes verhöhnten mich mit ihrer bloßen Anwesenheit, als ich mich eine Stunde später an meinem Schreibtisch gesetzt hatte und die Auswahl durchschauen wollte.
Ich war also gezwungen, mich mit ihm mehr oder weniger abzugeben, obwohl es nach dieser Vorgeschichte für mich echt unangenehm war. Und seine Klarstellung empfand ich auch als etwas kränkend, warum auch immer. Vielleicht, weil man mich noch nie zurückgewiesen hatte.
Und dann kamen plötzlich zwei Kerle daher und putzten mein überdimensionales Selbstbewusstsein herunter, was sonst niemand geschafft hatte.
Wahrscheinlich, weil sie selbst ein noch größeres überdimensionales Selbstbewusstsein als ich besaßen.
Unglaublich, wirklich. Und keinen von ihnen würde ich in nächster Zeit aus dem Weg gehen können, jedenfalls nicht großartig weit weg aus dem Weg.
Na klasse, das waren großartige, beschämende Aussichten - doch davon durfte ich mich nicht unterbuttern lassen. Dann würde ich eben bei Easton so weitermachen, als wäre nichts geschehen und ihn genauso kalt behandeln und Charon würde ich weiterhin in Sachen Kontern die Stirn bieten.
Das hörte sich doch schon viel besser an.
Etwas zufriedener legte ich mich schießlich nach der alltäglichen Badroutine ins Bett. Wie jeden Abend ging ich nochmal das Erlebte durch, das sich wie eine eingespeicherte Videodatei nochmal vor meinem inneren Auge abspielte.
Und dort fiel mir ein, dass ich unter anderem eine Sache in der Fragerunde auf unserer Heimfahrt vergessen hatte.
Dark Room und die Reaktion meines Vaters - Ob das auch mit dieser Cassie zusammenhing?
Ein Kapitel, das hoffentlich so einige Fragen geklärt hat :) Und Adam riecht wieder das altbekannte Drama 😏❤️
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