Verletzungen♡
Ludmilas POV:
Spitzenschuhe waren so ziemlich das Schmerzhafteste beim Ballett.
Jedes kleine Mädchen, dass an das Wort „Ballett" dachte, sah nur die schönen Kostüme, die grazile Bewegung einer Tänzerin und die Art und Weise, wie sie auf Spitze über den Boden „schwebte", aber die Schmerzen dahinter verschwieg man ihnen. Meine Füße waren schon lange nicht mehr das, was man unter schön verstand.
Die Blasen verschwanden nicht. Ich musste sie aufstechen, damit sie auf Spitze nicht drückten und zusätzliche Schmerzen bereiteten. Ich verbrauchte in der Woche ungefähr zwei Pakete Pflaster für meine Zehen, die ständig bluteten oder wund waren. Das war das Schicksal einer jeden Ballerina. Die Schmerzen in Kauf nehmen, um das zu tun, was man liebte. Je nachdem, wie sehr man sich auf die Schmerzen in den Füßen konzentrierte, waren sie mehr oder weniger schlimm.
Bei meinen Proben für den Nussknacker waren sie fast unerträglich. Das lag nicht daran, dass die Technik mir Probleme bereitete. Viel mehr belastete mich mein soziales Leben so sehr, dass es sich wieder auf mein Tanzen übertrug. Wir übten jeden Tag hart und Miss Linden hatte für mich und Federico Sondertraining beantragt, damit wir uns aneinander gewöhnten und den Pas-de-deux üben konnten. Wir verbrachten fast jeden Abend im Studio, schließlich lag die Aufführung nur noch zwei Wochen entfernt.
Wir hatten schon eine Probe in Kostümen gehabt, und auch wenn ich es nicht offen zugeben wollte, das Kostüm der Zuckerfee war mit Abstand das Schönste. Clara trug ein weißes Kleid, verziert mit ein paar Schleifen, die Schneeflocken weiße Tutus aus verständlichen Gründen. Auch das Kostüm der Zuckerfee bestand aus einem Tutu, allerdings erinnerte es mich mit seiner Farbe an rosa Zuckerwatte, bestickt mit glitzernden Perlen. Wenn ich mich damit im Spiegel drehte, glänzte und funkelte alles.
Die Kostüme der Jungs waren weniger spektakulär. Blickdichte Strumpfhosen mit Hemden und Jacken.
Gerade saß ich auf der Liege meiner Physiotherapeutin, die meine Beine in alle möglichen Richtungen drehte und an meinen Füßen herumdokterte. Ich biss die Zähne zusammen und stieß Luft zwischen meinen Zähnen hervor, als sie meine Füße untersuchte und gegen meinen Zehennagel drückte. Ich sah, wie sich ihre Stirn in Falten legte und sie mich dann musterte.
„Durch die Spitze bohrt sich dein Nagel tiefer in den Zeh, deshalb blutet es und tut weh", sagte sie. Ich wusste, was sie meinte, hatte dasselbe auch schon gehabt, aber noch nie so schmerzhaft. Es tat wirklich unheimlich weh und sah nicht schön aus. Meine Zehen bluteten und waren gerötet.
„Und was kann ich machen?"
„Bevor das nicht verheilt ist, solltest du nicht auf Spitze tanzen."
„Aber ich bin die Zuckerfee im Nussknacker! Mein gesamter Auftritt basiert auf Spitze."
Miss Rosen, das war ihr Name, sah mich versöhnlich an.
„Deine Gesundheit geht vor. Und ich verspreche dir, dass das Ganze bis zur Aufführung wieder verheilt ist. Bis dahin übst du in deinen Ballettschläppchen. Du hast noch genug Zeit, um alles auf Spitze zu trainieren. Also mach dir keine Sorgen. Das war es auch schon. Ich gebe dir noch eine Salbe mit, die du morgens und abends aufträgst und dann kannst du wieder gehen", sagte sie und tätschelte meinen verletzten Fuß.
Ich zog meine Strumpfhosen wieder über meinen Fuß und schlüpfte in meine Schuhe. Sie gab mir eine Packung mit Salbe und hielt mich noch einmal kurz auf.
„Ach, und Ludmila! Trag ein Paar bequemere Schuhe. Die sehen ziemlich eng aus."
Ich sah an mir runter auf meine weißen Schuhe. Dann lächelte ich und nickte.
„Versprochen!"
Missmutig schloss ich die Tür hinter mit und durchquerte den Raum. Hier saßen ein paar Schüler und warteten auf ihren Termin. Ein Mädchen hatte einen Verband um ihr rechtes Bein und sah ziemlich geknickt aus. Sie tat mir Leid. Bei einer längerfristigen Erkrankung konnte man früher oder später der Schule verwiesen werden. Vor allem, wenn die Verletzungen nicht richtig heilten. Da konnte ich froh sein, dass ich nur etwas Kleines an meinem Zeh hatte. Auch wenn meine Rolle bei der Schulaufführung auf dem Spiel stand.
Ich setzte mich auf die Wiese neben meinem Wohnhaus und beobachtete die ganzen Schüler heimlich.Sie sehen so frei und glücklich aus. Ich erschrak heftig, als sich Federico neben mich setzte und mir in die Seite knuffte. Ich rollte mich auf die Seite und sah ihn böse an.
„Was machst du?", fragte er .
Ich sagte nichts, sondern vergrub mein Kinn auf meinen Knien.
„Alles klar?", fragte Federico. Ich nickte.
„Bist du neidisch auf diese Leute?", fragte er.
„Nein!", erwiderte ich, empört darüber, dass er sowas von mir dachte, „ich freue mich für die beiden. Ich wünschte..." Ich hielt inne. Ja, was eigentlich?
„Was wünschst du dir?", fragte er neugierig. Ich schüttelte den Kopf und sah auf den Boden.
„Nichts", murmelte ich.
„Du klingst irgendwie geknickt."
„Wie war der Arztbesuch?"
„Hat Violetta dir davon erzählt?"
„Ja, sie war ziemlich sauer, weil du erst nicht gehen wolltest."
„Ich darf vorerst keine Spitze tanzen. Das heißt die Proben werden lustig, wenn ich mit Schläppchen so tun darf, als würde ich Spitze tanzen, weil ich keine Spitze tanzen darf. Und wenn ich bis zur Aufführung nicht fit bin, darf ich nicht die Zuckerfee tanzen und alles Üben war umsonst."
„Das macht dich ganz schön fertig."
„Natürlich. Nur wegen meiner blöden Füße. „und ihr blöden Jungs habt überhaupt keine Probleme. Ihr müsst ja keine Spitze tanzen."
,, So so wir blöden Jungs also."
Fede begann zu lachen.
,,Meinst du, als Junge hat man es einfach, wenn man Balletttänzer ist? Weißt du, wie oft ich in meinem Leben schon schief angeschaut und schwul genannt wurde? In meiner alten Schule wurde ich ständig verarscht. Hier ist das normal, wir sind ja hier auf einer Ballettschule, aber überall sonst ist das kein Spaß."
Er sah ernst aus. Als Mädchen war es süß und toll, wenn man Ballett tanzte. Wie man über tanzende Jungen dachte, wusste ich nicht. Ich selbst empfand Jungs in Strumpfhosen ja auch manchmal als schwul, auch wenn sie es nicht waren.
„Fühlst du dich also in deiner Männlichkeit diskriminiert?", fragte ich neckend.
,, Manchmal kannst du eine echte Zicke sein, Ludmila."
Ich lachte.
„Hast du Lust, die Zuckerfee ohne Spitze zu üben? Ich hab das Studio sowieso gebucht.", rief Fede.
Der Unterricht wurde aufgrund der bevorstehenden Nussknacker-Aufführung immer schon frühzeitig beendet, damit wir üben konnten.
,, Klar."
Ich folgte ihm ins Studio und er legte eine CD in den Player ein. Dann schälte er sich aus seiner Jeans, unter der er seine schwarzen Strumpfhosen trug.
„Trägst du deine Tanzsachen immer unter deinen normalen Klamotten?", fragte ich neckisch und sah dann an mir herab. Ich trug ein paar Strumpfhosen und ein ärmelloses rosafarbiges Trikot unter meinem zu großen Pullover. Ich zog meine Schuhe aus und setzte mich im Spagat auf den Boden.
Fede kniete sich vor mich und sah mich erwartungsvoll an.
Wir tanzten als ich plötzlich umknickte.
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