It's Over, It's Over
"Flo? Wirst du langsam wach? Wir sind fast da.", Romas Stimme holt mich aus einer fantastischen Traumwelt in der ich mit Drachen kämpfe und gegen Ritter gewinne.
Zögernd öffne ich meine Augen, blinzle in der Erwartung, von viel zu hellem Licht geblendet zu werden, aber es ist erstaunlich dunkel. Ein Blick aus dem Fenster verrät mir, das wir inzwischen in Köln sein müssen. In der Dunkelheit ziehen hohe Häuser am Fenster vorbei.
Es ist still im Auto. Über das Radio läuft leise Musik.
So ganz wache ich nicht auf, ich lege meinen Kopf wieder auf Roma ab und genieße den Schwebezustand.
"Wie lange brauchen wir denn noch, so ungefähr?", Fluffys Stimme klingt verschlafen, wahrscheinlich ist sie auch gerade erst aufgewacht.
Also eigentlich sollten wir seit zehn Minuten da sein.", antwortet Michi hinterm Steuer. "Aber wir haben die richtige Straße irgendwie verpasst.
Und mehr sagt niemand. Michi und Akio suchen immer noch die richtige Straße. Ob Fluffy wieder eingeschlafen ist weiß ich nicht, vielleicht.
"Da! Das ist die richtige Straße.", fast schon träge bremst Michi und biegt ab. Es ist echt spät.
Das gleichmäßige Geräusch der Räder und die leise Musik lullen mich ein. Fast wäre ich wieder eingeschlafen, wenn wir nicht abrupt zum Stehen gekommen wären.
"Wir sind da! Aufwachen ihr Schlafmützen!"
"Ist ja gut Michi, kein Grund hier so rum zu schreien.", grummelt Roma neben mir und klingt selbst so, als hätte er ein wenig geschlafen.
Schlaftrunken bis übermotiviert tragen wir unsere Tasche ins Haus. Den Flo von vor ein paar Stunden verfluchend ziehe ich meinen Schlafanzug von ganz unten aus meiner Tasche und ziehe mich um.
Halb Tod lasse ich mich auf mein Bett fallen, krieche noch unter die Decke. Kurz bevor ich endgültig einschlafe, höre ich Roma ins Zimmer kommen.
Als ich das nächste Mal hoch schreckte ist es dunkel, die Rollläden sind heruntergelassen. Nur durch einen kleinen Schlitz dringt das schwache Licht des Mondes in den Raum.
Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass es gerade einmal halb vier ist. Warum bin ich aufgewacht?
Alles ist ruhig, ich bin allein. Ich bin allein?! Romas Bett ist leer. Wo ist er? Und als ich aufstehe bin ich doch sehr wach.
In letzter Zeit war Roma immer so komisch ruhig. Das ist normalerweise überhaupt nicht seine Art.
Barfuß gehe ich vorbei an Fluffy's Zimmer und an dem von Akio und Micha.
Das Licht offenbart nichts außer gähnender Leere. Einen Balkon gibt es nicht, er muss irgendwo außerhalb der Wohnung sein.
Aber wir leben doch in modernen Zeiten, wer geht ohne sein Handy raus? Für einen hoffnungsvollen Moment lausche ich dem Rufzeichen. Vielleicht geht er ran und sagt, dass er einfach nicht schlafen konnte und ein wenig spazieren gegangen ist. Oder dass er sich bei Mecces was zu essen holt oder was weiß ich.
Da dringt ein leises Geräusch an mein Ohr. Eine leise Melodie, die mir viel zu bekannt ist. Und als ich die Tür zu unserem Schlafzimmer öffne liegt da sein Handy auf dem Nachtisch.
Ich lege über sein Handy auf und mir springt sein Sperrbildschirm entgegen. Akio, er und ich wie wir in die Kamera grinsen.
Mit einem Ziehen in der Brust stürme ich aus der Wohnung, ziehe mir geistesgegenwärtig Jacke und Schuhe an. Selbst wenn ich ihn nicht finde, wo sollte ich auch suchen, so tut mir die frische Luft gut. Gibt mir ein wenig Platz für meine Gedanken. Vielleicht ging es ihm ja genauso?
Trotzdem wiegt sein Handy schwer in meiner Tasche. Was, wenn ihm was passiert ist? Vielleicht wollte er einfach nur spazieren gehen und wurde angefahren, oder überfallen oder sonstwas.
Und ich laufe hier wie der letzte Depp durch die Straßen.
Nein, wieso sollte sowas passieren. Wie gering ist die Wahrscheinlichkeit dafür. Wahrscheinlich konnte er einfach nicht schlafen, wollte ein wenig spazieren gehen und sitzt grade irgendwo auf einer Parkbank und ganz langsam beginnt Müdigkeit sich in seinem Körper breit zu machen.
Ein kleiner Park, direkt am Ufer des Rheins kommt immer näher.
Okay, ich geh einmal durch, gucke, ob ich Roma finde und wenn nicht gehe ich wieder zurück. Dann ist er bestimmt schon wieder da und die Sache ist geklärt. Ich mache mir bestimmt nur wieder zu viele Gedanken.
So durchschreite ich den Park. Auf einer Parkbank liegen zwei Mädchen und schlafen. Sie können kaum älter sein als zwanzig. Ich würde ihnnen gerne helfen, hätt ich nur meine Geldbörse mit, dann könnt ich ihnnen wenigstens ein bisschen Geld geben.
Selbst im Schlaf sehen sie nicht entspannt aus, kein Wunder.
Ich folge dem Weg weiter, komme ein ums andere Mal aus dem Schatten zwischen zwei Laternen ins Licht.
Auf einer Parkbank erkenne ich eine Gestalt, er kann kaum älter sein als ich. Seine Haare und sein Bart sind zerfleddert, sein Gesicht ist vom Wetter gezeichnet. Er hat eine Mütze über seine Augen gezogen.
Wie unterschiedlich Leben verlaufen können.
Als ich dann auf der Mauer sitze frage ich mich, wie ich hier hingekommen bin.
Vom Park aus ist sie vielleicht eins fünfzig hoch, aber bis zum Wasser geht es auf der anderen Seite locker drei Meter runter. Ein wenig fühle ich mich wieder wie der kleine Problem Flo, oder der von Liebeskummer Zerfressene, von vor anderthalb Jahren. Dabei ist doch alles gut zurzeit. Wir haben sogar den größten Teil von Corona ausgesessen, es ist wieder Gamescom.
Vielleicht ist es einfach zu spät für meine müden Knochen.
Der Rhein ist wunderschön, die ganze Kulisse ist einfach stimmig. Auf der anderen Seite des Wasser kann man ein belebtes Stück vom Ufer sehen, diverse Clubs sind laut und bunt, junge Menschen genießen ihre Freiheit. Die Lichter spiegeln sich im Wasser und eine Ahnung von Musik ist zu hören.
Dort drüben tobt das wilde Nachtleben und ich sitze hier, fast ist es still. Nur gelegentlich hört man Autos vorbeifahren.
Wer hätte geahnt, dass es so kurz vor der anstrengenden und lauten Gamescom einen so ruhigen Moment geben würde. Leise seufze ich.
Eigentlich sollte ich schlafen. Morgen wird ein langer Tag.
"Flo?", ein Fan? Nein! "Alles gut?", es ist Roma! Ein spontaner Adrenalinschub lässt mich aufspringen. "Ich hab mir solche Sorgen gemacht! Bist du okay?", ungläubig mustere ich ihn und er sieht aus als würde es ihm gut gehen, sogar ein kleines Lächeln ziert seine Lippen.
"Alles gut Flo, ich konnte nur nicht schlafen, brauchte ein bisschen Platz zum Nachdenken.", und dann umarme ich ihn einfach. Warum weiß ich selber nicht so ganz.
Aber es ist egal, ihm ist nichts passiert, meine Sorgen waren unbegründet. Denke ich.
"Ich hatte versucht dich anzurufen, aber du hast dein Handy nicht mit.", erkläre ich ihm und fische es aus meiner Tasche. "Und dann konnte ich auch nicht mehr einschlafen."
Er nickt nur, nimmt sein Handy entgegen und entsperrt es kurz.
Irgendwer muss ihm geschrieben haben, in der Zeit seit ich versucht hatte, ihn anzurufen. Mit flinken Fingern beginnt er eine Antwort zu tippen und ich setzte mich auf die Mauer. Ich weiß, wir sollten zurückgehen und schlafen, aber ich mag diesen Moment, diese Atmosphäre gerade viel zu sehr. Und so sitze ich in der Stille und schaue auf die andere Seite.
Ein paar Lichter sind schon ausgegangen, es ist bestimmt schon fast sechs inzwischen. Dann müssen wir in zwei Stunden aufstehen. Ganz leise seufze ich. Immerhin kann ich morgen meine Fans sehen.
"Eigentlich sollten wir noch schlafen.", stellt Roma fest, nur um sich neben mich zu setzen. Und so starren wir zusammen auf die andere Seite.
Die Stille ist komisch. Ich weiß nicht mal wieso, eigentlich ist jetzt doch der perfekte Moment zum Schweigen. Mein Blick fällt auf ihn. Irgendwie sieht er komisch aus. So als müsste ich mir doch Sorgen machen.
"Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist?", er nickt zwar, aber selbst auf drei Kilometer Entfernung könnte man noch sehen, wie gnadenlos er seine Lippe bearbeitet, wie verbissen er in die Tiefe starrt.
Wieder ziehe ich ihn einfach an mich, bis jetzt bin ich so immer ganz gut gefahren. Und tatsächlich, sofort schlingt er seine Arme ebenfalls um mich, klammert sich regelrecht an mich. Wie heißt es immer so schön, wie ein Ertrinkender? Das trifft es wohl am besten.
Ein Zittern durchzieht seinen Körper, immer und immer wieder. Ganz sanft streiche ich über seinen Rücken, ein schwacher Versuch ihn zu trösten. Viel lieber würde ich jetzt auch weinen.
Was? Ich hab doch gar keinen Grund. Alles ist doch gut. Warum zum Fick will ich Heulen?
Mit geröteten Augen sieht er mich an. So lange schon. "Du Flo...", ich hätte nicht gedacht, dass eine Stimme so zerbrechlich klingen kann. "Ich... Also wir, du-", eine erneute Flut an Tränen unterbricht ihn.
"Hey, alles wird gut, mach dir keine Sorgen.", murmelte ich und ziehe ihn wieder an mich, streiche möglichst beruhigend über seinen Rücken. "Shhhh"
Immer wieder zittert sein ganzer Körper. Immer wieder streiche ich über seinen Rücken, halte ihn noch etwas fester.
"Shh"
Mit aller Kraft schlucke ich meine Tränen herunter. Jedes mal wenn er wieder aufschluchzt.
Mit der Zeit beruhigt Roma sich und auch meine Augen bleiben problemlos trocken. Wir sitzen einfach nur auf der Mauer, eng umschlungen. Vielleicht schläft er ja, sollte ich auch tun.
Wenn wir morgen überleben wollen, dann hätten wir die ganze Zeit über schlafen müssen. Aber inzwischen ist das auch zu spät, ganz langsam geht die Sonne auf. Färbt den Himmel rosarot.
"Wie schön.", stelle ich leise fest. Roma legt seinen Kopf auf meine Schulter, löst unsere Umarmung auf und so gucken wir zusammen in den Sonnenuntergang. Fast schon romantisch.
"Du, Flo?", nur ganz leise fragt er, fast wäre ich mir sicher gewesen, dass er nichts gesagt hat, zumal nichts als Stille folgt. "Ja?"
Ganz tief atmet er ein und wieder aus und wieder ein, "Versprich mir, dass das hier danach nicht weird wird. Du bist mir echt wichtig.", stottert er vor sich hin und mein Kopf läuft auf Hochtouren, was kommt jetzt?
"Also, ich weiß nicht, es... es könnte sein, also vielleicht... hab ich michindichverliebt.", ich sehe ihn an und er starrt auf seine Hände.
"Es könnte sein, oder es ist so?", oh Gott, was laber ich hier für ne scheiße. Und er zuckt nur mit dem Schultern.
Was machen wir jetzt?
Was, was wenn... Nein, das kann ich doch nicht machen, oder? Würde das gehen, was wenn es dann weird wird? Fuck.
"Und was, wenn wir das einfach mal probieren?", verwirrt schaue ich ihn an. Er wird doch wohl nicht?
"Also wenn wir uns einfach mal... Du weißt schon.", nervös knetet er seine Hände, während sein Blick jetzt durch die Landschaft hinter mir huscht.
Ich sehe ihn an. Sehe ihn zögern.
"Du meinst, dass wir uns küssen zu klären, ob da was zwischen uns ist, oder nicht.", stelle ich also fest, verstecke mich hinter meinen selbstbewussten Worten.
Was mache ich, wenn er was für mich fühlt? Was sage ich dann? Wie verpasse ich ihm eine möglichst liebe Abfuhr? Wie breche ich ihm möglichst schmerzfrei das Herz?
Immer noch traut er sich nicht, mich anzusehen, scheint fieberhaft nach einer Lösung für dieses Problem zu suchen.
"Hey", jetzt sieht er mich an, fast ein wenig verschreckt.
Wie in einem schlechten Beißer lehne ich mich zu ihm und flüstere "Mach dir keine Sorgen."
Wie dämlich. Als würde das irgendwas verändern.
Und dann küssen wir uns. Einfach so, mitten auf den Mund.
Gut küssen kann er auf jeden Fall, wären wir auf einer Party würde hier garantiert mehr draus werden. Aber Roma ist mein bester Freund und das bleibt auch so.
Als wir uns wieder lösen sieht er mich an und bleibt stumm. Für einige Minuten bleiben wir so sitzen. Was denkst du?
Bitte sag einfach, dass du auch nichts gefühlt hast und die Sache ist gegessen.
"Komm, wir müssen zurück.", sagt er in der selben Sekunde, in der er den Augenkontakt unterbricht und von der Mauer aufs Gras springt. Verdutzt gucke ich an die Stelle, wo er gerade noch saß und dann auf seinen Rücken.
Vielleicht braucht er einfach etwas Zeit um was auch immer zu verarbeiten, wenn er jetzt nicht darüber reden möchte, dann kann ich daran nichts ändern.
Ich sehe lieber, dass ich ihn nicht verliere und so treten wir stumm nebeneinander der Heimweg an.
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