XI.
Ich gehe durch die Hallen und Flure des riesigen Gebäudes. Zu beiden Seiten ragen meterhohe Wände auf und schwingen sich zu einer stuckverzierten Decke hinauf. In regelmäßigen Abständen zweigen weitere Flure von diesem ab und führen tiefer in dieses wunderschöne Labyrinth. Hinter mir höre ich die Schritte zweier Personen. Würde ich mich umdrehen, würde ich in die Gesichter meiner Mutter und der Leiterin dieses gewaltigen Gebäudes blicken. Doch ich tue es nicht und folge stattdessen dem Flur bis zu seinem Ende. Als die weite Flügeltür vor mir aufschwingt staune ich. Vor mir öffnet sich ein riesigeer Saal. Majestätische, weiße Wände mit Säulen und Schmuckelementen und goldene Verzierungen an den Wänden und der Decke, von der sich, ebenso goldene, Kronleuchter herablassen. Die großen Fenster fluten den Raum mit Licht und reichen bis fast auf das helle Parkett. Und in der Mitte dieses Raumes tanzt eine Person. Ein Junge, in meinem Alter, vielleicht zwei Jahre älter als ich. Anmutig bewegt er sich zu der leisen Musik durch den Raum und scheint zu schweben. Einen Moment lang sehe ich gebannt zu, wie er über das Holz gleitet.
"Brian Holt. Eines unserer Nachwuchstalente. Sein Können ist bemerkenswert für sein Alter."
Fasziniert beobachte ich den Jungen wie er sich anmutig durch den Raum bewegt, nehme jede seiner Bewegungen in mich auf.
"Brian."
"Ja, Madame Cirin?"
"Du tanzt gut, aber die Drehung musst du noch verbessern. Deine Fußstellung ist alles andere als perfekt."
"Natürlich, Madame Cirin. Ich werde darauf achten."
"Guter Junge. Dies ist Michaela de Santis. Du wirst mit ihr trainieren."
"Ja, Madame. Wird sie zusätzlich weiteren Unterricht erhalten?"
"Das wird sie. Nun, ich habe noch etwas mit Madame de Santis zu besprechen. Kommen Sie?"
"Natürlich. Bis später, Schätzchen."
"Bis später, Mutter."
Meine Mutter und die Madame verlassen den großen Raum und lassen mich mit dem Jungen allein. Er mustert mich. Sein Blick liegt auf meinem Kopf, auf seinem Gesicht liegt ein nicht zu deutender Ausdruck. Schweigend sieht er mich weiter an, anscheinend erwartet er, dass ich zuerst etwas sage oder tue. Unwohl sehe ich mich im Raum um, um ihn nicht ansehen zu müssen. Nach einigen Minuten des Schweigens bricht er schließlich die Stille.
"Michaela de Santis also. Was verschlägt eine wie dich hierher?"
Ich bin über seine deutlich spürbare Abneigung verwirrt. Ich hatte erwartet, er würde mir mit zumindest etwas Respekt begegnen, schon allein wegen meiner Eltern. Aber nein. Entweder kennt er meine Eltern nicht oder es interessierte ihn schlichtweg nicht.
"Eine wie mich?"
Ich sehe ihn verwirrt und zugleich überrascht an.
"Die kleine, verwöhnte Tochter reicher Eltern. Mami und Papi lesen dir jeden Wunsch von den Augen ab, nicht wahr? Und wenn dir etwas nicht passt, heulst du ein bisschen rum und alles läuft ganz nach deiner gepuderten Nase."
Ich sehe ihn fassungslos an. Ist das sein Ernst? Er kannt mich noch keine zehn Minuten und glaubt schon ein Bild von mir zu haben?
"Sag mal, hast du ein Problem mit mir? Was hab ich dir bitte getan, dass du diese Meinung über mich hast?"
"Oho, du kannst ja doch noch anders sprechen, ich bin beeindruckt. Um auf mein, wie nanntest du es... 'Problem' einzugehen. Ich möchte eins klarstellen: Ich habe kein Problem mit dir persönlich, du bist nichts besonderes. Ich habe ein Problem mit der Ungerechtigkeit unserer Gesellschaft. Geld bedeutet Macht und Einfluss - hast du Geld, kannst du mitreden und es interessiert niemanden, wie es den Leuten mit weniger Geld dabei geht! Hast du jemals in deinem Leben darüber nachgedacht, wie es wäre Hunger zu haben? Oder nicht das Neueste vom Neuen zu tragen? Dich mit anderen Menschen, die nicht aus deiner glitzernden und glänzenden Welt kommen, zu umgeben oder gar zu unterhalten? Lass mich raten, nein. Hast du nicht."
Er schnaubt. Mit jedem Satz hatte er sich mehr in Rage geredet und war zum Ende hin lauter geworden. Aber ich musste mir eingestehen, dass er Recht hatte. Ich hatte noch nie darüber nachgedacht.
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