IV.
Ich sah dem Jungen vor mir in die Augen. "Es ist aus." Das hatte er gerade nicht gesagt. Nein, dass konnte nicht wahr sein. Der einzige Mensch, dem ich mich anvertraut hatte, den ich wirklich liebte, bei dem ich ich selbst sein konnte. Und er hatte Schluss gemacht.
Ich konnte es immer noch nicht fassen. Seit Miss Clydesdale mir gesagt hatte, dass Jason Lee auf meine Schule gehen sollte konnte ich an fast nichts anderes mehr denken. Kurz nachdem ich aus ihrem Büro gestürmt war, hatte sie es per Durchsage der ganzen Schule mitgeteilt, sodass es für den Rest der Woche kein anderes Gesprächsthema als Jason Lee gab.
Jason Lee.
Seine Familie hatte ein ähnlich großes Vermögen wie meine. Was noch lange nicht hieß, dass ich ihn kannte oder gar mochte. Er war so ziemlich das komplette Gegenteil von mir. Während ich nichts mehr mit der reicheren Gesellschaftsschicht zu tun haben wollte, sonnte er sich förmlich in deren Aufmerksamkeit. Ich hatte es gehasst, dass ich kein eigenes Leben führen konnte und mir immer alles vorgeschrieben wurde, er genoss den Luxus nichts selbst machen zu müssen. Diese Liste ließe sich noch lange weiter führen, aber ich wurde durch jemanden aus meinen Gedanken gerissen.
"Mica! Was hältst du davon, dass Jason Lee ab Montag auf unsere Schule geht?" Mir wurde ein Handy unter die Nase gehalten. "Ich will nichts mit einem arroganten Arschloch wie ihm zu tun haben. Der Typ hat hier nichts zu suchen, also kann er sich ganz gepflegt wieder verziehen."
Erschrockenes Aufkeuchen um mich herum.
"Jeder hier freut sich, dass Jason Lee auf eine Schule wie unsere gehen möchte, nur du scheinst das anders zu sehen. Liegt es etwa daran, dass du Angst hast, er könnte dich bei der harten Konkurrenz abblitzen lassen?" fragte das Mädchen mit dem Handy vor mir. Sie war Reporterin für die Schülerzeitung und in meinen Augen hielt sie sich für viel zu toll.
"Willst du damit behaupten, dass ich auf Lee stehe?" "Jedes Mädchen himmelt ihn an, warum sollte es bei dir anders sein?" "Weil ich kein dämliches Fangirl bin, dass auf jeden Scheiß reinfällt, darum. Und jetzt lass mich in Ruhe."
Mit diesen Worten ließ ich sie stehen und ging zwischen den umstehenden Schülern hindurch Richtung Parkplatz. Ich hätte heute sowieso keinen Unterricht mehr und selbst wenn, wäre ich jetzt trotzdem gefahren. Ich hielt es hier nicht mehr länger aus. Während ich mich zu meinem Schatz durchkämpfte, warfen mir einige Schüler ungläubige Blicke zu. Es war mir egal.
"...Jason...", "...schon gehört, Jason Lee...", "...Ich kanns immer noch nicht glauben, Jason Lee geht..."
Wenn ich diesen Namen noch einmal an diesem Tag hörte, würde ich durchdrehen.
Als ich endlich an meinem Motorrad ankam, stieg ich unverzüglich auf und verließ das Schulgelände. Ich hatte es nicht eilig, in meine Wohnung zu kommen, weshalb ich auf eine Landstraße abbog und mich einfach treiben ließ. Ich hatte kein festes Ziel und so war ich überrascht, wo mich meine Beine, oder besser gesagt meine Räder, hingetragen hatten.
Ich ließ mich ausrollen und erkannte langsam mein Umfeld. Ich stand an einer kleinen Klippe über einem Kiesstrand und blickte aufs Meer hinaus. Schnell stieg ich ab, legte meinen Helm auf den Sitz und lief den kleinen Trampelpfad, der zum Strand führte, hinab.
Als meine Füße die Kiesel berührten, spürte ich, wie eine Erinnerung nach oben drängte. Ich setzte mich nach knapp hundert Metern, die ich gelaufen war, auf einen Stein und blickte über die sanften Wellen zum Horizont und gab mich meinen Erinnerungen hin.
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