
11 | Hochzeitsvorbereitungen
»Worauf habe ich mich da nur eingelassen?«
Ratlos blickte Jörg auf das ganze Chaos, das sich innerhalb einer Stunde auf meinem Esstisch ausgebreitet hatte. Kataloge, Zeitschriften, Papiere, Notizzettel, Haftnotizen, Stifte, dazwischen drei Laptops sowie verschiedenste Deko-Materialien wie Stoffe, Bänder, Krepppapiere und noch vieles mehr waren wild überall verteilt.
Um den Tisch herum saßen Jörg, René, Kristin und ich und waren mitten in der Planung für die Hochzeitsfeier.
»Was hast du denn erwartet, ihr feiert eine Hochzeit?«, fragte ich ihn mit gerunzelter Stirn. »Wenn du das alles hier nicht willst, hättest du das kommunizieren müssen.«
»Als ob ich hier irgendeine Chance gehabt hätte, Veto einzulegen«, grummelte er schlecht gelaunt.
»Oooh, Grummelbär!« Kristin, die gerade etwas aus der Küche geholt hatte und hinter seinem Stuhl vorbeiging. Sie strich ihm neckend durch die kurzen Haare und zog ihm dann am Ohr, woraufhin er das Gesicht verzog und sie warnend ansah.
»Hör auf, dich über mich lustig zu machen!«, beschwerte er sich. »Die Hochzeit geht in Ordnung und mir ist auch klar, dass wir dafür dekorieren müssen. Aber müssen wir uns wirklich stundenlang über ein und denselben Grünton unterhalten?«
Empört stemmte Kristin die Hände in die Hüften und funkelte ihn an. »Das ist nicht derselbe Farbton! Das eine ist Pistaziengrün, das andere Avocadogrün! Das ist ein himmelweiter Unterschied. Und jetzt hör auf zu schmollen! Wenns dir egal ist, schließ dich einfach der Mehrheit an.«
Neben Jörg versuchte René erfolglos sein Lachen zu unterdrücken. Beruhigend legte er ihm eine Hand auf den Oberschenkel, nachdem er sich geräuspert hatte.
»Schatz, lass uns doch die Freude. Wir wollen eine unvergessliche Hochzeitsfeier und dazu gehört für uns nun mal auch das Drumherum. Ich weiß, Deko ist nicht wirklich dein Ding. Aber manchmal muss man in den sauren Apfel beißen und sich mit Dingen beschäftigen, die einem nicht so gut gefallen. Die Liebe ist eben kein Selbstläufer.«
Jörg knurrte. »Ich wüsste andere Methoden, um euch meine Liebe zu zeigen.«
Schnell legte ich mir beide Hände auf die Ohren und sang leise vor mich hin. »Keine Sex-Gespräche, während ich mit am Tisch sitze, bitte!«
Während mein kleiner Bruder die Augen verdrehte und Kristin lachte, entlockte ich Jörg damit wenigstens ein winziges Schmunzeln.
»Hör zu«, ich beugte mich nach vorne, »ich weiß noch von meiner eigenen Hochzeit, wie nervig es sich, sich mit den kleinen Details auseinanderzusetzen. Vorschlag von mir: Ich kümmere mich heute um die Deko deiner Hochzeit, damit deine Lieblingsmenschen glücklich sind. Wir müssen noch einige Entscheidungen treffen, weil das Zeug bestellt werden muss und sonst nicht rechtzeitig ankommt. Und du kümmerst dich währenddessen ums Essen. Ich hab nämlich tierischen Hunger, das Abendessen ist viel zu lang her und das hier wird noch eine Weile dauern.«
Dankbarkeit blitzte in seinen Augen auf, weil ich ihm eine Möglichkeit gab, von hier zu flüchten. Er musste nicht lange überlegen, sondern stand sofort von seinem Stuhl auf und kam um den Tisch zu mir herum.
»Danke für die Rettung, Lieblingsschwägerin«, raunte er mir zu und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Wenn ich hier noch länger sitze, werde ich wahnsinnig.«
Ich lächelte. »Keine Sorge, ich passe schon auf, dass es hier nicht ausartet und plötzlich eine Prinzessinnenkutsche auf eurem Hof steht.«
»Eine Kutsche? Fina, was für eine geile Idee!«, schrie Kristin begeistert auf.
Ihr breites Grinsen und das Augenzwinkern verrieten mir, dass sie es nicht ernst meinte. Dennoch schlug sie Jörg damit endgültig in die Flucht.
René erhob sich ebenfalls und folgte ihm. »Ich bin gleich wieder da. Gehe nur mal kurz die Wogen glätten.«
Wogen glätten ... aha.
Genau wie ich erwartet hatte, hörte man kurze Zeit später leise, aber ziemlich eindeutige Geräusche aus der Küche.
»René!«, rief ich ihm leise hinterher. »Lass die Knutscherei und hör auf, Jörg abzulenken! Ich hab wirklich Hunger. Und du weißt, wie ungemütlich ich werde, wenn ich hungrig bin.«
Kristin senkte die Stimme. »Jörg wird drei Kreuze machen, wenn der Tag endlich vorüber ist.«
»Vielleicht solltet ihr es nicht zu sehr übertreiben«, raunte ich zurück. »Sonst haut er vor dem Traualtar ab und wandert aus.«
Meine Bedenken tat Kristin mit einem hellen Lachen ab, in das ich einstimmte. Nicht jedoch ohne einen prüfenden Blick auf das Babyfon zu heften, das zwischen dem Chaos auf dem Tisch stand und mir mit der grünen Leuchte anzeigte, ob sich im Kinderzimmer etwas rührte. Noah schlief inzwischen, nachdem er mit Kristin und Jörg nach dem Abendessen noch eine Runde Uno hatte spielen dürfen. Ein Glück, dass ihn nichts wecken konnte, wenn er erst einmal weg war. Selbst das Feuerwerk an Silvester würde er verschlafen.
Eigentlich war ich kurz davor gewesen, den Abend hier abzusagen und zu verschieben. Der Arbeitstag hatte mich geschlaucht, Noah war auch mies gelaunt aus dem Kindergarten gekommen und wir hatten uns noch im Auto fürchterlich gestritten. Jetzt jedoch war ich froh, es nicht getan zu haben. Mit den Dreien gab es immer etwas zu lachen, und meine schlechte Laune war schnell wie weggeblasen.
Seit Noah im Bett war, saßen wir nun hier zusammen für die konkreten Planungen der Hochzeit. Vieles war bereits erledigt oder wenigstens in die Wege geleitet. Aber gerade das Thema Dekoration hatte Jörg in den vergangenen Monaten so vehement von sich geschoben, dass wir ihn nun hierzu gezwungen hatten. Nicht ganz mit Erfolg, wie man sah, aber ich war zuversichtlich, dass wir zumindest die Diskussion um das Farbkonzept der Hochzeit heute beenden konnten.
»Ich hab noch was für dich.« Kristin sprang von ihrem Sitz auf und ging in den Flur. Mit ihrer Tasche und einem kleinen Umschlag kam sie wieder. Freudestrahlend hielt sie ihn mir hin.
Ich ahnte, was sich darin verbarg, und öffnete ihn gespannt. Tatsächlich zog ich ein kleines Papierchen heraus, mit einer schwarz-weißen Aufnahme, die ziemlich eindeutig war.
»Oooh«, gab ich begeistert von mir, als ich das kleine Wesen darauf erblickte. »Oh mein Gott! Es ist perfekt! Noah hat immer so gelegen, dass jedes Bild aussieht, als wäre ein Alien in mir gewachsen.«
Kristin setzte sich neben mich auf den Stuhl und blickte völlig verliebt auf das Bild. »Ich hatte gestern das große Organscreening. Es ist alles in Ordnung. Das Baby wächst genau so, wie es sein soll.«
»Das freut mich so sehr für euch.« Ich umarmte meine beste Freundin und zukünftige Schwägerin liebevoll. »Hat man sehen können, was es wird?«
»Ja.« Nun druckste sie ein wenig herum, was mich gleich misstrauisch werden ließ.
»Was?«
»Wärst du uns böse, wenn wir das Geschlecht für uns behalten?«
Sprachlos starrte ich sie an. »Kristin, das ist eure Entscheidung! Natürlich könnt ihr das so handhaben, wie ihr das wollt. Wer bin ich, dass ich deswegen beleidigt wäre?«
Sichtlich erleichtert atmete sie auf. »Aber du bist eben auch du, Fina. Nicht jeder sieht das so entspannt.«
Nun verstand ich, wo das eigentliche Problem lag. »Was hat deine Mutter sich diesmal geleistet?«
Kristin seufzte schwer. »Ach, sie nervt mich einfach die ganze Zeit schon wegen der Hochzeit und jetzt wegen des Babys. Als ich ihr das Geschlecht nicht verraten wollte, war sie beleidigt, weil sie sich ja dann gar nicht auf das Baby vorbereiten kann. Am liebsten würde sie gleich ein ganzes Zimmer einrichten. Natürlich in den richtigen Farben: Blau für einen Jungen und rosa für ein Mädchen.«
Ich schnaube empört. »Als ob das nicht völlig egal wäre! Deine Mutter sollte euch unterstützen und nicht zusätzlich noch nerven!«
Sie seufzt. »Ich bin ja schon froh, dass sie endlich akzeptiert haben, dass ich zwei Männer liebe und mit ihnen eine Familie gründen will.«
»Warum kann es nicht einfach egal sein, wen oder wie viele Menschen man liebt? Ihr seid glücklich, alle drei. Das ist das Einzige, was zählen sollte.«
Tatsächlich empfand ich Kristins Eltern, aber vor allem ihre Mutter, als sehr unangenehme Personen. Sie hatten eine exakt definierte Meinung darüber, wie die Dinge zu laufen hatten, und diese Meinung war stark von konservativen Ansichten geprägt. Ich hatte zu Beginn der Beziehung große Zweifel, dass sie keinen Stress machen und die Beziehung dadurch gefährden würden.
»Ein Stück weit kann ich sie ja verstehen. Es ist alles fremd für sie. In der Zeit, in der sie aufgewachsen ist, gab es nur das klassische Familienbild. Sie kennt es nicht anders.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist kein Grund, so verbohrt zu sein. Und vor allem zu bleiben.«
Milde lächelte mich Kristin an und legte mir eine Hand auf den Arm. »Nicht jeder hat das Glück, so weltoffene Eltern zu haben, wie du und René. Schau dir Jörgs Eltern an. Der Unterschied zu meinen ist einfach, dass meine durchaus bereit sind, andere Lebensformen zuzulassen. Sie benötigen nur etwas Zeit dafür, weil der Gedanke für sie oft völlig fremd ist. Aber sie verweigern sich nicht vollkommen.«
»Ja, da hast du allerdings recht«, gab ich nachdenklich zurück und musste unwillkürlich an meine Schwiegereltern denken, mit denen ich auch seit einigen Jahren keinen Kontakt mehr habe. Die Gründe dafür taten immer noch genauso weh, wie damals, als es zum Bruch gekommen war.
Ich schüttelte die Erinnerungen an diese dunkle Zeit von mir ab und konzentrierte mich wieder auf Kristin.
»Wenn du willst, werde ich auf der Hochzeit ein besonderes Auge auf sie haben und sie mit irgendwelchen Aufgaben so beschäftigen, dass sie keine Zeit hat, dir auf die Nerven zu gehen.«
Kristin lachte hell auf. »Das ist eine großartige Idee! Danke! Aber jetzt lass uns mal weitermachen. Ich möchte die große Party ungern nur mit einem Teil meiner Lebenspartner genießen.«
Prompt aus dem Juni von Weltentaenzerin_2
"Die Liebe ist kein Selbstläufer."
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