Kapitel Fünf, Maven
Maven betrachtete die kleine Gruppe von Leuten, die sich in seiner kleinen Wohnung eingefunden hatten. Es waren Menschen jedes Alters und jeder ethnischen Gruppierung, und die meisten von ihnen kannte er nur vom Sehen. Wenn überhaupt.
Alecia hatte sich zu ihren Eltern gesetzt, einer Frau und einem Mann Mitte vierzig, die ihr so ähnlich sahen, dass Maven sie sofort erkannte. Sie sahen ein wenig angespannt aus, aber nicht unglücklich. Alecia selbst jedoch kaute konstant auf ihrer Unterlippe und ließ den Blick durch den Raum schweifen, deutliche Zeichen der Nervosität. Maven hoffte, dass sie es nicht bereits bereute, ihm geholfen zu haben.
Neben ihr und ihren Eltern saßen fünf identisch aussehende Mädchen, die er auf etwa achtzehn schätzte. Er musste ein paar Mal blinzeln, bis er tatsächlich glaubte, was er da sah. Die Mädchen unterschieden sich nur durch ihren Haarschnitt und ihren Kleidungsstil; ihre Gesichter sahen tatsächlich völlig gleich aus.
Das waren wohl Alecias ältere Schwestern, von denen sie ihm erzählt hatte.
"Danke, dass ihr gekommen seid", sagte er, als er merkte, dass die Menschen ihn erwartungsvoll ansahen. "Und jeder von euch, der nicht bereit ist, sich in Lebensgefahr zu begeben, kann jetzt sofort wieder gehen."
Niemand stand auf.
Im Augenwinkel sah Maven Alecia, die ein gezwungen aussehendes Lächeln aufgesetzt hatte. Guter Anfang, formte sie mit den Lippen.
Maven wusste jedoch schon nicht mehr, was er als nächstes sagen sollte. Er starrte Alecias Plan an der Wand an, während er verzweifelt nach Worten suchte; er war noch nie gut darin gewesen, zu reden. "Euch wurde wahrscheinlich schon erklärt, was wir vorhaben", sagte er. "Wir wollen rebellieren. Gegen das Verbot von Musik und Lyrik. Gegen die strenge Zensur von Büchern. Gegen die Manipulation von Menschen. Aber ich allein kann mich nicht gegen die Regierung auflehnen. Ich brauche eure Hilfe dazu. Und die von Menschen, denen ihr vertraut."
Er merkte, wie er in Fahrt kam. Vielleicht konnte er nicht gut reden, aber er konnte Leute davon überzeugen, dass er etwas ernst meinte. Dass er mit allem, was er hatte, bei der Sache war.
"Und warum sollen wir euch vertrauen?", rief ein älterer Mann.
"Gute Frage." Und schon war Maven aus dem Konzept. Unsicher sah er erneut den Plan an. "Weil ihr den Menschen vertraut, die euch hierher gebracht haben?"
Als weitere Fragen ausblieben, fuhr er fort: "Wir haben einen Plan gemacht, den ich euch gerne erklären werde. Wir haben alles durchgeplant, wir brauchen nur Leute, die bereit sind, sich für unsere Sache einzusetzen ... und das Tanzen zu lernen."
Gemurmel füllte den Raum. Die Leute wandten sich einander zu, diskutierten miteinander. Seltsam, dachte Maven, wie der Tod ihnen nichts auszumachen schien, das Tanzen sie aber beunruhigte. Aber vielleicht fragten sie sich auch einfach nur, was es bedeuten sollte.
"Vielleicht kommt das jetzt überraschend", sagte er, um die Leute zu unterbrechen. "Aber ich werde euch das alles später noch erklären. Wenn ihr bereit dazu seid. Wer nicht bereit dazu ist, soll jetzt bitte den Raum verlassen."
Niemand bewegte sich.
"Sind sich alle, die noch hier sind, sicher, dass sie auch hier sein wollen?", fragte er noch einmal in die Runde.
Die Leute nickten vereinzelt.
Er atmete tief durch. "Gut. Dann werden wir euch jetzt den Plan erklären, mit dem wir für die Zukunft dieses Landes kämpfen werden. Alecia, darf ich dich zu mir nach vorne bitten?"
Das Mädchen stand auf, lächelte seiner Familie zu und stellte sich neben ihn. "Ich habe viele Bücher gelesen", begann sie. "Bücher über Rebellionen, solche die gescheitert sind und solche, die Erfolg hatten. Aus dem daraus gewonnenen Wissen habe ich einen Plan entworfen. Ich denke, ihr alle könnt mir in dieser Hinsicht vertrauen. Der Plan nimmt Rücksicht auf sämtliche wichtigen Aspekte einer Rebellion, beleuchtet Risiken und Gefahren, aber auch Wege, diese zu umgehen. Wenn ihr einverstanden sind, würde ich ihn euch gerne erklären."
Wieder Nicken.
"Zwei Schritte haben Maven und ich zu diesem Zeitpunkt bereits durchgeführt." Alecia sah zum Plan an der Wand. "Erstens: Einen Plan erstellen. Und zweitens: Leute suchen, die bereit sind, den Plan durchzuführen. Nun befinden wir uns bei Schritt drei: Den Leuten den Plan erklären. Ihr seid die Leute, der Plan ist das, worüber ich hier gerade rede. Schritt zwei konnte jedoch nicht ganz so durchgeführt werden wie gewünscht."
Sie machte eine kurze Pause.
"Wir sind momentan dreizehn, Maven und mich eingerechnet. Aber dreizehn Leute reichen nicht aus, um mit einer Rebellion zu beginnen. Deswegen, damit wir fortfahren können, soll bitte jeder von euch mindestens drei Leute suchen, denen er vertraut - und von denen er sich möglichst sicher ist, dass sie bereit sind, uns zu helfen. Unser nächstes Treffen findet morgen um fünf Uhr abends statt. Bitte seid alle wieder hier und bringt eure Leute mit. Danach werden wir euch die weiteren Schritte des Plans erklären."
"Was bedeutet, dass ihr jetzt gehen könnt." Maven versuchte sich an einem, wie er hoffte, freundlich wirkenden Lächeln.
Zögerlich standen die Leute auf, zuerst die Fremden, dann Alecias ältere Schwestern und zuletzt ihre Eltern. Ihre Mutter umarmte Alecia herzlich, bevor sie gingen. "Pass auf dich auf", flüsterte sie.
Alecia blinzelte ungewöhnlich schnell. "Ihr hättet nicht kommen dürfen." Sie schniefte.
"Natürlich sind wir gekommen. Und wir sind stolz auf dich. Wir wollen euch helfen", erwiderte ihre Mutter. "In dieser Stadt wird nicht rebelliert, ohne dass wir dabei sind."
Alecia lächelte mit Tränen in den Augen und Maven fühlte sich mehr als fehl am Platz. Am liebsten hätte er die Wohnung - seine eigene Wohnung - auf der Stelle verlassen und abgewartet, bis diese Situation hier vorbei war. Aber stattdessen stand er nur da wie festgeklebt und bemühte sich, Alecia und ihrer Mutter die Privatsphäre zu geben, die sie eigentlich haben sollten.
Bis eine von Alecias älteren Schwestern ihn ansprach. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und stark geschminkt; jedes der Mädchen schien sich auf seine Weise von den anderen unterscheiden zu wollen. "Wenn du meiner Schwester wehtust", sagte sie, "dann tue ich dir weh." Sie strich sich die langen dunkelbraunen Haare aus dem Gesicht und funkelte ihn an. Die dicken Eyelinerstriche über den Augen verliehen ihrem Blick etwas Bedrohliches.
"Wir sind nicht zusammen oder so was!", verteidigte Maven sich.
Sie verdrehte die Augen. "Klar."
"Wirklich nicht." Er wusste, dass er sie wahrscheinlich nicht umstimmen konnte, aber er wollte es zumindest versuchen. Alecia und er zusammen, das war ja lächerlich! Er war ja schon froh, wenn sie es eine Stunde lang im selben Raum aushielten, ohne sich zu streiten oder zumindest zu diskutieren.
"Das sagst du nur, damit ich dich in Ruhe lasse", beharrte Alecias Schwester. "Aber gut, ich tue dir den Gefallen. So lange du Alecia nicht verletzt."
"Habe ich nicht vor", versicherte er ihr. "Und im Übrigen, wenn du mir wehtust, dann tue ich dir weh."
Das Mädchen verengte die Augen. "Wenn du dazu dann noch in der Lage bist."
Alecia hatte sich inzwischen von ihrer Mutter gelöst und stellte sich neben Maven. "Wir sind nicht zusammen", sagte sie zu ihrer Schwester. Sie sah genervt aus, trotz der Tränen in ihren Augen. "Nimm all deine Anschuldigungen bitte sofort zurück."
"Keine Anschuldigungen", sagte ihre Schwester. "Ich habe ihm nur gesagt, falls er dir wehtut, dann tue ich ihm weh."
"Wie befinden uns in einer Rebellion." Alecia verdrehte die Augen. "Wir haben keine Zeit für irgendwelche Beziehungsprobleme. Geschweige denn für eine Beziehung."
"Außerdem habe ich ohnehin zu wenig Bücher gelesen, um überhaupt eine Chance bei ihr zu haben." Maven schnitt eine Grimasse. Alecias wütenden Blick ignorierte er.
"Schon gut." Alecias große Schwester seufzte genervt. "Können wir dann jetzt gehen?", fragte sie an ihre Eltern gerichtet.
Ihre Mutter warf Maven einen zweifelnden Blick zu. "Es wäre mir lieber, wenn du mit uns kämst, Alecia", sagte sie.
"Mir auch." Alecia wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. "Aber dann erwischen sie mich. Ich werde garantiert gesucht, weil ich ihm geholfen habe."
Ihre Mutter sah ihren Vater an, dieser nickte. "Lass sie bleiben", sagte er. "So schlimm kann er nicht sein, wenn er sich auf ihre Ideen eingelassen hat."
"Bei was hast du ihm geholfen?", fragte eine ihrer Schwestern.
"Er wollte ...", setzte Alecia an, aber Maven fiel ihr ins Wort: "Ich glaube, das genügt für heute. Wenn Alecia an einem Ort in dieser Stadt sicher ist, dann ist es diese Wohnung. Sie können jetzt gehen."
Er hatte nicht die geringste Lust, über die Fehler zu reden, die er angeblich gemacht hatte.
Noch ein zweifelnder Blick, aber dann nickten Alecias Eltern. "Gut", sagte ihre Mutter. "Dann sehen wir uns morgen."
"Ihr solltet nicht kommen", flüsterte Alecia.
"Wir wollen aber kommen. Uns wird schon nichts passieren."
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