Kapitel Sechs
Ana hat telefoniert. Lange.
Nach einer Weile kommt sie zu mir aufs Sofa und lässt sich fallen.
„ Alles in Ordnung? “ frage ich, obwohl ich weiß das die Antwort mir eventuell nicht gefallen wird. „ Was hat deine Tante gesagt? “
„ Sie ist momentan auf einem Kreuzfahrtschiff unterwegs und kommt erst in einer Woche zurück. Das heißt sie kann mich erst dann zu sich nehmen. Wenn es also in Ordnung für dich ist... “
„ Ist es. Du kannst solange natürlich hier bleiben. Mein Bett gehört dir. “ sage ich rasch. Ana lächelt dankbar, wirkt aber trotzdem nicht besonders glücklich über die Umstände. Ich glaube das es mit Eli zusammen hängt. „ Und wenn es Ärger mit Eli gibt kümmere ich mich darum. “
„ Aber warum? Warum hilfst du mir? “
Tja. Das ist eine gute Frage. Wir sehen einander an und sie wartet auf eine Antwort, aber ich habe keine.
Eine Weile später steht sie auf und streckt sich. Es dauert nicht lange bis sie mir eine gute Nacht wünscht und geht - ich bleibe zurück und sehe ihr nach. Einen Moment lang habe ich das Gefühl ihr folgen zu müssen, halte mich aber weitestgehend zurück. Wie aufs Stichwort taucht Kelly plötzlich auf und grinst mich hämisch an. Sie hat das Gespräch bestimmt belauscht, davon bin ich überzeugt.
„ Wie nett du doch sein kannst. Was man nicht alles tut, hm? Aber eigentlich kannst du aufhören. Wirf sie raus. Den Rest werd ich auch alleine schaffen. “
Ich lache, laut und ehrlich. Sie hat keine verdammte Ahnung was Eli Benning für ein Mensch ist und ich kann mir vorstellen das es ihr egal ist, daß sie seine Eskapaden sogar toleriert solange sie Zugang zu allen Exklusivitäten hat. Ich sage ihr was ich weiß und entdecke zum ersten Mal etwas an meiner nervenden Schwester das ich vorher noch nie gesehen habe... Unsicherheit. Sie schwankt etwas, weiß nicht ob sie mir glauben soll. Ich stehe auf, denn ihre Gefühle sind mir total egal. Ich werde ihr keine Schulter zum ausweinen bieten, nur weil ihr verkümmertes Ich gerade angekratzt ist. Aber wo soll ich hin, damit sie mir nicht folgt?
Ich schlage den Weg zu meinem Zimmer ein. Es ist nicht so das ich das geplant habe und einfach nun in die Tat umsetzen möchte, andererseits ist das der einzigste Ort der mich jetzt gerade vor Kelly schützen kann.
Als ich leise die Tür öffne und Ana's schlafende Gestalt im Bett sehe bleibe ich kurz stehen. Das einzige was ich leise wahrnehme ist das Geräusch meiner eigenen Atmung. Ich betrachte sie, bemerke wie entspannt ihr Gesicht im Schlaf wirkt. Ihr Haar ist perfekt auf dem Kissen drapiert, wie man es nur aus Filmen kennt.
Eine Weile lang stehe ich einfach nur da und sehe sie an, ungeniert und ohne Scham. Kelly ist nicht in der Nähe um sich darüber lustig zu machen und Ana selbst schläft tief und fest, bekommt es überhaupt nicht mit. Der Versuchung immer näher kommend gehe ich weitere Schritte auf sie zu, bis ich sie erreiche. Bis auf einen fahlen Lichtstrahl liegt das Zimmer in vollkommener Dunkelheit, doch es genügt mir. Es ist genauso wie ich es mag.
Neben Ana lasse ich mich langsam auf der Matratze nieder. Ich hebe meine Hand, streiche sanft über ihre Wange und beobachte sie weiter. Ich weiß nicht wie viel Zeit vergeht während ich einfach nur am Rand des Bettes sitze und sie anschaue, doch je länger es andauert desto faszinierter bin ich - bis ich schließlich irgendwann, ohne es wirklich zu merken - von der Müdigkeit vollkommen eingenommen werde und in einen traumlosen Schlaf abdrifte.
†
Mein gesamter Körper fühlt sich schwer an, sämtliche Knochen im Leib schmerzen. Ich öffne die Augen und finde mich auf dem Boden meines Zimmers wieder, direkt neben dem Bett. Woher die Decke kommt die mich umhüllt weiß ich nicht, doch als ich mich aufrichte sehe ich geradewegs in Ana's Gesicht. Halb benommen sucht mein Gehirn bereits nach einer Ausrede.
„ Guten Morgen. Gut geschlafen? “ fragt sie zuckersüß und schenkt mir sogar ein Lächeln. Sie scheint nicht wütend darüber zu sein das ich mich ins Zimmer geschlichen habe. „ Ich dachte, wenn du schon auf dem Boden schläfst, sollst du wenigstens eine Decke haben. “
„ Danke, äh... Ich dachte... Ich hätte etwas gehört und wollte sicherstellen das du in Ordnung bist. Irgendwie bin ich dann eingeschlafen. “ erkläre ich. Die Ausrede ist so lahm, daß ich sie mir nicht einmal selbst abkaufe, aber Ana zweifelt meine Worte nicht an. Selbst wenn sie mir nicht glaubt sagt sie nichts. „ Ich hoffe du hast dich nicht erschreckt. “ füge ich hinzu und stehe langsam auf.
Entschuldigend wiederhole ich nochmal meine Worte und schiebe mich dann langsam - aufgrund der Schmerzen - aber sicher aus dem Raum. Es ist bereits peinlich genug und muss nicht noch schlimmer werden.
†
Nach einer langen, ausgiebigen Dusche geht es mir schon wesentlich besser. Ich komme in die Küche, wo Ana bereits wieder den Kochlöffel schwingt - ein noch immer ungewohntes aber nicht unangenehmes Gefühl - und wirke weiterhin zerknirscht. Von Kelly fehlt Gott sei Dank wieder jede Spur.
Ich hole mir einen Kaffee, achte dabei darauf etwas Abstand zu Ana zu lassen - und bemerke dann das sie genau das Gegenteil davon versucht. In meinem Kopf rasen die Gedanken wild umher, versuche ich doch ihr Verhalten richtig einzuordnen. Habe ich im Schlaf vielleicht etwas gesagt, von dem ich jetzt nichts mehr weiß?
Ana serviert das Essen und macht eine einladende Geste. Eier mit Speck und Pancakes mit Sirup locken mich. Wir essen ohne etwas zu sagen, beobachten uns hin und wieder. So einen Eiertanz habe ich bisher nie aufgeführt - aber bisher war es auch nie so schwierig und verworren meine Pläne in die Tat umzusetzen.
„ Was hältst du davon... “ presche ich plötzlich vor, „ schwimmen zu gehen? Wir haben etwas weiter abseits einen beheizten Swimmingpool. “
Ana's prüfender Blick erdolcht mich, aber schließlich lächelt sie.
„ Ja. Etwas Ablenkung von dem ganzen Trubel der letzten Zeit wäre schön... “
Und damit steht sie auf, räumt den Tisch ab und will gerade aus der Küche, dreht sich aber im Türrahmen nochmal um. „ In einer Stunde? Dann kann ich noch ein paar Kleinigkeiten erledigen und meine Sachen richten. “
Ich nicke - zu mehr bin ich nicht fähig.
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