Ⅱ
Den Rest der Zeremonie bekomme ich nur am nebelverschleierten Rand meines Bewusstseins mit. Im Nachhinein kann ich mich nicht einmal daran erinnern, wie ich von der Bühne herunter gekommen bin, geschweige denn, wie ich nicht zwischendurch auf der Treppe hingefallen bin.
Nachdem der Applaus für den letzten Namen verklungen ist, erklärt der Bürgermeister die Feierlichkeiten und das Büffet für eröffnet. Die Aussicht auf ein wenig Bewegung und Essen nach dem langen Sitzen ist verlockend. Mit steifen Bewegungen stehe ich auf und steuere mit Lilia die lange Tafel an der Wand an.
Beim Anblick der vielen Häppchen – von Salat, aufgeschichtet mit einer saurig-würzigen Creme in Gläschen, bis hin zu runden Gebäckstücken mit süßer Rote-Bohnenpaste, sowie gebrannten Kürbiskernen mit Zimt – hätte mir das Wasser im Mund zusammenlaufen müssen. Aber ich bin immer noch zu sehr gefangen in den Erinnerungen meiner Zeremonie, als dass ich Hunger empfinden könnte. Die Mischung aus Enttäuschung und Ärger liegt mir schwer im Magen.
»Ich bin so froh, dass wir die Zeremonie hinter uns haben! Im Nahhinein war es gar nicht so aufregend, wie ich es mir gedacht habe, es war eigentlich voll entspannt«, seufzt Lilia neben mir erleichtert. »Und wegen meinen Namen hätte ich mir auch nicht so viele Sorgen machen müssen, das Namensorakel findet wirklich immer einen passenden Namen«
Tut es das? Kann sich das wundersame Namensorakel nicht auch einmal irren? Oder war ich einfach undankbar? Habe ich mir zu viel von meinem neuen Namen erhofft? Habe ich zu sehr erwartet, dass sich nach der Zeremonie direkt eine neue Dimension in meinem Leben eröffnen wird? Lilia lädt sich haufenweise Essen auf einen Teller auf und lässt sich dann auf einen der Stühle am Rand nieder. »Hast du keinen Hunger?«, fragt sie mich. Ich schüttele den Kopf.
Entspannt streckt meine Freundin ihre Beine aus und beginnt zu essen. »Ich bin gespannt, was mein Name noch so für mich bereithalten wird«, nuschelt sie zwischen zwei Bissen.
»Als ob ein Name die ganze Zukunft bestimmen kann«, platzt es gereizt aus mir heraus. Ich will das alles nicht mehr hören, das ganze Gerede darüber, dass ein Name die ganze Zukunft festlegen kann. Wenn meine Zukunft wie mein neuer Name aussieht, dann hätte ich lieber gar keinen erhalten.
Daisy. Gänseblümchen. Unschuld. Reinheit. Beständigkeit.
Lilias fröhlicher Gesichtsausdruck fällt in sich zusammen. »Willst du mir meine gute Laune verderben?«, grummelt sie verärgert.
»Dann lass ich dich in Ruhe, wenn du das willst«, fauche ich eingeschnappt, stehe auf und renne blindlings durch die Menschenmenge davon. Schon im nächsten Moment bereue ich meine heftige Reaktion, doch mein Stolz hält mich davon ab, umzudrehen und mich zu entschuldigen. Stattdessen renne ich weiter, nur weg von den vielen glücklichen Leuten, die ihren oder den neuen Namen ihrer Kinder feiern und darauf anstoßen.
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