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64. Kapitel: Rückendeckung

Es brauchte nur wenige flüchtige Sekunden hinter dem Tempeltor sowie den Anblick der vier Scheiterhaufen, um Elion zurück in Kommandant Grumpy zu verwandeln. Ich bemerkte die jähe Veränderung an dem kurzen Zögern seiner Schritte, der abweisenden Anspannung seiner Schultern sowie an seinem starr auf die Scheiterhaufen gerichteten Blick, als zwinge er sich, ihn nicht abzuwenden.

Eine Woche in seiner Nähe reichte aus, um zu wissen, was ihm durch den Kopf ging: Dass er nicht nur die Verantwortung für die Toten der Theta-Kompanie übernahm, sondern sich auch die Schuld daran gab.

»Nicht du hast die Thetas in den Sturm geschickt, sondern Sullivan«, erinnerte ich ihn leise.

Elions Kiefer zuckte, doch er schwieg.

Ich seufzte innerlich und überlegte, wie hoch meine Chancen standen, ihn irgendwie wieder außerhalb der Tempelanlage zu schleifen und einfach dort weiterzumachen, wo wir aufgehört hatten und uns beide vergessen zu lassen, wie abgefuckt wir im Grunde waren.

Abschätzend beäugte ich Elion von der Seite. Simon hatte über Elions neunzig Kilogramm gespottet. Dazu kam noch die geschätzte zwanzig bis dreißig Kilogramm bronzeverstärkte Ausrüstung. Vermutlich würde ich mir bei dem Versuch, Elion auch nur einen Meter weit irgendwohin zu schleifen beide Schultern auskugeln. Simon würde einen mittelschweren Lachanfall bekommen, wenn er davon erführe. Und daran ersticken, sobald er herausfand, was zwischen Elion und mir in der Dunkelheit geschehen war: Ein so unwahrscheinlicher Moment, dass ich ihn ebenso dem Wahn zugeschrieben hätte wie die verwesende Kreatur, der ich gegenüber gestanden hatte.

Doch meine Lippen pulsierten noch schwach und Elion war auch nicht verschwunden, nachdem der Moment vorbei gewesen war. Er war hier, aus Fleisch und Blut und kein albtraumhaftes Hirngespinst, und es hatte ihm nichts ausgemacht, dass meine Aura beschmutzt war von einem Grauen, das mich selbst so sehr anwiderte, dass ich seit mehr als einem Jahr den Blick in den Spiegel mied.

Und verdammt noch mal, ja: Ich war nach wie vor sauer, weil Elion sich wie ein Riesenarsch aufgeführt hatte; weil er Götter verdammt nochmal auf mich geschossen hatte. Aber gleichzeitig spürte ich die Erleichterung, ihn wieder in meiner Nähe zu wissen, lebend und unverletzt und mich nicht von sich stoßend, obwohl er ständig sah, was anderen verborgen blieb: Mich und den Schatten, der an mir haftete wie zähes, todbringendes Pech. Dieser unwahrscheinliche Moment zwischen uns hatte dazu geführt, dass ich mich wie ich selbst fühlte; als wäre der Schatten nicht mehr als ein Schatten: flüchtig und fort, sobald ich ins Licht trat.

Ich wollte mehr dieser Momente. Viel mehr. Und sie hatten absolut nichts mit meiner Wut auf Elion zu tun, sondern entsprangen einem gänzlich egoistischen Bedürfnis nach Vergessen. Ob es Elion genauso ging? Hatte er ebenfalls Vergessen gesucht, ehe er erneut die Rolle des Primus übernehmen musste? Ich warf erneut einen verstohlenen Seitenblick auf sein verschlossenes Gesicht. Vielleicht war er so lange im Einsatz gewesen, dass er nun nahm, was er kriegen konnte. Oder er hatte schlichtweg keine Lust mehr gehabt, sich ständig mit mir zu streiten und einen effektiven Weg gesucht, mich die Klappe halten zu lassen. Was es auch war, ich hatte wohl kaum das Recht, seine Motive zu hinterfragen. Nicht, wenn ich selbst aus gänzlich selbstsüchtigen heraus gehandelt hatte.

Zwei Wachen im Kreuzgang nahmen Habachtstellung ein, salutierten und stießen krachend die Hacken zusammen, als wir an ihnen vorbeikamen.

Beeindruckend.

»Muss ich das eigentlich auch machen, sobald ich dich sehe?«, fragte ich naserümpfend.

»Ja.« Elion hielt mir mit ausgestrecktem Arm die Tür zum Inneren des Tempels auf. »Jeder Theta unterhalb eines Offiziersrangs muss das.«

»Upsi.« Ich blieb in der Tür stehen und sah unschuldig zu ihm auf. So leicht würde ich Kommandant Grumpy nicht die Oberhand gewinnen lassen. Noch nicht. Denn sobald wir den Tempel betraten, wäre jede Leichtigkeit zwischen uns dahin. Egoistische Motive hin oder her: Selbst mir war klar, dass es dringlichere Dinge gab, auf die wir uns konzentrieren mussten. »Mein offensichtlich mangelnder Respekt dir gegenüber wird wohl strenge Disziplinarmaßnahmen nach sich ziehen?« Allein das Wort Disziplinarmaßnahme reichte aus, um die Muskeln in meinem Unterleib zucken zu lassen. Oh, wie ich diesen Tempel ganz und gar nicht betreten wollte!

Für den Bruchteil eines Atemzugs erstarrte Elion, dann hatte er sich wieder im Griff. Lediglich seine Augen unter den dichten Wimpern schienen eine Spur dunkler geworden sein. »Natürlich. Disziplinarmaßnahmen, für die dein Staffelführer zuständig ist.«

Missmutig spitzte ich die Lippen. Spielverderber. Dann registrierte ich die fünf bewaffneten Thetas, die in der Säulenhalle postiert waren und jedes Wort mithören konnten. Doppeltupsi.

Elions Finger trommelten auffordernd gegen die Holztür. »Wenn ich denn bitten darf, Rekrutin

Das dunkle Timbre seiner Stimme rollte über mich hinweg und verwies mich mit solch einer befehlsgebenden Selbstverständlichkeit auf meine Position, dass mein instinktiver Widerwille gegen seine Autorität durch meine weichen Knie Lügen gestraft wurde.

Der Takt seiner trommelnden Finger wurde schneller. Ungeduldiger. »Ich warte nicht gern.«

Meine Kehle fühlte sich plötzlich staubtrocken an. Als ich mich räusperte, blinzelte Elion mich träge an, woraufhin mein Räuspern sich in ein schiefes Quieken verwandelte, das meine Ohren heiß anlaufen ließ.

Heilige Scheiße, er wusste genau, was er da tat. Elion war kein Spielverderber – stattdessen war er gerade drauf und dran, die Spielregeln festzulegen. Kommandant Grumpy versprach plötzlich viel aufregender zu werden, als ich angenommen hatte.

Ich war mir sicher, mittlerweile die Aufmerksamkeit der Soldaten auf uns gerichtet zu haben, und rührte mich gerade so lange nicht von der Stelle, bis es an Unverschämtheit grenzte. Dann erst kam ich seiner Aufforderung nach.

Doch noch während ich voranging, hinter mir zehn Hacken synchron mit militärischer Präzision aneinanderschlugen und ich gleichzeitig verstohlene Blicke auf mir spürte, fragte ich mich unweigerlich, ob dieses reizvolle Spiel am Ende nicht noch riskant für uns werden würde. Hieronymus versuchte nicht erst seit gestern, mich als eigene Spielfigur zu benutzen, und schob mich in Richtungen, die ich nicht überblicken konnte. Er hatte gewusst, dass ich Elion drängen würde, gegen die Höllenhunde vorzugehen – ohne dass ich auch nur erahnt hatte, welche Konsequenzen dies nach sich gezogen hätte. Und nicht nur das: Hieronymus musste davon ausgehen, dass mein Drängen Erfolg haben würde. Dass ich Einfluss auf Elion nehmen konnte, sobald ich es darauf anlegte. Wenn jemand mitbekam, dass die fluchtbedingte Nähe zwischen uns unversehens enger geworden war, konnten voreilige Schlussfolgerungen gezogen werden. Falsche Schlussfolgerungen. Schlussfolgerungen, die Hieronymus oder der Ältestenrat zu ihrem Vorteil nutzen konnten.

Das unanständige Flattern in meinem Bauch verlor schlagartig an Enthusiasmus. Im Grunde war Ablenkung also eigentlich das Letzte, was wir gebrauchen konnten, Elion in seiner blöden Primusrolle noch weniger als ich.

Ich starrte auf die Fahrstuhltür, während mir Elions Präsenz in meinem Rücken nur allzu bewusst war, und nagte auf der Innenseite meiner Wange. Interne Machtkämpfe, Intrigen, Höllenhunde, ein drohender Krieg ... Während ich mich nur darauf konzentrieren musste, nicht durchzudrehen und den Tempel zu fluten, von racheerfüllten Thetas oder dem Teufel umgebracht, oder von machthungrigen Mitgliedern der Familie Copettius benutzt zu werden, war Elions To-do-Liste um einiges beeindruckender und bedeutend wichtiger. Der unwahrscheinliche Moment zwischen uns verwandelte sich zunehmend in etwas Bedrohliches, dessen Folgen ich nicht abschätzen konnte. Elion mochte nach einem ganzen Leben im Schoße des Ordens das Spiel der unausgesprochenen Worte ebenso perfekt beherrschen wie Salma, Simon und Lay. Ich hingegen war ein Nilpferd im Minenfeld, das glaubte, grazil zu tänzeln, während es in Wirklichkeit stumpf durch die Gegend trampelte und sich wunderte, warum die Welt um es herum in Feuer, Blut und abgetrennte Gliedmaße versank.

Ich musste schleunigst aus diesem Minenfeld heraus.

Sobald sich die Fahrstuhltür öffnete, trat ich rasch ein. »Ich kann mir auch alleine etwas zu Essen besorgen.«

Elion folgte mir auf dem Fuß und stellte sich direkt neben mich. »Davon gehe ich aus.«

Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Das letzte Mal, als ich Elion abgelenkt hatte, hatten wir uns lediglich über Schildkröten unterhalten. Also quasi. Auf jeden Fall war danach alles rasend schnell den Bach runtergegangen. Dass wir alle überlebt hatten, glich einem Wunder. Wer wusste schon, wann wir das nächste Wunder bekamen, nachdem auch noch Arved von den Toten auferstanden war? Meiner Erfahrung nach waren sie genauso unwahrscheinlich wie Schnee im Juli. »Du hast bestimmt noch viele wichtige Dinge zu erledigen.« Dinge, von denen ich ihn nicht ablenken will. Überlebenswichtige Dinge.

»Unvorstellbar viele«, bestätigte Elion ungerührt. Dabei streifte sein Oberarm wie zufällig meine Schulter. »Einige von diesen unvorstellbar wichtigen Dingen schiebe ich schon viel zu lange vor mir her.«

Verbissen verbat ich mir über die mögliche Doppeldeutigkeit seiner Worte nachzudenken und wich einen Schritt zur Seite. »Na dann solltest du mich wohl nicht begleiten, sondern dich um diese wichtigen Dinge kümmern, die uns womöglich den Weltuntergang vom Hals halten werden.«

Ich spürte seinen Blick auf mir, verbat mir aber, ihn zu erwidern. Wir waren zu zweit in einem verdammten Fahrstuhl. Das letzte, was wir jetzt gebrauchen konnten, waren klischeehaft ausgetauschte Blicke, die erneut in unwahrscheinlichen Momenten endeten.

»Marika«, sagte Elion, diesmal ungeduldig, »was ist los?«

»Nichts«, wich ich aus, weil die blöden Wände des Tempels Ohren hatten und man ständig aufpassen musste, was man sagte. Nicht gerade meine Paradeeigenschaft. »Ich will dich nicht wegen meines knurrenden Magens aufhalten.«

»Vielleicht bin ich ja genauso hungrig wie du.«

Das ... klang erstaunlich plausibel.

Ich schlug mir mit meiner imaginären flachen Hand gegen die Stirn und versank mit brennenden Wangen ein paar Zentimeter im Linoleumboden. Natürlich war Elion hungrig. Er kam gerade von einem beinahe zwanzigstündigen Einsatz zurück, bei dem die Thetas wohl kaum eine Pause am Wegesrand des apokalyptischen Berlins eingelegt und mitgebrachte Butterbrote verzehrt hatten. Nur deshalb begleitete er mich zur Mensa: Wir hatten zur Abwechslung einfach mal dasselbe Ziel.

Unbehaglich rieb ich mir den Nacken und fühlte mich wie die größte Idiotin in diesem Fahrstuhl, und als sich seine Türen öffneten, beeilte ich mich, hinauszutreten, bevor ich mich noch lächerlicher machte.

Trotz der späten Stunde summte die riesige Mensa von den Gesprächen unzähliger Nephilim, begleitet vom unablässigen Besteckgeklapper und gereizten Rufen aus der Küche. Der undefinierbare Geruch verschiedener Mahlzeiten, Gewürze und testosterongeladener Halbgöttern lag schwer in der Luft und fegte den Hauch von Sommer hinweg, der mir aus dem Fahrstuhl gefolgt war. Offenbar waren wir pünktlich zur Fütterungszeit der Halbgötter eingetroffen. Mein Magen zog sich schlingernd zusammen. Wie viele dieser Nephilim waren gestern im Ekur gewesen? Wie viele von ihnen wussten, was ich getan hatte?

Ich dachte daran, was Kadi mir geraten hatte: Bloß keine Schwäche zeigen. Also straffte ich die Schultern und ging aufrecht weiter. Keiner der anwesenden Nephilim scherte sich um mich, alle waren mit ihrem Essen beschäftigt oder in Gespräche vertieft. Solange ich keine Aufmerksamkeit erregte, konnte ich das hier überstehen, auch wenn mir schlagartig der Appetit vergangen war ...

Wir hatten die erste Tischreihe beinahe erreicht, als ein Naphil mit blonden Locken zu uns hinübersah. Mit der Schnelligkeit einer aufgeschreckten Schlange schoss er in die Höhe und brüllte so laut, dass es bis in die letzte Ecke der Mensa schallte: »PRIMUS HADI!«

Augenblicklich erklang ein schrilles Konzert von über den Steinboden kratzenden Stuhlbeinen, hastig auf Teller geworfenem Besteck und dem Rascheln von Uniformen, die eilig zurecht gezogen wurden. Innerhalb von Sekunden standen über zweihundert Nephilim Spalier, die starren Blicke akkurat nach vorne gerichtet.

Scheiße noch mal, das war wirklich beeindruckend. Ob sie mit Winkelmessern geübt hatten, bis sie diese Stock-im-Arsch-Position perfektioniert hatten?

Ich bemerkte erst, dass ich wie erstarrt stehen geblieben war, als Elion mit stoischer Ignoranz an mir vorbei die Essensausgabe ansteuerte, als gingen ihn die salutierenden Soldaten nichts an.

»TAPÉ!«, brüllte der blondhaarige Naphil und das Schauspiel soldatischer Ehrerbietung lief in Sekundenschnelle rückwärts, bis alle wieder saßen und weiteraßen, als wäre nichts geschehen. Lediglich die Gespräche verliefen nun gedämpfter.

Wenn ich gehofft das, das Abendessen möglichst unauffällig über die Bühne zu bringen, wurde sie spätestens jetzt unter Dutzenden Augenpaaren begraben, die verstohlen zwischen Elion und mir hin und her schossen.

Fantastisch.

Mentale Notiz an mich: Niemals wieder gemeinsam mit Elion einen Raum voller Nephilim betreten.

Mit hochgezogenen Schultern beeilte ich mich, zu Elion aufzuschließen. In seiner Nähe konnte ich mir immerhin einbilden, all die Aufmerksamkeit gelte allein ihm.

»Muss nervig sein, wenn einem ständig so etwas passiert, sobald man einen Raum betritt«, raunte ich Elion zu, der bereits dabei war, großzügig Kartoffelpüree, Speck und grüne Bohnen auf einen Teller zu häufen.

»Keine Ahnung. Ich habe den Job als Primus noch nicht so lange.« Er drückte mir den Teller in die Hand und bei allen verfluchten Zombiegöttern, ich konnte hören, wie die blöden Nephilim in unseren Rücken nach Luft schnappten. Toll. Wir lösten allein schon dadurch einen mittelschweren Skandal aus, weil Elion mir einen übervollen Teller mit so viel köstlich duftendem Essen gereicht hatte, dass ich mich zusammenreißen musste, mir nicht gleich mit bloßen Fingern die ersten fettigen Speckstreifen in den Mund zu stopfen.

Elion schien weiterhin nicht zu bemerken, welche Aufmerksamkeit wir auf uns zogen. Oder es war ihm schlichtweg egal. In aller Seelenruhe füllte er einen zweiten Teller. »Wenn ich etwas getan habe, das du nicht -«

»Hast du nicht«, unterbrach ich ihn, bevor er etwas sagen konnte, das trotz des Lärms bis an die empfindlichen Ohren der Nephilim dringen konnte. Wo wir schon bei Ohren waren: Meine fühlten sich immer noch an, als stünden sie in Flammen. Wenn eine Steigerung überhaupt noch möglich gewesen wäre, hätte ich mich spätestens jetzt für mein albernes Verhalten selbst verachtet. »Ich glaube einfach, dass wir uns aufs Wesentliche konzentrieren sollten, mehr nicht.«

»Mmh.« Elion fischte aus einem Metallkasten Besteck für uns beide, ehe er sich mir zuwandte und mich mit einem Blick maß, den ich nicht zu deuten wusste. »Du hast Recht.«

Dumm. Ich war so dumm, dumm, dumm. Dabei war es doch vernünftig, Abstand zu halten. Wenigstens, so lange wir im Tempel waren. Elion selbst hatte mich vorgewarnt, wieder zu Kommandat Grumpy zu werden, sobald er ihn betrat, und ich verstand nur zu gut, warum: Er spielte eine Rolle im Machtgeflecht der Nephilim, die er nicht verlieren durfte.

Warum fühlte sich dann seine Zustimmung dann so unfassbar verkehrt an?

»Wenn du mir weiterhin Recht gibst, fange ich ernsthaft an, mir Sorgen zu machen«, versuchte ich meinen stumm schreienden Frust zu überspielen. »Vielleicht sollten wir Salma konsultieren und sichergehen, dass es dir gut geht.«

Elion schnaubte leise. Dann wandte er sich den Tischreihen zu. »Wo willst du sitzen?«

Es war nett, mich zu fragen. Wirklich. Aber als mein Blick über die Reihen der Nephilim glitt, die sich nun besonders Mühe gaben, sich auf ihr Essen oder ihr Gegenüber zu konzentrieren, wurde mir erneut flau im Magen. Jede einzelne Tischreihe war besetzt von Nephilim, die sich ein Urteil über mich gebildet hatten oder gerade dabei waren, sich eins zu bilden. Für die meisten musste es wohl lauten: durchgedrehte Mörderin, die ihre Gabe nicht im Griff hat. Das war nicht gerade eine Gesellschaft, in der ich mein Essen hätte genießen können.

Doch dann entdeckte ich einen pinken Haarschopf in der hintersten Reihe. Als Kadi sah, dass ich sie bemerkt hatte, ob sie grüßend die Hand.

»Bei der Neunten, dort«, sagte ich erleichtert und deutete mit ausgestrecktem Finger auf Kadi. Dabei geriet der Schwerpunkt des vollen Tellers in meiner anderen Hand gefährlich in Schieflage, doch bevor mein Abendessen auf den Boden klatschen und ich mich allein schon dadurch als durch und durch menschlich outen konnte, dass ich nicht einmal einen Teller gerade halten konnte, hatte Elion ihn sich bereits geschnappt.

»Den nehme ich wohl besser«, murmelte er und bahnte sich einen Weg durch die Tischreihen.

Mit hochrotem Gesicht fing ich erneut Kadis amüsierten Blick auf. Ihre Lippen bildeten so überdeutlich zwei Silben, dass mir die Botschaft sofort klar war:

Fangirl.

Meine Miene verfinsterte sich. »Weißt du was, ich hab's mir anders überlegt«, sagte ich grimmig und sah mich eilig nach einer anderen Sitzmöglichkeit um. Doch sobald Elion ihnen den Rücken zugewandt hatte, gaben die Nephilim ihre diskrete Zurückhaltung auf und starrten uns beide unverhohlen an, viele neugierig, aber in nicht wenigen Gesichtern erkannte ich zu meinem Schrecken auch kaum verborgene Ablehnung.

»Oder doch nicht«, schob ich eilig hinterher, als Elion abwartend stehen geblieben war. Er brummte und setzte seinen Weg fort. Mit jedem Schritt durch die Menge fühlte ich mich unwohler und fragte mich, wem von uns beiden die Ablehnung galt. Dass man mir mit Misstrauen begegnete, verwunderte mich nicht. Doch ich wusste auch, dass nicht alle Nephilim Elion gegenüber loyal waren: Sullivan war dafür der (leider lebende) Beweis. Selbst mir was klar, dass das angesichts eines drohenden Krieges mit den Idrin zu einem Problem werden konnte.

»Primus hadi!«, bellte Kadi, als wir endlich ihren Tisch erreichten. Sie und acht weitere Thetas erhoben sich und ließen die Hacken knallen. »Es ist uns eine Ehre, in Ihrer Gesellschaft speisen zu dürfen, Primus!«

Ich konnte mir ein Augenrollen nicht verkneifen. Elion war vielleicht noch nicht von diesem ganzen unterwürfigen Soldatenscheiße genervt, mir hingegen hing es bereits jetzt zum Halse raus.

»Leutnant Markiewicz«, grüßte Elion förmlich und stellte die Teller ab. »Ich hoffe, wir stören nicht.«

»Ganz und gar nicht, Sir!« Kadi scheuchte die Nephilim, zusammenzurücken, so dass zwei Stühle am äußersten Tischrand für uns frei wurden. »Außerdem freut es mich zu sehen, dass unser Rookie noch am Leben ist«, erklärte sie toternst, als Elion und ich uns gegenüber setzten. Erst dann setzten sich auch die anderen. »Als du nicht zum Abendappell erschienst, habe ich mir fast schon Sorgen gemacht.« Sie legte den Kopf schief. »Nicht, dass ich wirklich Anlass dazu hätte, nachdem du einen kampferprobten Theta der fünften Staffel auf die Matte geschickt hast. Vielleicht habe ich dich auch einfach nur vermisst.«

Elions Augenbrauen schossen ungläubig in die Höhe. »Marika hat was

Hastig schob ich mir eine Gabel voll Kartoffelpüree in den Mund und zuckte nichtssagend mit den Schultern, bevor ich in die Verlegenheit kam zu erklären, wie genau ich Jaro Irgendwer zu Boden gebracht hatte.

Kadi hatte weitaus weniger Hemmungen als ich. »Marika war wirklich leidenschaftlich bei der Sache und kämpft mit ausgesprochen fiesen Tricks.« Sie spießte mit etwas zu viel Elan ein Möhrchen mit der Gabel auf. »Zumindest die Männer der Kompanie werden es sich jetzt zwei Mal überlegen, ob sie sich wirklich mit ihr anlegen wollen.«

Elion sah von dem gepfählten Möhrchen auf Kadis Gabel zu mir. »Ist das so?«

Eilig schob ich noch ein paar Bohnen in meinen Rachen und murmelte etwas, von dem ich selbst nicht wusste, was es eigentlich bedeuten sollte.

»Sie ist auf jeden Fall eine Bereicherung für die Neunte«, grinste Kadi. »Nicht wahr, Soldaten?« Einige Nephilim an dem Tisch nickten, ohne zu zögern. Dann gehörten wir wohl zur selben Staffel. Ich hätte sie gerne nach ihren Namen gefragt, aber ich hatte mittlerweile so viel Kartoffelbrei und Bohnen im Mund, dass ich aussehen musste wie ein ausgehungerter Hamster nach einem unkontrollierten Fressanfall. Also versuchte ich mich in einem freundlichen Lächeln, darum bemüht, dass mir dabei kein Essen aus den Mundwinkeln quoll. So viel also zum guten ersten Eindruck, den ich schon wieder hinterließ.

»Haben Sie wirklich ein paar geflügelte Bastarde vom Himmel geholt, als Sie dort draußen waren?«, wechselte Kadi nahtlos das Thema. »Es geht das Gerücht um, Sie hätten fünf von ihnen mit Bronze durchsiebt.«

Von wegen Gerücht. Ich selbst hatte ihr davon erst heute Mittag davon erzählt. Grimmig versuchte ich zu kauen.

»Sechs«, korrigierte Elion sie. »Aber bei dem Letzten war Marika schneller als ich.«

Kadi stieß einen anerkennenden Pfiff aus. Auch die anderen Nephilim am Tisch wirkten beeindruckt. Ich versuchte, gelassen weiterzukauen, während ich mich fragte, ob Lay ausreichend Zeit gehabt Elion darüber zu informieren, wen wir womöglich im Sturm niedergeschossen hatten: den leibhaftigen Teufel.

Ein Naphil zwei Plätze weiter fragte Elion etwas in der Alten Sprache.

»Mitten ins Gesicht, wenn möglich«, antwortete Elion ihm auf Deutsch. »Trifft man nur die Flügel, hat man den Idrin zwar am Boden, aber nicht unschädlich gemacht.«

Ich würgte mein Essen herunter, bevor ich ergänzte: »Und selbst mit nur einem halben Gesicht sind sie noch verflucht schnell unterwegs.« Schaudernd dachte ich an die uns verfolgende Zombiegöttin in Berlin, die Autowracks beiseite geschoben hatte, als bestünden sie aus Pappmasché. Selbst mit ihrem zerfetzten Schädel hatte man ihr den Zorn angesehen. »Dem letzten Idrin – hast du dem auch eigentlich ins Gesicht geschossen?«, fragte ich Elion.

Er nickte. »Genau in die Mitte. Durch deinen unmittelbar zuvor abgegebenen Schuss hatte der Idrin allerdings eine Rechtsdrehung gemacht, sodass meine Kugel seine linke Gesichtshälfte getroffen haben dürfte.«

Sah ich da etwa gerade so etwas wie selbstgefälligen Stolz in seinen grünen Augen aufblitzen? Was nichts, absolut nichts darüber aussagte, ob er wusste, dass er dem Teufel persönlich die Fresse zerschossen hatte. Man, wir beide waren wirklich erstaunlich gut darin, uns nicht nur Feinde, sondern diese auch noch besonders wütend auch uns zu machen. Erstaunlich, auf wie viele Gemeinsamkeiten ich zwischen uns stieß, je länger ich darüber nachdachte ...

»Und deshalb«, sagte Kadi bedeutungsschwer und sah streng in die Runde, »solltet ihr unwerten Kanalratten auf den unschätzbaren Rat unseres Primus hören und immer mittig zielen. So landet man auch dann einen Treffer, selbst wenn man seine Schussbahn nicht mehr korrigieren kann.«

»Ich hätte sie korrigieren können«, sagte Elion stirnrunzelnd, »aber ich hatte kein freies Schussfeld.«

»Als würde dich das sonst stören«, schnaubte ich, bevor mein Verstand meine Zunge zügeln konnte.

Am Tisch wurde es still. Jemand räusperte sich leise.

Da war es wieder: Das verfluchte Nilpferd im Minenfeld.

Elion legte behutsam sein Besteck hin, dabei hatte er bisher nicht einmal einen Bissen zu sich genommen. »Ich habe Prioritäten«, sagte er ruhig und hielt meinem Blick gelassen stand. »Wenn du möchtest, Marika, kann ich sie dir gerne erneut darlegen - unter vier Augen und weitaus gründlicher als eben erst.«

Die erste Mine explodierte direkt zwischen uns beiden und ließ mich ungläubig blinzelnd zurück.

Kadi beugte sich über den Tisch, sah grinsend zwischen uns hin und her und sagte mit gesenkter Stimme: »Dreiundsiebzig Prozent meiner Thetas befinden sich momentan im Außeneinsatz, also gibt es in der Kaserne der Neunten jede Menge Platz für private«, sie machte eine bedeutungsschwere Pause, »Vier-Augen-Gespräche.« Sie zwinkerte mir zu. »Ich meine, Marika ist auf ihrem Flur quasi alleine. Keine neugierigen Ohren oder Augen weit und breit.«

Die nächste Mine war explodiert. Der Räusperer am Tisch räusperte sich erneut. Diesmal lauter und eindeutig anzüglich.

Ich sank auf meinem Stuhl ein paar Zentimeter tiefer und zerquetschte mit meiner Kabel hochkonzentriert den klumpenfreien Kartoffelbrei.

»Dreiundsiebzig Prozent?«, wiederholte Elion ungläubig, als hätte er Kadis Wink mit dem Zaunpfahl voller sexuell aufgeladener Splittern überhaupt nicht mitbekommen. »Wer hat den Befehl dazu gegeben?«

»Sullivan«, erwiderte Kadi abschätzig und ließ sich wieder zurückfallen. »Vor fünf Tagen, kaum dass er zum Interimskommandanten und Primusanwärter zugleich ernannt worden war.«

Ich kratzte die zerfetzten Stücke meines hormongesteuerten Verstandes zusammen und versuchte, mich zu konzentrieren. Also hatte Sullivan den Befehl erteilt, gleich nachdem Elion als Verräter und Vatermörder galt und seiner Position enthoben war. Wenn das mal kein Zufall war ...

»Sechs meiner Teams befinden sich momentan in Kroatien, drei weitere in der Türkei, zwei auf Sizilien und der Rest sitzt in Griechenland fest.« Kadi deutete mit ihrer Gabel auf vier Nephilim, die neben mir saßen. »Theta-931 sollte heute Morgen nach Österreich versetzt werden, aber ich habe Sullivans Einsatzbefehl ignoriert, sobald Sie freigesprochen worden waren und dachte, ich warte erst einmal ab, ob Sie den Befehl bestätigen. Ich hoffe, mein eigenmächtiges Handeln in dieser Sache war nicht anmaßend, Sir.«

»Es war anmaßend«, sagte Elion leise, »aber dennoch die richtige Entscheidung. Theta-931 verbleibt im Tempel. Die gesamte Neunte Staffel«, fügte er nachdrücklich hinzu. Wenn er von Sullivans Befehlen nichts gewusst hatte, ging er wohl von weiteren Einsatzbefehlen aus, die ihm entgangen waren. Er würde alle Hände voll zu tun haben, die Auswirkungen von Sullivans Machtspielchen rückgängig zu machen.

Ein gutes Dutzend Nephilim atmete erleichtert auf. Österreich musste mittlerweile unter einer meterdicken Ascheschicht liegen, und dort lauerte womöglich noch schlimmeres als schlechte Luft: Höllenhunde. Selbst wenn Sullivan von ihnen nichts ahnte, kam die Entsendung von Thetas in dieses Gebiet einem Himmelfahrtskommando gleich.

Ich ließ von meinem gepeinigten Kartoffelbrei ab. »Das klingt, als hätte Sullivan die Neunte loswerden wollen.«

»Das dachte ich mir nämlich auch«, bestätigte Kadi düster. »Und nicht nur die Neunte: Auch die Zweite, Dritte, Fünfte und achte wurde von Sullivan erheblich ausgedünnt.«

»Nur müssen die nicht im Windschatten eines brodelnden volcan nach den Gräbern von Idrin suchen et vérifier«, meldete sich ein kraushaariger Naphil mit starkem französischen Akzent zu Wort. Er wurde etwas blass um die markante Nase herum, als sich Elions angespannte Aufmerksamkeit auf ihn richtete. »Excusez moi, ich weiß, dass uns die Einsatzpläne anderer Escadrons nichts angehen, mais, als Theta-296 damit prahlte, in die Karibik versetzt zu werden, j'ai fait des recherches

»Hugo meint damit, dass er sich ins System gehackt hat«, erklärte Kadi geradeheraus. »Ohne mein Wissen natürlich. Die entsprechende Disziplinarmaßnahme habe ich bereits vollstreckt.«

Allen am Tisch war klar, dass es eine solche Disziplinarmaßnahme niemals gegeben hatte – nicht bei dem unverschämt breiten Grinsen auf Kadis Lippen.

»Und was hast du herausgefunden?«, fragte ich Hugo, bevor Elion noch auf die Idee kommen konnte, beim Abendessen Primus spielen und Kadis Nachlässigkeit korrigieren zu müssen.

»Sagen wir es mal so«, antwortete Kadi an Hugos Stelle, »viele der abkommandierten Einheiten durften Sonnenbrillen und Badehosen einpacken und das wohltuende Klima in erstaunlicher Nähe zum Äquator genießen.«

»Es gibt ein Muster?«, hakte Elion sofort nach.

»Il semble que ce soit ainsi«, raunte Hugo. Sein Blick huschte durch den Saal. »Mais ...«

Auch ohne Französischkenntnisse war mir klar, dass Hugo sich scheute, in einem Raum voller Nephilim offen zu reden. Also gab es tatsächlich ein Muster in der von Sullivan arrangierten Truppenbewegung.

»Alle Anzeichen stehen auf Krieg und Sullivan schickt trotzdem Einheiten fort«, flüsterte ich Elion zu. »Und nicht nur das: Niemand hat sich die Mühe gemacht, dich darüber zu informieren.« Schon wieder, fügte ich in Gedanken hinzu, und ich hätte mein Abendessen darauf verwettet, dass auch diesmal der Ältestenrat seine Finger im Spiel gehabt hatte. Nicht nur, dass sie Elion über die Höllenhunde im Unklaren ließen: Sie hatten auch dafür gesorgt, dass die ihm vor Ort zur Verfügung stehende Armee empfindlich ausgedünnt worden war. Als hätten sie geahnt, dass Elion erneut das Kommando übernehmen und gegen die Höllenhunde vorgehen würde, sobald er davon erfuhr – mit einer geschwächten Armee, deren Sieg angesichts der vernichteten Idrin rund um den Vulkan aussichtslos sein würde. Geahnt, dachte ich grimmig, oder geplant, um Elions Handlungsmöglichkeiten einzugrenzen. Dabei war es ihnen egal, wie viele Menschen den Höllenhunden zum Opfer fallen würden. Verfluchte Pisser.

An Elions Kiefer zuckte ein Muskel. Ihm musste derselbe Gedanke gekommen sein. Dennoch sagte er mit erstaunlicher Ruhe: »Leutnant Markiewicz, ich werde mir«, er musterte Hugo erneut und dachte kurz nach, »Theta-931-Gamma für heute ausleihen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Es scheint so, als hätte er Informationen, die mir entgangen sind.«

Ich schüttelte wütend den Kopf. So konnte man es natürlich auch nennen, wenn der Ältestenrat alles daran setzte, Elion sowohl als Primus als auch als Kommandant zu sabotieren.

»Natürlich nicht«, sagte Kadi und wandte sich an Hugo. Dessen blasse Wangen hatten einen Zartrosaton angenommen, als fühlte er sich geschmeichelt, dass Elion seine Kennung kannte. »Bereite der Neunten keine Schande, verstanden?«

»Oui, Lieutenant. Tout de suite?«, fragte Hugo und stemmte seine Hände auf den Tisch, bereit, sich sofort zu erheben.

»Ja, jetzt sofort«, bestätigte Elion und Hugo sprang augenblicklich auf die Füße, obwohl Elion sich selbst nicht rührte. »Sie haben davon gesprochen, die Kaserne der Neunten sei verwaist«, wandte er sich an Kadi. »Bis die ausgerückten Einheiten der Neunten zurückkehren, sollten die verbliebenen Teams enger zusammenrücken. Und behalten Sie ein Auge auf die neue Rekrutin, so lange keiner meines Teams in der Nähe ist.« Sein Zeigefinger tippte unruhig auf den Metalltisch. »Marika neigt dazu, in außergewöhnliche Situationen zu geraten.«

Unter anderen Umständen wäre ich beleidigt an die Decke gesprungen. Stattdessen presste ich die Lippen zusammen und sparte mir einen subversiven Kommentar. Elion wusste, dass der Tempel nicht mehr sicher war. Lay hatte ihm also bereits erzählt, wer hinter mir her war und dass er es womöglich schaffen konnte, in den Tempel zu gelangen: der Teufel höchstpersönlich. Kein Wunder, dass Elion darauf bestanden hatte, mich zum Essen zu begleiten. Es ging nicht darum, dass er seinen Worten zum Trotz auch als Primus in meiner Nähe sein wollte; er wollte lediglich sichergehen, dass ich weiterhin überlebte. Zur Abwechslung hatte ich nichts dagegen einzuwenden als ein irrationales Gefühl, mich aus reinem Trotz dagegen auszusprechen.

»Jawohl, Sir!« Selbst Kadi spürte, dass mehr hinter Elions Worten steckte: der Befehl, mir nicht von der Seite zu weichen. Obwohl sie nicht wissen konnte, wer uns seit Berlin verfolgte, verriet ihr fokussierter Blick auf mich, dass sie von nun an von einer potentiellen Gefahr für mich ausging, die in jeder finsteren Ecke auf mich lauern konnte.

Meine Backenzähne knirschten aufeinander, so sehr zwang ich mich zu akzeptieren, von nun an eine zum Wachhund degradierte Staffelführerin an meiner Seite zu haben. Angesichts der Umstände war das wohl nicht das Schlechteste, was mir passieren konnte. Dennoch kribbelte mir der Widerwille über Elions Befehl weiterhin unter der Haut, unangenehmer als bei Simon, der im Prinzip zu genau demselben Schluss gekommen war: Man durfte mich nicht aus den Augen lassen.

Obwohl Elion sein Essen nicht angerührt hatte, schob er den Teller von sich weg und erhob sich nun ebenfalls. Gut zweihundert Nephilim im Saal taten es ihm gleich, als hätten sie die ganze Zeit über ein Auge auf ihn gehabt, selbst die, die mit dem Rücken zu ihm saßen.

Gruselig.

Mit einer Verzögerung von mehreren Sekunden folgte ich schwer seufzend ihrem soldatischen Beispiel, bevor ich erneut unangenehm auffallen konnte. Elions Mundwinkel zuckten, als gefiele ihm mein Anblick hinterherhinkender Disziplin.

Mistkerl.

Er nickte mir so knapp zu, dass ich mir nicht einmal sicher war, es mir nicht nur eingebildet zu haben, ehe er mit Hugo im Schlepptau die Mensa verließ. Mehr konnte ich von dem Primus als Abschied wohl nicht erwarten.

Mit einem flauen Gefühl im Magen, das nichts mit meinem Hunger zu tun hatte, setzte ich mich wieder und aß weiter. Der Orden war ein Pulverfass, dessen Lunte bereits Feuer gefangen hatte. Selbst die Thetas der Neunten hatten es mitbekommen.

Ich dachte an den chaotischen Gemeinschaftsraum, in dem ich Kadi kennengelernt hatte, die Spuren einer ausgeuferten Party zur Feier des Tages, weil Elion dem Tod entronnen war. Also schien wenigstens die Neunte Elion gegenüber loyal zu sein. Ausgerechnet die Staffel, deren Teams Sullivan in ascheversunkene Gebiete abkommandiert hatte, bevor wir im Tempel eintrafen. Als hätte er vorgehabt, jedweden Rückhalt gegenüber Elion in den Truppen zu dezimieren.

Das ungute Gefühl nagte sich gefräßig durch meine Eingeweide.

»Die anderen Teams, die Sullivan fortgeschickt hat«, begann ich zögernd, während Kadi sich Elions Teller schnappte und seine Portion mit einem Messer auf ihren eigenen Teller schob. »Waren das Teams, mit denen ihr euch ... verstanden habt?«, versuchte ich an Informationen zu gelangen, ohne zeitgleich selbst zu viele preiszugeben und erneut auf eine Mine zu treten. Ich musste herausfinden, ob Sullivan ausschließlich Teams abkommandiert hatte, die Elion treu ergeben waren.

»Niemand versteht sich gut mit uns«, sagte Kadi naserümpfend. »Sie alle halten sich für etwas Besseres, schon vergessen?« Doch bevor ich an meiner Theorie zweifeln konnte, warf Kadi mir einen blitzschnellen Blick zu, mit dem sie Granit hätte durchschneiden können. Dann schob sie sich einen Speckstreifen zwischen die Zähne. Die Botschaft war deutlich: Keine weiteren Fragen, während alle zuhören können, Rookie.

Also hatte ich mich nicht getäuscht: Kadi stand auf Elions Seite und mit ihr hoffentlich auch ihre Staffel. Meine Rückenmuskeln spannten schmerzhaft. Das konnte man von den Nephilim um mich herum wohl nicht behaupten. Die Frage war: Wie würden sie reagieren, wenn Elion ihnen den Befehl gab, gegen die Höllenhunde in den Kampf zu ziehen? Er war der Primus und die Nephilim wie durch Magie an seine Befehle gebunden, also würden sie sich nicht einfach verweigern können. Es sei denn, sie trugen Kopfhörer, so wie vor erst einem Tag, als sie Elion wie ein Tier in die Enge getrieben und gefangen genommen hatten. Sie waren gut vorbereitet gewesen, und keiner der anwesenden Teams hatte versucht, sich Sullivan entgegenzustellen. Was bedeutete, dass Elions Position im besten Falle brüchig war.

Der Kartoffelbrei lag schwer in meinem Magen. Die Welt ging vor die Hunde und der Ältestenrat hatte nichts Besseres vor, als seine eigenen Reihen durch einen Putschversuch zu schwächen. Selbst ich erkannte den Irrsinn dahinter.

Es sei denn ...

Die Gabel entglitt meinen Fingern und landete laut klappernd auf dem Metalltisch.

»Zu schwach, um eine Gabel zu halten?«, witzelte Kadi. »Oh, Rookie, ich werde dich morgen mit so viel Krafttraining quälen, bis du dir wünscht, die Idrin hätten dich in ihre unsterblichen Finger bekommen.«

Ich lächelte gequält und packte die Gabel erneut, diesmal so fest, dass ihr Griff schmerzhaft in meine Handinnenfläche drückte.

... Es sei denn, der Ältestenrat hatte nichts dagegen, dass die Welt vor die Hunde ging.

Selbst wenn es Höllenhunde waren.

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