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49. Kapitel: Führungsqualitäten

Will man einen gelungenen ersten Eindruck hinterlassen, ist Authentizität das entscheidende Stichwort. Sich zu verstellen oder gar Eigenschaften zu schauspielern, die einem so fernliegen wie Nordkorea die Wahrung der Menschenrechte, führte nur dazu, dass man eher früher als später aufflog und die gnadenlose Enttäuschung der Leute um einen herum ins Bodenlose fiel. Nein, besser man behielt von Anfang an den Ball flach und zeigte sich von den hässlichen Seiten, an welche die Leute sich schnellsten gewöhnen sollten. In dem Fall konnte man etwaige Erwartungen wenigstens zielsicher übertreffen.

Weil ich das wusste und selbst mein Unterbewusstsein einsah, dass ich niemals eine vorbildliche Soldatin werden würde, verschlief ich.

Ich spürte es an der tiefen Stille um mich herum, die nur eintrat, wenn man ganz und gar alleine war. Und an dem dumpfen Ziehen hinter meiner Stirn, das sich verlässlich immer dann einstellte, sobald ich länger als acht Stunden schlief.

Man würde mir ja wohl kaum einen Vorwurf machen können. Keiner war auf die Idee gekommen, mir einen Wecker in die Hand zu drücken. Oder mit der Faust an die Tür zu hämmern, um die neue Rekrutin unsanft aus dem Schlaf zu reißen. Und da nun die Bahn meines ersten Eindrucks vorgezeichnet war, sah ich keine Veranlassung, Hektik aufkommen zu lassen. Ich hatte ein paar wirklich, wirklich stressige Tage hinter mir, war zweieinhalb Mal der Gefangenschaft entkommen und mindestens ebenso oft dem Tod. Scheiße noch mal, ich hatte ja wohl ein gottverdammtes Recht darauf, endlich einmal auszuschlafen. Wären da nicht die latenten Kopfschmerzen und mein leerer Magen gewesen, ich hätte mich ohne schlechtes Gewissen noch einmal auf dem Feldbett umgedreht und weitergeschlafen, hoffend, nicht wieder vom Sommer mitten im Sturm und einer viel zu sanften starken Hand auf meinem Rücken zu träumen. Wie sie tiefer und tiefer über meine Haut strich, bis ...

Widerwillig quälte ich mich hoch, streckte mich ausgiebig, ließ dann unschlüssig die Arme baumeln und beschloss, mich meinem neuen Zuhause auf Zeit zu stellen, bevor ich in dem heruntergekommenen Quartier vor Langeweile noch die Nerven verlor.

Ich ließ mir dennoch Zeit. In der grünen Kiste fand ich ein Stück Kernseife, dessen chemischer Geruch vage an Zitrone erinnerte und nach meiner Katzenwäsche an mir klebte wie etwas, das nicht gesund sein konnte, sowie einen schmalen schwarzen Plastikkamm. Als ich den Kampf gegen meine strohigen Haare für beendet erklärte, fehlten ihm ein paar Zinken. Gut möglich, dass sie noch irgendwo in meinen Haaren steckten.

Die Wahl meines Outfits erwies sich als einfach: Ein frisches Shirt, darüber ein Hemd, das ich offenließ, dazu eine etwas zu locker sitzende Cargohose mit viel zu vielen nutzlosen Taschen und schwarze knöchelhohe Stiefel – alles in Schwarz und schlicht gehalten. Lediglich auf dem Hemdsärmel war auf Höhe der Schulter ein roter Kreis gestickt, der vermutlich irgendetwas zu bedeuten hatte. Nichts hätte mich weniger interessieren können.

Zwischen Socken und weiteren Hemden fand ich eine schwarze Uhr, wie alle Nephilim sie zu tragen schienen. Probehalber wischte und tippte ich auf dem Display herum, doch nichts geschah. Entweder war das Teil kaputt oder ich zu blöd, es zu bedienen. Achtlos warf ich die Uhr zurück in die Kiste.

Den letzten Punkt meiner Morgenroutine schob ich so lange auf wie möglich, doch am Ende musste ich mich ihm widerwillig stellen. Der Blick in den Spiegel war dann doch nicht ganz so furchtbar wie erwartet. Meine rechte Gesichtshälfte schimmerte von der Schläfe bis zum aufgeschrammten Kinn in allen erdenklichen Blaunuancen und tatsächlich entdeckte ich einen der abgebrochenen Plastikzinken in meinen Haaren – nichts davon kam unerwartet oder jagte mir den Schreck meines Lebens ein. Das da im Spiegel war ich. Einfach nur ich.

»Ok, du hörst mir jetzt gut zu«, ermahnte ich mein Spiegelbild streng. »Du wirst ihr Spiel mitspielen, weil du ansonsten gewaltig am Arsch bist.« Mein Spiegel-Ich nickte entschlossen. »Irgendwann wird die Scheiße hier vorbei sein. Alles ist irgendwann vorbei. Und dann wartet auf dich eine Tasche voller Geld, ein One-Way-Ticket nach Peru und deine Lieblingssonnenbrille darauf, zusammen mit dir das Weite zu suchen, also versau es nicht, Marika Kaliya Hennock, verstanden?« Wieder nickte mein Spiegel-Ich, obwohl so etwas wie ein schlechtes Gewissen sich regte. Ich dachte an Simon, Salma, Lay und – Gott verflucht noch mal, schon wieder an den bescheuerten Vollidioten, der mich entführt und gerettet und benutzt und verraten hatte, und den ich ebenso wie die anderen zurücklassen würde. Natürlich würden sie nicht mit nach Peru kommen. Warum sollten sie auch? Warum würde ich das überhaupt wollen? Wir waren keine Freunde, sondern lediglich eine unfreiwillige Zweckgemeinschaft gewesen. Sie waren freundlich zu mir gewesen (Lay so gut sie eben konnte), weil Elion es ihnen vermutlich befohlen hatte – so als Ausgleich für seine eigene arschige Art. Keiner von ihnen hatte sich blicken lassen, seitdem ich mich im unterirdischen Geheimversteck des Ordens befand, also konnte ich ihnen nicht so wichtig sein. Sie würden ihrer Wege gehen, Zombiegötter killen und wirklich, ich wünschte ihnen von Herzen, dass sie den drohenden Krieg überleben würden. Selbst dem bescheuerten Vollidioten. Mehr war da nicht zwischen uns. War es nie gewesen.

Und ich war alt genug, um damit klar zu kommen.

Die Stiefelsohlen quietschten unangenehm auf dem grauen Linoleumboden, während ich dem totenstillen Gang folgte. Auch die große Halle war verlassen. Als ich gestern die Kiste hinter mir hergezogen hatte, hatte ich den gewaltigen schwarzen Bildschirm nicht bemerkt, der über den fünf Aufzugtüren hing. Dunkelgrüne Schriftzeichen reihten sich rechtsbündig über die Anzeige. Hinter jeder Zeile fand sich eine arabische Zahl: 900, 919, 934, 935 und 972. Damit waren wohl die Einheiten der Neunhunderter Staffel gemeint und die Zeichen daneben mussten entsprechende Informationen über oder für sie sein. Aylar hatte mich drei Mal darauf hingewiesen, der Einheit Theta-987 anzugehören. Meine Zahl tauchte nicht auf, also konnte es mir scheißegal sein, was genau die Anzeige eigentlich anzeigte.

Ich erinnerte mich nicht, mit welchem Aufzug Aylar mich hierhergebracht hatte, also wählte ich willkürlich einen aus. Zunächst würde ich die Waffenschmiede aufsuchen, das sogenannte Drecksloch, und versuchen herauszufinden, was Ulfi zu mir gesagt hatte. Am besten versuchte ich mein Glück bei Othys. Sofern sein Lehrmeister ihn nicht durch dessen bloße Anwesenheit einschüchterte, würde er mir bestimmt verraten, was an Ulfis Worten ihn so erschreckt hatte. Vielleicht konnte ich über Othys auch herausfinden, wo sich die Krankenstation befand, um Simon einen Besuch abzustatten. Immerhin hatte er sich wegen mir eine Kugel eingefangen und war deshalb beinahe draufgegangen. Wenigstens ein Dankeschön war ich ihm wohl schuldig.

Doch all meine tollen Pläne führten zu nichts, weil sich die verfickten Aufzugtüren partout nicht öffnen wollten. Knöpfe gab es nicht. Also versuchte ich es mit draufzugehen, winken und springen, um einen möglichen Bewegungssensor zu aktivieren. Vergeblich. Dann legte ich meine Hände auf die Türen eines jeden Aufzugs, befahl ihnen, sich zu öffnen, doch auch Sprachsteuerung funktionierte nicht. Ich lachte ungläubig auf. Ich war eingesperrt. Schon wieder. Die Zelle mochte diesmal bedeutend größer sein, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass ich hier nicht wegkam.

Es sei denn ... Mit grimmiger Entschlossenheit, einen Weg herauszufinden, betrat ich den ersten Korridor auf der linken Seite. Wo es Aufzüge gab, musste es doch auch Treppen geben, einen Notausgang für den Fall eines Brandes oder Stromausfalls. Ich lief an verschlossenen Türen vorbei, bis ich das Ende des Korridors erreicht hatte. Da war keine Treppe, nada, nichts. Probehalber versuchte ich, die letzten beiden Türen zu öffnen. Sie waren verschlossen. Kein Problem, ich konnte noch in zwei weiteren Korridoren mein Glück versuchen.

Erst als ich auch den letzten Korridor erkunden hatte, musste ich mir eingestehen, dass der Orden wohl nicht viel von Brandschutz und Fluchtwegen hielt.

Mein leerer Magen knurrte laut und drängend und meine Laune erreichte einen neuen Tiefpunkt. Mir blieb nichts anderes übrig, als zurück in meine Unterkunft zu gehen und darauf zu warten, von jemandem vermisst und abgeholt zu werden. Der Umstand, dass das bisher nicht geschehen war, stimmte mich nicht gerade optimistisch.

Lustlos trottete ich zurück und hatte knapp die Hälfte des Korridors zurückgelegt, als ich ein rhythmisches dumpfes Klopfen hörte. Ich legte den Kopf schief und lauschte. Da war es schon wieder: Pok-Pok-Pok. Sobald man darauf achtete, war es gar nicht so regelmäßig, wie es den Anschein erweckt hatte. Also war es nichts Mechanisches. Irgendjemand war hier. Jemand, der mir im besten Fall mit den Scheißfahrstühlen helfen konnte.

Ich ging die Türreihen ab, folgte dem mit jedem Schritt lauter werdenden Geräusch und ging wieder rückwärts, als es leise wurde. Als ich mir sicher war, vor der richtigen Tür zu stehen, drehte ich vorsichtig den Türknauf. Mit einem kaum hörbaren Klicken öffnete sie sich.

Eine aromatische Wolke aus kalten Zigarettenrauch, Grasgeruch und einer feinen Note abgestandenen Biers wallte mir entgegen.

Zusammen mit meinen Augenbrauen wanderten meine Mundwinkel immer weiter nach oben. Ich hatte vieles erwartet, aber nicht den Anblick eines chaotischen Durcheinanders einer durchzechten Nacht.

Auf einem blanken runden Holztisch reihten sich Bier- und Schnapsflaschen neben überquellenden Aschenbechern, welligen Spielkarten, einem Haufen Patronen sowie einer vergessenen Glock. Ein halbes Dutzend nicht zueinander passende Stühle standen kreuz und quer um den Tisch herum. Von einer der Lehnen baumelte ein knallroter BH. Keine Frage, hier hatte jemand gewaltigen Spaß gehabt.

Der hintere Teil des Raums wurde von einem riesigen Flachbildfernseher dominiert, unter ihm ein heilloses Durcheinander aus Kabeln, Spielekonsolen und Controllern. Neben dem Fernseher hatte jemand das Bild eines kleinen fetten Babyengels in Windeln geheftet. Dartpfeile steckten in seinem rosigen Speckkörper. Bunte Sitzsäcke und eine schwarze Ledercouch direkt vor dem Fernseher vervollkommneten den äußerst sympathischen Charme der Räumlichkeit.

Das klopfende Geräusch, das mich hergelockt hatte, stammte von einem roten Gummiball, der kraftvoll hinter der Couchlehne hervorschnellte, gegen die Zimmerdecke schlug und wieder zurückschoss, ehe er erneut geworfen wurde. Schwarze Stiefel, wie ich sie selbst trug, ragten über den Rand der Couch hinaus und wippten einen schnellen Takt. Dort lag jemand und vertrieb sich die Zeit damit, den Gummiball gegen die Decke zu werfen.

Ich straffte die Schultern, trat ein und auf die Couch zu. Es gelang mir gerade noch, einen Blick auf die darauf lang ausgestreckte Frau in schwarzer Uniform zu werfen und die riesigen, pinken Kopfhörer auf ihren Ohren zu registrieren, ehe sie sich in einen dunklen Schatten verwandelte, etwas meine Stirn mit der Wucht eines Hammers traf und ich der Länge nach auf dem Rücken aufschlug.

Wer hätte gedacht, dass man blitzende Sterne sah, wenn einem eine Kugel im Hirn steckte? Sah irgendwie ganz hübsch aus, so schön funkelnd und tanzend, verstreut im ewigen Kosmos ... Und da war ja auch das Antlitz des Todes, mit kurzen dunklen Haaren und besorgt wirkenden Augen. Nett, dass er sich Gedanken um mich machte. Oder eher sie. Die Tod. Klang irgendwie falsch, aber wer war ich schon, darüber zu urteilen? Die Tod hatte auf jeden Fall einen guten Musikgeschmack. Aus den pinken Kopfhörern um ihren Hals drang ein düsterer Bass und bis aufs Äußerste verzerrte E-Gitarrenriffs, die den trägen Gesang einer Frauenstimme begleiteten.

»Ti mahhu?«, fuhr die Tod mich an. Ihr Gesicht näherte sich meinem. Finger griffen nach meinen linken Augenlidern und zogen sie auseinander. »Ti isi?«, fragte die Tod, nun etwas freundlicher. Die Sterne flackerten und tänzelten feige an den Rand meines Sichtfeldes.

Ich stöhnte auf. Natürlich sprach die Tod das verfickte Kauderwelsch der Nephilim, was auch sonst?

Die Tod ließ mein Auge in Ruhe, legte den Kopf schief und musterte mich. Dann entfuhr ihr ein inbrünstiges »Oh Shit!«

Endlich hatte die Tod eine Sprache gefunden, die ich verstand.

»Aua«, antwortete ich gepresst. Sollte der Tod nicht schmerzfrei sein? Also der Zustand Tod, nicht die Tod als Personifikation. Ach Scheiße, von dieser Metaphysik bekam ich nur noch stärkere Kopfschmerzen.

Die Tod sah plötzlich nicht mehr ganz so finster aus. Eher zerknirscht. Nett von ihr. Irgendwie menschlich. »Du bist die neue Rekrutin.« Die Tod griff nach meinen Händen und zog mich in eine sitzende Position. Für einige Sekunden senkte sich der schwarze Vorhang des Universums, dann nahm mein Gehirn seine Arbeit wieder auf. Die Tod hockte neben mir und wirkte plötzlich ... nun, wirklicher. Wie aus Fleisch und Blut. Verstörend lebendig. Sie lächelte mich entschuldigend an. »Regel Nummer eins, Rookie: Niemals an einen Soldaten heranschleichen, es sei denn, du bist lebensmüde.«

Die Bässe aus den pinken Kopfhörern waren laut genug, um das Klingeln in meinen Ohren zu übertönen. »Und wie genau hätte ich mich bemerkbar machen sollen?«

Die Tod sah an sich herab. »Auch wieder wahr.« Die Musik verstummte.

Allmählich begriff ich, dass ich noch am Leben war und die Frau neben mir nicht der Schnitter, sondern die Naphil war, die es sich auf der Couch gemütlich gemacht hatte.

»Ich bin nicht tot«, stellte ich fest. Nicht gerade euphorisch, aber immerhin auch nicht frustriert.

Die Soldatin spitzte die Lippen. »Nein. So schnell stirbt man nicht an einem Gummiball.« Ihre Finger tauchten verschwommen vor mir auf und berührten einen sehr, sehr schmerzhaften Punkt auf meiner Stirn.

Ich zuckte zurück. »Aua!«

»Geht's oder brauchst du einen Heiler?«

Woher sollte ich wissen, welch irreparablen Schäden ihr verfluchtes Geschoss bei mir angerichtet hatte? Ein fucking Gummiball, keine Kugel. »Warum zum Teufel habt ihr Halbgötter die Tendenz, erst zuzuschlagen und dann Fragen zu stellen?«

Die Soldatin lachte leise. »Reiner Überlebensinstinkt, Rookie. Das wirst du auch noch lernen, vertrau mir.« Beherzt packte sie mich unter den Achseln und stellte mich auf meine schwankenden Füße. »Auch wenn du ziemlich ... schwächlich wirkst. Äußerst schwächlich. Hast du irgendeine Krankheit oder so?«

»Ich bin wahnsinnig«, erwiderte ich wahrheitsgetreu, von wegen erster authentischer Eindruck und so. »Außerdem fügen Halbgötter mir mit einer Regelmäßigkeit Schmerzen zu, die beinahe pathologisch ist.« Ich rieb mir die Stirn und ertastete dabei die Erhebung einer Beule genau in ihrer Mitte. Volltreffer. Wäre ich Teil eines Schießstandes auf einem Jahrmarkt, wäre die Soldatin mit einem riesigen Bären als Preis nach Hause gegangen. »Keine Ahnung, ob das als Krankheit zählt. Fühlt sich jedenfalls krank an.«

»Sorry.« Die Soldatin erhob sich mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung, bei der sämtliche verkürzten Sehnen in meinem Körper schrien. »Ich dachte, du wärst jemand von der Siebten. Die Wichser können einem ganz schön auf die Nerven gehen.« Sie streckte mir die Hand entgegen. »Ich kenne dich nicht, aber ich nehme an, du hast ein freundlicheres Willkommen verdient als einen Gummiball an deinem Kopf. Ich bin Leokadia, kurz Kadi, Staffelführerin der Neunten und wie es aussieht, vorerst für dich zuständig.«

Ich zögerte nur kurz, dann ergriff ich ihre Hand und schüttelte sie zurückhaltend. »Marika, auf Spitznamen stehe ich nicht sonderlich und ich bin froh, dass es ein Gummiball war und keine Kugel.«

Kadis Lächeln wurde breiter. Spielerisch warf sie den roten Gummiball in die Luft und fing ihn wieder auf. »Dann willkommen in der Neunten, Rookie. Wir merken uns nie die Namen der Neuen, dafür bleiben sie nicht lang genug, also gewöhn dich besser an den Spitznamen.«

»Und wenn nicht bewirfst du mich wieder mit dem Gummiball?« Oder tat Schlimmeres. Was man eben mit den Neuen so anstellte. Ich hätte eine lange, lange Liste aus meinem ganz persönlichen Erfahrungsrepertoire anlegen können.

Erneut warf sie den Ball in die Luft und steckte ihn dann in ihre Hosentasche. Ihr Lächeln verschwand. »Abwarten, Rookie. Am Ende hängt es ganz von dir ab, wie die Neunte dich behandelt.«

»Klar.« Ich widerstand dem Drang, mir erneut die Stirn zu reiben, und deutete stattdessen mit dem Kinn auf den Tisch neben mir, den ich bei meinem Sturz nur haarscharf verfehlt haben musste. »Meine Einstandsparty habe ich wohl verpasst?«

Kadi räusperte sich, schlenderte zum Tisch, griff wie nebenbei nach der Glock und schob sie sich in den Hosenbund. »Wir haben letzte Nacht vielleicht ein oder zwei Mal darauf angestoßen, dass der Primus begnadigt wurde«, sagte sie leichthin. »Nichts Wildes. Alles ganz harmlos.« Sie sog die Unterlippe ein. »Wäre echt nett, wenn du darüber außerhalb unserer Kaserne kein Wort verlierst.« Ich sah hinab auf den Aschenbecher, in dem ein halb gerauchter Blunt lag. Kadis und mein Blick trafen sich. »Und davon erzählst du bitte erst recht nichts, ja?«

»Warum sollte ich?«, fragte ich zurück.

Kadis Finger fuhren die klebrigen Umrisse eines Shotglases nach. »Du warst gestern mit Aylar Ulusoy unterwegs.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Das hat nichts zu bedeuten. Wir sind keine BFFs mehr. Waren einfach nicht auf einer Wellenlänge. Die Todesstrafe für Elion ist also vom Tisch?«, wechselte ich das Thema und ärgerte mich, ausgerechnet dieses gewählt zu haben. Das Wetter wäre trotz des Ascheregens unverfänglicher gewesen.

»Das Tribunal hat fünf zu eins gegen seine Exekution gestimmt.« Die grünen Bierflaschen klirrten aneinander, als Kadi vier auf einmal von ihnen zwischen ihre Finger klemmte. »Damit ist uns Sullivan als Primus erspart geblieben.« Ihr Blick schweifte über mein zerschlagenes Gesicht. »Ich glaube, du verstehst, dass wir deshalb allen Grund zum Feiern hatten.« Sie ging zu einem Schrank in der hintersten Ecke des Raums, in dem sich ein beeindruckend ausbalancierter Berg Flaschen verbarg. Vorsichtig legte Kadi die Flaschen in ihrer Hand oben drauf, sog scharf die Luft ein und hob beschwörend die Hände, als eine der Flaschen zur Seite rutschte. Nach wenigen Millimetern stoppte die Flasche. Der Berg hielt. »Geht doch.«

Ich zog einen Stuhl zu mir heran, setzte mich und überschlug die Beine. »Ein Mitglied des Tribunals hat für Elions Tod gestimmt?«

»Hammubion«, bestätigte Kadi. »Der Drecksack hat sich bestimmt schon ausgemalt, den Kopf des Primus auf einem Silbertablett in seinem schicken Büro auszustellen und sich darauf einen runterzuholen, während Sullivan für Zucht und Ordnung oder vielmehr Angst und Schrecken unter den Thetas gesorgt hätte.«

Bei der Vorstellung verzog ich angewidert das Gesicht. Das Bild von Hammubion zusammen mit Elions abgeschlagenen Kopf würde ich wohl eine ganze Weile nicht vergessen.

»Nicht, dass Sullivan und sein Pack das nicht auch ohne uneingeschränkte Machtbefugnisse schaffen würden.« Nach und nach sortierte Kadi die Bier- und Schnapsflaschen in den Schrank ein, der eindeutig nicht erst seit heute als Altglascontainer herhalten musste. »Dass du dich von ihm und seinesgleichen fernhalten solltest, muss ich dir ja wohl kaum erklären.«

»Nein«, sagte ich leise, »ich durfte bereits Bekanntschaft mit ihm machen.«

»Ich weiß. Ich habe den Bericht gelesen. Den ganzen.« Der Flaschenberg erzitterte. Rasch schlug Kadi die Schranktür zu, ehe er sich als Lawine auf den Boden verteilen konnte. »Eine schöne Scheiße habt ihr da abgezogen: Halb Berlin ist Ground Zero, der alte Primus sowie fünf Thetas tot und ...« Kadi griff sich ebenfalls einen Stuhl, wirbelte ihn zu sich herum und setzte sich rittlings drauf. »Stimmt es wirklich, dass der Primus fünf Idrin vom Himmel geholt hat?«

»Viereinhalb«, korrigierte ich sie und beschloss, mich auf die Unterhaltung einzulassen. Es war ja nicht so, als hätte ich sonst etwas zu tun gehabt. »Der ersten Zombiegöttin hat Elion zwar das Gesicht zu Brei zerschossen, aber das hinderte das Miststück nicht daran, weiterhin Jagd auf uns zu machen. Simon hat sie am Ende mit einer Granate in die Luft gejagt. Oder das, was von ihr übrig geblieben war.«

»Zombiegöttin. Ich mag den Begriff.« Kadi grinste und legte die Unterarme auf die Rückenlehne. »Klingt, als hättet ihr da draußen eine Menge Spaß gehabt, ehe die Kacke richtig anfing zu dampfen.«

Meine Finger verkrampften sich im festen Hosenstoff. »Spaß würde ich das nicht nennen. Arved starb, als die Stadt hochging. Und mit ihm jede Menge Menschen.«

Sofort senkte Kadi den Blick, ihr Grinsen verblasste schlagartig. »Fuck. Da hast du recht. Entschuldige bitte. Es fällt leichter, wenn man nicht an die Gefallenen denkt. Das bedeutet aber nicht, dass sie bedeutungslos sind.«

Vor Verblüffung wäre ich beinahe vom Stuhl gefallen. »Hast du dich gerade bei mir entschuldigt?«

»Habe ich.« Kadi zupfte sich einen Fussel vom Ärmel. »Und weil du mich anguckst, als sei ich ein wunderschönes seltenes Einhorn, hast du so etwas wohl noch nicht so häufig aus dem Mund eines Naphils gehört.«

Nachdenklich rieb ich mir über die Oberschenkel. »Salma hat sich bei mir mal entschuldigt. Aber im Grunde hat sie sich ständig bei allen und jedem entschuldigt.«

Kadis linke Augenbraue zuckte. Eine hauchdünne Narbe teilte sie knapp in zwei Hälften. »Miss Silence persönlich hat mit dir gesprochen?«

»Natürlich hat sie das. Ziemlich häufig sogar«, erwiderte ich verdutzt. »Wir waren ja auch ...« Ich nahm meine Finger zur Hilfe und dachte angestrengt nach, »drei Tage zusammen unterwegs. Da spricht man halt miteinander.«

»Beeindruckend.« Kadi wippte mit dem Stuhl nach vorne, griff blitzschnell nach dem Blunt im Aschenbecher und ließ den Stuhl dann wieder nach hinten krachen. »Lektion Nummer zwei für heute, Rookie: Lass deinen guten Draht zur Prinzengarde lieber unerwähnt, solange du bei der Neunten untergebracht bist. Es sei denn du willst gemieden werden wie eine Pestkranke.«

Ich beobachtete Kadi dabei, wie sie ein goldenes Zippo aus ihrer Hosentasche fischte und mit einer beinahe schon zärtlichen Geste den Blunt anzündete. »Warum? Und was ist die Prinzengarde?«

Die Staffelführerin blies die kleine Flamme an der Sitze der Spezialzigarette aus und sah auf. »Du musst wirklich noch eine Menge lernen, Rookie. Die Prinzengarde sind die Thetas der Führungsstaffel. Theta-1 bis Theta-99: Arrogante Wichser, allesamt.«

Kurz war ich versucht, ihr zu widersprechen. Salma war alles andere als arrogant. Eher so unsicher und schüchtern wie ein frisch aus dem Nest gefallener Babyvogel. Was allerdings die anderen anbelangte ... Meine Mundwinkel zuckten. »Auf einen dieser Wichser habt ihr in der letzten Nacht immerhin angestoßen.«

»Er ist aber auch der einzige Wichser aus der Prinzengarde, der es wenigstens im Ansatz wert ist, gefeiert zu werden«, entgegnete Kadi augenrollend. »Jedenfalls nennt man die Teams ein bis neunundneunzig Prinzengarde, weil sie vor ungefähr einer Million Jahre oder so irgendeinen vorsintflutlichen Prinzen und seine Prinzessin beschützt haben. Darauf bildet sie sich bis heute zu viel ein, und ich könnte im Strahl kotzen, weil ich es zugebe: auch noch zu Recht. Ihre Gaben sind die am stärksten ausgeprägtesten unter den Thetas, ebenso wie ihre aufgeblasenen Egos. Gehört man nicht zu ihnen, macht man besser einen weiten Bogen um sie, wenn man einen Tritt in den Arsch vermeiden will. Das gilt übrigens auch für die Staffeln bis zur Sechsten, auch wenn es in dem ein oder anderen Team Leute gibt, die ganz in Ordnung sind. Aber am Ende halten sie sich alle für etwas Besseres.« Sie zog an dem Blunt, hielt kurz die Luft an und stieß weißen Rauch aus. »Du wirst verstehen, was ich meine, sobald du einer dieser Staffeln angehörst, was mit Sicherheit passieren wird, bedenkt man die beeindruckende Show, die du im Ekur abgezogen hast.«

Meine Lippen wurden schmal. Also wusste sie es. »Du warst dabei?«

»Natürlich. Ich mag der Versagerstaffel angehören, aber ich bin immer noch Staffelführerin und bekleide den Rang einer Offizierin. Auch wenn das außerhalb dieser Kaserne nichts zu bedeuten hat, reicht es aus, um bei wichtigen Angelegenheiten des Ordens auf der exklusiven Gästeliste zu stehen.« Sie kippelte erneut nach vorne und hielt mir den glühenden Blunt entgegen. »Willst du auch? Nach all der Scheiße hast du etwas Entspannung verdient, oder?«

Es war verlockend, doch ich schüttelte den Kopf. In der Höhle des Löwen blieb man lieber bei klarem Verstand, erst recht, wenn dieser so zerrüttet war wie meiner. Inklusive meines Zeitgefühls, aber dafür konnte ich in diesen fensterlosen Bunker nun wirklich nichts. »Wie spät ist es?«

Kadi schob den Ärmel ihres Hemdes zurück und sah auf die schwarze Armbanduhr an ihrem Handgelenk, »Kurz vor Elf Uhr Vormittags. Spielt das eine Rolle?«

Jap, ich hatte so was von verschlafen. »Ich dachte, ich müsste um Null Sechshundert Spalier stehen.« Es sei denn, Aylar hatte mich verarscht. Warum auch immer.

Behutsam streifte Kadi die glühende Spitze des Blunts am kristallenen Aschenbecherrand ab. »Dachte ich auch. Aber dein Einsatzbefehl hat sich irgendwann zwischen vier und fünf Uhr morgens geändert, so genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Appell, Training, Frühstück, Unterricht – sämtliche für dich vorgesehenen Termine wurden kurz vor Dienstantritt bis vierzehn Uhr ersatzlos gestrichen. Ich dachte also, ich lass dich ausschlafen.« Mit einer Unschuldsmiene legte Kadi den erloschenen Blunt für später beiseite. »Um ehrlich zu sein, hatte ich absolut nichts dagegen, nach dem Appell ebenfalls noch mal die Beine hochzulegen. Ich hätte dich natürlich rechtzeitig geweckt«, fügte sie hinzu. »Aber als ich das letzte Mal vor deiner Tür stand, hörte ich dein Schnarchen bis nach draußen und stellte mich darauf ein, dich mit einem Eimer kalten Wassers zu wecken.«

Ich zuckte zusammen.

»Sorry«, murmelte Kadi und kratzte sich am Kopf. »Das war jetzt etwas unsensibel, richtig?«

Ich straffte die Schultern und setzte eine möglichst gelassene Maske auf. Einer vagen und doch grollenden Ahnung folgend sagte ich: »Kein Ding. Die Sache mit dem Wasser ist mein Problem, nicht deins. Du sagtest, mein persönlicher Terminkalender sei spontan geändert worden. Weißt du von wem?«

»Nein.« Kadi streckte sich, stand auf und ging zur Couch. »Aber das kann ich herausfinden, wenn ich damit mein gedankenloses Herumtrampeln auf deinen Traumata wiedergutmachen kann.«

Sie hatte im Ekur alles mitangehört. Sie wusste, wer und was ich war. Und trotzdem behandelte Kadi mich nicht wie ein Monster. Oder eine Irre. Noch nicht. Ich zwang mich zu einem angespannten Lächeln. »Würde es.«

Sie holte ein Tablet hervor und tippte einige Male darauf herum, während sie zu mir ging, sich neben mich hockte und das Tablet so hielt, dass ich einen Blick darauf werfen konnte.

Schwarze Krähenfüße auf weißem Grund reihten sich dicht an dich. Hinter jeder Zeile stand eine Uhrzeit in arabischen Ziffern: 06:00, 06:15, 07:45, 10:00, 11:30. Schien so, als hätte mich mein tiefer Schlaf einen straffen Zeitplan verpassen lassen – wäre nicht jede Zeile rot durchgestrichen gewesen. Erst die Zeilen weiter unten, beginnend mit dem Hinweis 14:00, waren von den Streichungen ausgenommen. Die letzte Zeile war mit 21:00 markiert.

»Das ist dein Einsatzplan«, erklärte Kadi und deutete auf ein paar Schriftzeichen über den Zeilen, die vermutlich für meinen Namen standen. »Erteilt vom Ältesten Hieronymus persönlich.« Sie wischte nach rechts. Noch mehr Krähenfüße erschienen, versehen mit einer weiteren Uhrzeit: 04:42. »Um die Zeit wurde der Plan geändert, und zwar von ...« Erneut wichte sie nach rechts. Und stieß einen überraschten Piff aus.

Ich beugte mich über das Tablet.

Θ – 1 – α

Es dauerte einen Augenblick, bis ich das erste Zeichen, einen Kreis mit einem waagerechten Strich in der Mitte, erkannte. Theta-1-Alpha. Elions Kennung.

Dieses verdammte, übergriffige Arschloch hatte sich tatsächlich angemaßt, mir den Tagesablauf zu diktieren.

»Will ich wissen, was du gemacht hast, damit dir der Primus einen halben freien Tag schenkt?« Kadi zwinkerte mir anzüglich zu. »Wenn ja, will ich alle schmutzigen Details hören.« Ihr Gesicht wurde eine Spur zu ernst und ihre Stimme schlug eine Oktave tiefer an. »Wirklich jedes, Rookie. Das ist quasi ein Befehl.«

»Es gibt keine schmutzigen Details«, erwiderte ich grimmig. »Der Oberwichser eurer sogenannten Prinzengarde wollte lediglich sein schlechtes Gewissen beruhigen, das ist alles.« Ich fuhr mir mit beiden Händen übers Gesicht. Zu spät erinnerte ich mich an die beschissene Samadu und verpasste mir unfreiwillig ein unsanftes Peeling für meine linke Gesichtshälfte. »Scheißding«, fluchte ich wütend, rückte mit einem Schwung, den man auch als passiv aggressiv hätte beschreiben können, den Stuhl zurück und stand entschlossen auf. »Und ich scheiß auf eine Sonderbehandlung. Was von meinem Einsatzplan habe ich bisher verpasst?« Wenn Elion glaubte, auf die Weise irgendetwas wieder gutmachen zu wollen, kannte er mich trotz der verfluchten Akte über mich erstaunlich schlecht. Und ich würde den Teufel tun und die gnädigen Brotkrumen aufsammeln, die er mir ungefragt vor die Füße geworfen hatte.

Wenn meine Reaktion Kadi überraschte, ließ sie es sich nicht anmerken. Stattdessen erhob sie sich ebenfalls und legte das Tablet auf den Tisch. »Naja, im Grunde alles. Aber du erweckst den aufrührerischen Eindruck, als würdest du auf die Anweisungen unseres Primus einen Scheißdreck gegen.« Zwei verschwörerische Grübchen auf beiden Seiten ihrer vollen Lippen erschienen. »Ich meine natürlich, du erweckst den löblichen Eindruck, als könntest du es kaum erwarten, ein vorbildlicher Rookie zu sein und dein Pensum zu absolvieren, habe ich recht?«

Ich legte nachdenklich den Kopf schief und beschloss, trotz meiner Zweifel Kadi zumindest eine Chance zu geben. Wir verstanden uns besser, als ich es für möglich gehalten hatte. Vielleicht würde meine Zeit hier doch nicht so schrecklich werden, wie die Erfahrung mich gelehrt hatte.

Ich salutierte mit einer nachlässigen Handbewegung gegen meine pochende Stirn. »Vollkommen recht, Staffelführerin. Leutnant Ulusoy hat mir unmissverständlich, lang und unnötig breit erklärt, wie wichtig es sei, sich in dieser Staffel einzufügen. Eine Sonderbehandlung kommt also nicht infrage.«

»Ausgezeichnete Einstellung, Rookie. Du wirst wunderbar in unsere Versagerstaffel passen.« Kadi schlug mir kameradschaftlich auf die Schulter. »Ich wünschte nur, die Idee wäre dir gekommen, bevor ich einen durchgezogen habe.« Sie nahm ihre Kopfhörer ab und warf sie schwungvoll in Richtung Couch. »Ich brauche echt dringend einen starken Kaffee und du etwas im Magen, ehe ich dich schinde und knechte, bis du um Gnade flehst, Rookie.«

»Zu Befehl«, erwiderte ich überzogen gehorsam, obwohl ihre Drohung etwas zu ernstgemeint klang. Aber schinden und knechten war meinem angeschlagenen Stolz definitiv lieber, als mir von Elions Gnaden den Arsch breit zu sitzen. Sollte er doch mit seinem schlechten Gewissen alleine klarkommen - ich jedenfalls würde ihm dafür nicht zur Verfügung stehen.

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