
19. Kapitel: Kalt erwischt
»Was wählst du, Marika? Das Angebot, oder die Drohung?«, äffte ich Elion nach. »Für wen hält der Typ sich? Don Corleone?« Ich konnte Elion nicht ausstehen. Wirklich nicht. Egal, worum es ging, alles wurde durch ihn zu einem kaum verhohlenen Zwang, der in mir das dringende Bedürfnis weckte, ihm kräftig gegen sein Schienbein zu treten und schleunigst das Weite zu suchen. Was ich auch getan hätte, wenn in der Weite keine Zombiegötter gelauert hätten und ich herausfinden wollte, was zur Hölle mit mir nicht stimmte. Ich hatte mir die Pest eingefangen und Cholera als Bonus oben drauf bekommen.
»Er hat es bestimmt nicht so gemeint«, antwortete Salma, die hinter dem vergilbten Duschvorhang darauf wartete, ob ich zu Asche zerfallen würde, sobald ich das Wasser aufdrehte.
»Oh doch, er hat es genau so gemeint«, zischte ich und dachte an das herausfordernde Funkeln in seinen grünen Augen. »Mit Sicherheit steht er jetzt vor der Tür und wartet nur auf eine Gelegenheit, um hier hereinzustürmen und mich niederzuballern.«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Salma zaghaft. »Ich bin ja hier, um aufzupassen.«
Ich schnaubte. »Als würde das Mr. Kontrollfreak reichen.« Mittlerweile zitterte ich am ganzen Körper. Es war kalt im Badezimmer und ich stand seit guten fünf Minuten in der grün gekachelten Duschkabine, ohne nur einen Tropfen Wasser abbekommen zu haben. Aber das war nicht der einzige Grund: Ich hatte nicht nur eine Scheißwut auf Elion, sondern auch eine Scheißangst vor dem, was mich erwartete, falls Elion mit seinen Vermutungen recht hatte. In meiner Vorstellung spielten sich Szenen mit mir in der Hauptrolle ab, die denen aus Vampirfilmen verdächtig ähnelten: Das blutrünstige Monstrum trat unbedacht ins Sonnenlicht und ging augenblicklich in Flammen auf. Nur dass ich nicht durch das Licht eines überdimensionalen Feuerballs, sondern ironischerweise durch Wasser verbrennen würde. Meine Wut wurde nicht nur durch Elion in persona sowie die Absurdität meiner Situation angestachelt, sondern zusätzlich durch meine eigene Dummheit und Ignoranz. Elion hatte mich gefragt, ob ich nicht wissen wolle, wie die Samadu funktionierte. Ich hatte abgelehnt, weil ich davon überzeugt gewesen war, dass Elion und Simon sich irrten und ich so unschuldig war, wie ich es mir selbst einzureden versuchte. Und nun stand ich hier, splitterfasernackt und zitternd wie Espenlaub und wägte ab, wie lange ich meinen eigenen Gestank wohl ertragen konnte, ehe eine Dusche unausweichlich wurde. Das sprach nicht unbedingt für Vertrauen in mich selbst.
»Alles ok bei dir?«, fragte Salma besorgt. »Brauchst du Hilfe?«
Mir ist nicht mehr zu helfen, dachte ich bitter. Dann sagte ich laut: »Bei drei stelle ich das Wasser an. Bist du bereit?«
»Ich stehe direkt hinter dem Vorhang«, versicherte mir Salma. »Ich ziehe dich sofort raus, falls etwas schiefläuft.«
»Na dann.« Ich atmete tief durch. »Eins.« Griff mit nach dem Porzelanknauf mit dem roten Punkt in der Mitte. »Zwei.« Kniff die Augen zusammen. »Drei.« Und drehte den Knauf nach rechts.
Ich konnte nicht einmal schreien, so unmittelbar setzte der Schock ein. Stattdessen schnappte ich japsend nach Luft, tastete panisch nach dem Porzellanknauf und schaffte es unter Aufbietung all meiner Willenskraft, ihn wieder zuzudrehen.
Der Duschvorhang wurde raschelnd zurückgerissen und Salma stand schon halb in der Dusche, ehe sie erkannte, dass ich keineswegs brannte.
»Kalt«, hauchte ich bibbernd und am ganzen Körper schlotternd. Es war mir egal, dass Salma mich nackt sah. Momentan hatte ich ganz andere Probleme. »Das Wasser ist arschkalt.«
Hastig trat Salma zurück und zog den Duschvorhang wieder zurecht. »Entschuldige«, stammelte sie verlegen, »ich dachte, Elion hätte dich vorgewarnt. Im gesamten Haus gibt es nur Kaltwasser.«
»Hat er nicht.« Meine Zähne schlugen unkontrolliert aufeinander. »Mit keinem einzigen Wort.« Dieses verfluchte Arschgesicht hatte es eindeutig darauf abgesehen, mir das Leben zur Hölle zu machen.
Ich brauchte zwei Versuche, um die Seife mit meinen erstarrten Fingern zu greifen. Wo ich schon mal nass war und nicht in Flammen stand, würde ich es auch durchziehen, obwohl mir davor graute, den Schaum zusammen mit dem ganzen Dreck gründlich abzuwaschen. »So viel zum Thema, er hätte es nicht so gemeint. Er will mich leiden sehen.« Mein Atem ging stoßweise, so als fürchteten meine Lungen, durch die kalte Luft zu Eis zu gefrieren.
»Sobald wir unten sind, koche ich dir eine große Tasse Kakao, dann wird dir schnell wieder warm«, versprach Salma.
»Oh, bitte ja.« Ich schrubbte meine Kopfhaut, bis sie kribbelte. »Brühend heiß, damit ich ihn Elion ins Gesicht kippen kann und er es unmissverständlich als Statement versteht.«
»Oder ich hole einfach ein paar Decken für dich«, schlug Salma eilig vor. »Den Kakao gibt es, wenn du nicht mehr so sauer bist.«
»Auch gut. Dann werde ich ihn eben mit den Decken erwürgen. Und ersticken. Beides gleichzeitig. Du weißt schon: Wegen des unmissverständlichen Statements.«
Das größte Problem waren die Fingernägel. Mit einer kleinen Bürste versuchte ich, die schwarzen Ränder zu entfernen, und als ich endlich zufrieden war, brannten meine roten Finger trotz der klirrenden Kälte. Ich hatte erwartet, dass das eisige Wasser erträglicher sein würde, nun da ich wusste, was mich erwartete.
Ich hatte mich getäuscht.
Laute ausstoßend wie die eines aufgeregten Hundes mit Schnappatmung, zwang ich mich, dem Wasserstrahl nicht auszuweichen, bis die letzten Schaumblasen im Abfluss verschwunden waren.
Salma reichte mir am Vorhang vorbei ein muffiges Handtuch. Halb erfroren wickelte ich es mir um und verbrachte dann mehrere Minuten in bibbernder Schockstarre, bis ich endlich einsah, dass das Handtuch mich nicht wärmen würde und aus der Dusche tappte.
Salma saß auf dem Rand einer Wanne, in der bequem drei Leute Platz fanden, und lächelte mich aufmunternd an. »Du hast es überstanden.«
»Du meinst, ich lebe noch«, entgegnete ich mit klappernden Zähnen. Dann schluckte ich meinen Sarkasmus hinunter. Salma hatte mir nichts Böses getan und es nicht verdient, meine schlechte Laune abzubekommen. »Danke, dass du auf mich aufgepasst hast.«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Sehr gerne, Marika. Ich habe ein paar Sachen für dich rausgesucht.« Sie deutete auf einen Stapel Kleidung, den sie auf dem Toilettensitz drapiert hatte, und auf dem zu meiner freudigen Überraschung eine eingeschweißte Zahnbürste lag. »Sie werden dir gewiss zu groß sein, aber ich fürchte, dein Kleid ist ruiniert.« Sie hob den Fetzen Stoff auf, der einst ein Kleid gewesen war, und den ich achtlos abgestreift und auf dem Boden hatte liegen lassen. Mein Respekt vor Salma wuchs, als sie trotz des erbärmlichen Gestanks, der von dem Kleid ausging, keine Miene verzog. »Wenn du meine Hilfe nicht brauchst, würde ich zurück in die Küche gehen und versuchen, ein paar Eierkuchen für dich zu retten, bevor sie alle in Simos Magen landen.«
»Das ist ein Running Gag zwischen euch, oder?«, fragte ich. »Ich meine, Simon kann doch unmöglich so viele Eierkuchen essen.«
»Oh doch. Nephilim haben einen weitaus höheren Energiebedarf als Menschen. Es kann durchaus eine Herausforderung sein, ihn zu decken, vor allem, wenn man wie wir momentan mit den Vorräten haushalten muss.«
Ich dachte an meinen alles andere als straffen Bauch, in dem sich jedes Stück Schokolade sofort einnistete, und fand mal wieder, wie verflucht ungerecht die Welt doch war. »Geh ruhig. So lange Elion nicht befürchtet, ich könnte beim Zähneputzen spontan in Flammen aufgehen, sollte ich hier alleine klar kommen.«
Unschlüssig fuhr Salma sich mit den Händen über die Oberschenkel. »Ich kann dir auch Gesellschaft leisten, wenn du nicht alleine sein möchtest.«
Ich schnappte mir die Zahnbürste und packte sie aus. »Mit dem Alleinsein habe ich kein Problem. Anders sieht es aus, wenn ich mit Simon um den letzten Eierkuchen kämpfen muss. Ich fürchte, ich müsste zu unfairen Mitteln greifen, um zu gewinnen: Ein Buch abfackeln oder so.«
Salma lachte auf und ging zur Tür. Sie fand mich offenbar witzig. Selten hatte mich eine Reaktion so sehr verunsichert.
Mich hatte noch nie jemand witzig gefunden. Verstörend, irre, unberechenbar, stur – aber nicht witzig. Es lag nahe, dass sie nur so tat als ob, weil sie in Wirklichkeit eine Heidenangst vor mir hatte und diese überspielen wollte.
»Dann bis gleich«, verabschiedete Salma sich und öffnete die Tür weit genug, um hindurch zu huschen. Ich stellte mir vor, wie Salmas Lächeln auf der anderen Seite der Tür schlagartig verblasste, sie tief durchatmete und so schnell wie möglich Abstand zwischen sich und mich brachte.
Ich konnte es ihr nicht mal verübeln.
Beim Zähneputzen beugte ich mich tief über das Waschbecken und mied den Blick in den runden Spiegel über mir. Erst als ich nach zähen Ringen zwischen mir, meinen heillos verknoteten Haaren und einem hölzernen Kamm kapitulieren musste, sah ich widerstrebend auf.
Mein erster Eindruck war Grau. Meine Haut war blassgrau, die Schatten unter meinen Augen dunkelgrau und die Iriden von einem glanzlosen Betongrau. Einzig auf meiner Stirn schimmerte es rötlich, dort, wo Elion mich mit dem Kolben seiner Waffe niedergeschlagen hatte.
»Du siehst scheiße aus«, erklärte ich meinem Spiegelbild schonungslos. Seltsam starr blickte es zurück. »Jetzt guck mich nicht so an. Für einen erholsamen Urlaub fehlt mir das Geld und außerdem geht gerade die Welt unter, also setz keine zu hohen Erwartungen in mich, ja?«
Mein Spiegelbild verzog spöttisch den Mund.
Erschrocken wich ich einen Schritt zurück und fuhr mit den Fingern über meine Lippen. Mein Spiegelbild tat es mir gleich. Natürlich tat es das. Es war mein Spiegelbild, was sollte es sonst tun? Was ich beobachtet hatte, war eine unbewusste Reaktion meines Körpers gewesen, und angespannt, wie ich war, hatte ich schlichtweg nicht bemerkt, wie sich meine Lippen gekräuselt hatten.
Ich trat wieder an das Waschbecken heran und musterte aufmerksam meine Gesichtszüge. Die ersten Anzeichen einer steilen Zornesfalte machten sich zwischen meinen dunklen Augenbrauen bemerkbar, denen eine Pinzette ganz gutgetan hätte. Der kleine Leberfleck auf meiner linken Wange wirkte dunkler als vor meiner Inhaftierung, aber nach dem Mangel an Sonnenlicht, den ich ein Jahr lang erfahren hatte, war das wohl nicht ungewöhnlich. Was ich sah, war ich, vertraut und ungewohnt zugleich.
Behutsam versuchte ich erneut, die Knoten aus meinem spröden Haar zu lösen. Dabei glitt mein Blick immer wieder auf meine blutleeren Lippen. Der unerwartete spöttische Zug kehrte nicht zurück.
Salma sollte recht behalten: Die Kleidung, die sie mir rausgesucht hatte – neben Unterwäsche ein dunkelblaues Shirt und eine schwarze Jogginghose – waren mir zwei Nummern zu groß und schlackerten formlos an mir herunter. Selbst die schwarzen Socken waren so lang, dass ich sie bis über meine Schienbeine ziehen musste, um nicht über sie zu stolpern.
Möchtegerngangster hatte Norbert jene unter seinen Jungs genannt, die diesen Stil tagein tagaus vollkommen unironisch trugen und nicht verstanden, warum ihr Boss sich deshalb über sie lustig machte.
Ich wusste, wie er mich nennen würde, sollte er mich in diesem Aufzug sehen: Möchtegernschlampe. Und dann würde er mir einen Finger nach dem anderen brechen, weil ich ihm immer noch verfickt viel Geld schuldete und es mir mit verdrehten Fingern schwerfallen würde, ihn erneut abzuziehen.
Diesmal erschreckte ich mich nicht vor meinem spöttischen Lächeln. Der schwitzige Zwischendealer würde sich verdammt weit hinten anstellen müssen, wenn er mir ans Leder wollte.
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