
1. Kapitel: Der Sternensaphir
Nervös fuhr sich Daniel Bowen über seinen verschwitzten Nacken, den Blick starr auf das Bier vor sich geheftet. Er hatte keine Ahnung, was zum Teufel er hier eigentlich tat, aber er wusste, es würde ihn mehr als Kopf und Kragen kosten, wenn er einen Fehler machte. Zum Beispiel seine unsterbliche Seele.
Die Nachricht war kurz gewesen, handschriftlich verfasst, auf gestärktem Büttenpapier. Kein Absender auf dem Briefumschlag, keine Briefmarke.
Fluchtafel, altsumerisch, Fundort: Ostküste Schwarzes Meer. Pub Pelletin Road/Griffin Street. 19 Uhr.
Büttenpapier, Herrgott nochmal!, dachte Bowen und trank hastig einen Schluck Bier, um seine angespannten Nerven zu beruhigen. Wie bei einer gottverdammten Geburtstagseinladung. Das Bier schwappte über, als seine zitternde Hand das schwere Glas auf den klebrigen Tisch stellte. Gedankenverloren wischte er sich die Finger an seiner blauen Weste ab.
Und wenn es ein Trick war? Eine Falle, um seine Integrität innerhalb des Ordens zu prüfen? Womöglich gar ein Putschversuch? Hatte sein junger und übereifriger Assistent Hatherfield nicht verdächtig gegrinst, als er in Bowens Büro kam, um ihm den geheimnisvollen Brief zu bringen? Hatherfield war ehrgeizig und die Posten im Schoße des Ordens rar ...
Bowen musterte argwöhnisch den einzigen weiteren Gast, der mit dem Rücken zu ihm am Tresen saß, den Kopf in die Hand gestützt. Schmutziggelbes Licht aus einem tiefhängenden Lampenschirm ergoss sich direkt auf das lockige blonde Haar, das dem Mann bis auf die breiten Schultern fiel, und umgab ihn mit einem vergilbten Heiligenschein.
Bowen blinzelte.
Der Heiligenschein verblasste zu einem schlichten Lichtkegel, in dem träge tanzende Staubpartikel davon zeugten, dass der Pub nicht nur eine Patina, sondern eine klebrige Schicht der Verwahrlosung angesetzt hatte. Hierher kam man nicht, um nach Feierabend die kreisenden Gedanken eines anstrengenden Arbeitstages zu ersaufen. Hierher kam man, um alleine zu sein.
In einer Ecke vor dem hohen Regal mit billigen Schnapsflaschen stand der Kellner, ein schlaksiger Kerl mit Nickelbrille und kursrasierten Haaren, und polierte mit einem enervierenden Quietschen dasselbe Glas, das er schon in der Hand gehalten hatte, als Bowen den Pub vor guten zehn Minuten betreten hatte.
Weder der Kellnern noch der Gast kamen Bowen bekannt vor, dennoch beschloss Bowen, beide im Auge zu behalten. Er durfte niemandem trauen. Nicht in diesen unsicheren Zeiten, in denen Mächte sich zu rühren begannen, von denen die meisten Mitglieder seines Ordens glaubten, sie wären in der ewigen Versenkung des Vergessens verschwunden.
Bowen trank einen weiteren Schluck und kehrte dem Mann seinen Rücken zu. Der Anblick der dumpfen Dunkelheit des fensterlosen Pubs war ihm lieber als der des blonden Lockenschopfs, der Bowen die Kälte auf seinem kahler werden Kopf und die Ungerechtigkeit der Gene ins Gedächtnis rief.
Er hatte seit Jahren davor gewarnt, dass der Frieden trügerisch war. Man hatte ihn dafür ausgelacht, verspottet, aufs Abstellgleis einer nicht vorhandenen Karriere geparkt. Doch wenn die Fluchtafel tatsächlich echt war, dann würde er es allen zeigen: Die Wahrheit, die gefährlicher war als alles, was die Welt seit fünftausend Jahren erlebt hatte.
Eigentlich hätte Bowen seine Vorgesetzten informieren müssen, aber die Gefahr, dass der geheimnisvolle Absender Wind davon bekam und nicht auftauchen würde, war zu groß. Ein solch ungewöhnlicher Fund war zu wertvoll. Wenn der Hehler auf den Gedanken kam, dass der Verkauf an einen privaten Sammler nicht nur lukrativer, sondern auch sicherer war, wäre die Fluchtafel nicht nur für die Wissenschaft verloren, sondern auch für seinen Orden. Wenn sie denn echt war.
Die Tür wurde schwungvoll aufgestoßen und Bowen zuckte vor Schreck zusammen. Zunächst sah er nicht mehr als einen großen aufgespannten roten Regenschirm, der so energisch trockengeschüttelt wurde, dass die Tropfen bis zu ihm spritzten.
Dann tauchte hinter dem Schirm eine junge, wunderschöne Frau auf. Ihr lockiges rotes Haar war nur lose hochgesteckt, einzelne Strähnen fielen auf ihren grünen Mantelkragen herab. Sie hatte tiefblaue Augen, die in dem schummrigen Kneipenlicht fast schwarz wirkten. Ihre roten Lippen formten ein breites Lächeln, als sie Bowen an seinem Tisch erblickte. Dennoch wirkte ihr Gesicht streng, beinahe herrisch.
Bowen schluckte schwer und ignorierte das verräterische Ziehen in seiner Lendengegend. Professionell bleiben, sagte er sich. Denk an das große Ganze ...
Die Frau klappte den Regenschirm zu, hängte ihn ihre Armbeuge und kam mit klappernden Absätzen auf ihn zu. »Dr. Bowen.« Sie nickte ihm freundlich zu und setzte sich, ohne eine Antwort abzuwarten. »Wie schön, dass Sie es einrichten konnten.«
»Ja ... ja. Ich ... also der Brief ...« Bowen merkte, dass er stammelte, und schluckte erneut, in der Hoffnung, dass seine Zunge dadurch wieder im gleichen Tempo arbeitete wie sein Gehirn. »Und Sie sind?«, kam es kläglich aus seinem Mund.
Die rothaarige Frau lachte kurz auf und strich sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht. »Wie unhöflich von mir, also wirklich. Lady Pennwell, Lady Penny Pennwell.« Sie streckte ihm die Hand über den Tisch hinweg zu.
Bowen stieß fast sein Bier um, als er die Geste erwiderte. Unschlüssig, ob er ihre schlanke weiße Hand schütteln oder ehrerbietig küssen sollte, berührte er zaghaft ihre Fingerspitzen mit seiner kaltschweißigen Rechten und beugte seinen Oberkörper ungelenk nach vorne.
Wieder verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln, diesmal spöttisch. »Nun«, sagte sie und hängte ihren Schirm an die Stuhllehne. »Mein Brief scheint Ihr Interesse geweckt zu haben, was mich außerordentlich freut.« Der Kellner kam lustlos hinter dem Tresen hervor, aber Lady Pennwell winkte ab. »Für mich nichts, danke«, rief sie ihm zu, dann wandte sie sich Bowen zu.
»Nun ja, Sie haben da einen ungewöhnlichen Fund beschrieben«, erwiderte Bowen mit gedämpfter Stimme. »Wenn es denn ein Fund ist ...«
»Sie meinen, wenn die Tafel nicht illegal erworben wurde«, korrigierte Lady Pennwell ihn lächelnd. »Keine Sorge. Es ging alles seinen rechten Weg.« Sie griff in ihre Manteltasche und zog einen großen, brauen Briefumschlag hervor.
Bowens Herz begann schneller zu schlagen. Etwas Schweres lag in diesem Umschlag. Er widerstand dem Drang, gierig nach ihm zu greifen. Vorsicht, mahnte er sich streng. »Dann gehe ich davon aus, dass Sie Papiere haben?«
Lady Pennwell griff erneut in ihre Manteltasche und holte mehrere zusammengefaltete Dokumente hervor, die sie Bowen reichte.
Mit zusammengekniffenen Augen überflog Bowen die Papiere. »Sie sind also Archäologin? Hier steht, dass Sie ein privates Grabungsunternehmen leiten.«
Sie nickte. »Sozusagen. Mein Unternehmen betreibt Ausgrabungsstätten auf der ganzen Welt. Ich habe schnell gelernt, dass es effektivere Wege gibt als die staatlichen Denkmalbehörden und begrenzte Budgets.«
Verständnisvoll nickte Bowen und blätterte die Dokumente durch. »Der Fundort ist mit Nowy Afon angegeben.«
»Republik Abchasien«.
»Nie davon gehört. Ist das überhaupt ein Land?«
»Wenn Sie Russland, Venezueĺa und einige unbedeutende Kleinstaaten fragen würden: ja. Georgien würde nein sagen.«
Unbehaglich rutschte Bowen auf seinem Stuhl hin und her. Politische Verwicklungen und diplomatische Fallstricke waren das Letzte, was der Orden momentan gebrauchen konnte. Seit jeher hatten die Regierungen der Welt den Orden voller Misstrauen beobachtet. Daran hatte sich selbst im einundzwanzigsten Jahrhundert nichts geändert.
Lady Pennwell schien sein Unbehagen zu spüren. »Machen Sie sich keine Sorgen, Doktor. Georgien hat andere Sorgen als die Altertumsgeschichte ihrer abtrünnigen Provinz. Und Abchasien ... nun, sagen wir, wenn man zwischen einem Ausstellungsstück und einer modernen Forschungseinrichtung für die mathematische Fakultät der einzigen Universität im Land wählen soll, siegt letztendlich die Vernunft.« Sie zwinkerte ihm vergnügt zu. »Ich bin nicht nur Privatgelehrte und Unternehmerin, ich sehe mich auch stets als Förderin der Gelehrsamkeit.«
Wenig überzeugt gab Bowen ihr die Dokumente zurück. »Dann gehe ich recht in der Annahme, dass Sie nicht vorhaben, das Stück dem British Museum für Altertumsforschung als Leihgabe anzubieten?«
Lady Pennwell lehnte sich zurück und überschlug ihre langen Beine. »Nein, eher nicht.«
»Und was wollen Sie dann von mir?«
»Ihnen die Möglichkeit geben, dieses einzigartige Stück zu untersuchen und zu übersetzen. Die Ergebnisse können Sie gerne publizieren. Das dürfte Ihrer Karriere den nötigen ... nun, sagen wir Stupser in die richtige Richtung geben.«
»Ich habe es nicht nötig-«, begann Bowen empört, doch Lady Pennwell schnitt ihm mit einer harschen Geste das Wort ab.
»Ich weiß alles über Sie, Dr. Bowen. Sie sind der Beste auf ihrem Gebiet, wenn auch nicht sehr ehrgeizig. Altertumswissenschaften sind schon lange nicht mehr in Mode und Ihre Stelle ist von außerordentlicher Ineffizienz und Bedeutungslosigkeit geprägt.«
Bowen spürte das Blut hinter seinen Schläfen pochen. Wenn diese adlige Hobbyarchäologin nur ahnen würde, welch – nun, nicht unbedingt bedeutende, aber doch wichtige Stellung er in seinem Orden einnahm, und dass seine Position im British Museum nur der Tarnung diente, Augen würde sie machen, oh ja, und ihn nicht anschauen, als sei er ein unbedeutendes Insekt, das zu ihren Füßen krabbelte.
»Ich informiere mich stets, Dr. Bowen. Umfassend. Besonders wenn es um etwas so Einzigartiges geht wie -«, sie griff in den Umschlag, »das hier.«
Bowen schnappte überrascht nach Luft. Vergessen waren sein gekränkter Stolz, seine Unsicherheit, sein Misstrauen, seine Angst – sein entwürdigendes Begehren. »Ist das...?«
»Ein Sternsaphir, ja.«
Ehrfürchtig beugte Bowen sich über den blauen Stein. Er war etwa so groß wie seine Hand, rund geschliffen. Das schummrige Licht des Pubs brach sich sternenförmig auf seiner Oberfläche, die mit kleinen keilförmigen Mustern übersät war. »Mein Gott«, entfuhr es Bowen unwillkürlich. Ihm wurde schwindelig, das Blut rauschte laut in seinen Ohren. Das war nicht möglich ...
»Beeindruckend, nicht war?« Lady Pennwell betrachtete den Stein fast liebevoll. »2016 wurde in Sri Lanka der größte Saphir der Welt gefunden, der Stern des Adam. Nun, der bisher größte. Dieser hier«, sie strich zärtlich mit ihren Fingern über das Relief des Steins, »ist dreimal so groß.«
»Wie viel ist er wert?«, krächzte Bowen und trank hastig einen weiteren Schluck Bier, um seine Stimme wieder unter Kontrolle zu bekommen.
»Schwer zu sagen. Der Stern von Adam wird auf über 90 Millionen Dollar geschätzt. Und dabei handelt es sich bloß um einen blauen Stein.«
»Und sie kommen mit solch einem Stein in irgendeinen Londoner Pub spaziert? Sind Sie wahnsinnig?«, presste er zwischen den Zähnen hervor. Er warf einen raschen Blick zum Kellner. Der polierte wieder ungerührt sein geliebtes Glas und beachtete sie nicht. Der Gast am Tresen hatte den Kopf auf die Arme gelegt und schien zu dösen. Oder zu lauschen. Was auch immer hier vor sich ging - Bowen war klug genug, sich nicht darauf einzulassen.
Er griff nach seiner alten Ledertasche, holte ein paar Pfund hervor und legte sie auf den Tisch. »Lady Pennwell, mit Verlaub, ich habe keine Ahnung, welches Spiel hier gespielt wird, aber ich habe nicht vor, mitzuspielen und ziehe es vor, jetzt zu gehen.« Und ein paar Leute in der Führungsriege des Ordens anzurufen – und zwar schleunigst. Sie würden wissen, was zu tun war. Das hier war eindeutig eine Nummer zu groß für ihn. Jemand hatte Magus gespielt und einen Fluchstein erschaffen, dessen Kraft groß genug war, um einen schlafenden Gott zu wecken.
Amüsiert zog Lady Pennwell eine ihrer feingeschwungenen Augenbrauen hoch. »Sie wollen sich die Schriftzeichen nicht einmal ansehen?«
»Sie sind nicht echt«, behauptete Bowen und hoffte, sich das Zittern seiner Stimme nur einzubilden.
»Wie bitte?«
»Nun ja, echt schon, immerhin sehen wir sie ja, aber sie sind niemals altsumerisch.«
»Wieso sind sie sich da so sicher?«
Bowen erhob sich und griff nach seiner Jacke. »Weil vor 4600 Jahren niemand in der Lage war, Schriftzeichen in einen Saphir einzugravieren. Das ist schlicht unmöglich.« Zumindest für Menschen, aber das musste er nicht unbedingt erwähnen. »Und nun wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend, Lady Pennwell.«
»Ich zahle Ihnen zehntausend Pfund, wenn Sie die Schrifttafel trotzdem übersetzen.«
Er erstarrte mitten in seiner Bewegung. Lady Pennwells dunkle blaue Augen funkelten ihn an.
»Bar, versteht sich.« Sie tippte auf den Stein.
Langsam setzte er sich wieder. Zehntausend Pfund ... Das war genug, um seine bescheidene Privatbibliothek um die ein oder andere Kostbarkeit zu erweitern. Nun, den Orden konnte er auch noch in ein oder zwei Stunden informieren. Vielleicht war es sogar besser so: Sie würden ihn sowieso fragen, was es mit den Schriftzeichen auf sich hatte, dann konnte er sie auch gleich an Ort und Stelle übersetzen. »Ich brauche Papier.«
»Nehmen Sie das hier.« Sie reichte ihm die Dokumente aus Abchasien.
Bowen fingerte einen Bleistift aus seiner Tasche, legte das Papier mit der blanken Rückseite nach oben auf den Stein und begann, mit dem Bleistift einen Durchschlag anzufertigen. Die Gravur zeichnete sich deutlich wie weißen Krähenfüßen auf dem Papier ab. Stirnrunzelnd betrachtete er sie.
»Und?«, fragte Lady Pennwell gelassen.
Wäre Bowen aufmerksamer gewesen, hätte er sich über ihre Ruhe gewundert. So aber erklärte er widerwillig: »Es ist definitiv eine Fälschung, wenn auch eine seltsame. Die Keilschrift ist eine Form des archaischen Sumersch, ja, aber der Inhalt scheint eher akkadisch zu sein. Der Text weist Parallelen zur Maglû-Serie auf, die -«
»Die Übersetzung, Doktor«, unterbrach Lady Pennwell ihn geduldig.
Bowen räusperte sich. »Es ist schwierig, so etwas geht nicht einfach nebenbei, die sorgfältige Prüfung der Grammatik -«
Unvermittelt griff Lady Pennwell nach ihrem Regenschirm und schlug ihn kräftig auf den Tisch. Vor Schreck sprang Bowen auf, stieß das Glas um und konnte den Durchschlag nur knapp vor dem Schwall Bier retten, der sich über den Tisch ergoss.
»Übersetzen Sie, Doktor Bowen«, sagte Lady Pennwell. Ihre sanfte Stimme stand im scharfen Kontrast zu ihrer Faust, die sich um den bronzenen Griff ihres Regenschirms gekrallt hatte.
Entrüstet wollte Bowen protestieren, als ein kalter Hauch über seinen schweißigen Nacken strich. Die Tür des Pubs hatte sich erneut geöffnet und ein Riese von Mann trat herein. Der Riese schloss die Tür hinter sich und stellte sich breitbeinig davor, die kräftigen Arme vor der breiten Brust verschränkt. Seine dunklen Augen waren starr auf Bowen gerichtet.
»Gibt es ein Problem?«, fragte der Riese schleppend durch seinen dichten Bart hindurch.
»Nein, Bez. Dr. Bowen wollte gerade mit der Übersetzung beginnen, nicht wahr?«, säuselte Lady Pennwell. Der Mann starrte Bowen finster an, ballte seine Hände zu Fäusten und ließ die Finger knacken.
Hilfesuchend wandte Bowen sich um.
Der Kellner hatte zum Telefon gegriffen. »Was auch immer hier abgeht«, sagte er drohend, »klärt das vor der Tür, sonst rufe ich die Bullen.«
Der Gast vor ihm schnellte jäh hoch, griff den Kellner am Hemd und schlug dessen Kopf krachend auf den Tresen. Ein schmerzverzerrtes Keuchen, dann verpasste der andere ihm einen kräftigen Faustschlag in den Nacken und der Kellner fiel besinnungslos zu Boden.
Bowen begann am ganzen Leib zu beben. »Ich ... bitte ...«, stammelte er und wich zurück, bis er an eine holzvertäfelte Wand stieß. Das hier war keine Falle. Das war ein Hinterhalt. Und diese Leute ... waren keine normalen Leute. Bowen war sich nicht einmal sicher, ob sie menschlich waren.
Lady Pennwell erhob sich ebenfalls, den Regenschirm immer noch fest in ihrer Hand, und kam geschmeidig wie eine Katze auf ihn zu. »Seien Sie unbesorgt, Doktor Bowen. Übersetzen Sie so gut Sie können, dann können wir alle nach Hause gehen.«
Daran zweifelte er. Er hatte ihre Gesichter gesehen. Sie würden ihn nicht gehen lassen. Bowen glitt langsam die Wand herab und kauerte sich zusammen. »Bitte«, flehte er dennoch, »tun Sie mir nichts! Ich bin unbedeutend, nur ein kleines Licht, ich –«
Ein jäher Windstoß fuhr ihm durch die Haare. Im nächsten Moment wurde er grob am Kragen gepackt und hochgehoben. Der Riese stand vor ihm, die Zähne hinter seinem schwarzen Bart gefährlich gebleckt. »Übersetz!«, knurrte der Riese. Bowens Knie schlotterten. Wie war der Mann so schnell bei ihm gewesen? Er hatte mindestens fünf Meter entfernt gestanden, niemand konnte so schnell sein ...
»Übersetz!«, brüllte der Riese und ließ eine gewaltige Faust gegen die vertäfelte Wand krachen.
Zitternd hielt Bowen sich das Blatt vors Gesicht und begann schluchzend und stotternd zu übersetzen: »Ich... ich bin beordert, ich bin gesandt, ich singe - nein, ich spreche«, korrigierte er sich eilig. »Was ihr getan, das weiß ich, was ich tue, wisst ihr nicht. Oh Feuergott, Versengender, Blugeborener, die Dunkelheit ... nein, die Finsternis ... die Finsternis erhellst du, in die Verwirrungen und das Chaos ... bringst du Ordnung. Jene mögen gebannt sein, du seist es nicht. Jene mögen vernichtet sein, du bist es nicht. Jene mögen geschwächt sein, du mögest ... stark sein. Du bist mein Herr. Du bist mein Richter. Du bist mein ... mein ... Rächer. Du bist mein Gott.« Keuchend ließ Bowen das Blatt sinken. Wen um alles in der Welt hatte er da gerade beschworen?
Lady Pennwell stand nun direkt vor ihm, in ihren dunklen blauen Augen leuchtete ein unheimliches Licht.
»Mit meiner Hand habe ich die Bilder der Zauberin aus Bronze gemacht«, flüsterte sie Bowen ins Ohr. »Es tut mir wirklich, wirklich aufrichtig leid, Daniel Bowen. Aber dies muss nun geschehen.« Sie stieß die Spitze ihres Regenschirms mit aller Kraft in seinen Brustkorb und zog sie wieder heraus.
Bowens Augen weiteten sich vor Entsetzen, bitteres Blut stieg seine Kehle hinauf. Er schmeckte Eisen, sah, wie die Frau den Sternensaphir unter die klaffende Wunde in seiner Brust hielt und mit seinem Blut benetzte, das heiß in immer schwächer werdenden Kaskaden aus seinem ausgerissenen Herzen quoll.
»Oh, die du mich gebannt hast, möge ihr Zauber vernichtet werden«, intonierte Lady Pennwell mit einer melodischen Stimme und hielt den den Saphir in die Höhe.
»Ach, komm schon Penny, übertreibe es nicht«, kam es vom Tresen. »Das war genug Hokospokus, um sämtliche Tore der Hölle zu öffnen.«
Der Riese ließ Bowen los und er sackte kraftlos zu Boden. Das triumphierende Lächeln der rothaarigen Frau war das letzte, was er sah, bevor das ewige Nichts ihn umfing.
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