Kapitel 38
Kapitel 38
„Fliegen", nuschelte Janette und legte das fertige Blatt zur Seite, um das nächste anzufangen.
Lucien nickte und strich ihr zärtlich über den Arm.
„Bitte nicht", flüsterte die Ärztin, die zu zittern begann. Ihr Herz schlug schnell und Janette atmete hektisch ein, obwohl nichts passierte. Sie hasste es, dass sich seine Zärtlichkeiten plötzlich nicht mehr so gut anfühlten.
"Ich möchte nicht, dass es dir nicht gut geht", flüsterte Lucien und ließ von ihr ab. Dabei hatte er einen leichten Schmerz in der Stimme.
„Danke", sagte sie erleichtert und versuchte, sich zu beruhigen. Was war nur los mit ihr?
Die Buchstaben auf dem Blatt verschwammen vor ihren Augen und der Stift in Janettes Hand zitterte, bis er auf den Tisch fiel.
Ruckartig stand die Sukkubus auf und wandte sich zu Lucien um. „Lass uns gehen. Ich mache das später fertig", sagte sie und schnappte sich ihre Tasche.
"In Ordnung", stimmte Lucien zu, der einfach nur wollte, dass es ihr gut ging.
Ohne ihn anzusehen, zog sie ihren Kittel aus und ging geradewegs auf den Fahrstuhl zu. Die letzten Tage waren zu viel für sie gewesen und Janette war über ihre eigenen Gefühle zu Lucien verwirrt. Aber auch darüber, dass eine einzige Sache alles hatte verändern können, dass sie nicht mehr sie selbst war. Und das ärgerte sie, den sie liebte den Engel und wollte ihn nicht verletzen.
Als sie gemeinsam im Fahrstuhl standen, drehte Lucien sie vorsichtig zu sich, um sie anzusehen. Er strich ihr eine Strähne hinter die Ohren. "Ich weiß, dass die ganze Sache bedrückt", sagte er zärtlich. "Ich bin für dich da", versprach er. "Ich möchte, dass du dich wohlfühlst. Wenn ich etwas für dich tun kann, sag es mir."
Die Sukkubus nickte und senkte den Kopf. Ihre Hände nestelten an ihrer schwarzen Handtasche herum. „Ich weiß, dass du für mich da bist. Aber ...", fing sie bedrückt und niedergeschlagen an, bevor sie seufzte. „Das, was gestern passiert ist, hat mich verängstigt. Normalerweise bin ich nicht so, aber Marco und den anderen ausgeliefert zu sein, war das Schlimmste", fuhr Janette fort und gab zu, dass ihr die fehlende Lust auf Sex zusetzte. Es war lebenswichtig für sie, doch Lucien hatte ihr das gegeben, was sie gebraucht hatte. Was sollte sie jetzt tun, wenn sie gar keine Lust, sondern nur noch Angst verspürte, dass sie wieder so hilflos war und nichts tun konnte?
Lucien musterte sie für einen Moment intensiv. "Dann wäre es vielleicht hilfreich den Spies umzudrehen. Dir das Gefühl zu geben, dass du die Kontrolle und nichts zu befürchten hast", schlug er vor.
Die Ärztin schüttelte den Kopf. „Ich verspüre überhaupt keine Lust", gestand sie traurig. Ihr war klar, dass Lucien nichts tun würde, was sie nicht wollte, aber der Vorfall hatte ihr jegliche Lust geraubt.
"Vielleicht kommt sie wieder", meinte er hoffnungsvoll.
Niedergeschlagen meinte Janette, dass sie sich bisher immer sehr gern hingegeben und fallen gelassen hatte. Zwar hatte sie auch gerne die Kontrolle übernommen und andere verführt, doch wenn sie nicht einmal das Bedürfnis mehr hatte, befürchtete sie, dass sie nicht überleben konnte. Lebensmittel waren lediglich ein Genuss, aber nicht das, was sie brauchte. „Und bei dir habe ich mich bisher am wohlsten und sichersten gefühlt", sagte sie bedrückt und sah auf die wechselnde Anzeige im Fahrstuhl.
Lucien zog sie zu sich in den Arm. "Wir finden eine Lösung", sagte er, wollte sich damit aber lediglich beruhigen. Die Angst, dass sie verhungern könnte, war sehr groß.
Wie lange sie ohne aushalten konnte, war ungewiss. Sehr lange vermutlich nicht, weshalb die Zeit drängte. Ob Feinfühligkeit und Romantik vielleicht helfen würden, ihre Lust wieder zu bekommen?
Die Dämonin stand an Lucien gelehnt und nur langsam hoben sich ihre Arme, um sie um seine Hüfte zu legen.
Der Engel bewegte sich nicht und ließ sie machen. Er wollte ihr nicht das Gefühl geben, zu drängen, streichelte sie dennoch ganz sanft.
Der Fahrstuhl hielt an und die Tür öffnete sich. Ein Zeichen, dass sie sich lösen sollte. „Es tut mir leid. Das verdienst du nicht", murmelte sie und löste sich widerwillig. In der Nacht hatte sie die ganze Zeit an Lucien gekuschelt geschlafen und sie war froh gewesen, dass er da war. Lag es jetzt an dem Schock, der sie so reagieren ließ?
"Du hast es nicht verdient", erwiderte er.
„Vielleicht doch ...", flüsterte Janette und verließ den Fahrstuhl, um durch die Eingangshalle von Raphaels Residenz zu gehen. Es wurde draußen dunkel, weshalb sie davon ausging, dass sie vom Parkplatz aus fliegen würden.
Sie hätten auch vom Dach aus fliegen können, doch das wollte Lucien meistens nicht.
Zwar wusste Janette nicht, wohin er fliegen wollte, doch sie würde sich überraschen lassen. In der Hoffnung, sich ablenken zu können.
Vielleicht half ihr das.
Lucien breitete die Flügel aus, wartete aber, bis Janette ebenfalls bereit zum Fliegen war.
Langsamer als sonst breitete sie diese aus. Wie in Zeitlupe wurden sie größer, anstatt sich mit einem Schlag zu entfalten. Das war sehr ungewöhnlich, zeigte aber, dass Janette nicht in Ordnung war.
Schließlich war sie bereit und nickte Lucien zu.
Gemeinsam hoben sie ab, wobei Lucien sie ganz genau beobachtete.
Was nicht schwer war, denn sie flog ein bisschen hinter ihm. Ihre gelben Augen starrten geradeaus und sahen sich nicht wie sonst, aufmerksam und neugierig um.
Lucien ließ sich etwas zurückfallen, damit er sie besser sehen und auf sie aufpassen konnte.
„Du solltest vor mir fliegen. Ich weiß nicht, wohin du gehen willst", bemerkte Janette und versuchte, zu lächeln. Es wirkte grotesk und nicht so hübsch wie sonst.
"Janette", sagte Lucien sanft. "Ablenken", meinte er fast befehlend und flog etwas um sie herum.
Wie aus einer Starre hielt sie kurz inne und nickte. „Ich versuche es", versicherte die Ärztin.
"Lass mich dir etwas zeigen", bat er und reichte ihr die Hand.
Diese nahm Janette an und nickte noch einmal. Sie spürte die warme, weiche Haut des Engels und schluckte, bevor ihr Tränen in die Augen traten. Warum nur fühlte sich alles nur so anders an? Sie sollte erregt sein, ihn umgarnen und sich mit ihm vergnügen, doch nichts dergleichen passierte, obwohl sie Lucien liebte.
Dieser zog sie förmlich mit und sie flogen auf das nahe Meer hinaus. Dann wandte er sich mit ihr um, damit sie die Stadt sehen konnten, die in ein Meer aus Lichtern getaucht war.
Schweigend betrachtete Janette, wie sich die Lichter auf der Oberfläche des Meeres spiegelten. Der leichte Wind sorgte dafür, dass die Wasseroberfläche gebrochen war, aber das machte das Bild authentischer und wunderschön. „Die Stadt sieht sehr schön aus", flüsterte sie. Bisher hatte sie diese noch nicht bevor diesem Blickwinkel aus gesehen.
"Bald steht ein großes Fest an. Raphael zu Ehren", erklärte Lucien. "Dann ist die Stadt immer in bunte Lichter getaucht. Es wird noch schöner."
„Was für ein Fest?", fragte die Ärztin nachdenklich. Noch immer hielt sie Luciens Hand, weshalb ihre Gedanken nur bei ihm waren.
"Es ist ein Jahrestag. An diesem Tag vor genau 700 Jahren hat Raphael dieses Territorium übernommen", erklärte Lucien. "Ich hoffe sehr, dass wir vielleicht zusammen zu dem Fest gehen können."
„Ich verstehe", murmelte Janette und dachte daran, dass Engel und Dämonen sehr viel überlebt hatten. „Ich denke, wir können zusammen hingehen", begann sie, erinnerte Lucien aber daran, dass Raphael gar nicht da war.
"Nicht im Moment, aber das Fest beginnt erst in ein paar Wochen. Aber die Vorbereitungen gehen schon jetzt", informierte Lucien.
Soviel Janette verstand, war das Fest wohl etwas sehr Großes. Was eigentlich kein Wunder war, denn Raphael war sehr angesehen. „Wahrscheinlich werden wir keine Chance haben, es zu genießen, sollten wir in Afrika sein. Oder wenn der Fall geklärt ist", sagte sie niedergeschlagen.
"Ich bin sicher, dass du noch hier bleiben kannst, bis das Fest vorbei ist. Luxuria wird auch kommen. Sie kommt jedes Jahr", sagte er und strich sanft mit einem Flügel über ihren.
Janette erschauderte und ihr Griff um Luciens Hand wurde fester. „Dann ... würde ich mich freuen, mit dir dorthin gehen zu können", sagte sie mit brüchiger Stimme.
"War das unangenehm?", fragte Lucien entschuldigend.
Dieses Mal schüttelte sie den Kopf. „Nein, es war schön und angenehm", gestand sie, hielt aber den Blick auf das Lichtermeer gerichtet.
"Soll ich es noch einmal machen?", fragte Lucien vorsichtig.
Anstatt zu antworten, nahm sie Luciens Hand und legte sie um ihre Hüfte, um sich gegen ihn zu lehnen. „Halte mich einfach", bat sie und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
Das ließ sich der Engel nicht zwei Mal sagen und schlang seine Arme um ihre Hüfte, um sie zu halten. So mit ihr in der Luft zu stehen, war für ihn ein Kinderspiel.
Jetzt lehnte sich die Ärztin gegen seine Brust und ließ ihre Flügel wieder kleiner werden, damit sie Lucien nicht behinderten. Gemeinsam standen sie mit Hilfe von Lucien in der Luft und beobachteten die Wellen, die am Strand ankamen und durch die Lichter am Hafen glitzerten.
Wie wohl das Fest sein würde? Soviel Janette wusste, war Luxuria immer hier, doch bisher hatte sie niemals jemanden mitgenommen. Oder Janette hatte es nicht mitbekommen, weil sie selbst viel reiste.
Vielleicht wollte Luxuria aber auch nur allein hier sein. Sie konnte es nicht sagen, dabei war es mit Gesellschaft doch viel schöner.
„Danke, dass du mich hierher gebracht hast", flüsterte die Ärztin und genoß den salzigen Wind und Luciens Geruch, die sich zu einer einzigartigen Mischung vereinten.
"Einer meiner Lieblingsorte während der Vorbereitungen", hauchte er an ihr Ohr und drehte sich dabei leicht mit ihr, als würde er tanzen.
Die Gänsehaut auf Janettes Körper breitete sich aus und sie wandte ihren Kopf ein wenig zu ihm. Seine Worte klangen irgendwie liebevoll und gleichzeitig verführerisch. Mit Lucien zu tanzen war sehr schön. Nur würde er sie jetzt halten müssen, da sie ihre Flügel eingezogen hatte.
Doch das schien ihn nicht zu stören. Er hielt sie eng an sich gedrückt, so dass sie sich sicher fühlen konnte und keine Angst haben musste, zu fallen.
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