Kapitel 15
Es war früher Vormittag und in dem Großraumbüro im LAPD ging es jetzt bereits zu, wie in einem Taubenschlag. Faye Pittmann war gerade dabei, ihre Notizen in eine Akte einzutragen, als sie eine Bewegung im Augenwinkel aufschauen ließ. Ihr Kollege Peter Shaw warf die Autoschlüssel auf seinen Schreibtisch, der ihrem direkt gegenüber stand, und ließ sich schwer auf den Bürostuhl fallen. Der Stuhl knarrte lautstark und Faye fragte sich nicht das erste Mal, wann er zusammenbrechen würde. Die Kombination aus Peters Größe und Muskelmasse sowie der in die Jahre gekommenen Einrichtung des Polizeireviers waren jedenfalls nicht vorteilhaft.
»Morgen, Pitty. Alles klar?«
»Gleich nicht mehr, wenn du nicht aufhörst mich so zu nennen, Petey!«, konterte sie. Seit sie Partner waren, begrüßte er sie mit diesem Spitznamen, wohlwissend, dass sie ihn hasste. Aber irgendwie hatte diese Art der Begrüßung sich in den letzten Jahren so eingeschlichen.
»Nicht gut geschlafen?«, fragte er herausfordernd grinsend.
Sie lehnte sich zurück und widmete ihm nun ihre gesamte Aufmerksamkeit. »Ich habe ganz hervorragend geschlafen«, entgegnete sie mit liebreizender Stimme und deutete mit dem Finger auf ihn. »Und bisher hatte ich auch einen ganz hervorragenden Morgen. Versau es nicht! Wie ist es mit dir? Du wirkst ein bisschen aufgedreht. Verschlafen? Oder mit anderen Dingen beschäftigt gewesen?«
Die Anspielung ließ eine sanfte Röte auf seinen Wangen erscheinen. Faye grinste. Es war doch immer wieder schön zu wissen, welche Knöpfe man drücken musste.
»Kelly hat schon wieder Nachtschicht, wir haben uns quasi die Klinke in die Hand gegeben. Deswegen bin ich auch später. Sonst hätten wir uns heute gar nicht gesehen.«
»Verstehe.«
Er ignorierte ihre Stichelei diesmal und startete seinen Rechner. »Was steht heute an?«
»Heute Nachmittag ein Besuch im Gericht. Außerdem will Jennings uns noch irgendwann sprechen und dann kommt gleich noch der Ehemann des Unfallopfers von vorletzer Nacht für die Formalitäten.«
Peters Kopf ruckte hoch. »Wann?«
Faye sah zum Aufzug hinüber. Die Ziffern zeigten unmissverständlich, dass dieser sich nach oben bewegte. »Jeden Moment. Vermutlich ist er gerade dort im Aufzug.«
Peter sprang auf. »Willst du einen Kaffee? Ich hol uns welchen.«
Und damit war er weg. Verwundert sah Faye ihm hinterher. Er war gerade in der Küche verschwunden, als sich die Aufzugtür öffnete und mehrere Personen ins Büro ströhmten, darunter Kolleginnen und Kollegen und ein ihr unbekannter Mann mit blonden Haaren und Brille. Suchend blickte er sich um.
Faye stand auf und ging ihm entgegen.
»Mr Andrews?«
»Ja, guten Morgen.« Seine Stimme klang ein wenig müde und kraftlos. Er griff nach der dargebotenen Hand.
Sie deutet einladend zu ihrem Schreibtisch. »Setzen wir uns.«
Er nickte und folgte ihr. An ihrem Schreibtisch deutete sie auf einen der Besucherstühle, den er sich heranzog und sich darauf setzte.
»Wie geht es Ihrer Frau?«, fragte sie, nachdem sie sich ebenfalls gesetzt hatte.
Er stieß hart die Luft aus. »Unverändert. Sie liegt immer noch im Koma. Aber die Ärzte sind optimistisch. Die OP ist gut gelaufen.«
Faye lächelte ihm aufmunternd zu. »Das freut mich. Ich drücke Ihnen die Daumen.« Sie deutete auf den Stapel Papier vor sich. »Kommen wir nun zum notwendigen Übel. Ich benötige ein paar Unterschriften von Ihnen. Und den Unfallbericht wollten Sie auch lesen, richtig?«
Er nickte, aber er wirkte abgelenkt. Faye war bereits aufgefallen, dass sein Blick immer wieder zum Schreibtisch ihres Partners wanderte und an dem Namensschild hängen blieben, dass dort stand.
»Ist Ihr Kollege auch da?«
»Ja«, antwortete sie und bemerkte, wie ihr Gesprächspartner sich versteifte. »Aber er ist gerade im Haus unterwegs. Absprachen mit Kollegen und sowas. Das wird eine Weile dauern. Ich mache das hier schnell mit Ihnen alleine.«
Sofort entspannte er sich wieder. Er nickte und griff nach den Unterlagen, die sie ihm hinschob.
Während er sich den Bericht durchlas und seine Unterschrift hinterließ, musterte Faye den Mann unauffällig. Er sah gepflegt aus und gar nicht so, wie man es nach einer schlaflosen Nacht am Krankenbett eines geliebten Menschen erwartete. Die blonden Haare ordentlich gekämmt, die Kleidung frisch. Ein attraktiver Mann. Aber die Belastung der letzten Tage war deutlich in seinem Gesicht zu sehen. Dunkle Ringe lagen unter seinen blauen Augen, sein Blick wirkte trüb und müde, die Haut war fahl. Der harte Zug um seine Mundwinkel ließ ihn älter wirken, als er vermutlich war. Faye schätzte ihn ungefähr in Peters Alter. Wenn sie sich richtig erinnerte, hatte er sich in Rocky Beach bei seinen Eltern einquartiert. Irgendwo hatte sie dazu eine Notiz gefunden. Von Peter vielleicht? Offensichtlich kannten die beiden sich.
Es dauerte nicht lange, bis alle Formalitäten erledigt waren und Mr Andrews sich wieder verabschiedete.
Kaum war er verschwunden, erschien Peters Schopf in der Küchentür. Prüfend sah er sich im Raum um und kam dann zu ihren Schreibtischen, in den Händen zwei Tassen Kaffee. Eine davon stellte er vor ihr ab. Faye warf einen Blick hinein und hob die Augenbrauen. Milchschaum und Caramelsirup? Das bekam sie normalerweise nur serviert, wenn er sie zu irgendwas überreden wollte.
»Danke, dass du das übernommen hast.«
»Kein Ding«, antwortete sie und musterte ihren Kollegen scharf. »Erklärst du mir, warum du dich in der Küche versteckt hast? Und warum ich meinen Lieblingskaffee bekomme?« Sie trank einen großen Schluck und genoss das caramellige Aroma.
Peter zögerte lange und wich ihrem Blick aus. Fast rechnete sie damit, dass er ihr irgendeinen Blödsinn auftischte, aber dann begann er doch zu erzählen.
»Wir kennen uns«, sagte er. »Ich hatte keine große Lust, ihm zu begegnen.«
»Das war jetzt nicht schwer zu erraten. Peter, ich bin nicht blöd. Ich merke schon, dass du dich in dem Fall nicht darum reißt, die Kommunikation zu übernehmen. Also, woher kennt ihr euch?«
»Früher waren wir mal sehr gut befreundet. Beste Freunde.«
Sie kniff die Augenbrauen zusammen. Diese Info überraschte sie dann doch. »Und was ist passiert? Habt ihr euch gestritten?«
Peter schnaubte. »Schön wärs!«, murmelte er mehr zu sich selbst. »Vor ungefähr 10 Jahren, kurz vor unserem HighSchool-Abschluss hatte Bob einen schweren Verkehrsunfall. Und danach hat er einfach alle Kontakte zu uns, also Justus und mir, abgebrochen. Einfach so, ohne Begründung.«
Faye runzelte die Stirn. Diese Story hatte so viele Lücken, dass sie einem Schweizer Käse Konkurrenz machte. »Ich versteh nicht ganz. Gab es denn keinen Grund? Vor dem Unfall ein Streit oder Meinungsverschiedenheit oder sowas? Man bricht doch nicht von heute auf morgen mit seinen besten Freunden!«
Peters Lachen hatte nichts humorvolles. »Ja, sollte man meinen. Ist aber so gewesen. Keine Ahnung, was ihn da getrieben hat. Er ist einfach verschwunden. Hat auf keine Anrufe mehr reagiert, ist nicht mehr zur Schule gekommen. Und hat sich auch danach nicht einmal gemeldet oder ein Lebenszeichen von sich gegeben. Er war einfach weg.«
Nickend musterte Faye ihren Kollegen. Sie hatte ihn als einen lebhaften, meist gut gelaunten, manchmal zu impulsiven Menschen kennengelernt. Aber seit sie zu dem Unfall gerufen worden waren, hatten sich dann und wann dunkle Schatten über seine Miene gelegt. Und das lag nicht allein daran, dass ein sehr guter Freund bei dem Unfall verletzt worden war. Nein, auch die Art, wie er versucht hatte, sich um bestimmte Aufgaben in diesem Fall zu drücken, wie zum Beispiel die Kontaktaufnahme mit dem Ehemann des Opfers, hatte sie misstrauisch gemacht. Weil es sonst so gar nicht Peters Art war. Nun hatte sie ihre Antwort. Sie verstand zwar immer noch nicht, was damals geschehen war, dass ihn dermaßen verletzt hatte. Aber das würde sie aus ihrem Kollegen auch noch herauskitzeln.
Peter seufzte schwer. Sein Blick war auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, aber Faye hatte eher den Eindruck, als würde er hindurch blicken. »Ich hab befürchtet, dass es früher oder später dazu kommen würde, dass wir uns wieder begegnen. Spätestens als Justus seine Frau auf meiner Geburtstagsparty angeschleppt hat. Aber ich hätte gerne noch weiter drauf verzichtet.«
Faye runzelte die Stirn. »Vielleicht ist aber auch gerade jetzt der richtige Zeitpunkt. Ich versteh immer noch nicht, was da zwischen euch vorgefallen ist, aber ihr solltet das klären.«
Peter schüttelte den Kopf. »Da gibt es nichts zu klären. Ich hab das für mich abgehakt. Er hatte Gelegenheit genug, auf uns zuzukommen. Jetzt braucht er das auch nicht mehr.«
»Na logisch«, murmelte Faye schnaubend. Nix hatte er abgehakt, das merkte doch jeder Idiot.
Peter machte eine wegwerfende Handbewegung und setzte sich wieder in seinem Stuhl auf. »Lassen wir das und kümmern wir uns lieber um wichtigere Dinge. Zum Beispiel über den Stapel ungeschriebener Berichte.«
Jetzt musste sie schallend lachen. »Okay, dass DU mich mal an die fälligen Berichte erinnerst, hätte ich auch niemals gedacht. Also schön, Shaw. Aber glaub mir, die Sache ist noch nicht beendet.«
Seine Antwort war ein unwilliges Grummeln, dann wandte er sich seinem Bildschirm zu.
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