Bitte was?! Klassenfahrt?! (1)
Marianne gammelte auf ihrem Sofa und genoss den Abend.
Der Plattenspieler in der Ecke gröhlte Mariannes Lieblingslied 'Auf der Reeperbahn' in Dauerschleife.
Egal wie viele Lieder, seit Marianne 1918 gestorben war, veröffentlicht worden waren, besser als dieses Schätzchen würden sie niemals werden. Egal ob auf der Erde oder der Welt hinter der Welt.
Morgen war keine Schule, aber sie hatte vergessen warum.
Naja, bestimmt war das sowieso nicht wichtig. Keine Schule war schließlich keine Schule und damit erwünschtenswert.
Nach dem Debakel vor ein paar Monaten, oder Wochen oder so, als Marianne und ihre beste Freundin Edres einem Menschen ein Handy geklaut hatten, hatte Mariannes Nachbarin Luri endlich grünes Licht für ein Aulaeum gegeben.
Bei Aulaea handelt sich um etwa tellergroße mit Magie durchsetzte Filzteppiche, die praktisch genau wie ein Handy funktionierten. Zumindest laut dem Geistermädchen, das im Grunde keine Ahnung hatte wie ein Handy funktionierte, und fest überzeugt war, es habe etwas mit Magie zu tun.
Marianne war am zocken.
Mit Hilfe ihres Klassenkameraden Copper, bei dem sie einen Stein im Brett hatte, weil sie davon abgesehen hatte ihn mit einem Tisch umzubringen, hatte sie es geschafft sich das Menschenspiel "Clash Royal", zusammen mit ein paar passenden Cheats herunter zu laden.
Der Metalldämon aus der 8a hatte Marianne und deren beste Freundin Edres auf der Erde verraten. Lange Geschichte.
Aber daran dachte Marianne gerade nicht.
Viel zu abgelenkt war sie mit ihrer Clash Royal Schummelei.
Ohne Betrug wäre das Spiel aber auch gehörig unfair gewesen, schließlich schummelten die anderen auch. Ihr ständiges Verlieren konnte ja schließlich nicht daran liegen, dass Marianne nicht gut in dem Spiel war. Sie war super gut!
Jetzt beobachtete das Geistermädchen mit den kastanienbraunen Locken kichernd, wie ihr Elektrodrache mit unendlich Leben den Turm des Gegners zerfetzte.
So ein Opfer.
Plötzlich machte sich das mit Magie durchsetzte Stück Stoff durch ein aggressives Vibrieren bemerkbar.
Grüne Wellen und Edres' dämlich grinsendes Gesicht schoben sich über Mariannes Siegeszug.
Eilig ließ der Geist die Nachricht ihrer Freundin zu.
"Was gibt's, Edres? Ich war voll am gewinnen!", brüllte sie gegen das Plärren des Plattenspielers an.
Edres' Bild auf dem Stoff legte den schwarz behörnten Kopf schief. Das grüne, grasähnliche Haar, das struppig auf ihrem Kopf wuchs, kippte wippend zur Seite.
"Was?", brüllte sie zurück.
Marianne pflückte ein flauschiges Kissen vom Sofa und pfefferte es geradewegs auf den Plattenspieler.
Mit einem kläglichen Quietschen verstummte das Gerät.
"Ich wollte fragen, warum du anrufst", antwortete Marianne, als sei nichts geschehen. Im Hintergrund krachte die Platte vom Spieler und zerbrach auf dem Boden. Zum Glück hatte Marianne zwölf von der Sorte.
"Oh, ich bin einfach schon aufgeregt wegen morgen. Und ich habe gehört, wir bekommen eine Neue.", trällerte Edres und hüpfte aufgeregt auf auf und ab.
"Hä, morgen ist doch frei, warum sollte ausgerechnet da eine neue Schülerin kommen?" Das pummelige Mädchen mit der Brille kratzte sich zwischen ihren langen, unordentlichen Locken.
Die Erddämonin auf dem Aulaeum zuckte mit den massigen Schultern.
"Keine Ahnung. Die ist wohl von ihrer alten Schule geflogen. Brandstiftung, glaube ich."
Marianne brach in überdrehtes Gelächter aus, wie ein Nachthemd tragender Superschurke.
"Oh Eeeeedres, das ist genial! Ich mag sie jetzt schon!"
Edres schüttelte entgeistert den Kopf. Im Hintergrund konnte Marianne den schuppigen Schwanz ihrer Freundin wütend zucken sehen. Der grüne Graspuschel an der Spitze ließ ihn dabei wirken wie ein Katzenspielzeug. "Nein. Das muss jetzt doch nicht schon wieder sein. Ich meine, solche Brandstiftung geht schon ein bisschen zu weit. Das ist nicht Mülleimer anzünden, das ist Häuser anzünden! Müssen wir uns wirklich schon wieder selbst Schwierigkeiten machen? Und dann auch noch auf der Klassenfahrt? Mama sagt, das wird eine ganz besondere!", jammerte die Erddämonin und ihre grasgrünen Augen sahen die kleinere Dämonin, aus dem Stoff heraus, flehend an.
Marianne fiel die Kinnlade herunter. "Bitte was?! Klassenfahrt?!", japste sie, völlig überrumpelt, und richtete fahrig ihre runde Kupferbrille. Edres verdrehte vor Frust die Augen. So sehr, dass nur noch der dunkelgrüne Teil zu sehen war, der bei Menschen wohl weiß gewesen wäre. "Ja, du weißt schon, die Klassenfahrt morgen. Alevtina hat doch gesagt dass die was ganz besonderes wird!", quengelte Edres und verdrehte die Augen erneut. Mariannes tote, bleiche Haut wurde noch bleicher und um ein Haar wäre ihr das Aulaeum herunter gefallen. Fräulein Alevtina, Mariannes und Edres' Klassenlehrerin, hatte tatsächlich schon vor Wochen eine Klassenfahrt angekündigt.
"Grundgütiger, ich habe die Klassenfahrt vergessen", keuchte das Geistermädchen panisch, "ich habe noch nicht einmal gepackt!"
Edres schlug sich die Hände vor ihr erdiges Gesicht. Ein bisschen Staub rieselte herab. "Dann beeil dich! Bei Malus und Malitia, mach schnell!", kreischte die muskulöse Dämonin und wedelte mit ihren Armen, wie ein geschockter Vogel. Marianne wimmerte etwas unverständliches und legte auf. Verdammter Mist! Sie würde ewig brauchen! Sie wusste ja gar nichts über die Klassenfahrt! Wie lange war die Reise überhaupt? Sie hatte keine Ahnung. Grundgütiger! Sie hätte der verdammten Alevtina zuhören müssen!
In rekordverdächtiger Geschwindigkeit flog das tote Mädchen in ihr Schlafzimmer und zog den Koffer der letzten Klassenfahrt unter ihrem Bett hervor. Eilig warf Marianne alles aus der Tasche, das nicht mehr akzeptabel roch oder seit der letzten Fahrt von den Lehrern verboten worden war, und füllte den freigewordenen Platz mit Wintersachen und Handtüchern. Wenigstens brauchte sie keine Ersatzkleidung. Geister konnten die Kleidung, in der sie gestorben waren, nicht ablegen.
Mit Tränen in den Augen entfernte Marianne ein Springseil (die waren verboten, weil Maarten jemanden aus der 8a mit einem verdroschen hatte), einen XXXL Eimer Schleim (über das Schleimdebakel des Vorjahres wurde nicht geredet, aber es hatte etwas mit kneten, werfen und Haaren zu tun), ein Lexikon der übelsten Schimpfwörter, einen Agriffskuchen (Der hatte einmal versucht Ellelibs Flügel zu fressen) und mehrere Stinkbomben. Am Ende hatte Edres schließlich recht und Marianne brauchte wirklich nicht noch mehr Ärger, jetzt, da sogar der Regierungsabgeordnete Penbel, ein grässlicher, blauer nach Zahnpasta riechender Elf, auf ihre Missetaten aufmerksam geworden war.
Nach kurzem Zögern packte sie den XXXL Eimer Knetschleim dann aber doch wieder ein. Auf den konnte man auf der Reise einfach nicht verzichten. Und sie würde ihn ja auch einfach verstecken können. Alevtina würde gar nichts mitbekommen. Dennoch stellte sich schon bald das erste Problem ein: Die Tasche war voll, und Marianne hatte noch lange nicht alles eingepackt. Nach kurzem Zögern schwebte der Geist zu ihrem Schrank hinüber und begann einen weiteren, gigantischen Koffer heraus zu zerren.
Ohne Umschweife begann sie seinen verbeulten Innenraum mit allerlei Essen zu füllen. Zwar mussten Geister streng genommen nicht essen, aber sie genoss es doch sehr.
Dracula, Mariannes Lieblingsbuch, ein Kleiderständer, man wusste schließlich nie, ob man einen brauchen würde, ein Fächer, mehrere Töpfe, zwei Flaschen Hopdop, ein übertrieben süßes Getränk, das gerade alle tranken, eine Zimmerpflanze, mehrere Stofftiere und alles, das man für ein gutes altes Spiel Lexquo, Mariannes Lieblingssport, brauchte wanderten ebenfalls in den Koffer.
Jetzt ging das blöde Teil auch fast nicht mehr zu.
So ein Mist!
Nach kurzem Zögern schnappte sie sich noch ihren Schulrucksack und stopfte einen Haufen Pflaster, eine Decke, Bettwäsche und Badezimmersachen hinein.
Klopapier würde sie einfach aus den Zimmern der Anderen stehlen.
Wer würde denen schon glauben?
Zufrieden blickte das Geistermädchen auf ihr Werk.
Drei pralle, schwere Gepäckstücke standen auf dem Boden ihres Schlafzimmers. Der Rest ihrer Habseligkeiten war überall im Zimmer versteut, als hätte man ihr Haus mit schwerer Artillerie beschossen. Und als Kind des ersten Weltkriegs kannte sich Marianne durchaus mit Artillerie aus.
Und jetzt sollte sie sich besser schlafen legen, bevor sie morgen auf Klassenfahrt gehen würde.
Sie gähnte und fiel über ihrem, mit Zeug bedecktem, Bett aus der Luft.
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