Kapitel 8 - Alte Feinde
Der Zeuge
Der Wind bahnte sich einen Weg über den sandigen Boden und riss einzelne Sandkörner mit sich. Wie Blätter in einem Wald, wurden sie von ihm mitgerissen und fuhren über den dunklen Stoff, den ich über meiner Haut trug. Es war, als würde der Wind mit der kleinen Munition versuchen mich aufzuhalten, zusätzlich riss er noch an meinem Umhang und der Kapuze. Doch ich war nicht so einfach aufzuhalten. Mit eiserner Entschlossenheit stampfte ich durch den Sand und hielt den Blick immer gerade aus.
Nach stundenlangem Laufen kam ich meinem Ziel immer näher. Auch die Berge wurden mir immer deutlicher, die bis dahin nur schwache Umrisse am Horizont gewesen waren. Aufmerksam hob ich den Kopf, als ich das schwache Leuchten vernahm, das vom Boden aus dem Nachthimmel entgegen strahlte. Die Berge bauten sich vor mir auf – steinerne, kühle Festungen. Von ihren weitentfernten Spitzen aus stammte das schwache Leuchten. Nicht nur schwach, für niedrige Geschöpfe auch unsichtbar. Nur Auserwählte – so wie ich – besaßen die Macht, dieses Leuchten zu erkennen und den Ort zu betreten, der sich hinter den steinernen Wänden befand.
Ich vernahm ein freudiges Gefühl in meinem Inneren, in den Fingern spürte ich ein angenehmes Kribbeln, als ich den Bergen immer näher kam. Jahrhunderte hatte ich darauf warten müssen, diesen Ort zu betreten und die Schätze zu berühren, die dort lagen und warteten: Artefakte und unbezahlbare Kostbarkeiten. Ich war gespannt darauf zu wissen, wie viel sich während meiner Abwesenheit verändert hatte. Und ich wollte das in den Fingern halten, was mir in all der Zeit verwehrt worden war. Einfach gesagt: Ich wollte Gerechtigkeit.
Mit jedem Schritt verspürte ich dieses Gefühl deutlicher in meinem Körper. War es Zufriedenheit? War es Aufregung? Es war ein unbeschreibliches Gefühl, das gleichzeitig auch so erstickend und schwer lag. Mein vom Wind erfasster Umhang, flatterte hinter mir in der Luft und wirkte wie ein langgezogener Schatten, der mir überallhin folgte. Mehr war ich selbst in all den Jahrtausenden auch nicht gewesen. Ein Schatten, eine Existenz ohne Körper. Doch nun stand alles davor sich zu verändern. Mir standen starke Verbündete zur Seite und mit ihren Tricks und Fähigkeiten, lag die Vollendung der absoluten Macht nah.
Dann sah ich die Wolke und blieb sofort stehen. Eine Ansammlung aus wabernder, funkelnder Rauch ruhte vor mir an dem Fels des Berges und schien zu warten. Nein, nicht dieser Rauch. Dieser Rauch konnte nicht warten. Aber er konnte bewachen und beobachten. Und genau diese zwei Dinge tat er: Er bewachte den Eingang und beobachtete mich.
,,Mein alter Freund, wie lange waren wir voneinander getrennt?"
Mit einer langsamen Bewegung zog ich mir die Kapuze vom Kopf. Meine blutroten Augen bohrten sich durch die Dunkelheit hindurch zur funkelnden Rauchwolke. Ein Fauchen erzitterte die Luft, ein wütendes Leuchten durchdrang die Wolke. Mit einem weiteren Fauchen stieß sich die Wolke vom Fels und glitt wie ein gefallenes Blatt in Richtung Boden.
Wieder vernahm ich dieses Kribbeln. Zu gerne würde ich diese Seele wieder Teil meines Körper werden lassen. Wenn ich könnte – wenn ich die Macht dazu hätte – würde ich mir diese Feuerseele nehmen und sie an mich binden, um wieder die Macht zu haben, die mir zustand. Aber ich konnte es nicht - noch nicht.
Als die Rauchwolke fast den Boden erreicht hatte, durchdrang ein neues Licht ihren Körper und zu dem Fauchen vermischte sich eine beißende, vor Wut triefende Stimme. ,,Verschwinde von hier! Du hast kein Recht die Kammer zu betreten!"
Verwirrt legte ich den Kopf zur Seite. ,,Habe ich nicht? Sie wurde von mir und meinen Brüdern erschaffen. Mit meinen eigenen Händen habe ich die Räume gebaut und die Kristalle in der Kammer wachsen lassen. Demnach gehört sie auch mir, also habe ich auch das Recht hier zu sein."
,,Du bist kein Blinder Bruder", erwiderte die Feuerseele zornig. ,,Hast du es nicht gewusst? In den Geschichten erzählt man sich von sechs Brüdern und nicht von sieben. Du bist in Vergessenheit geraten, Zeuge."
Von Wut getroffen, verengten sich meine Augen zu schmalen Schlitzen. Wie konnte es meine eigene Seele wagen so mit mir zu sprechen? Aber na gut, schlau war er noch nie gewesen. Wäre er schlau, so hätte er sich nicht vor fünftausend Jahren von mir abgewandt, als der Zeitpunkt gewesen wäre das Fundament zu erschaffen.
,,Du solltest deine Wut gut einteilen, Dunkler", sagte ich ruhig. ,,Nicht mehr lange und wirst keine Chance mehr haben, wütend auf mich zu sein."
Mit einer Hand zog ich mir die Kapuze wieder über den Kopf. Dann wandte ich mich ab und ging meinen Weg langsam zurück. Zu gerne ich die Kammer auch betreten wollte, so hatte die Feuerseele recht: Ich war kein Blinder Bruder und die Magie, die fürs öffnen der Kammer benötigt wurde, besaß ich auch nicht - noch nicht.
,,Ich werde nie weder, zu dir gehören!", rief mir die Feuerseele wütend nach. ,,Du trägst keine Magie mehr in dir, du wirst mich also nicht an dich binden können. Einzig der erste Ätherkristall ist dazu fähig, aber an ihn wirst du auch niemals kommen!"
Sofort blieb ich stehen. Der Wind ergriff von neuem nach mir und die Schatten umgaben mich wie einen finsteren Heiligenschein. Sie waren meine Freunde und gleichzeitig auch mein Versteck. Und vor allem, waren sie loyal. Nicht so wie manche Feuerseele.
,,Du hast recht, Dunkler, ich werde nicht an den Schein kommen. Aber jemand anderes wird mir die Tür öffnen." Mit verborgener Freude blickte ich über die Schulter zum Dunklen zurück. Hohn schwang in meiner Stimme als ich sagte: ,,Der dunkle Daegor wird es für mich tun."
Die Worte erfüllten ihre Wirkung. Die Wolke wurde von einem Lichtstrahl auseinander gerissen und der Rauch fuhr an mir vorbei. Wie Messerschnitte versuchten sie die dunkle Kleidung und die darunterliegende Haut aufzureißen, aber es fühlte sich für mich nur wie ein besonders kühler Windzug an.
Vor mir nahm die Feuerseele wieder Gestalt an. ,,Lass ja den dunkeln Daegor aus dem Spiel!", schrie mich die Seele an. ,,Du hast ihr schon die Familie genommen, behalte also auch den Rest deines Giftes bei dir!"
,,Hättest du dich nicht so viele Jahre in ihr versteckt, wäre das Mädchen für mich nun uninteressant. Und ihre neuen Freunde, sind genauso mit dem Schicksal des Scheins verbunden."
,,Was interessieren dich drei Scalras?", fragte der Dunkle.
,,Mich? Nichts."
Als ich die Hand hob, stieg neben mir ein schattenhafter Tentakel vom Boden empor. Der Tentakel folgte meinen Bewegungen und als ich einen Finger nach vorne streckte, schoss auch der Tentakel nach vorne. Kurz bevor der Schatten ihn berühren konnte, wich der Dunkle zur Seite aus. Somit machte er den Weg frei. Mit einem dankbaren Nicken lief ich an ihm vorbei. Als ich die Hand senkte, löste sich der Tentakel auf.
,,Aber die Kaiserin sucht nach ihrem verlorenen Sohn", sprach ich weiter. ,,Sie hat mir schon einmal geholfen das Mädchen zu finden, sie wird es wieder tun. Und im Gegenzug bringe ich ihr den Brecher."
,,Was hast du getan?", knurrte der Dunkle. ,,Hast du dem Imperium gesagt wo ich bin?"
Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. ,,Es war ein fairer Deal."
,,Du wirst das Fundament niemals erschaffen!", schrie der Dunkle mir nach. ,,Du kennst den dunklen Daegor nicht so gut wie ich. Sie wird dir niemals helfen!"
Das letzte Mal blieb ich stehen. Als ich mich langsam umdrehte, folgten ein dutzend Schatten meiner Bewegung. Wie ein Meer aus Finsternis umhüllten sie mich und tanzten im Licht der zwei Monde. Manch einer von ihnen benahm sich wie ein Schlange. Mit hypnotisierenden Bewegungen zuckten sie von einer Seite zur andere und umwickelten die Beine ihres Meisters.
,,Du hast recht, ich kenne dieses Mädchen nicht besonders gut", sprach ich und dabei vernahm man die hallenden Stimmen der Schatten, die mir wie ein Echo nach sprachen. ,,Aber ich kenne die Kräfte, die du ihr überlassen hast – meine Kräfte. Sie werden ihren schwachen Körper und gebrochenen Geist solange quälen, bis sie bereit ist sie für ihr eigenes Leben einzutauschen. Der dunkle Daegor wird wieder ein Teil von mir werden. Es ist nur die Frage, wie viele Leben bis dahin geopfert werden müssen."
Ich hob von neuem meine Hand. Eine der Schattenschlangen erhob sich, ihr schwerer, heiser Atem ließ die Luft erzittern. Es brauchte nur einen gedanklichen Befehl von mir und die Schlange stürzte sich auf die Feuerseele. Dieses mal konnte der Dunkle nicht rechtzeitig ausweichen und wurde von der Schlange zu Boden geworfen. Ihr Kreischen durchbrach die Stille der Nacht, als die Feuerseele ihr zwischen den schattenhaften Klauen entwich, dennoch ließ ich sie zurückkommen. Die Spitzen ihrer Krallen fuhren über meine ausgestreckte Hand und streiften dabei etwas an meinem Handschuh ab: Eine Spur aus funkelndem Glitzerstaub.
Als ich die Hand zur Faust ballte, wurde der Glitzerstaub vom Leder meiner Handschuhe erstickt. Es wird Zeit das Spiel zu beginnen. Mal sehen was der große Brecher wirklich so alles drauf hat.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro