Kapitel 29.1 - Portal ins Licht
Echo
Keuchend stützte ich mich an der Sandwand ab. Ich spürte regelrecht, wie schlaff und schwer sich meine Lungen bei jedem Atemzug bewegten, als wären sie mit Steinen gefüllt. Es war kein sehr angenehmes Gefühl und meine körperliche Abneigung gegenüber meiner Umgebung verhalf es nicht besser zu machen.
,,Echo, wo bleibst du?"
Auch wenn er es nicht hören konnte, verdrehte ich beim Klang von Pans heiterer und aufgeweckten Stimme die Augen. Ich konnte verstehen, warum er so fröhlich klang, aber konnte nicht vergessen, dass wir beinah einen halben Tag damit verbracht hatten über einen Umweg den letzten Teil unseres eigentlichen Weges zu erreichen. Außerdem war ich nicht besonders gut drauf, weil die Nacht nach dem Blorm-Angriff nicht viel ruhiger verlaufen war. Angst und Schmerzen hatten mich lange wachgehalten, wodurch mir nur ein paar Minuten Schlaf gegeben worden waren. Die Blorms waren zwar nicht mehr aufgetaucht, aber das Wissen, dass sie irgendwo um uns herum noch herumkrochen, hatte mich die ganze Zeit in Kampfstellung gehalten.
Zum Frühstück hatte es nur eine Scheibe Brot gegeben – ohne Trockenfleisch – und anstatt durch den vor uns liegenden Teil des Tunnels zu laufen, waren wir den ganzen Tunnel wieder zurückgelaufen, um einen anderen zu nehmen, der über einen großen Bogen parallel verlief und zu selbem Ausgang zur Oberwelt führte. Laut Pan war Sharmi wegen dem gestrigen Blorm-Angriff aufgewühlt und hatte ihr Nest nicht verlassen. In solch einer angespannten Lage sollte man einer zukünftigen Sandspeier-Mutter und ihrem Gelege nicht zu nahekommen.
Und so befanden wir uns nur noch wenige Meter vom Ausgang entfernt und meine Beine waren kurz davor zu versagen. Neben meiner Erschöpfung und dem Hunger, kamen noch die Schmerzen meines Armes dazu. Wenn ich meinen Arm ruhig hielt, war alles in Ordnung, doch jede große Bewegung rief Schmerzen hervor, gefolgt von einem quälenden Brennen an den Muskeln. Solche Schmerzen bei nur einem einfacheren Biss, zum Glück wusste ich nicht welche Schmerzen man fühlte, wenn der Biss einem die Magie stahl. Der notdürftige Verband war übersät von Sand, der zu meiner Haut hindurch gekommen war, wodurch der Stoff unangenehm kratzte.
,,Echo?" Das Licht der Laterne kam näher, als Pan zu mir trottete. ,,Alles in Ordnung?"
Weiterhin keuchend nickte ich, bevor ich mich irgendwie zusammenraffen und aufrecht hinstellen konnte. ,,Ja...Die Luft wird nur...etwas anstrengend."
Die Haut um Pans Augen verzog sich, als er mich aufmunternd anlächelte. ,,Halt noch ein bisschen durch – bald sind wir da. Und...dein nächstes Ziel ist auch ganz nah."
Überrascht richtete ich mich noch ein Stückchen mehr auf. ,,Die Kammer? Was meinst du damit?"
,,Das du sie heute noch sehen wirst – wenn du es willst. Ich habe dir gesagt, ich werde dich zur Kammer bringen...also habe ich es getan."
,,Pan, ich sage das eigentlich nie. Aber...du bist der Beste!"
Das breiter gewordene Lächeln blieb nicht verborgen, obwohl Pan versuchte so gleichgültig wie möglich zu wirken. Zudem schien bei meinem Lob eine Art freudiges leuchten seine Augen wie zwei Obsidiane erstrahlen. Dabei kam ich nicht drumherum zu bemerken, dass seine Augen schön aussahen, wenn er sich freute.
Dieses Mal blieb Pan nah bei mir, als wir weitergingen. Er schien extra langsam zu laufen, dabei konnte er viel schneller laufen. Wollte er nun näher bei mir bleiben, wenn wir unser Ziel bald erreichten? Doch von unserem Weg ans Licht bemerkte ich noch nicht viel. Unsere Umgebung blieb unverändert, keine Neigung nach oben und nicht einmal der Tunnel veränderte sich.
Am Ende des Tunnels öffnete sich eine bekannte Stelle im unterirdischen System: Eine Fläche, von der mehrere Tunnel ausgingen und ins Leere führten. Zu meiner Überraschung stieß Nillja einen Schrei aus und flatterte nach oben an die Decke. Durch das schwache Licht konnte man nur ihren schummrigen Umriss an der Decke erkennen und wie sie manchmal an einer Stelle verharrte, als würde sie nach etwas in der Decke suchen.
,,Noch mehr Tunnel?", stöhnte ich auf. ,,Sagtest du nicht wir hätten bald das Ende erreicht?"
,,Haben wir auch."
,,Und wo?"
,,Soll ich dir verraten, weshalb sich mein Volk von der Kammer normalerweise fern hält?"
Verwirrt starrte ich Pan an. Was sollte denn nun diese Frage? Doch Pan blieb aus irgendeinem Grund hartnäckig und starrte mich einfach nur an. Seufzend nickte ich und verschränkte abwartend die Arme.
,,Wegen der Magie", antwortete Pan. ,,Bei dem ersten Ätherkristall handelt es sich um eine geformte Gestalt von ursprünglich sechs Magiern. Somit handelt es sich bei dem ersten Ätherkristall um die stärkste und größte Quelle an reiner Magie."
,,Das weiß ich..."
,,Aber du weißt nicht, dass der Einfluss des Kristalls – sein sogenannter Schein – auch außerhalb der Kammer spürbar ist. Uns Menschen und auch den Tieren bleibt dieser Einfluss verborgen, aber die Natur spürt den Schein, wodurch sie verändert wird."
,,Sie wird verändert?"
Nickend wies Pan zur Decke, an der Nillja scheinbar immer noch ziellos herumflatterte. Ab und zu vernahm man ein leises Krächzen von ihr, welches traurig klang.
Doch auf einmal stieß sie von der Decke weg und flog geradewegs auf eine der unberührten Sandwänden zu. Beinah hätte ich mir die Hand vor den Augen gehalten, um nicht mit ansehen zu müssen, wie der kleine Falke gegen die Wand flog. Doch...sie flog gar nicht gegen die Wand. In dem Moment, als ich ein Aufprall erwartete, schien sie durch die Wand hindurchzufliegen. Nillja war einfach weg.
Was zum...
Als mich etwas meine Hand streifte, zuckte ich zusammen. Doch es war nur Pan, der stumm darum bat meine Hand zu nehmen. Zögerlich griff ich nach seiner hellen Hand. Kaum schlossen sich seine warmen Finger um meine, vernahm ich ein angenehmes Kribbeln auf meiner Haut – beruhigend, als würde es mir Schutz anbieten. Kurz starrte ich auf meine Hände, bis Pan mich zur Wand führte, bei der Nillja verschwunden war. Als wir der Wand näherkamen, bemerkte ich eine Art kühlen Luftzug, der mir bis dahin noch nicht aufgefallen war. Aber wie konnte ein Luftzug hinter einer Wand herkommen, die sich unter der Erde befand?
Bevor ich länger darüber nachdenken konnte, schlossen sich Pans Finger fester um meine Hand und mit einem großen Satz trat er durch die Wand und riss mich mit sich. Ich schrie erschrocken auf, bevor ich nach vorn über in weichen Sand fiel, dessen strahlende Farbe mich fast blendete. Doch...nein...es war nicht die Farbe des Sandes die mich blendete. Es waren Sonnenstrahlen, die vom Sand aufgefangen und reflektiert wurden.
Sofort schaute ich mich um und erkannte, dass wir uns wieder oberhalb der Erde befanden. Strahlend und heiß stand die Sonne weit über uns am hellblauen, wolkenlosen Himmel und Sand erstreckte sich meilenweit über den Boden. Zwischen dem Sand erhob sich allerdings etwas anderes und viel Größeres. Es waren Berge, aus gräulichem und orangefarben gesprenkeltem Stein. Nicht solch eindrucksvollen Berge wie in Tauen oder die Meridian-Berge in Thyra, aber dennoch eine beindruckende Abwechslung von der sonst sandigen, trostlosen Landschaft.
,,Wir...wir sind innerhalb der Toten Wüste", stellte ich fest und stand auf.
Während ich mir den Sand von der Hose und Jacke klopfte, schaute ich nach Pan. Dieser stand direkt neben mir und blickte mit einer Hand schützend vor den Augen zum Himmel. Dort zog eine äußerst fröhliche Nillja ihre Kreise.
,,Aber wie sind wir..."
Verwirrt drehte ich mich um, auf der Suche nach dem Tunnel, in dem wir uns eben noch befunden hatten. Aber statt eines Tunnels, sah ich einen Berg. Seine Fassade sah sehr steinig und hart aus, wodurch ich mir nur schwer vorstellen konnte, dass wir eben dadurch gegangen waren wie durch eine Tür.
Doch noch während ich zweifelte, kamen wir Pans Worte wieder in den Sinn. ,,Die Natur spürt den Schein, wodurch sie sich verändert."
,,Macht Sinn, oder?", scherzte Pan. ,,Was glaubt du, wie dumm ich das erste Mal geschaut habe, als Sharmi einfach durch die Wand gekrochen ist."
,,Heißt dass, die Tunnel sind innerhalb des Berges?"
Pan zuckte mit den Schultern. ,,Man hat nicht gespürt, wie man sich wieder der Oberfläche nährte. Es könnte auch sein, dass es eine Art Portal ist. Die Blinden Brüder waren einst dafür bekannt in ihrem Zuhause magische Portale zu anderen Orten erschaffen zu haben."
,,Und wo ist jetzt die Kammer?"
Wortlos deutete Pan nach vorne. Zuerst dachte ich er zeigte ziellos ins Nirgendwo, doch er zeigte deutlich auf einen der anderen Berge. Er befand sich etwas ablegen von den anderen Bergen und von weitem wirkte seine Gestalt kleiner. Als wäre er der Schwächling unter den Bergen.
,,Sieht weit weg aus", murmelte ich besorgt vor einer weiteren harten Wanderung.
Pan lächelte nur und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. ,,Wenn wir jetzt aufbrechen, wird es nicht lange dauern. Manchmal trügt die Entfernung. Eine der ersten Lehren der Sandschlangen ist es, sich nicht nur auf seine Augen zu verlassen. Deine Augen können dich betrügen, vor allem wenn es um Entfernungen in der Wüste geht."
,,Was ist hiermit?", fragte ich und hob meinen Arm mit dem schlecht sitzenden Verband.
Kurz verharrte Pans Blick auf meinem Arm. Dann schaute er mir in die Augen und schmunzelte. ,,Also gut. Zuerst neuer Verband und dann brechen wir auf."
Dieses Mal wickelte Pan meinen Arm nicht nur ein, dieses Mal kümmerte er sich auch um den Biss. Die tiefen Abdrücke der Zähne waren noch klar zu erkennen und die Haut drum herum und dazwischen war rot verfärbt. Aus einer seiner Beutel holte er ein Behälter aus Leder heraus, in dem sich mehrere Gläschen befanden. So wie die Gläschen mit Körnern, Blättern und Flüssigkeiten gefüllt waren, erinnerte es mich an Caitlains Heilkräuter. Pan legte ein langes, ovalförmiges Blatt auf den Biss, tunkte einen Stofffetzen in eine der Flüssigkeiten und legte diesen Fetzen über das Blatt und über den Biss. Danach legte er einen neuen Verband an.
,,Das Blatt schützt die Wunde vor Sand und heißem Wind", erklärte Pan. ,,Die Flüssigkeit besteht aus stark verdünntem Saft aus Kakteen und Nektar von Wüstenblumen. Die Haut trocknet nicht aus und wird beruhigt."
,,Mir allein genügt es, wenn der Biss problemlos verheilt." Dennoch beobachtete ich genau, wie konzentriert und schwingenden sich Pans Hände bewegten. Als würde er sich in eine Art Rhythmus oder Tanz befinden. ,,Dieses Blatt und die genau Beschreibung der Flüssigkeit...das klingt als hättest du es auswendig gelernt. Noch eine Lehre der Sandschlangen?"
,,Lehren und Überleben. Meine Großmutter war die oberste Heilerin unseres Clans. Eigentlich lernen Frauen wie man heilt, aber meine zwei Brüder und ich wussten schon, wie man einen gebrochenen Knochen richtet, bevor wir unsere erste Klinge schmiedeten."
,,Ihr habt eure eigenen Klingen geschmiedet? Etwa auch..." Meine Hand fasste nach hinten. Abends hatte Pan mir noch die lederne Fassung vom Schwert gegeben, welches er mir einfach so überlassen hatte. Ich trug das dunkelbraune Stück Leder auf meinem Rücken, wo mich einzig das Gewicht des Schwertes ein wenig störte.
Nickend wandte sich Pan ab, in Richtung unseres neuen Zieles. ,,Ja, auch dein Schwert wurde durch meine Hände erschaffen. Gehen wir jetzt?"
Mein Körper hätte es besser gefunden für einen längeren Moment hierzubleiben und ruhen zu können. Aber stattdessen ging es weiter, zur hoffentlich letzten Etappe unserer Reise. Während unserer Wanderung hielt ich öfters den Blick zum Himmel gerichtet, in der Hoffnung neben Nillja und ein paar Geiern zwei viel größere Gestalten zu entdecken. Ganz bestimmt waren sie noch in den Südlanden, wahrscheinlich suchten sie noch nach mir. Der Gedanke daran, wie Sternengold vielleicht wahnsinnig vor Sorgen im Sand grub, bereitete mir Schuldgefühle. Deswegen versuchte ich mit meinen Gedanken nach ihm zu rufen oder nach seinem Bewusstsein zu suchen. Dabei hatte ich jedoch keinerlei Erfolg. In der Baumsavanne war es einfacherer gewesen, wahrscheinlich weil er sich dort trotz allem in meiner Nähe befunden hatte. Aber hier konnte sich Sternengold auch am ganz anderen Ende des Kontinents befinden, ohne dass er meine Rufe vernahm. Hoffentlich ging es ihm gut und hoffentlich achtete Schattenpfeil auf ihn.
Nicht mehr lange, dachte ich und versuchte mich selbst zu beruhigen. Ich werde es jetzt zwar ohne Schattenpfeils Hilfe schaffen, aber bald ist es getan. Und dann werde ich meine Wyvern-Freunde finden und wir fliegen zusammen nach Hause.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro