Kapitel 17.2 - Ein Ort der Sicherheit
Fynch
Mikhael führte mich nah an den Rand des Dorfes, der hölzernen Barrikade immer näher. Hier wichen die Hütten und Gebäude zurück und durch fehlende, spezielle Düfte, wurden die Gerüche der Baumsavanne intensiver. Doch dabei stach ein Geruch stark hervor. Ein mir sehr bekannter Geruch, der mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
Mehrere Futter- und Trinkstellen waren entlang der Barrikade errichtet worden und um diese mit Stein ausgelegten Stellen, hatten sich mehrere Geschöpfe versammelt: Wolvers. Mehrere Wolvers aßen das frische Fleisch oder stillten ihren Durst, um danach die Strahlen der Sonne zu genießen. Doch zwischen ihnen stachen zwei schuppige Körper hervor, einer silbern-schwarz gesprenkelt und der andere weiß mit einem hellgrauen Muster am Rücken.
,,Sommer!", rief ich, kaum das ich einen Blick auf meine Sha'Kmals erhaschte. ,,Efeu!"
Sofort hoben meine Drachen ihre Köpfe. Während Efeu sich umschaute, folgte Sommer meiner Stimme und kam mit donnernden Schritten auf mich zu gerannt. Sein Körper schien vor Freude zu beben und er klackerte freudig vor sich hin, während er seine Schnauze an meiner Brust rieb. Froh darüber, mein treues Reittier nach den letzten Erlebnissen zufrieden und gesund anzutreffen, machte mich genauso zufrieden. Meine Hände strichen über Sommers Stirn und klopften seinen Hals entlang bis zur Schulter. Efeu erreichte uns kurz darauf. Wie ein kleines Kind, das nach Aufmerksamkeit rief, versuchte er seine Schnauze zwischen mir und Sommer zu schieben, solange bis eine Hand von mir ihm den Kopf tätschelte. Ihm ging es scheinbar auch gut und gesund sah er auch aus – sie schienen sich beide zum Glück schon an die Umgebung gewöhnt zu haben.
,,Zu Beginn haben sie und die Wolvers sich noch gegenseitig angeknurrt", hörte ich hinter mir Merlin sagen. ,,Aber mittlerweile werden sie akzeptiert. Ich glaube es hat viel geholfen, dass sie sich schon mit Naruu angefreundet haben."
,,Was ist mit Caitlain passiert?"
Langsam wandte ich mich nach hinten. Merlin schien an seinen eigenen Worten zu stocken und nach passenderen zu suchen. Mikhael dagegen hielt meinem Blick stand. Ich sah Schmerz und noch Spuren von Wut gegen die Scalras und dem schattenhaften Legionär.
,,Habt ihr sie an der Kluft liegen gelassen?"
Sofort schüttelte Mikhael den Kopf. ,,Haben wir nicht."
,,Und wo ist sie dann?"
{...}
Die Sternenkinder hatten eine besondere Verbindung zur sogenannten geistigen Ebene, die ich bisher nur von den Geist-Beschwörern gekannt hatte. Den Ureinwohnern von Ashlyver ging es um die natürliche Ordnung zwischen Menschen, magischen Völkern, Tieren, Kreaturen und der Natur. Zuletzt hatte ich während meiner Ausbildung einige Bücher über die Sternenkinder gelesen, wo geschrieben stand, dass die Sternenkinder noch eine Art Verbindung zur Totenwelt besaß. Der Fluss der Magie, in dem sich die magischen Seelen von Verstorbenen sammelten, stammte ursprünglich aus Ashlyver und war einst ein besonderes Zeichen für die Sternenkinder und ihre Verbundenheit zur Magie gewesen.
All diese Dinge kreisten mir im Kopf, als ich Mikhael und Merlin folgte. Sie führten mich eine Treppe hinunter in eine verborgene Höhle unter Antylar. Die grau gesprenkelten Treppen reflektierten das blitzende Licht der Fackeln und der weiß leuchtenden Kristalle, die wie Blumen aus der Erde herauswuchsen. Mir persönlich bereitete der Weg nach unten eine Gänsehaut und eine gewisse Nervosität. Ich führte keine Waffen bei mir und der tiefführende Gang war so eng, dass wir hintereinander herlaufen mussten und es kaum möglich war, sich mitten im Gang einfach umzudrehen.
Nach vielen – sehr vielen – Stufen öffnete sich vor uns eine riesige Höhle, die erfüllt war vom Licht der Kristalle. Aberhunderte Kristalle wuchsen aus den Wänden und der Decke: Weiße Kostbarkeiten, mit denen man in Thyra über eine Millionen Dimmen verdienen könnte. Aber den Sternenkinder ging es nicht um Geld und dem Wert von materiellen Dingen, wahrscheinlich auch einer der Gründe, weshalb sie sich in die Baumsavanne zurückgezogen hatten.
In der Mitte der Höhle befand sich eine Art langer Tisch, der aus einem einzelnen Kristall bestehen zu schien. Auf diesem Tisch lag ein bewegungsloser Körper. Friedlich lag er da, die Hände auf die Brust gelegt und eine tiefe Ruhe im Gesicht – als würde dieser Körper schlafen.
Aber Caitlain schlief nicht.
Vor dem Tisch stand eine Person. Eine Frau mit langem Haar und einem hauchdünnen Umhang über den Schultern, dessen Stoff aussah wie aus Spinnenweben. Als sie unsere Schritte hörte, drehte sich die Frau zu uns herum, kurz erschrocken und dann beruhigend. Auch wenn sie nicht danach aussah, so strahlte sie eine gewisse Autorität aus.
Merlin trat vor und neigte den Kopf vor der Frau. ,,Kaileena. Wir wollten dich nicht stören."
Die Frau, deren Blick an mir hängen blieb, ging gar nicht auf Merlins Worte ein, als sie den Mund öffnete. ,,Der Brecher ist aufgewacht..."
Bevor ich etwas sagen konnte, bevor irgendjemand etwas sagen konnte, trat die Frau vor mich. Ich blickte direkt in ihre strahlenden, himmelblauen Augen und atmete ihren süßen Duft ein. Sie stand ein bisschen zu nah vor mir und wäre nicht Mikhael hinter mir gewesen, so hätte ich einen großen Schritt nach hinten gemacht.
,,Mein Name ist Kaileena Jalaal", stellte sich die Dame vor. Als ihre Hand sanft und in einer merkwürdigen, vertrauten Art über meinen Arm strich, spürte ich eine bekannte Energie durch meinen Körper fahren: Die Magie einer Heilerin. ,,Ich bin die oberste Priesterin des Lichts und die-"
,,Die Anführerin der Sternenkinder", unterbrach ich sie. ,,Ich kenne die Stellungen der alt-südlischen Kultur."
Kurz spiegelte sich Überraschung in Kaileenas strahlenden Augen, diese wurde allerdings schnell von Bewunderung überschattet. Ich hielt ihrem Blick jedoch nicht lange stand, sondern blickte an ihr vorbei auf den kristallenen Tisch.
Caitlain lag in einer viel ruhigeren und friedlicheren Art vor mir als an der Kluft. Wären nicht ihre ruhende Brust und die schneeweiße Blässe in ihrem Gesicht gewesen, hätte ich beinah geglaubt, sie würde tatsächlich schlafen. Aber sie schlief nicht, dem war ich mir bewusst. Kurz sah ich sie noch einmal vor mir auf dem Boden liegen und wie ich eine Hand gegen die blutende Wunde an ihren Hals gedrückt hatte. Ich erinnerte mich daran, wie der Pfeil in ihrem Hals gesteckt hatte und wie der Schmerz mein Herz...
,,Wieso ist sie hier?", fragte ich. Ich räusperte mich schnell, um das Beben meiner Stimme zu überdecken.
Mitfühlend lächelte mich Kaileena an, doch sie drehte sich nicht zu meiner toten Schwester um. ,,Merlins Bruder Kaz hat euch beide hier hergebracht – aber für die Taube konnten wir nichts mehr tun."
,,Und warum liegt sie nun unter der Erde?"
,,Das ist unsere Grabstätte", erklärte Kaileena. ,,Siehst du die ganzen Kristalle? Das sind keine normalen Kristalle, die die Natur hat wachsen lassen. Sie sind die Gräber unserer verstorbenen Freunde und unserer Familie."
Verwirrt blickte sich Mikhael um. ,,Das sind Gräber? Aber wie?"
,,Starke Magie", antwortete Merlin stolz. ,,Und gebündelt. Ihr wärt überrascht, zu was Mykos und Beschwörer in der Lage sind, wenn sie ihre Magie für eine gute Sache vereinen."
,,Aber Caitlain war keins von beiden."
,,Eure Vergangenheit ist Vergangenheit, Brecher." Wieder streifte Kaileenas Hand über meinen Arm, doch dieses Mal verharrte sie an meiner Schulter und mit ein wenig Nachdruck, schob sie mich näher zum kristallenen Tisch. ,,Caitlain kam nicht als Scalra nach Ashlyver, sondern als eine freie Frau – eine freie Heilerin. Und als Heilerin war sie ein Kind von Ashlyver. Es ist ihr Geburtsrecht hier begraben zu werden."
Kaileenas Hand verschwand von meinem Rücken, als wir neben dem Tisch stehen blieben. Ich blickte nun direkt auf Caitlain herab und spürte wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Ungewollt bildeten sich Tränen in meinen Augen und sofort senkte ich den Blick. Caitlain sollte hier nicht liegen! Sie sollte neben mir stehen und sich zusammen mit mir und Mikhael darüber freuen, endlich frei vom Imperium zu sein!
Diese nächste Hand, die sich auf meine Schulter legte, war dieses Mal von Mikhael. Mein jüngerer Bruder schien sichtlich gefasster zu sein als ich. Stumm erduldete er seine Trauer, fähig unserer verlorenen Schwester ins Gesicht zu blicken.
,,Sie hat ihren Frieden gefunden, Fyn", flüsterte er mir zu und dabei legte er eine Hand auf den Tisch, nah am ruhenden Körper. ,,Sie hätte gewollt, dass wir auch Frieden finden."
,,Kannst du es denn so einfach?", fragte ich und wandte mich schnell – vielleicht etwas zu harsch – ab. ,,Kannst du einfach so damit Leben, dass wir jemanden verloren haben? Dass Caitlain nicht dieselbe Chance bekommen konnte wie wir?"
,,Sie ist nicht die einzige."
Verwirrt drehte ich mich zu ihm herum.
,,Ven-Gahn." Mikhael rieb sich angespannt über den Nacken, ,,er hat es auch nicht geschafft. Er hat Merlin vor Sasha beschützt und sich mit ihr in die Kluft geworfen."
Ven-Gahn auch?
Ich hatte der verwandelten Feuerseele nicht am nächsten gestanden, aber auch er war Teil meiner Gruppe gewesen, die ich sicher und in ganzen Stücken hier her hatte bringen wollen. Ich wusste, was er für Echo getan hatte und wie er genauso sehr mich und meine Geschwister hatte beschützen wollen, wofür ich ihm äußerst dankbar gewesen war. Auch für ihn hätte die Ankunft in der Baumsavanne ein anderes, friedlicheres Leben bedeutet.
,,Kaileena!"
Ein plötzlicher Ruf brach durch die natürliche Stille der Höhle. Schnelle Schritte waren von den Treppen zu hören und kurz darauf tauchte ein Junge auf. Er war ein wenig außer Atem und sein dichtes Haar war am Nacken und der Stirn von Schweiß verklebt.
,,Kaileena!", japste der Junge und stützte sich am Rahmen des Eingangs ab. ,,Ominis und der neue Daegor sind wieder da! Ominis sagt er müsste unbedingt mit dir sprechen."
Der neue Daegor? Das musste Echo sein! Mit diesem Gedanken, war ich der Erste, der sich in Bewegung setzte. Ich wartete nicht auf die anderen und schob mich einfach am Jungen vorbei, um so schnell wie möglich an die Oberfläche zurück zukehren. Zurück in der Welt der Lebenden suchte ich die nahe Umgebung nach Echo ab und wurde mit fehlendem Weitblick enttäuscht. Als sich Kaileena hinter mir nach draußen schob, tippte sie mir kurz auf die Schulter und nickte dann in eine Richtung, in die sie selbst auch hinlief.
Ich folgte ihr an eins der Enden des Dorfes, wo sich ein beeindruckendes Gebäude aus Stein dem Himmel entgegenstreckte. Noch bevor wir das Gebäude erreichten, sah ich die zwei Menschen, die sich vor den Treppen des Steingebäudes befanden. Der Mann stand dicht neben einer Kreatur, einem Baakier, und blickte auf die blaugrauen Treppen, die junge Frau saß neben dem Baakier auf einer Treppenstufe. Ich brauchte nur einen Blick auf sie zu werfen und sofort erkannte ich Echo. Nicht anhand ihrer tauischen Haarfarbe oder ihren glänzenden, grau-eisblauen Augen, sondern durch ihre einzigartige Ausstrahlung.
,,Echo!"
Beim Klang ihres Namens, richtete sich Echo aufmerksam und etwas verwirrt auf. Ihr Blick schweifte über die Umgebung und als sie mich sah, sprang sie sofort auf und rannte auf mich zu. Auch ich konnte mich nicht länger zurückhalten und eilte ihr entgegen. Als sie mir in die Arme fiel, spürte ich wie all meine negativen Gedanken mit einem Schlag verschwanden. Ich konnte an nichts anderes mehr denken, außer an Echo. Feste schlang ich meine Arme um sie, als würde meine Verstand befürchten, ich könnte sie in der nächsten Sekunde wieder verlieren. Doch ich spürte, wie auch Echo sich an mich klammerte, als würde sie dieselbe, tiefliegende Angst verspüren - eine Erkenntnis, aufgrund dessen ich sie noch fester an mich drückte.
,,Geht es dir gut?" Mit meinen Händen umfasste ich ihr Gesicht und musterte sie besorgt.
Echo lachte auf und nickte. ,,Ja, mir geht es gut. Sogar besser, nun da du wach und gesund bist."
Erleichtert atmetet ich auf und legte einen Arm um sie. ,,Fürs erste. Es geht uns gut und wir sind sicher. Zumindest in diesem Moment."
Kopfschüttelnd wies Echo mit einer weitumschweifenden Geste auf unsere Umgebung. ,,Fynch, wir haben es geschafft! Wir sind bei den Sternenkinder und somit außer Reichweite für das Imperium. Nach all den Problemen und den Verlusten können wir endlich wieder Leben. Das willst du doch auch, oder?"
Ich nickte und drückte sie noch einmal an mich. Dabei war ich so glücklich meine Maske wieder zu tragen, denn so konnte man nicht die Unruhe in mir bemerken. Gerne würde ich an dieser Illusion festhalten und mir sicher sein, dass mit der Ankunft in der Baumsavanne alles vorbei war. Aber etwas in mir wusste, dass es nie und nimmer vorbei war. Nicht mit dem Zorn der Kaiserin und den gierigen Blicken der Scalras im Nacken.
Doch, für Echo sollte dieser Ort das sein, was sie sich wünschte: Ein Ort der Sicherheit. Ich wollte nicht mehr, dass sie Angst davor hatte, noch irgendetwas oder irgendjemanden in ihrem Leben zu verlieren. Sie sollte nie wieder etwas verlieren, genauso wenig wie ich sie jemals verlieren würde.
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