Kapitel 7 - Flug
Fynch
Ein dumpfes Klopfen hallte durch die winzige Kabine. Meine Augen waren noch geschlossen, als ich ein genervtes Stöhnen von mir gab, während das Klopfen nach einer kurzen Pause weiterging. Im Namen des heiligen Allvaters, wer ist so dumm einen Meuchelmörder zu wecken?
,,Was ist los?", rief ich mit weiterhin geschlossenen Augen, den Kopf noch auf dem Kissen ruhend. Das Klopfen erstarb zum Glück. ,,Wenn es nichts wichtiges ist, können Sie gleich wieder gehen!"
,,Wir nähern uns Johran", rief der Mann der mich geweckt hatte. Durch die dicke Tür aus Metall, klang die Stimme genauso dumpf wie sein vorheriges Klopfen. ,,In einer Stunde legen wir an."
Seufzend öffnete ich meine Augen. Ich hatte ungefähr vier Stunden geschlafen, angefühlt hatte es sich aber nur wie eine Stunde. Nach der Erledigung meines Auftrags war ich direkt nach Feyna aufgebrochen, um von dort aus das nächste Luftschiff nach Johran zu nehmen. Doch mein Aufenthalt hatte sich bis spät in die Nacht gezogen, da kein Luftschiff aufgrund starker Winde früher nach Johran hatte aufbrechen wollen. Also musste ich noch erschöpft und mit wenig Schlaf bald meinen Vorgesetzten gegenübertreten. Oh, wie entspannt es dann doch in der Gegenwart des Imperators wäre.
Nach einem kräftigen Gähnen schlug ich die dünne Decke zurück und setzte mich auf. Mein Blick flog sofort zu der Maske aus Stein, sowie er jeden Morgen in ihre Richtung gezogen wurde. Sie ruhte auf einem kleinen Tisch neben dem Bett und wirkte so fehl am Platz. Seit fünfzehn Jahren schützte sie mein Gesicht vor sämtlichen Blicken Eridias. Während andere Scalras zu ihrem Schutz Rüstungen und Helme trugen, so war mein einziger Schutz diese Maske und dass nicht nur für den Kampf, sondern auch für mein allgemeines Leben. Ich hatte mich so sehr daran gewöhnt diese Maske aufzusetzen, dass sie für mich wie eine zweite Haut war und der Gedanke daran, dass andere Menschen mein Gesicht sehen könnten, machte mir Angst.
Begleitet vom Lauten Poltern und Zischen der Maschinen des Luftschiffes stand ich auf und trat in das angrenzende Bad. Es war winzig und reichte gerade mal dafür, dass man sich einmal im Kreis drehen konnte. Mir genügte es im Moment vor dem Waschbecken stehen zu können. Die Kühle des Raumes mit den metallenen Wänden, glitt über meinen freien Oberkörper und kurz verzog ich das Gesicht da neben der Kühle auch der Geruch nach altem Metall den Raum erfüllte. Während das kalte Wasser über meine Hände glitt, schweifte mein Blick nur ab und zu auf mein Spiegelbild vor mir an der Wand. Ich tat es mehr unbewusst und abwesend, denn was brachte es mir schon auf mein Aussehen zu achten, wenn mein Gesicht sowieso den ganzen Tag unter einer Maske verborgen lag.
Es dauerte einen Moment, bis das kalte Wasser wärmer wurde. Ich ließ meine Hände so lange unter dem nassen Strahl und zuckte wegen der Kälte nicht einmal zurück. Ich war zwar nicht gegen Kälte immun, doch sie zerrte nicht an meinen Kräften und machte mich auch nicht schwach.
Während meiner Ausbildung hatte ich gelernt nicht aufgrund von Hitze oder Kälte zusammenzubrechen, nicht einmal wegen Schmerzen oder Gefühlen dürften wir unseren Kampfgeist aufgeben. Ein kurzer Schauer lief mir über den Rücken als ich daran dachte, wie wir auf die brutale Weise dies hatten lernen und trainieren müssen. Unsere Ausbilder hatten einen schon beim kleinsten Fehler so stark verprügelt, dass wir oft Mal mit blutenden Wunden und gebrochenen Knochen hatten weiter trainieren müssen. Oder aber wir bekamen keine Trinkpause, mussten drei Stunde nach dem Ende weitertrainieren oder wurden stundenlang in dem Raum eingesperrt, den wir Kinder damals Dunkelkammer genannt hatten.
Es war keine schöne Zeit gewesen, aber dieses harte Training hatte seinen Grund gehabt und war wichtig für die Sicherheit von Eridia – wir waren wichtig für die Sicherheit von Eridia!
Während ich mir mit dem frischen Wasser ein paar Mal übers Gesicht strich, flogen meine Gedanken zurück an den gestrigen Tag. Um genauer zu sein, dachte ich an das zurück was in der Kneipe geschehen war. Diese mir fremden und merkwürdigen Bilder. Es war wie eine Art Vision oder ähnlichem gewesen, doch eigentlich konnte dies nicht sein, denn nur Mykos's konnten Visionen bekommen. Außerdem...für eine Vision hatten sich diese Bilder zu real angefühlt.
Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie sich der Wind und die Sonne auf meiner Haut angefühlt hatten und wie rau die alte Rinde der Bäume gewesen war. Ich konnte hören wie die Blätter gerauscht und die Kinder gelacht hatten. Und ich hatte die Freude und die Liebe zu den anderen Menschen gespürt. Doch wie konnte man das alles bei einer Vision miterleben? Es hatte sich viel mehr so angefühlt, als wären diese Bilder Erinnerungen gewesen, aber sie waren nicht von mir, von wem kamen sie also dann?
Seufzend ließ ich meine noch feuchte Hand auf den Rand des Waschbeckens fallen. Bei physischen und psychischen Problemen war es die sofortige Pflicht eines Scalras in Johran die Hilfe eines Heilers oder eines Geist-Beschwörers aufzusuchen und in meinem Fall wäre es dann der Geist-Beschwörer. Und auf der Welt gab es nichts Schlimmeres, als wenn jemand einem im Kopf herumspukte. Noch drei Tage nach der Behandlung litt man unter Kopfschmerzen und Übelkeit – selbst ein Scalra. Als Kind hatte ich oft zu einem Geist-Beschwörer gehen müssen, da all die schrecklichen Erinnerungen vom Tod meiner Familie ständig in meinem Kopf aufgetaucht waren und die Nachfolgen waren die reinste Qual gewesen.
,,Das wird schon, Fyn", flüsterte ich aufmunternd, drehte den Wasserhahn zu und verließ das Bad.
Zurück im Zimmer griff ich nach meinen zu Seite gelegten Klamotten und zog mir mein Hemd über. Langsam griff ich auch nach meinem Mantel und zog ihn an, während mein Blick durch das runde Fenster der Kabine ging. Im Moment sah man nur den blauen Himmel mit vereinzelten Wolkenfetzen. Die starken Winde von gestern Abend hatten sich wohl gelegt. Vom oberen Deck konnte man allerdings ohne Probleme runter aufs Land schauen.
Für manche Menschen war es ein großes Ereignis auf einem Luftschiff zu reisen und dabei zu zuschauen, wie sich mehrere hundert Meter unter einem die Landschaft veränderte. Doch nicht nur als Transportmittel für Menschen dienten diese Dinger. Vor allem für den Handel zwischen Thyra, Tauen und Ashlyver waren die Flugschiffe wichtig, um Sachen wie verschiedene Lebensmittel, Stoffe, Kohle, Metall, Runen und Ätherkristall zu transportieren.
Fertig angezogen griff ich nach meiner Tasche und schnappte mir dann meine Maske. Langsam strich ich mit einem Finger über den einst glattpolierten Stein, der inzwischen ein paar feine Kratzer aufwies. Es gab nur wenige Sachen, die für mich die Welt bedeuteten und eins davon war meine Maske. Jedes Mal, wenn ich von einem Auftrag zurückkam, reinigte ich meine Maske von Schmutz, Staub und möglichem Blut. Sie war immerhin mein Gesicht und niemand mochte es mit einem dreckigen Gesicht durch die Gegend zu laufen.
Wehmütig erinnerte ich mich zurück an den Tag, als ich die Maske bekommen hatte. Sie war die Beute meines ersten Auftrags gewesen, den ich mit zwölf Jahren erledigt hatte. Sie gehörte einst dem ersten Mann, den ich in meiner Laufbahn als Meuchelmörder getötet hatte. Manchmal tauchte sein totes Gesicht noch vor meinem Auge auf, doch dann erinnerte ich mich daran einen Feind getötet zu haben und Feinden musste man nicht hinterher trauern.
,,Bloß nicht sentimental werden", flüsterte ich und setzte mir die Maske auf. Sie besaß fünf dehnbare und dennoch feste Riemen, durch die mir die Maske in all den Jahren noch nie verrutscht oder vom Kopf gefallen war. Mit einer Hand zog ich mir die Kapuze meines Mantels über. ,,Das steht dir nicht."
Der Gang, in dem meine Kabine lag, war leer und das Geräusch der Motoren lauter. Hier befanden sich hauptsächlich die Kabinen der Crew und sie allen waren gleich: Klein, grau und mit nicht mehr ausgestattet als einem Bett, einem Schrank und einem kleinen Tisch. Ich hatte Glück, dass dieses Schiff mehr Kabinen besaß als Besatzungsmitglieder, so war es leichter gewesen einen Platz für einen Flug finden. Meine erste Wahl war ein Schiff für Frachten gewesen, da sie einen großen Lagerplatz besaßen und somit leichter einen Sha'Kmal transportieren konnten, als ein Schiff für Menschentransport. Der Captain solch eines Schiffes hätte mir niemals erlaubt Sommer mitzunehmen.
Der Weg runter in den Rumpf des Schiffes dauerte ein paar Minuten. Dabei begegnete ich nur wenigen Menschen, da die Crew mit ihrer Arbeit beschäftigt war. Einige mussten sich um das Schiff und seine Maschinen kümmern, andere waren schon im Lager, um das Ausräumen der Fracht vorzubereiten und die übrigen waren damit beschäftigt, das Schiff zu steuern, den Kontakt zum nächsten Hafen herzustellen, das Schiff zu putzen oder das Essen der Crew vorzubereiten. Ein Luftschiff in solch einer Größe besaß eine Besatzung die aus mehr als fünfzig Menschen bestand und dass hatte auch seinen Grund. Einzelne Männer und Frauen kamen mir in den grün-gelben Uniformen einer imperialen Flugcrew entgegen, mit ehrfürchtigen Blicken als sie mich sahen. Selbst solche Menschen, die in den Diensten des Imperiums standen, hatten Angst und Respekt vor einem Scalra.
Als Kind hatte ich nicht ganz verstanden, warum andere Menschen vor uns Angst haben sollten. Vor Gardisten und Soldaten hatten auch nicht alle Menschen Angst, von manchen wurden sie sogar als Helden bezeichnet. Doch Feinde sollten einen nicht für einen Helden halten, ihn mit Stolz betrachten oder bewundern. Feinde sollten einen fürchten und ehrfürchtig respektieren, sie sollten wissen, dass das Gesicht von einem das Letzte sein könnte, was man in dieser Welt noch sehen würde. Das hatte ich bei meinem ersten Auftrag genauer erfahren, als der Mann vor mir – einem damals zwölfjährigen Jungen – um Gnade gefleht hatte. Doch ein Scalra ließ keine Gnade walten.
Nach einer kurzen Treppe öffnete sich vor mir der schier gigantische Raum des Rumpfs. An den Wänden standen beeindruckende, hoch aufgebaute Türme und Festungen aus Kisten, von denen manche bis zur Decke reichten. Stabilisiert wurden sie alle durch mehrere Seile und über den größten Ansammlungen hing ein aufgespanntes Netz, welches verhinderte das die hölzernen Kisten zu nah an die großen Lampen kamen, die von der Decke hingen. Das Geräusch der Motoren vermischte sich hier mit dem Stimmengewirr der Arbeiter, die dabei waren, die richtigen Waren fürs Ausladen vorzubereiten. So ließen Luft-Beschwörer Stück für Stück die gewünschten oberen Kisten zu Boden gleiten, die wiederrum zur Seite gestellt wurden und leitende Offiziere gingen die Listen der Fracht durch.
Anders als in den Fluren waren diese Menschen hier zu beschäftigt, um auf mich zu achten. Ohne mich genauer umzusehen, ging ich zu der Stelle, an der man Sommer notdürftig angekettet hatte. Er war an einer freien Stelle zwischen kleineren Kistentürmen. Mit einer eisernen Kette um den Hals, hatte man ihn an eins der Rohre gekettet, die an den Wänden angebracht waren, um den Dampf der unteren Maschinen hoch an die Luft zu leiten. Man meinte es wäre nur für den Schutz, doch in Wahrheit könnten diese Kette und das eine Rohr den Drachen nicht aufhalten sich zu befreien, wenn er es denn versuchen wollte.
Kurz bevor ich Sommer erreichte, blieb ich stehen. Im sicheren Abstand von ihm entfernt stand jemand, der von der Kleidung her gar nicht zu der Crew des Schiffes passte. Statt eine grün-gelbe Uniform trug die junge, hübsche Frau mit den hochgesteckten Haaren eine augenscheinlich maßgeschneiderte Uniform in den Farben Blau und Silber. Solch eine Uniform trugen die Schüler der größten Universität Eridias, wo vor allem Wissenschaft und Naturwissenschaft studiert wurde. Allerdings war dies auch die reichste Universität und so konnten nur Menschen mit viel Geld oder mit einem guten Spender dort studieren. Und wie jemand aus einer reichen Familie sah diese Frau auch aus: Maßgeschneiderte Uniform, Taschen aus feinem Leder, eine Kette aus echtem Gold und Schuhen mit so hohen Absätzen, wie sie nur eine Frau aus der Oberschicht tragen konnte.
Selbst von meiner Position aus konnte ich das aufgeregte Funkeln in den Augen der Frau erkennen, als sie Sommer beobachtete. Sie tat es aufmerksam und saß in der Hocke, um den Drachen besser sehen zu können. Sommer allerdings interessierte sich nicht für seine glühende Beobachterin. Er lag eher gelangweilt auf den Boden, den Kopf auf einer Klaue ruhend. Seine Schnauze zuckte als er die unterschiedlichen Gerüche des Rumpfes wahrnahm und als er schließlich meinen Geruch roch, hob er sofort den Kopf. Die Frau reagierte darauf erfreut. Ein Lächeln zog sich über ihr Gesicht und sie richtete sich ein wenig auf.
,,Wenn Sie näher ran gehen wollen, nur zu", sagte ich ruhig. ,,Ich kann Ihnen aber nicht versprechen, dass er ruhig bleibt."
Die Frau erschrak. Schnell stand sie auf, verlor dabei auf ihren langen Absätzen fast das Gleichgewicht und drehte sich zu mir um. In ihrem Gesicht konnte ich kurz Panik erkennen, entweder weil sie wusste wer ich war oder weil sie glaubte, etwas Falsches gemacht zu haben. Ich musste zugeben, dass sie wirklich hübsch war mit ihren vollen, roten Lippen, dem schmalen Gesicht und den großen blauen Augen mit den langen Wimpern. Ich konnte mir gut vorstellen, wie ihr die Herzen vieler Männer zuflogen.
,,E-Entschuldigen Sie", stotterte die Frau mit glockenheller Stimme. ,,Ich wollte nichts falsches tun."
Ich sagte nichts, reagierte auch nicht. Ohne auf ihre Worte einzugehen, ging ich an ihr vorbei und trat zu Sommer. Der Sha'Kmal hatte sich währenddessen schon erhoben und gab ein klackerndes Geräusch von sich, als ich zu ihm trat. Begrüßend strich ich ihm über den Kopf und er drückte seine Stirn sachte an meine Brust.
,,Ich habe noch nie einen Sha'Kmal gesehen", sprach die Frau mit beruhigter Stimme weiter. ,,Es ist ein wunderschönes Exemplar, so groß und stark. Und die seltene Farbe der Schuppen...Dürfte ich wissen woher Sie ihn haben?"
,,Er war ein Geschenk", antwortete ich, während ich meine Tasche an das leichte Geschirr befestigte, das Sommer um seinen Rumpf trug.
Aus dem Augenwinkel sah ich wie die Frau ein Stück näherkam. Anders als vorher schaute Sommer sie nun an. Er tat es um aufzupassen, dass sie mir nichts tat. Als sie zu nah war knurrte er tief und sofort blieb die Frau stehen. Ein Grinsen huschte über mein Gesicht.
,,Mein Name ist Joana Thorless, ich bin Studentin an der Hewinng Universität in Fach Naturwissenschaften. Könnten Sie mir vielleicht die Möglichkeit geben ein paar Fragen über Ihren Sha'Kmal zu beantworten und ihn zu untersuchen, so dass ich Notizen-"
,,Er ist kein Forschungsobjekt!" Als ich mich zu ihr umdrehte, wich Joana Thorless ehrfürchtig zurück. ,,Er ist mein alleiniges Eigentum."
,,Mein Vater ist der Captain dieses Schiffes. Ich kann Ihnen viel Geld geben."
Ich hatte Sommer inzwischen von seiner Kette gelöst. Zufrieden schüttelte er seinen ganzen Körper, während ich näher an die kleine Thorless trat. Dass ihr Vater der Captain dieses Schiffes war, würde erklären, warum sie mit diesem Schiff nach Johran reiste und nicht mit einem Passagierschiff. Mein stummes Näherkommen schien ihr augenscheinlich Sorgen zu bereiten und nervös blickte sie mich an. Kurz fragte ich mich, wie sie reagieren würde, wenn sie wüsste das ich ein Meuchelmörder war.
Mit einem drohenden Unterton beugte ich mich ein Stück zu ihr vor . ,,Hören Sie gut zu, Miss Thorless. Ich bin kein Söldner, den Sie mit irgendwelchem Geld für sich beanspruchen können. Ich stehen schon in jemandes Diensten und das mein Leben lang. Und genauso wie ich unverkäuflich bin, ist es auch mein Drache. Haben Sie das verstanden?"
Das hübsche Gesicht der Frau verzog sich vor Angst. Sie nickte schnell und als ich mich abwandte, hatte sie es furchtbar eilig zu verschwinden. Ihre Schuhe hinterließen klackernde Schritte auf dem Boden.
,,Dummes Mädchen", murmelte ich und tätschelte dem ruhig gebliebenen Sommer den Hals. ,,Du hättest ausnahmsweise Mal auch nach ihr schnappen können."
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