Kapitel 15.2 - Weiße Schuppen
Fynch
Hector führte uns in den Stall, um genau zu sein führte er uns die breite Stallgasse entlang fast bis zum Ende. Trotz den kühlen Temperaturen außerhalb, herrschte im inneren des Stalls eine angenehme Wärme, die durch mehrere glühenden Feuerstellen kam. Neben dem orangen Glühen, wurde der Stall von sanftem Sonnenlicht erhellt, das durch die breiten, quadratischen Fenster kam.
Obwohl alles so sauber und frischt wirkte, so stieg einem ein Geruch in die Nase, der im starken Kontrast zum Aussehen des Stalls stand. Es roch nach verfaultem Fleisch und überdeckte den Geruch von Feuer und Rauch. Bei meinem ersten Betreten des Stalls, hatte ich mir geekelt die Nase zugehalten und wäre am liebsten wieder raus gegangen. Dasselbe schien Echo nun auch durchzumachen. Angewidert verzog sie das Gesicht und hielt sich ein Stück ihres langen Ärmels über Mund und Nase.
Amüsiert schaute ich ihr dabei zu. ,,Du hast in einem Kanal gelebt, aber diesen Geruch findest du widerlich?"
,,Wir hatten so einen Geruch von unserem zu Hause stets ferngehalten", erwiderte Echo mit bissigen Unterton und einer durch den Ärmel gedämpfter Stimme. ,,Immerhin zieht man mit so einem Geruch Ungeziefer an."
Mit einem tiefen Lachen schaute Hector über die Schulter zu uns zurück. ,,Ja, der Geruch ist wirklich abartig. Aber er kommt nur jedes halbe Jahr vor."
,,Und wieso? Willst du jedes halbe Jahr Blütenspinnen anlocken, um Mäuse zu vertreiben?"
,,Nicht so ganz, es ist Paarungszeit", erklärte Hector. ,,Sha'Kmals haben jedes halbe Jahr Paarungszeit und die Weibchen verströmen dann einen besonderen Geruch, um die Männchen anzulocken. Es ist ein wirklich abartiger Gestank, aber er lockt auch andere Tiere an, die von den Männchen getötet werden, um den Weibchen zu imponieren." Mit einer Hand wies der weißhaarige Mann auf eine Reihe von leeren Boxen. ,,Deswegen sind die ganzen erwachsenen Männchen draußen. Wären sie hier drin, würden sie durch den Geruch durchdrehen."
,,Versteh ich", murmelte Echo.
Fast am Ende der Stallgasse blieb Hector schließlich vor einer Box stehen. Die Wände bestanden wie bei den anderen Boxen aus dunkelbraunem Holz und verstärkt mit metallenen Stäben. Dies war eine der wenigen Boxen, in der sich ein Drache befand. Auf dem Weg hier her hatte ich von den vierzehn Boxen sechs besetzt gesehen. Der Bewohner dieser Box war augenscheinlich noch ein Jungdrache. Man erkannte es an der strahlenden Schuppenfarbe, den etwas zu großen Klauen und den abgerundeten Hörnern. Der Drache lag auf der Seite und hob sich mit seinen schneeweißen Schuppen vom grauen, sandigen Boden ab. Zwei Sachen an ihm stachen wir sofort ins Auge: Das besondere, hellgraue Muster an Bauch und Rücken und die lederne Augenbinde, die der Drache trug.
Bevor ich allerdings nach dem Sinn der Augenbinde fragen konnte tat es Echo schon: ,,Warum sind seine Augen verbunden?"
,,Er ist ein Vergissmeinnicht."
Verwirrt schaute Echo zu Hector. ,,Ein was?"
,,Ein Vergissmeinnicht", wiederholte ich mit betonten Silben. ,,Eine Bezeichnung für Kreaturen und Tieren, die extra für den Kampf trainiert wurden. Am Ende löscht ein Geist-Beschwörer ihre Erinnerungen an ihren Besitzer und das Tier bekommt eine Augenbinde aufgesetzt. Und dann wird sich das Tier – in diesem Fall der Sha'Kmal – auf die erste Person prägen, die es nach dem Abnehmen der Maske als erstes sieht."
,,Das ist grausam."
,,So ist die Natur nun Mal", erwiderte ich und klopfte ihr tröstend auf die Schulter. Doch Echo drehte sich schnell von mir weg.
,,Geh ruhig rein." Hector öffnete die Boxentür.
Die Ohren des Jungdrachens zuckten bei dem Geräusch der knarrenden Tür. Mit einem aufgeregten Schnauben drehte er sich auf den Bauch und hob schnüffelnd den Kopf. Er blieb ruhig. Nur seine Schnauze zuckte, als er versuchte, die ihm zwei fremden Gerüche einzuordnen.
,,Du möchtest also, dass ich mir eine Kampfbestie ausleihe?", fragte ich zum Verständnis.
Hectors weiße Locken fingen an zu wackeln, als er den Kopf schüttelte. ,,Nein, ich möchte, dass du eine Kampfbestie als neuen Partner aufnimmst. Ich denke es kann nie schaden einen zweiten Sha'Kmal im Team zu haben."
,,Wir haben im Imperium zur Zeit genügend Sha'Kmals für unser geplantes Programm", erwiderte ich und verschränkte demonstrativ die Arme.
,,Ich weiß, Fynch. Aber ich möchte auch nicht, dass das Imperium ihn in die Obhut nimmt, sondern du. Dir kann ich vertrauen, immerhin hast du auch Sommer prächtig herangezogen."
Mit einem tiefen Seufzen blickte ich wieder zum Drachen. Er hatte sich seit dem Öffnen der Tür kein Stückchen bewegt. Er schnüffelte und horchte weiter und schien zu warten. Dass er zu einem zukünftigen Kampfchampion antrainiert worden war erkannte man schnell: Die Beine waren muskulös, die Krallen besonders lang und die Brust breit. So wie es aussah, hatte der Geist-Beschwörer mehr getan als dem armen Jungdrachen ein paar Erinnerungen zu nehmen.
,,Er könnte dir aber auch helfen", versuchte ich Hector umzustimmen. ,,Was wenn du wieder Probleme mit den Banditen hast?"
Schmunzelnd schüttelte Hector den Kopf. ,,Die wagen sich nicht mehr an die Farm, seit Arax einem von ihnen den Arm abgerissen hat. Außerdem wären seine Fähigkeiten bei mir ungenutzt. Ich habe ihn eigentlich nur gekauft, um ihn von dem gemeinen Händler zu befreien."
,,Ich finde auch du solltest ihn nehmen", sagte Echo auf einmal. Die Arme vor sich auf der halbhohen Boxenwand abgestützt, lehnte sie sich dagegen und schaute sich den liegenden Drachen an. ,,Das würde doch passen: Eine Kampfbestie und eine imperiale Bestie für den Kampf."
,,Und das von der kaltblütigen Mörderin."
Könnten Blicke töten, hätte Echos kurzer, finsterer Seitenblick es bestimmt getan. Aber ich konnte mich nicht mehr dagegen wehren. Erst hatte Hector mich überzeugen wollen und nun wollte es auch die kleine Abtrünnige – war dann wohl keine so dumme Idee, wie es sich für mich vorher angehört hatte.
Da ich wusste was ich tun musste, trat ich in die Box. Ich versuchte gar nicht erst langsam zu gehen, um meine Schritte zu dämpfen, denn diese Versuche hätte der Drache mit seinen zuckenden Ohren sofort mitbekommen. Ich lief um den Drachen herum und kam dabei immer näher, bis ich wenige Meter von seiner Schnauze entfernt stand. Als ich langsam in die Hocke, ging wusste ich um die Gefahr. Wenn er wollte, könnte mir der Drache mit nur einem Satz den Kopf abbeißen.
Während ich vor ihm saß, schaute ich mir die Schuppen genauer an. Mir fiel sofort das hellgraue Muster an seinem Rücken und Bauch auf. Es sah aus, als würden mehrere Pflanzenranken von seinem Rücken bis zum Bauch runter gehen. Sha'Kmals konnten viele verschiedene Schuppenfarben haben und dazu zählten auch mehrere, unterschiedliche Muster. Aber so ein Pflanzenranken-Muster hatte ich bisher noch nie gesehen.
Ich bemerkte erst, dass auch Hector sich bewegt hatte, als er auf einmal neben dem Kopf des Drachens stand. Er blickte mich abwartend an, die Hand schon halb ausgestreckt. Ich holte tief Luft und nickte meinem alten Freund zu. Hectors Hand wanderte zu der Augenbinde des Drachens. Der ganze Körper des Drachens zuckte, als Hectors Finger seine Schuppen berührten, bevor er mit einem kräftigen Ruck die Augenbinde vom Kopf zog.
Zwei leuchtend, gelbgrüne Augen blinzelten mich an. Die schmale, schwarze Pupille wurde für einen Moment noch enger als er mich sah. Doch weiteres tat er nicht. Er blieb weiterhin ruhig und schaute mich einfach nur an, als würde er warten – oder beobachten. Anders als er, war ich ein wenig angespannt, als ich meine Hand hob und sie langsam auf die Schnauze des Drachens legte. Ein weiteres Zucken ging durch den geschuppten Körper und für einen Moment spannten sich Muskeln an. Als er allerdings an meiner Hand schnüffelte und ihren Geruch tief einatmete, entspannte sich der Körper wieder und der Drache gab ein tiefes, zufriedenes Brummen von sich.
,,Braver Junge", flüsterte ich und kraulte ihm vorsichtig den Nasenrücken.
Nachdem ich ihm dort ein wenig gekrault hatte, stand ich auf. Die Augen des Drachens verfolgten mich als aufmerksam, als ich zur Seite trat und anfing ihm an einer Stelle hinter dem Ohr zu kraulen. Hector hatte mir einst gezeigt, dass dies eine besondere Stelle für die Sha'Kmals war, an der sie besonders gerne gekrault wurden. So war es bei seinen Drachen, bei den Drachen im Imperium und auch bei Sommer. Und so wie der Drache zufrieden anfing zu brummen und seinen Kopf mehr zu mir drehte, schien er es auch zu mögen.
,,Hat er einen Namen?"
Als ich mich zu Echo umdrehte, meinte ich noch das Zucken eines Lächelns zu sehen, bevor ihre Miene wie so oft bei mir kalt wurde. Zugegeben war ich überrascht, dass sie sich keinen Millimeter bewegt hatte. Ehrlich gesagt hatte ich erwartet, dass sie einen Fluchtversuch unternahm sobald ich abgelenkt war. Aber scheinbar war sie schlau genug, um mich und die Kräfte der Runen nicht herauszufordern.
,,Er hat keinen Namen", antwortete Hector, der seit meiner Interaktion mit dem Drachen zurückgetreten war, um nicht zu stören. ,,Vielleicht möchte Fynch ihm ja einen geben."
Wollte ich das? Eigentlich war ich nicht besonders gut in der Verteilung von Namen. Selbst Sommers Namen war nicht mir eingefallen. Der Vorschlag war einst von meiner Schwester Caitlain gekommen, die beim ersten Anblick von Sommer sofort genauso viel Empathie für ihn gespürt hatte wie ich.
Noch einmal wanderte mein Blick zu dem Muster auf dem Rücken. Vielleicht war es eine Art Paranoia oder es gehörte noch zur Trauer, aber ich meinte zu glauben, dass dieses Muster aussah wie Efeuranken. Als würden sich Efeuranken den weißen Körper runterschlängen. Und ab diesem Gedanken, wusste ich genau, wie das große Kerlchen heißen sollte.
,,Er wird Efeu heißen."
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