Kapitel 15.1 - Alte Freunde
Fynch
Der andauernde, fast dreistündige Ritt war eine ungewohnte Sache für Sommer und auch für mich. Wir beide waren daran gewöhnt die gesuchte Beute zu finden, zu töten oder an den nächstbesten Posten des Imperiums abzuliefern und im letzteren, hatte ich die Beute hinter Sommer herlaufen lassen. Echo hatte recht gehabt, eigentlich hätte Sommer uns beide problemlos in Schritttempo nach Johran bringen können, doch ich wollte nicht die Gesundheit meines Tieres auf die Probe stellen: Entweder ihm geschah nichts oder er brach mitten auf unserem Weg zusammen oder er brach in Johran zusammen – die zwei negativen Möglichkeiten wollte ich nicht riskieren.
Der kurze Besuch bei meinem alten Freund war zudem Teil meines überlegten Plans. Die Tarnung als Mykos war gut, doch da jeder Mensch mit gutem Verstand wusste wie eitel und angeberisch Mykos waren, musste ein zweiter Sha'Kmal her. Niemand würde so einfach glauben, dass zwei Meister der Magie zusammen auf einem Drachen ritten, vor allem nicht dann, wenn einer ein Novize auf den Weg zu seiner Zeremonie war. Ich glaubte zwar nicht, dass einfache Reisende und Händler uns trotz Zweifel angreifen würden, aber irgendwo könnten noch Angehörige des KreuzClans auf der Suche nach Echo sein. Vor allem der Luft-Beschwörer mit der Augenklappe könnte ein Problem werden...
Um für Sommer nichts zu riskieren, ließ ich ihn in regelmäßige Schrittpausen fallen und hatte auf unserem Weg schon eine Pause gemacht. Nach der Pause hatte ich schmunzeln müssen, als ich Sommer den Befehl gegeben hatte sich für aufsteigen hinzulegen. Ich hatte es ihm antrainiert, aber wirklich benutzt, hatte ich den Befehl bisher nie, denn auch ohne seine Hilfe konnte ich problemlos auf den breiten Rücken aufsteigen. Doch für Echo war es eine ungewohnte Sache und so musste sich Sommer verwirrt hinlegen, damit eine fremde Person auf seinen Rücken steigen konnte.
Für Echo selbst war der Ritt auch keine leichte Sache. Ich konnte ihr anmerken, dass sie schon Mal in ihrem Leben auf irgendeinem Tier geritten war, aber wahrscheinlich nur auf Pferden und nicht auf einem Sha'Kmal. Ihr Körper passte sich in gelernter Übung den geschmeidigen Bewegungen unter ihr an, aber ihre Beine pressten sich zu fest gegen Sommers Bauch und ihre Hände umklammerten den Griff am Schulterriemen so fest, als würde ihr Leben davon abhängen. Ich empfand es schon als wahres Glück, dass Sommer sich nicht daran stören ließ. Begierig und motiviert, jagte er durch den Wald und wich trotz seinem schnellen Tempo flink den Bäumen und anderen Hindernissen aus.
Als wir in die Nähe eines Flusses kamen, ließ ich Sommer anhalten. Mit einem leichten Schlag gegen die Schulter, gab ich Echo wie bei der letzten Pause zu verstehen abzusteigen. Das trockene Laub gab ein verzerrtes Knistern von sich, als ich von Sommers Rücken glitt. Während ich ihm eine Tasche vom Geschirr nahm, stieg auch Echo ab und fluchte dabei leise auf, als sie schon wieder auf den Saum des Mantels trat.
,,Wir sind mitten im Wald", motzte sie auf und krempelte dabei die Ärmel hoch, die ihr auch ein wenig zu lang waren. ,,Kann ich dieses Ding nicht ausziehen?"
,,Kannst du, aber wir werden bald die nördliche Steppe erreichen und dort kann es frisch werden."
Die Riemen der Tasche in der Hand, warf ich sie mir über die Schulter, bevor ich Sommer einen sanften Schlag gegen die Flanke gab. Schnaubend schüttelte der Drache seinen Körper und setzte sich dann träge in Bewegung, um zum Bach zu trotten. Ich suchte mir einen ruhigen Platz am Stamm eines hohen Baumes. Seufzend setzte ich mich auf den trockenen Waldboden, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Für diesen einen Moment genoss ich die Ruhe und Harmonie des Waldes, während in der Luft das Rauschen des Windes und das Zwitschern der Vögel zu hören war. Alles war friedlich, bis das aufgeschreckte Kreischen eines Raubvogels zu hören war.
Als hätte dieser Schrei etwas ausgelöst begann ich in meinen Ohren etwas anderes zu hören. Ich begann auf einmal Stimmen zu hören. Sie klangen zuerst so weit weg, als würde ich sie aus der Ferne hören, doch dann wurden sie immer lauter und klarer. Wie ich erkannte, waren es nicht einfachere Stimmen, es waren aufgeregte Rufe und lautes Lachen. Um genau zu sein, waren es die Rufe und das Lachen von Kindern...
Als ich neben mir im Laub stampfende Schritte hörte, öffnete ich wieder meine Augen und die fremden Stimmen verschwanden. Echo stand für einen Moment neben mir und schaute auf mich herab, als würde sie auf irgendetwas warten. Als von keinem von uns beiden etwas kam, stieß sie leise Luft aus und trottete zu einem alten, umgeworfenen Baumstamm, der halb von Laub verdeckt war. Obwohl sie ihre Missgunst über den Mantel schon genannt und gezeigt hatte, achtete sie darauf, dass er nicht allzu dreckig wurde, als sie sich auf den Stamm mit der brüchigen Rinde hinsetzte.
,,Weißt du eigentlich, dass ich deinen Blick trotz der Maske spüre?" Mit einer Hand klopft sie die einzelnen Blätter vom Saum des Mantels, wobei sie mir einen abschätzigen Blick zuwarf. ,,Eine Maske beschützt den Betroffenen zwar vor Blicken, aber er kann seine eigenen Blick dadurch nicht verstecken."
,,Wie weise", erwiderte ich mit tiefem Sarkasmus. ,,Wo schnappt man so etwas auf: Im KreuzClan oder in den stinkenden Gassen von Orstella?"
,,Ich mag dich auch nicht, Meuchelmörder."
Schmunzelnd stieß ich mich vom Baumstamm ab. Ich griff nach meiner Tasche und zog aus ihr nacheinander zwei kleine Bündel hervor. Eins der Bündel warf ich Echo zu, die es ungeschickt auffing. Fragend blickte sie kurz zu mir, bevor sie dann den Beutel öffnete und staunend den Inhalt des Proviantbeutels erblickte.
Während sie das tat, nutzte ich die Chance und schaute mir das Werk der Runenkraft an. Sämtlicher Schmutz war durch die Kraft der Rune von Echo Haut gewaschen, die nun sanft gebräunt war und gut zu den goldenen, glatten Strähnen ihres Haars passte. Nur bei ihren Augen hatte ich nichts Großes verändern lassen. Sie waren immer noch blau, aber um einiges dunkler und gezielt den himmelblauen Augen meiner Schwester Sasha ähnlich. Kaum noch ähnelte diese Echo derjenigen, die ich aus den Kanälen geholt hatte und die vor ein paar Stunden vier Männer getötet hatte. Einzig ihre weichen Gesichtszüge und die Form der Augen und Ohren hatte ich nicht verändern können, aber ich bezweifelte, dass die Angehörigen des KreuzClans eine so genaue Beobachtungsauffassung besaßen, um Echo daran zu erkennen.
{...}
Unser Weg dauerte nach der Pause noch fast eine Stunde an, bevor der Wald begann sich langsam zu lichten. Während sich hinter uns der große Wald befand, erstreckte sich vor uns eine fast schon erschreckende Leere, bestehend aus weiten Feldern und einzelnen Felsansammlungen. Alles an der nördlichen Steppe machte einen leeren und verlassenen Eindruck, einschließlich des grauen Himmels und den hohen, gezackten Bergsilhouetten am fernen Horizont.
,,Wollen wir wirklich nicht schon nach Johran aufbrechen?", fragte Echo, die vom Anblick der Steppe sichtlich abgeneigt war.
Und wieder einmal war ich über meine Maske froh, denn dadurch konnte man mein Lächeln nicht sehen. Genauso wie Echo, hatte ich einst reagiert als ich zum ersten Mal die nördliche Steppe erreicht hatte. Bezüglich eines Auftrags war ich vor einigen Jahren in diese Gegend gekommen, um in einem der hierliegenden, einsamen Dörfer nach einem Abtrünnigen zu suchen. Nichts an dieser Gegend machte einen freundlichen Eindruck, nicht einmal die Bewohner der Dörfer. Und dennoch zog es mich fast jedes Mal hier her, wenn ich für einen Auftrag in die Nähe der Steppe kam.
Ohne auf Echos Frage einzugehen, trieb ich Sommer mit einem leichten Schenkelklopfen wieder an. Schon allein im Schritt wurde eine Menge Staub vom trockenen Boden aufgewirbelt, weswegen ein schnelleres Tempo nicht ratsam war. Ein weiteres Problem dabei war, dass wir länger Zeit brauchten. Die Natur veränderte sich auf unserem langsamen und mühsamen Weg kaum. Es wirkte immer noch so trostlos und da uns kein anderes Lebewesen entgegen kam, wirkte die Steppe auch ziemlich leblos. Einzig die auftauchenden, kleinen Dörfer mit dem aufsteigenden Rauch der Schornsteinen zeigten die kleinen Spuren menschlichen Lebens in der Steppe. Aber keins dieser Dörfer war unser Ziel.
Unser Ziel tauchte als eine kleine, einsame Farm vor uns auf. Sie bestand aus zwei selbstgebauten Gebäuden: Eine notdürftig zusammengebaute Hütte und ein kleiner Stall. Neben diesen Gebäuden wurde das Geländer der Farm von zwei Weiden an der Seite, einem hohen Wasserspeicher und einer selbstgebauten Antenne gefüllt. Noch bevor wir die Farm ganz erreichten, war ein lautes Geräusch zu hören, das große Ähnlichkeiten mit einem Bellen hatte. Kurz darauf kamen vier pelzige Gestalten aus dem Stall gelaufen, mit knurrenden Geräuschen und gefletschten Lefzen. Unter mir spürte ich, wie Sommer sich versteifte und er selbst ließ auch ein tiefes Knurren hören, um die Kreaturen in der Größe eines Hundes zu warnen.
,,Sieht aus, als wären wir nicht willkommen", flüsterte Echo und ich konnte ehrliche Sorge in ihrer Stimme hören.
,,Tue einfach nichts falsches", erwiderte ich. Vorsichtig stieg ich ab und klopfte Sommer beruhigend gegen die Flanke. ,,Das sind abgerichtete Federfüchse. Wenn sie denken du bist eine Gefahr für die Farm, werden sie dich angreifen. Und jetzt steig ab."
Während Echo hinter mir von Sommers Rücken abstieg, trat ich dem Rudel aus Federfüchsen entgegen, die ein paar Meter von uns entfernt stehen geblieben waren. Sie hatten inzwischen aufgehört uns anzuknurren, doch ihre schlanken Körper waren weiterhin angespannt. Sie waren so lange angespannt, bis ich leise pfiff und in die Hocke ging. Einer der Federfüchse – eine hellbraun gefleckte Dame namens Lim – reagierte zuerst darauf, legte den Kopf ein wenig schief und tapste dann mit ruhigen Schritten zu mir. Wie näher sie kam, so wurde ihre Anspannung weniger und beinah hechelnd blieb sie schließlich vor mir stehen.
Eigentlich waren Federfüchse wilde Tiere und kamen in erster Linie nach Füchsen. Doch sobald sie trainiert und erzogen waren, ähnelten sie großen Hunden. So reagierte auch Lim, als ich sie am Hals kraulte. Hechelnd ließ sie die Zunge raushängen und ließ ihren bepelzten Schweif wie ein zufriedener Hund in der Luft wedeln.
Ein zweiter, lauter Pfiff ließ alle vier Federfüchse aufschauen und dann zurück zum Stall laufen. Auch Lim wandte sich schnell von mir ab, um ihren Artgenossen zu folgen. Dort, wo die Federfüchse aus dem Stall gekommen waren, stand nun mein guter, alter Freund Hector. Der Farmbesitzer strich nacheinander jedem seiner vier Federfüchse über den Kopf und flüsterte ihnen dabei etwas zu.
Lächelnd stand ich auf. ,,Du hast die Rasselbande immer noch gut unter Kontrolle. Beeindruckend für einen alten Mann."
,,Ein alter Mann, der es immer noch wagen könnte einem Scalra eine Waffe an den Kopf zu halten", erwiderte Hector schmunzelnd.
Mit seinen Worten schickte er wohl seine Federfüchse weg, denn ruhig und sichtlich zufrieden verschwanden alle vier Tiere mit entspannten Muskeln im Stall. Zurück blieb der Mann mit den weißen, kinnlangen Locken und dem weißen Bart, der trotz des wilden Wuchses einen ordentlichen Eindruck machte.
Hector sollte man allerdings nicht wegen seines hohen Alters unterschätzen. Der erfahrene Farmer und ehemalige imperiale Soldat besaß immer noch einige Tricks auf Lager, mit denen er bei Verbündeten und Feinden einen tiefen Eindruck hinterlassen hatte und wodurch sich seit mehreren Jahrzehnten keine Banditen mehr auf seine Farm trauten. Seine Erfahrungen als Soldat waren jedoch nur einer der Gründe, weshalb Hector anders als andere Farmer nicht von ständigen Banditen-Problemen heimgesucht wurde. Ein anderer Grund waren seine tierischen Mitbewohner in Gestalt von Federfüchsen und Sha'Kmals.
Nachdem die Federfüchse weg waren, kam Hector mir auf halbem Weg entgegen. Eine freundschaftliche Umarmung ließen wir allerdings aus, denn so eine enge Art von Freunde waren wir nicht und zum anderen waren Hectors Hände durch seine Arbeit ständig dreckig. So auch jetzt. Während wir uns respektvoll zunickten, wischte er sich an einem schon verfärbten Tuch die Finger ab.
,,Ich bin überrascht dich hier zu sehen", sagte Hector und er deutete auf die selbstgebaute Antenne. ,,Die traurige Nachricht über den Imperator ist auch bei mir angekommen. War allerdings auch zu erwarten, dass er sich nicht ewig in seinem Palast verstecken kann. Der Tod holt irgendwann alle."
Hinter mir schnappte Echo erschrocken nach Luft. ,,Imperator Thirn ist tot?"
Verwirrt über die Besorgnis in der Stimme, drehte ich mich zu Echo um. Leise war sie mir gefolgt und stand nur ein paar Schritte hinter mir. Tatsächlich wirkte sie ziemlich erschrocken und ich fragte mich, woher das auf einmal kam. Warum sollte es sie interessieren, wenn der Mann, der ihre Spezies tot sehen wollte, nun vom Himmel auf die Erde herabsah?
,,Wer ist das denn?", hörte ich Hector fragen und es war klar, dass er damit Echo meinte. ,,Die nächste Scalra-Generation?"
Kopfschüttelnd drehte ich mich wieder zu meinem alten Freund um. ,,Sie ist eine gesuchte Abtrünnige."
,,Und warum seit ihr..." Hectors Stimme versagte als er zuerst zu Sommer und dann wieder zu mir blickte. ,,Sein Bein", murmelte er.
Nickend trat ich näher. ,,Ich möchte wegen einem Auftrag nicht die Gesundheit meines Drachens gefährden und es würde die Tarnung noch besser machen. Wir brauchen einen zweiten Sha'Kmal. Könntest du mir einen borgen?"
,,Vielleicht", murmelte Hector und schien dabei mehr zu sich zu sprechen als zu mir. Sein Blick ging dabei auch ins Leere, als würde er nachdenken. ,,Er ist etwas speziell, aber..." Als hätte er auf einmal einen Geistesblitz hellte sich seine Miene auf und Hector selbst richtete sich auch mehr auf. ,,Weißt du was. Ich glaube, ich habe den perfekten Drachen für dich, Brecher."
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