Kapitel 1 - Die Straßen von Advance
Echo
,,Wenn der Morgen kommt und das Licht erwacht,
dann hat das Schicksal uns was mitgebracht.
Wenn die Nacht erscheint kommt der finstre Mann,
und holt die Narren, weil er das so kann.
Was das Ende weiß flüstert uns der Wind,
doch die Antwort darauf weiß schon jedes Kind."
Den Text im Kopf, summte ich das Lied zufrieden vor mir her. Es war kein besonderes Lied, nur eins was einst eine arme Seele erfunden hatte, um damit auf den Straßen etwas Geld zu verdienen. Doch mit der Zeit hatte dieses Lied an Berühmtheit gewonnen und wurde gerne von den Kindern aus dem Ghost gesungen.
Hier im Teil der Stadt, der von den einheimischen Seelen gerne Advance genannt wurde, kannte man das Lied und seine Bedeutung nicht und wenn doch, so hätte es mich überrascht. Obwohl es sich bei diesem Teil der Stadt nur um die Arbeiterklasse handelte, waren diese Menschen hier mir und meinen Freunden in vielen Dingen überlegen und hatten einen Vorteil uns gegenüber: Sie besaßen die Möglichkeit für eine Zukunft. Die Kinder von Advance konnten in die Schule gehen, sie machten eine Ausbildung oder gingen auf die Universität und konnten von da aus weiter in der Gesellschaft aufsteigen. Nur die mit dem größten Pech würden möglicherweise ihr Geld und restlichen Besitz verlieren und wären dann gezwungen in die Gassen von Ghost zu flüchten, um dort wie eine Kanalratte zu leben.
Das war der Fluch der Stadt und auch der ihrer Aufteilung. Wer in Ghost geboren wurde blieb meistens dort, denn es war schon ein Wunder als so ein Mensch zumindest in die Arbeiterklasse zu kommen. Doch wie sollten die Menschen aus Ghost auch die Chance bekommen irgendetwas in ihrem Leben zu erreichen, wenn man ihnen eine Schule und eine ordentliche Ausbildung verweigerte? Das Imperium war der Ansicht das es so besser für alle wäre, sowohl für die Menschen aus Ghost – die auch Scruffer genannt wurden – als auch für die aus Advance. In mancher Hinsicht konnte man Ghost mit einem Gefängnisviertel vergleichen und ich hasste dafür jeden Mann und jede Frau aus dem Imperium, die für diese Ansicht gesorgt hatten.
Mit zügigen Schritten schob ich mich an den Bürgern von Orstella vorbei, die mir manchmal genauso eilig entgegen kamen und dadurch nicht erkennen konnten was für ein dreckiger und räudiger Mensch ich doch eigentlich war. Es war kurz vor Sonnenuntergang. All die Arbeiter aus den Fabriken machten für heue Schluss und schleppten sich mit hängenden Schultern und schlürfenden Gang nach Hause. Die Arbeit in den Fabriken war hart, vor allem wenn man daran dachte, dass die Reichen ihr Leben schon mithilfe von Technologie und Runenkraft erleichterten. Wozu wurden dann noch schwerarbeitende Männer und Frauen gebraucht, die in der Schmelze arbeiteten und in den nahen Mienen nach Mineralien und Rohstoffen suchten?
Die Mienenarbeit war allerdings nicht nur eine Arbeit für Advance. Beinah täglich kamen Transporter mit Straftätern und frischgewordenen Achtzehnjährigen ohne Ausbildung im Mienendorf Silgrast an, um dort auf unbestimmte Zeit zu arbeiten. Und auch in den Straßen von Ghost kam es oft vor, dass eine Patrouille von Gardisten durch die Straßen zog und frische, junge Erwachsene aus ihren Familien riss.
So was konnte auch in Advance passieren, doch war die Wahrscheinlichkeit eine gezwungene Arbeitskraft zu werden in Ghost größer. Schon oft hatte ich solche Situation mit angesehen und obwohl ich den verzweifelten Familien gerne geholfen hätte, so hatte ich am Ende nichts anderes tun können, als stumm dabei zu zuschauen. Am Ende hätte ich nur die Gardisten auf mich aufmerksam gemacht und wäre damit ins Blickfeld des Imperiums geraten. Dennoch tat es mir jedes Mal leid, wenn arme Kinder aufgrund fehlender Schuldbildung ins Lager für Zwangsarbeit kamen. Nur wenige Kinder schafften es vor ihrem achtzehnten Geburtstag eine Arbeit zu finden, bei der sie zwar schlecht bezahlt wurden, somit aber dennoch der Mienenarbeit entkommen konnten. Ein paar verzweifelte Besitzer von Kneipen und Cafés ließen mit etwas Glück Scruffers nach Ladenschluss ihre Läden saubermachen.
Mein eigener achtzehnter Geburtstag war vor einem Jahr gewesen. Zwar besaß ich damals genauso wenig wie heute eine Arbeit, aber Orstella wusste nicht einmal, dass es mich gab. Ich war nirgendwo registriert, niemand von der Stadtverwaltung kannte meinen Namen und dadurch war ich sicher. Sicher vor freundlichen Blicken und sicher vor der Mienenarbeit.
Der übliche Weg führte mich in eine belebte Fußgängergasse, die stets zu dieser Zeit anfing, richtig zu leben mit ihren einladenden Geschäften, Cafés und Restaurants. Strahlende Neonbeleuchtung und aufgehängte Kugeln mit flüssigem Licht spendeten der Gasse ein buntes Licht und machten der Sonne glatt Konkurrenz. Jedes Mal, wenn ich die Bewohner von Advance sah, kam ich mir ein wenig wie in einer anderen Welt vor. Sie waren anders als die Scruffers, obwohl sie doch alle Teil derselben Stadt waren. Doch diese Menschen hier trugen ordentliche Kleidung, sie waren sauber und gewaschen und keiner war so krank, dass er hustend oder mit wankenden Schritten umherlief. Allerdings gab es in Advance auch so etwas wie richtige Ärzte, keine die korrumpiert waren und nur denen halfen die gut bezahlten.
Auf der linken Seite der Gasse öffnete sich ein großer, heller Platz in dessen Mitte ein großer Springbrunnen mit Blumenmuster und Fisch-Statuen stand. Den Blick auf den tiefgrauen Brunnen gerichtet, blieb ich stehen und schaute dabei zu wie das kristallklare Wasser die Strahlen der Sonne auffing. Am Rande des Brunnes oder auf Bänken drumherum saßen ein paar Menschen, manche friedlich zusammen mit Freunden, andere vertieft in ein Buch.
Helles Kinderlachen ließ mich zu einer kleinen Gruppe schauen. Dort saß eine Frau mit drei kleinen Kindern, die lachend ihre Hände in das frische Brunnenwasser tunkten und die anderen dann nass spritzten. Als eins der Kinder sich Schutz suchend in die Arme der Frau warf, versetzte mir der Anblick einen schmerzlichen Stich ins Herz. Noch bevor die verräterische Träne ihre Chance bekam, wandte ich schnell den Blick ab und lief weiter. Ehrlich gesagt wusste ich nicht ganz, warum ich überhaupt so über das Geschehene reagierte. Vielleicht weil ich glaubte die Frau wäre die Mutter des Kindes gewesen? Und weil mir dabei wieder einmal meine eigene Mutter fehlte?
Während ich weiterlief, fischte ich meine silberne Taschenuhr aus meiner Jackentasche raus und klappte den hellen Deckel auf. Diese Uhr hatte ich selbst umgebaut. Sie konnte nicht nur die Uhrzeit anzeigen, sondern diente auch als Stoppuhr, Timer und besaß noch ein paar andere verstecke Fähigkeiten. Die Funktion der Uhrzeit reichte allerdings im Moment, denn ich erkannte sofort, dass ich zu spät war. Leise fluchend beschleunigte ich meine Schritte. Ich rannte aber nicht, denn wenn man rannte, machte man auf sich aufmerksam und das wollte ich nicht.
Das Ziel wartete im Schatten eines großen Gebäudes, das in früherer Zeit als Bunker für das Viertel gedient hatte und nun als örtliche Lagerhalle für wichtige Lebensmittel diente. Im Vergleich zu dem Gebäude wirkte der kleine Laden daneben eher unscheinbar und selbst die schwach leuchtenden Neonbuchstaben über der Tür, machten den Laden nicht unbedingt auffällig oder interessant. Über der Tür stand Madam Natashas Weissagungen.
Als ich eintrat wurde ich von einem leisen Windspiel begrüßt, das aus hellen Glocken und kleinen Schmucksteinen bestand. In der Luft lag der vermischte Geruch von Weihrauch und angezündeten Räucherstäbchen. Dieser Geruch war für die Entspannung gedacht und sollte auch irgendeinen anderen spirituellen Hintergrund haben, mich brachte er aber zum Husten und sorgte für einen leichten Würgereiz. Der ganze Laden der Wahrsagerin Tasha war dunkel gehalten mit den schweren Vorhängen vor den Fenstern und den violetten und dunkelblauen Tüchern. Selbst ein paar Lampen strahlten dunkles Licht aus. Tasha meinte mit der dunklen Ausstattung wäre sie besser dazu in der Lage die strahlenden Auren ihrer Kunden zu erfassen und dadurch in ihren Geist und ihre Zukunft zu sehen. Selbst die Orchideen in den Kristallvasen waren schwarz oder dunkelviolett.
,,Hallo?", rief ich in den Laden rein. ,,Tasha?"
,,Einen Moment!", antwortete eine Stimme aus dem Hinterzimmer.
Kurz darauf wurde der blaue Vorhang zur Seite gezogen und eine rundliche Frau mit faltiger, brauner Haut trat ins Zimmer. Sie trug ein langes, nachtblaues Kleid, das mit Pailletten und Perlen verziert war. Um den Schultern trug sie ein kurzes Tuch aus hellem Stoff und in ihr tiefschwarzes Haar war eine hauchdünne Goldkette eingeflochten, die ihr auch ein wenig über die Stirn fiel.
,,Glühwürmchen, meine Hübsche. Schön dich zu sehen."
Bevor ich reagieren konnte, war die Frau Ende vierzig schon bei mir und zog mich in eine feste Umarmung. Sie roch nach Lavendel und frischen Kräutern. Wahrscheinlich hatte sie in ihrem Hinterzimmer eine Salbe für einen Kunden vorbereitet oder irgendein komisches Duftsäckchen. Neben Wahrsagungen war auch das ihr Talent und mit all den komischen Gerüchen war sie schon in Ghost den Leuten auf die Nerven gegangen.
,,Ich hoffe ich störe nicht."
,,Ach nein, überhaupt nicht." Tasha führte mich zu einem kleinen, runden Tisch, der zwischen zwei Stühlen stand. Es war der Tisch, an dem sie immer mit ihren Kunden saß und ihre Wahrsagungen machte. Die Kristallkugel ruhte auf einem roten Samtkisten ganz in der Nähe in einem Regal. ,,Mein nächster Kunde kommt erst in einer Stunde. Möchtest du etwas Tee?"
Ich schüttelte den Kopf und setzte mich auf einen der Stühle, mit den mit Perlen verzierten Sitzkissen. ,,Nein danke. Ich bin spät dran und es wäre schlau vor der Dunkelheit wieder in den Kanälen zu sein."
Seufzend strich sich Tasha eine Strähne hinters Ohr. ,,Diese Straßen sind wirklich schrecklich. Du solltest etwas aus deinem Talent machen, Glühwürmchen, und endlich von dort verschwinden."
Es war klar gewesen, dass solche Worte ausgerechnet von Tasha kamen. Sie war eine der wenigen, die es wirklich geschafft hatten aus Ghost rauszukommen und nun glaubte sie, dass jeder andere Mensch zu genau demselben in der Lage wäre – dass jeder aus Ghost seine eigenen Talente nutzen konnte, um sein Leben zu verbessern. Eine schöne Vorstellung, aber genau gesehen dennoch nichts anderes als Tagträume.
,,Ich bin niemand, der gut mit anderen Menschen zurecht kommt", schlug ich schwach lächelnd den Vorschlag aus. Einen Moment zögerte ich, dann musste ich ein Lachen unterdrücken. ,,Vor allem dann nicht, wenn es Idioten und Schleimer aus der Oberschicht sind."
,,Aber mit den Daegors kommst du zurecht?", fragte Tasha scherzend. Während sie ein ehrliches Lachen von sich gab, musste ich mich darum bemühen mein Lächeln nicht so gezwungen zu zeigen, wie es in Wahrheit war.
Gerne hätte ich Tasha widersprochen und ihr von meiner Sympathie gegenüber Daegors erzählt, aber hätte dies möglicherweise verraten was ich selbst war. Vielleicht hätte es Tasha auch dazu gebracht mich im hohen Bogen aus dem Laden zu werfen und als nächstes die Gardisten zu rufen. Zugegeben war es ein wenig gemein, wie ich meine gute Bekannte einschätzte, aber bei dieser Einschätzung benutzte ich nur den allgemeinen, neutralen Menschenverstand. Ich würde es verstehen, wenn Tasha mich verraten würde, dabei würde ein Haufen Dimmen rauskommen und Geld konnte jeder gut gebrauchen
,,Hast du die Medizin?", fragte ich schließlich um vom Daegor-Thema abzulenken. Aus meiner ledernen Tasche holte ich einen kleinen Beutel raus, aus dem ich wiederrum neun goldene Münzen rausfischte. Dadurch befanden sich am Ende nur noch zwölf Münzen im Beutel, was mein übriges erspartes darstellte. Nicht unbedingt viel, aber dieser Kauf war wichtig, denn die Medizin wurde in Ghost dringend gebraucht.
Nickend wandte sich Tasha an eins ihrer Regale. Es war vollgestellt von allerlei Sachen, die von der Wahrsagerin wahrscheinlich dringend für die Arbeit gebraucht wurden. Tashas Finger glitten über die glatte Oberfläche kleiner Holzquadrate. Dabei summte sie leise vor sich hin. Ich erkannte anhand der Melodie, dass sie ein leises Lied summte, was in Ghost gerne als Trinklied genutzt wurde. Ihre tiefen Wurzeln aus Ghost würde die Wahrsagerin wohl niemals ablegen. Schließlich zog sie mit halb gut manikürten Fingern einen der Würfel raus und stellte ihn zwischen uns auf dem runden Tisch ab. Der Würfel war ein kleiner Behälter. Obwohl ich Tasha vertraute, öffnete ich dennoch den Würfel und blickte runter auf ein paar getrocknete Blätter und eine durchsichtige Tüte mit weißen Tabletten.
Erleichtert atmete ich auf und schaute die Wahrsagerin dankbar an. ,,Danke. Damit rettest du zwei armen Seelen das Leben." Während eine Hand den Behälter schloss, schob die andere die Münzen in Tashas Richtung.
,,Ach, du weißt doch wie gerne ich helfe", erwiderte die Wahrsagerin. ,,Und ich weiß wie wichtig es ist. Dem armen Jungen muss unbedingt geholfen werden."
Mit dem Würfel in der Hand erstarrte ich für einen Moment. Für Tasha war der kranke Tobi wichtig, für mich allerdings Dario den es schlimmer erwischt hatte. Die sogenannte Dürre-Krankheit ließ die Betroffenen langsam austrocknen durch hohes Fieber was Monate und auch Jahre dauern konnte. Die Kranken mussten unter ständiger Beobachtung stehen, um nicht zu verdursten, sogar nachts. Normalerweise war der Virus außer zu Beginn nicht heilbar, allerdings konnte man den Verlauf durch Medikamenten verlangsamen. Tobi war am Anfang der Krankheit und so war eine Heilung vorstellbar, doch bei Dario konnte man nur noch versuchen ihm seine letzten Tage zu erleichtern.
,,Gibt es sonst noch Neuigkeiten aus der Oberschicht und Advance?"
,,Nur ein paar Aufstände in den Mienen." Seufzend ließ sich Tasha auf den freien Stuhl fallen. Kaum saß sie, griff sie nach ihrem verzierten Zigarettenetui und dem danebenliegenden Feuerzeug. ,,Die Arbeiter wollen mehr Geld. Ach ja, und es kam wohl zu Problemen mit ein paar Daegors in Johran."
Sofort wurde ich hellhörig. ,,Probleme mit Daegors?"
Schulterzuckend zündete Tasha die Zigarette an, die sie schon zwischen den Lippen hielt. Das brennende Ende hinterließ eine Spur aus dünnem Rauch, als sie nach einem tiefen Zug die Zigarette zwischen die Finger nahm. ,,Es sind vierzehn Tote", sagte sie mit tonloser Stimme. ,,Sie sollen wohl von zwei Daegors getötet worden sein, die man ein paar Stunden später aufgegriffen hat."
,,Wieso?", fragte ich und bemühte mich um keinen gereizten Unterton in der Stimme. ,,Nur weil es Monster sind?"
,,Das Imperium hat seine Gründe diese Viecher zu töten", erwiderte Tasha und wedelte mit der Hand, in der sie die Zigarette hielt. Als sie meinen angespannten Blick bemerkte schenkte sie mir ein aufmunterndes Lächeln. Sie glaubte, dass meine Stimmung wegen etwas anderen auf der Kippe stand. ,,Keine Sorge Glühwürmchen, Orstella ist sicher. So schnell wird kein Daegor die Chance haben hier zu randalieren."
Wenn du wüsstest...
{...}
Bevor ich mich auf den Rückweg nach Ghost machte, schaute ich noch schnell am Marktplatz vorbei. Unter der Woche war dort nicht viel los, erst am Wochenende wurde es spannend, vor allem wenn dann unerfahrene Kids aus Ghost herkamen und versuchten ihre wenigen Erfahrungen in Taschendiebstählen herauszufordern. Die meisten kamen an diesen Tagen dann mit einem Veilchen am Auge und Blutergüsse an Armen, Rücken und Bauch zurück, eine Erinnerung an die Gardisten, die sie erwischt hatten.
Ich brauchte gerade nur einen Stand von Markt und das war der, mit dem halbwegs frischen Obst. Mit den knappen zwölf Dimmen in der Tasche kaufte ich ein Päckchen Johannisbeeren, eine Drachenfrucht und zwei Feigen. Allein durch diesen Kauf besaß ich nur noch einem Dimmen in der Tasche, aber ich konnte die hohen Preise verstehen. Die Verkäufer mussten die Preise ständig steigen lassen, um für sich selbst leben zu können, bei der ganzen Miete und den Steuern. Aber für diese kleinen Köstlichkeiten war es die Sache wert. Solch ordentliche Früchte fand man kaum in Ghost und wenn doch, dann konnte man sich sicher sein, dass sie aus Advance gestohlen worden waren.
Eine Feige schmatzend machte ich mich dann auf den Weg zur Brücke, die Ghost mit dem Rest der Stadt verband. Einst hatte es mehrere Brücken gegeben, aber das war vor sehr langer Zeit gewesen, als Ghost noch nicht zu Grunde gegangen war. Der Sonnenuntergang würde bald anbrechen, der Himmel glühte schon wie ein Feuer und ließ das dunkle Wasser am Hafen aufflimmern. Allein wegen dem Sonnenuntergang lief ich langsamer, denn ich wollte das nicht verpassen. Den Sonnenuntergang konnte man in Ghost durch den ganzen Smog am Himmel nicht sehen und das frustrierte mich ein wenig. Es gefiel mir einfach den Sonnenuntergang zu sehen. Es zeigte nämlich, dass auch so etwas Großes und Herrliches, wie die Sonne Mal ruhen musste und dadurch zeigte es auch, dass es nichts gab, dass allmächtig war.
Kurz bevor ich in die Hafengegend kam, wurde ich auf eine Menschentraube aufmerksam, die ein Stück weiter die Straße hinauf aufgeregt um irgendetwas herumstand und gaffte. Obwohl ich eigentlich weitergehen sollte, konnte ich nicht anders und bog ab, um zu mich zu den Schaulustigen zu gesellen. Kurz bevor ich sie erreichte, konnte ich schon zwischen den anderen Menschen die Rüstungen von Gardisten aufblitzen sehen und sofort blieb ich stehen. Irgendetwas interessantes war da also los. Vielleicht ein neuer achtzehnjähriger, der gezwungen werden sollte in den Mienen zu arbeiten. Da es durch die ganzen Menschen unmöglich wäre weiter nach vorne zu kommen und etwas zu sehen, beschloss ich eine andere Möglichkeit zu nutzen.
Ich stopfte mir den Rest der Feige in den Mund und schnippte zwei Mal mit den Fingern. Während ich mir danach mit dem Handrücken den Mund abwischte, bewegte sich meine Umhängetasche und kurz darauf flog ein kleines, metallenes Geschöpf raus, um mit glühenden Flügeln in die Luft zu steigen. Es war ein kleines Glühwürmchen, das mit ausgestreckten Fühlern zuerst ziellos herumflog und sich dann auf eine nahe Hauswand absetzte. Sie blickte nun genau auf den Teil, den die aufgeregte Menge vor mir verbarg. Ich selbst zog währenddessen meine Taschenuhr raus, wirbelte sie kurz an der metallenen Kette und klappte sie dann in meiner Hand ruhend auf. Die Innenseite des Deckels folgte ihrer Funktion als sie sich mit dem Glühwürmchen verband und der kleine Bildschirm zeigte nun das, was die Kameraaugen des Glühwürmchens sahen. Und was ich sah nahm mir für einen Moment den Atem.
Sieben Gardisten standen auf dem Bürgersteig und der Straße. Fünf von ihnen standen im Halbkreis und hielten die neugierigen Menschen zurück, während die anderen zwei sich über eine Gestalt beugten, die mitten auf dem Bürgersteig lag. Es war ein junger Mann, ungefähr Mitte zwanzig. Er trug noch die Klamotten von seiner Arbeit aus der Fabrik: Eine Arbeiterhose, feste Schuhe, einen langärmeligen Pullover und alles mit Ruß verschmiert, sogar seine Hände und das Gesicht. Aber das Gesicht war auch von etwas anderem verschmiert. Blut. Blut tropfte aus seinem Mund, seiner Nase und den Augen und dazwischen funkelten ein paar dunkle Tropfen auf dem Bürgersteig ruhend wie Edelsteine auf. Die dunklen, fast schwarzen Tropfen waren wild verteilt und sprenkelten unter anderem den linken Arm des Mannes. Oder besser gesagt: Den halben Arm. Der Arm war ab den Ellenbogen zerfetzt und die schwarzen Tropfen schimmerten unter dem verteilten Blut auf. Bei dem Anblick bahnte sich die Feige beinah wiederhoch.
Ohne Zweifel, dieser Mann war tot und er war von einem Daegor getötet worden.
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