Verborgene Narben
Jisung PoV
Das dumpfe Licht des Zimmers schien durch meine geschlossenen Lider zu dringen, und ich hörte, wie Minho sich leise bewegte. Er versuchte, keinen Laut von sich zu geben, als er die Decke über mir richtete. Trotz meiner Erschöpfung war ich halb wach – gerade genug, um seine Anwesenheit zu spüren.
Seine Finger strichen sanft über meine Stirn, räumten eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Weg. Es war eine Berührung, so zart und voller Wärme, dass sie fast wehtat. Ein Teil von mir wollte die Augen öffnen, ihn ansehen und fragen, was er dachte. Aber ich war zu müde, und vielleicht – ja, vielleicht hatte ich auch ein bisschen Angst vor seiner Antwort.
Minho seufzte leise, kaum hörbar, doch ich nahm es wahr. Er saß still an meiner Bettkante, sein Gewicht drückte die Matratze leicht nach unten. Mein Körper reagierte instinktiv: Eine Hand griff nach seinem Arm, noch bevor ich richtig darüber nachdenken konnte.
"Bleib", murmelte ich heiser, halb im Schlaf, halb im Wachzustand.
Für einen Moment herrschte Stille, dann spürte ich, wie er sich wieder setzte. Seine Hand fand ihren Weg zu meinem Haar, fuhr sanft hindurch, während er sich offenbar mit meinen Worten auseinandersetzte.
"Irgendwie schaffst du es immer, mich aus der Fassung zu bringen, Jisung", murmelte er, und seine Stimme war leise, fast sanft – anders, als ich ihn kannte.
Ich öffnete ein Auge und sah ihn an, seine Umrisse in dem schwachen Licht. Da saß er, Minho, der immer so unnahbar wirkte, so kontrolliert. Aber jetzt war da etwas Weiches in seinem Blick, etwas, das ich nie zuvor gesehen hatte.
"Was meinst du damit?" fragte ich und hörte, wie meine eigene Stimme schwach klang.
Er hielt inne, seine Finger verweilten in meinem Haar. "Ich... weiß es nicht genau." Er lachte kurz, ohne wirklich zu lachen. "Du bringst mich einfach durcheinander."
Ich spürte, wie ein kleines Lächeln meine Lippen umspielte. "Vielleicht liegts an dir, nicht an mir."
Minho schnaubte, aber da war kein wirklicher Spott in seinem Tonfall. "Ja, vielleicht."
Seine Augen suchten meine, und plötzlich spürte ich die Schwere dieses Moments. Es war nicht nur ein Spiel, kein Geplänkel. Da war etwas zwischen uns – etwas, das uns beide zurückhielt und gleichzeitig vorwärtsdrängte.
"Minho…" begann ich, aber meine Worte versagten.
Er legte eine Hand auf meine Stirn, ließ sie langsam über meine Wange gleiten. "Schlaf, Jisung", sagte er leise. "Morgen reden wir."
Sein Daumen strich über meine Haut, und die Wärme seiner Berührung ließ mich fast vergessen, wie erschöpft ich war. Meine Augenlider wurden schwerer, und ich spürte, wie der Schlaf mich wieder einholte.
Aber bevor ich ganz wegdämmerte, murmelte ich noch: "Du weißt schon, dass ich nicht loslasse, oder?"
Er lachte leise, und seine Finger fuhren wieder durch mein Haar. "Ich weiß."
Und dann war da nur noch die Dunkelheit, das leise Geräusch seines Atems und die beruhigende Gewissheit, dass er noch immer bei mir war.
Ein Sonnenstrahl brach durch den Spalt zwischen den Vorhängen und kitzelte meine Nase, was mich langsam aus dem Schlaf holte.
Mein Körper fühlte sich schwer an, meine Wangen drückten gegen etwas Warmes und Festes.
Augen blinzelnd öffnete ich sie halb – und erstarrte.
Ich lag quer über Minho.
Mein Kopf ruhte auf seiner Brust, seine Arme lagen schlaff neben ihm, und ich konnte das gleichmäßige Heben und Senken seines Atems spüren.
Der Geruch von ihm – eine Mischung aus frischer Luft, Parfüm und etwas undefinierbar Vertrautem – umfing mich, während die Scham wie eine Welle über mich hinwegschwappte.
Oh. Mein. Gott.
In meiner Bewegungslosigkeit bemerkte ich plötzlich einen anderen, unangenehmeren Fakt.
Mein Blick wanderte langsam tiefer … und entdeckte den feuchten Fleck auf seinem Hemd.
Oh. Mein. Gott. Ich habe ihm auf sein Hemd gesabbert.
Ein Laut des Entsetzens blieb in meiner Kehle stecken, während ich mich vorsichtig von ihm herunterrollte und mich aufrichtete. Mein Gesicht brannte vor Hitze, als ich Minho ansah, der immer noch tief schlief.
Sein Hemd war zerknittert, der Fleck auf der Brust nicht zu übersehen.
"Verdammt", murmelte ich, halb zu mir selbst.
Ich musste das beheben, bevor er aufwachte.
Langsam, um ihn nicht zu stören, begann ich die Knöpfe seines Hemdes aufzufummeln.
Meine Finger zitterten, und ich konnte mir selbst kaum glauben, dass ich das wirklich tat.
Aber es war besser, als dass er aufwachte und den Sabberfleck selbst bemerkte.
Der Stoff löste sich, und ich streifte das Hemd vorsichtig von seiner rechten Schulter.
Alles lief reibungslos – bis ich den linken Ärmel erreichte.
Als ich den Stoff von seinem Arm zog, blieb ich plötzlich wie angewurzelt still.
Unter dem weichen Licht der Morgensonne sah ich sie: dünne, feine Narben, die sich über die Innenseite seines Handgelenks zogen.
Mein Atem stockte.
Die Narben waren alt, fast verblasst, aber sie waren da.
Ein unausgesprochenes Zeugnis von etwas, das Minho vermutlich niemandem zeigen wollte.
Etwas, das er in sich trug und nicht mit der Welt teilte.
Mein Herz zog sich zusammen, während ein Schwall von Gefühlen über mich hereinbrach – Sorge, Schmerz, eine tiefe Traurigkeit.
Aber da war auch die Angst, dass ich zu weit gegangen war.
Dass ich etwas gesehen hatte, was ich nicht sehen sollte.
Panik kroch in mir hoch und ich zog das Hemd schnell wieder über seinen Arm.
Meine Hände arbeiteten hektisch, knöpften es wieder zu, so gut ich konnte, ohne ihn aufzuwecken.
Als ich fertig war, lehnte ich mich zurück und betrachtete ihn.
Minho schlief noch immer friedlich, sein Gesicht entspannt, als hätte er keine Ahnung, was gerade passiert war.
Aber ich wusste es.
Und mein Herz fühlte sich an, als hätte es einen Sprung bekommen.
Ich zuckte zusammen, als ich hörte, wie Minho sich leise regte.
Sein Atem veränderte sich, wurde bewusster, und als ich vorsichtig zu ihm aufsah, öffneten sich seine Augen langsam.
Er wirkte verschlafen, seine Haare fielen ihm wirr in die Stirn, aber trotzdem hatte er diese unerschütterliche Ruhe an sich.
Sein Blick fiel sofort auf mein Gesicht, und seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
"Was ist los?" fragte er, seine Stimme noch heiser vom Schlaf.
"Du siehst aus, als hätte dich jemand angeschrien."
Ich wandte den Blick ab, weil ich nicht wusste, wie ich antworten sollte. Mein Herz raste immer noch, und meine Hände fühlten sich eiskalt an.
"Es ist nichts," murmelte ich schnell, aber meine Stimme klang zu dünn, zu unsicher.
Minho schnaubte leise, und ich hörte, wie er sich ein wenig aufrichtete.
"Jisung, du bist ein schlechter Lügner," sagte er sanft, aber bestimmt.
"Was ist los?"
Ich biss mir auf die Lippe und suchte nach den richtigen Worten, aber es fühlte sich unmöglich an, das Thema anzusprechen, ohne ihn zu verletzen. Trotzdem spürte ich den Drang, es anzusprechen, stärker werden – nicht aus Neugier, sondern aus Sorge.
"Minho …" begann ich zögernd, ohne ihn anzusehen.
"Hast du …"
Ich stoppte, der Kloß in meinem Hals wurde größer.
Seine Stimme wurde noch ruhiger. "Hast du was, Jisung?"
Ich wagte es endlich, zu ihm aufzusehen, und er sah mich direkt an – nicht fordernd, sondern geduldig, als ob er genau wusste, dass ich mit mir rang.
"Ich wollte dir ein frisches Shirt anziehen, weil … na ja … ich hab dir auf dein Hemd gesabbert, als ich geschlafen habe," gestand ich schnell, meine Wangen liefen heiß an.
"Aber als ich es ausziehen wollte …"
Ich sah, wie er sich versteifte.
Seine Augen blieben unverändert auf meinem Gesicht, aber sein Körper sprach Bände.
Es war, als würde er sich innerlich gegen etwas wappnen.
"Was hast du gesehen?" fragte er schließlich, seine Stimme war flach, fast emotionslos.
Ich hatte Angst, ihn zu verletzen, aber ich konnte ihn auch nicht anlügen. "Dein Handgelenk," flüsterte ich.
"Die Narben."
Einen Moment lang war es still, nur unsere Atemzüge füllten den Raum. Minho sah weg, und ich spürte, wie er innerlich Mauern hochzog – Mauern, die ich erst gestern Nacht zu überwinden geglaubt hatte.
"Das ist nichts, worüber du dir Sorgen machen musst," sagte er schließlich, seine Stimme war kühl und distanziert.
"Minho, bitte," drängte ich, ohne nachzudenken.
"Ich … ich will nur verstehen. Es tut mir leid, dass ich das gesehen habe, aber …"
Er unterbrach mich mit einem scharfen Atemzug, und ich sah, wie er kämpfte – mit mir, mit sich selbst, mit etwas, das ich nicht greifen konnte.
"Es war … eine andere Zeit," sagte er schließlich, kaum hörbar.
"Es hat nichts mit dir zu tun."
Ich wollte ihn berühren, ihm zeigen, dass er nicht allein war, aber ich hatte Angst, ihn zu verschrecken.
Also blieb ich still, saß nur da und ließ seine Worte in mir widerhallen.
"Du bist mir wichtig, Minho," sagte ich schließlich leise, meine Stimme zitterte.
"Wenn du darüber reden willst … ich bin hier."
Er sah mich an, und für einen Moment war da etwas in seinen Augen – Schmerz, Dankbarkeit, vielleicht beides.
Dann nickte er langsam, und ich wusste, dass das alles war, was er mir in diesem Moment geben konnte.
Es war genug.
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