Unausgesprochene Wahrheiten
Minho’s PoV
Ein paar Wochen waren seit dem Abendessen vergangen und obwohl die Erinnerung daran in meinem Kopf noch präsent war, hatte sich einiges verändert.
Jisung und ich hatten uns seitdem näher kennengelernt – nicht nur auf einer emotionalen, sondern auch auf einer fast intimen Ebene.
Das Gefühl, ihn in meinem Leben zu haben, fühlte sich so natürlich an, als wäre es immer so gewesen.
Heute war ein kühler Wintermorgen, und während ich aus dem großen Fenster meines Zimmers blickte, bemerkte ich, wie die ersten Schneeflocken leise vom Himmel fielen.
Der Schnee bedeckte die kahlen Äste der alten Eichen im Garten, und alles wirkte, als wäre es aus einem Märchen entsprungen.
Es war dieser stille Frieden, den ich selten fühlte und doch dachte ich dabei nur an ihn.
„Du starrst schon wieder ins Leere“, kam Jisung’s leise Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah, wie er in der Tür meines Zimmers stand, in einen übergroßen Pullover gehüllt, der ihm bis zu den Oberschenkeln reichte.
Wahrscheinlich hatte er ihn aus meinem Kleiderschrank genommen, aber es stand ihm so gut, dass ich nichts dagegen sagen konnte.
„Ich denke nach“, antwortete ich mit einem kleinen Lächeln und deutete auf die Schneeflocken.
„Es hat angefangen zu schneien.“
Er trat langsam näher, seine Schritte waren leise auf dem dicken Teppich. „Das habe ich gesehen. Es ist schön.“ Seine Augen wanderten kurz zu mir, bevor er zu meinem Fenster schaute.
Es war ein Moment der Ruhe, in dem keine Worte nötig waren.
Ich nahm seine Hand und zog ihn sanft zu mir, sodass er direkt vor mir stand.
Mein Blick wanderte über sein Gesicht – die sanften Züge, die mich immer wieder faszinierten, seine großen Augen, die so viel ausdrückten, und das leichte Rosa, das sich in seine Wangen geschlichen hatte.
„Wie geht’s dir?“, fragte ich, meine Stimme leise, fast wie ein Flüstern.
Er zuckte mit den Schultern und lehnte seinen Kopf an meine Brust. „Besser. Ich glaube, ich gewöhne mich langsam an alles.“
Ich wusste genau, wovon er sprach. Die Welt, in die ich ihn eingeführt hatte, war so anders als seine eigene. Meine Familie, das Haus, die Erwartungen – all das musste ihn erschlagen haben.
Aber Jisung war stärker, als er glaubte und ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, ihm das zu zeigen.
„Du machst das großartig, weißt du das?“, sagte ich und hob seine Hand, um sie an meine Lippen zu drücken.
„Sagst du das nur, um mich zu beruhigen?“
Seine Stimme war neckend, aber ich konnte die Unsicherheit dahinter spüren.
„Ich meine es ernst.“
Ich sah ihm direkt in die Augen.
„Du bist mutig, Jisung. Und du passt hierher – viel mehr, als du denkst.“
Er sah weg, aber ich konnte das leichte Lächeln auf seinen Lippen sehen.
„Wie fändest du es, wenn wir rausgehen würden? Der Schnee sieht perfekt aus für einen Spaziergang.“ Ich wollte ihn aus diesem Gedankenstrudel holen, ihm zeigen, dass es auch einfache Freuden gab, die man genießen konnte.
„Ein Spaziergang? Bei der Kälte?“
Er zog skeptisch eine Augenbraue hoch, aber ich sah das Funkeln in seinen Augen, das zeigte, dass er die Idee nicht ganz so schlecht fand.
„Ich werde dafür sorgen, dass dir nicht kalt wird“, sagte ich grinsend und zog ihn an der Hand mit zum Kleiderschrank.
Ich griff nach einem dicken Schal und einer Jacke für ihn, während ich meine eigenen Sachen zusammensuchte.
Kurze Zeit später standen wir draußen, unsere Schritte knirschten auf dem frischen Schnee.
Jisung hatte seine Hände tief in den Taschen vergraben, während er den Kopf leicht senkte, damit der Wind nicht seine Wangen traf.
Ich lief neben ihm, beobachtete ihn und genoss die Stille zwischen uns.
Es war eine dieser Stille, die nicht unangenehm war, sondern vielmehr beruhigend.
„Es ist wirklich schön hier“, sagte er schließlich, seine Stimme gedämpft durch den Schal.
„Du hattest recht. Es fühlt sich fast magisch an.“
Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm.
„Das tut es. Aber weißt du, was noch schöner ist?“
Er sah mich fragend an, seine Stirn leicht gerunzelt.
„Du“, sagte ich ehrlich und ließ die Worte in der kalten Luft hängen.
Sein Gesicht lief rot an und er sah schnell weg, aber ich konnte das Lächeln nicht übersehen, das sich auf seinen Lippen ausbreitete.
„Hör auf“, murmelte er, aber ich wusste, dass er es nicht wirklich meinte.
„Warum? Ich sage nur die Wahrheit.“ Ich trat näher zu ihm, hob seine Hände und hielt sie in meinen eigenen, um sie zu wärmen.
„Ich meine es, Jisung. Du bist das Beste, was mir passiert ist.“
Er sah mich an, und für einen Moment schien es, als würde die Welt um uns herum verschwinden.
Dann lehnte er sich vor und legte seinen Kopf gegen meine Schulter.
„Du bist unmöglich“, sagte er leise, aber ich konnte den sanften Ton in seiner Stimme hören, der mich wissen ließ, dass er es genoss, bei mir zu sein.
Wir blieben eine Weile so stehen, bis die Kälte uns schließlich dazu zwang, ins Haus zurückzukehren.
Doch in diesem Moment, mit Jisung an meiner Seite und dem Schnee, der um uns fiel, fühlte sich die Welt vollkommen an – als wäre alles genau so, wie es sein sollte.
Zurück in meinem Zimmer schüttelte sich Jisung leicht den Schnee aus den Haaren, bevor er sich auf mein Bett fallen ließ.
Er zog den dicken Schal von seinem Hals und sah zu mir hoch, seine Wangen noch immer leicht gerötet – ob von der Kälte oder von etwas anderem, konnte ich nicht genau sagen.
„Du weißt, dass du echt ein hoffnungsloser Romantiker bist, oder?“
Er grinste mich an, zog die Beine an und verschränkte die Arme um seine Knie.
Ich ließ mich auf den Stuhl am Schreibtisch fallen, stützte meinen Kopf in die Hand und sah ihn an. „Und du weißt, dass ich mich damit abgefunden habe, oder?“
Sein Lächeln wurde weicher, und er sah für einen Moment weg, als wollte er seine Verlegenheit verbergen. „Manchmal frage ich mich, wie du das machst.“
„Was mache ich?“
„Mich so sehen.“
Seine Stimme war leise, fast ein Flüstern.
„Du redest über mich, als wäre ich… besonders.“
Ich spürte, wie mein Herz schwer wurde bei diesen Worten.
Langsam stand ich auf und ging zu ihm, setzte mich auf die Bettkante.
„Jisung, du bist besonders.“
Er schnaubte leise, sah aber weiterhin an mir vorbei.
„Das sagst du nur, weil du—“
„Weil ich dich liebe?“
Ich ließ den Satz mit Absicht in der Luft hängen, beobachtete, wie sein Kopf ruckartig zu mir hochschnellte. „Ja, genau deshalb.“
Er starrte mich an, als hätte ich ihn überrascht, obwohl ich es schon so oft gesagt hatte.
„Es fühlt sich seltsam an, das zu hören.“
„Seltsam?“
Ich legte meine Hand an seine Wange, zog seinen Blick zurück zu mir.
„Oder schön?“
Er hielt meinem Blick stand, und nach einem Moment seufzte er leise. „Beides. Aber mehr schön.“
Ich lachte leise und lehnte mich ein wenig näher an ihn heran.
„Es sollte nur schön sein.“
Er sagte nichts, aber ich konnte das kleine, zarte Lächeln sehen, das seine Lippen umspielte.
„Okay“, begann er schließlich, „dann bin ich dran.“
Ich zog eine Augenbraue hoch.
„Deine Version davon, ein hoffnungsloser Romantiker zu sein?“
Er schlug leicht gegen meinen Arm, aber ich konnte sehen, dass er versuchte, seine Nervosität zu überspielen.
„Ich meine es ernst. Ich will auch etwas sagen.“
Ich lehnte mich zurück und ließ ihm Raum. „Ich höre.“
Er zögerte, spielte nervös mit dem Saum seines Pullovers.
„Manchmal… manchmal frage ich mich, was du in mir siehst. Ich meine, du bist—“
„Stopp.“
Ich unterbrach ihn, bevor er weitermachen konnte.
„Keine Vergleiche. Kein ‚Du bist besser als ich‘. Ich will wissen, was du wirklich sagen willst.“
Er hielt inne, atmete tief ein und sah mich dann an.
„Ich denke, ich bin dankbar. Dafür, dass du… mich ansiehst und mich so akzeptierst, wie ich bin. Dafür, dass du mir das Gefühl gibst, nicht allein zu sein.“
Seine Worte ließen meinen Atem stocken und für einen Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Es war ehrlich, roh und genau deshalb so bedeutungsvoll.
„Jisung“, sagte ich schließlich, „du bist nicht allein. Nicht, solange ich da bin.“
Er nickte langsam, und ich konnte sehen, wie viel ihm das bedeutete. „Ich weiß. Und ich denke… ich liebe dich auch.“
Die Worte waren leise, fast verschluckt, aber ich hörte sie.
Mein Herz machte einen Sprung und ich konnte das Lächeln nicht zurückhalten, das sich auf meinem Gesicht ausbreitete.
„Das wollte ich hören.“
Er schüttelte lachend den Kopf und schlug mich mit dem Ärmel des Pullover, den er trug.
„Hör auf, mich so anzustarren.“
„Ich kann nicht anders.“
Ich zog ihn zu mir, sodass er mit dem Kopf an meiner Schulter lehnte.
„Du bist einfach zu liebenswert.“
„Hör auf“, murmelte er, aber seine Stimme war warm und ich wusste, dass er es genoss.
In diesem Moment war alles perfekt. Kein Schnee, keine Kälte, keine Unsicherheiten – nur wir zwei, in diesem Raum, in unserer eigenen kleinen Welt.
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