Tanz Im Chaos
Minho PoV
Die Nacht war jung, aber mein Kopf war ein Chaos.
Jisung hatte mich mit seiner Wut und seinem Rückzug wie eine Naturgewalt getroffen, die ich nicht hatte kommen sehen.
Ich hatte es so sehr genossen, ihn zu reizen, ihn aus der Fassung zu bringen – und doch wusste ich, dass hinter seinem Zorn eine Welt voller Emotionen lag, die ich unbedingt verstehen wollte.
Ich lag auf meinem Bett, Dori zusammengerollt an meiner Seite, ihre leisen Schnurrlaute wie ein beruhigendes Metronom.
Aber es funktionierte nicht.
Meine Gedanken wanderten wieder einmal zu den Skizzen, die ich aus Jisungs Buch gesehen hatte.
Besonders die eine: das Porträt von mir, ohne Shirt, mit diesen klaren, kühnen Linien, die meine Züge so präzise und doch mit einer Art Ehrfurcht eingefangen hatten.
Er hatte mich gezeichnet.
Mich.
Das Wissen war süß und bittersüß zugleich.
Warum sollte er mich zeichnen, wenn er mich gleichzeitig so offensichtlich verabscheute?
Meine Hand glitt über Doris weiches Fell, während ich einen Plan schmiedete.
Wenn ich ihm näher kommen wollte, musste ich seine Regeln brechen, musste ihn aus seiner Komfortzone ziehen.
Hyunjin kam plötzlich ins Zimmer, eine Schüssel mit Erdbeeren in der Hand.
Er war, wie immer, das personifizierte Chaos.
„Was machst du da? Trübsal blasen?“ Er ließ sich an den Rand meines Bettes fallen und sah mich neugierig an.
„Nicht wirklich,“ murmelte ich, obwohl ich genau wusste, dass Hyunjin mich durchschaut hatte.
„Lass mich raten: Jisung?“
Ich funkelte ihn an, aber er grinste nur.
„Er mag dich mehr, als er zugeben will. Es ist irgendwie süß, wie sehr er sich anstrengt, dich zu hassen.“
Ich lachte trocken.
„Das ist der Punkt, Hyunjin. Er hasst mich, aber… er zeichnet mich. Er denkt an mich. Ich will herausfinden, warum.“
Hyunjin kaute nachdenklich auf einer Erdbeere herum.
„Dann finde es heraus. Aber bitte mach keinen völligen Unsinn, okay?“
Ich stand auf, nahm Dori vorsichtig auf den Arm und hielt ihr eine Erdbeere hin, die sie neugierig beschnupperte.
„Ich weiß genau, was ich tue.“
„Das ist es, was mich am meisten beunruhigt.“
Ich ignorierte ihn und ging zur Tür.
Am nächsten Tag suchte ich Jisung in der Uni.
Mittlerweile wunderte es keinen, dass ich da war, schließlich betrat ich diesen Ort jeden Tag, seit ich diesen Jungen kennengelernt habe.
Ich wusste, wo ich ihn finden würde – sein Rückzugsort war der Kunstraum. Ich betrat den Raum leise, ohne ihn zu stören.
Er saß an einem großen Tisch, den Kopf über ein Blatt Papier gebeugt, während er mit konzentrierter Miene zeichnete.
Ich beobachtete ihn für eine Weile, die Eleganz seiner Bewegungen faszinierte mich.
Dann räusperte ich mich.
Er zuckte zusammen und sah auf, seine Augen weiteten sich, als er mich erkannte.
„Was willst du hier?“ fragte er kalt, aber seine Stimme zitterte leicht.
„Ich wollte dich sehen.“
„Das war keine Einladung.“
„Vielleicht nicht.“
Ich trat näher und lehnte mich an den Tisch, direkt neben seine Zeichnung. Sie war unfertig, aber ich erkannte die Konturen.
Es war ein Tier – ein Tiger, mächtig und ruhig, mit Augen, die einen herausforderten.
„Du bist gut,“ sagte ich ehrlich.
„Ich brauche dein Lob nicht,“ schnappte er, seine Hand um den Stift fester.
„Das ist keine Schmeichelei. Es ist die Wahrheit.“
Ich ließ meinen Blick über das Papier gleiten und sah dann wieder zu ihm. „Warum zeichnest du?“
Er runzelte die Stirn, als ob die Frage ihn aus dem Konzept brachte.
„Weil ich es muss. Weil es mich beruhigt. Warum interessiert dich das?“
Ich lächelte.
„Weil ich dich verstehen will, Jisung.“
Seine Augen blitzten, und ich konnte sehen, dass er mit seinen Gefühlen kämpfte.
„Du kannst mich nicht einfach… manipulieren,“ murmelte er.
„Wer sagt, dass ich das tue?“
Er sah mich an, als ob er die Antwort in meinem Gesicht suchen wollte. Doch bevor er etwas sagen konnte, stürmte jemand in den Raum.
Es war ein braunhaariger Junge, mit einer Schachtel Brownies und einem breiten Grinsen.
„Da bist du, Jisung! Ich dachte schon, du hättest dich in deinem Selbstmitleid ertränkt!“
Jisung sprang auf und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich brauche deine Hilfe nicht, Felix.“
„Ach komm, das sagst du jetzt.“
Felix grinste und sah dann zu mir. „Oh, Minho. Bist du hier, um einen weiteren Vortrag zu halten?“
Ich lächelte charmant.
„Vielleicht. Aber vielleicht bin ich auch hier, um einfach Zeit mit Jisung zu verbringen.“
Felix lachte laut.
„Das will ich sehen.“
Jisung funkelte ihn an.
„Das wirst du nicht.“
Doch tief in seinen Augen sah ich etwas anderes – Neugier, vielleicht sogar ein kleines bisschen Hoffnung. Und das war alles, was ich brauchte.
Jisung wirkte wie ein wütender kleiner Sturm, der versuchte, sich selbst zu schützen, aber ich wusste, dass es mehr war.
Das Chaos in seinen Augen sprach von Angst, von Wut – aber auch von Verwirrung.
Und Verwirrung bedeutete, dass er nicht sicher war.
Es war eine Einladung, auch wenn er das niemals zugeben würde.
Felix reichte ihm einen Brownie und Jisung schnappte ihn sich widerwillig, murmelte etwas, das ich nicht verstand.
Aber seine Hände zitterten leicht, und ich sah, wie er sich bemühte, seine Fassung zu wahren.
„Okay, was auch immer hier passiert, ich will nicht dabei sein, wenn einer von euch durchdreht,“ sagte Felix schließlich und hob die Hände.
„Ich bin raus.“
Er machte sich aus dem Staub, ein Stück Gebäck in der Hand, und ließ uns alleine zurück.
Die Tür fiel mit einem leisen Klick ins Schloss, und die Stille kehrte zurück.
„Du solltest auch gehen,“ sagte Jisung leise, ohne mich anzusehen.
Ich lehnte mich an den Tisch und verschränkte die Arme.
„Warum? Es gefällt mir hier.“
Er starrte mich an, seine Wut funkelte.
„Das ist mein Ort. Du hast hier nichts zu suchen.“
„Vielleicht gefällt mir, was du hier machst.“
Ich deutete auf die Zeichnung des Tigers.
„Das bist du, nicht wahr?“
Sein Blick zuckte zu der Zeichnung, dann wieder zu mir.
„Was meinst du?“
„Der Tiger. Mächtig, stark, gefährlich – aber irgendwie auch einsam.“
Er starrte mich an, als hätte ich ihn durchschaut.
„Du weißt nichts über mich.“
„Dann lass es mich herausfinden.“
Er lachte bitter, legte den Brownie auf den Tisch und verschränkte die Arme. „Das ist es doch, was du machst, oder? Du spielst mit Leuten, Minho. Du genießt es, sie aus der Fassung zu bringen. Aber ich bin kein Spielzeug.“
„Das weiß ich,“ sagte ich ruhig.
Er schien von meiner Ernsthaftigkeit überrascht, doch er ließ sich nicht beirren.
„Dann hör auf, mich zu verfolgen.“
Ich trat näher an ihn heran, unsere Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt.
„Sag mir, dass du mich nicht magst, und ich lasse dich in Ruhe.“
Sein Atem stockte, und seine Augen flackerten.
„Du bist so… so arrogant,“ murmelte er, doch es fehlte der Biss in seiner Stimme.
„Vielleicht. Aber du kannst nicht leugnen, dass ich dir unter die Haut gehe.“
Er starrte mich einen Moment lang an, und ich konnte sehen, wie sein Inneres gegen sich selbst kämpfte. Schließlich drehte er sich abrupt um, packte seine Sachen und stopfte sie in seinen Rucksack.
„Ich habe Besseres zu tun, als mich mit dir abzugeben,“ sagte er, doch seine Stimme klang hohl.
Ich ließ ihn gehen, sah ihm nach, wie er den Raum verließ.
Aber ich wusste, dass das nicht das Ende war.
Jisung konnte rennen, so viel er wollte – ich würde ihm folgen.
Nicht aus Bosheit, sondern weil ich wusste, dass es zwischen uns etwas gab, das mehr war als Spielchen oder Wut.
Später, zurück in meinem Zimmer, lag ich wach und dachte an ihn.
An die Linien seines Gesichts, die Wut in seinen Augen, die Art, wie er sich bemühte, mich von sich fernzuhalten. Dori sprang auf mein Bett und legte sich auf meine Brust, ihr Schnurren ein beruhigender Rhythmus.
„Was mache ich hier, Dori?“ murmelte ich und strich ihr über das weiche Fell.
Sie sah mich mit ihren großen, ruhigen Augen an, als hätte sie die Antwort auf all meine Fragen.
Ich schloss die Augen, aber an Schlaf war nicht zu denken.
Jisung war in meinen Gedanken wie ein Lied, das man nicht loswird.
Und tief in mir wusste ich, dass ich nicht aufhören würde, es zu hören, bis ich die Wahrheit herausgefunden hatte – über ihn und über mich selbst.
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