Schatten In Der Stille
Minho PoV
Ich hielt das Buch in den Händen und blätterte durch die Seiten.
Die erste Zeichnung war beeindruckend – ein Portrait, das den Charakter und die Emotionen des Motivs mit Präzision einfing. J
isung hatte ein unglaubliches Talent, das war nicht zu leugnen.
Aber dann stieß ich auf die nächste Zeichnung, und meine Augen weiteten sich.
Es war ein Bild von mir.
Mit Bleistift gezeichnet, meisterhaft und detailreich.
Ich war... ohne Hemd dargestellt. Mein Körper wurde so dargestellt, dass ich fast stolz darauf war, auch wenn ich wusste, dass es nur Jisungs Vorstellung war.
Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, bevor ich es zurückhalten konnte.
„Also, das ist interessant“, murmelte ich leise, mehr zu mir selbst als zu jemand anderem.
Jisung, der sich gerade bückte, um die anderen Sachen vom Boden aufzuheben, bemerkte mein Grinsen und schnappte sich sofort das Buch aus meinen Händen.
Seine Wangen wurden rot, und seine Augen funkelten vor Ärger und Scham.
„Das geht dich nichts an!“ fauchte er und klappte das Buch hastig zu.
Ich konnte nicht anders, als zu lachen, dieses tiefe, warme Lachen, das ich normalerweise nur dann von mir gab, wenn ich wirklich amüsiert war.
„Oh, also das geht mich nichts an? Interessant, wenn man bedenkt, dass ich das Motiv bin.“
„Hör auf, Minho!“ rief Jisung, seine Stimme wurde leiser, wahrscheinlich weil er nicht wollte, dass der Direktor uns hörte.
„Das war... nichts! Es hat nichts zu bedeuten, okay?“
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte mich gegen die Wand, während ich ihn weiterhin mit diesem unverhohlenen Grinsen musterte.
„Nichts, sagst du? Du zeichnest mich ohne Hemd, aber es bedeutet nichts?“
Er starrte mich an, als wollte er mir den Hals umdrehen, doch dann sah ich, wie seine Lippen leicht zitterten, als er versuchte, eine Antwort zu formulieren.
Es war so süß, wie sehr er sich abmühte, sich zu verteidigen.
„Es war... eine Übung! Ja, genau, eine Übung! Nur Anatomie. Das hat jeder Künstler schon mal gemacht!“ sagte er schließlich, aber sein Blick wich meinem aus, als würde er selbst nicht an seine Worte glauben.
Ich trat einen Schritt näher, bis der Abstand zwischen uns wieder schwindend gering war, und beugte mich leicht zu ihm hinunter, um ihm direkt in die Augen zu sehen.
„Eine Anatomie-Übung? Na, wenn das so ist, solltest du mich das nächste Mal fragen. Ich könnte dir als live Modell zur Verfügung stehen.“
Er keuchte leise, sein Gesicht wurde noch röter, und ich konnte mir nicht helfen – es machte einfach Spaß, ihn zu necken.
Er wollte nach unten blicken, doch ich legte meine Hand an seine Wärme Wange und führte seinen Kopf wieder nach oben, sodass er mir aus seinen hübschen Augen wieder in meine sehen musste.
"Vielleicht," begann ich und konnte ein Lächeln nicht aufhalten, " darfst du auch etwas mehr sehen, als du gezeichnet hast."
„Du bist unmöglich!“ zischte er, riss seinen Blick von mir los und drehte sich um, um die restlichen Sachen einzusammeln.
„Vielleicht“, gab ich zu und zuckte mit den Schultern.
„Aber ich finde es faszinierend, wie du mich siehst.“
„Hör auf, Minho!“ wiederholte er und hielt das Buch fest an seine Brust gedrückt, als wäre es ein Schutzschild.
„Ich höre auf... fürs Erste“, versprach ich mit einem Augenzwinkern.
„Aber du schuldest mir eine Erklärung. Und glaub mir, ich werde sie bekommen.“
Bevor ich noch etwas sagen konnte, ging die Tür zum Direktorat auf, und der Direktor trat heraus, gefolgt von Hyunjin, der mich mit einem vielsagenden Blick ansah.
„Minho, wir sind fertig. Zeit zu gehen“, sagte er beiläufig, aber in seinen Augen lag ein Hauch von Belustigung.
Ich nickte, aber bevor ich Jisung folgte, beugte ich mich leicht zu ihm hinunter und flüsterte: „Du bist ein wirklich talentierter Künstler, Jisung. Ich bin beeindruckt.“
Damit ließ ich ihn stehen, sein Gesicht noch immer glühend vor Scham.
Ich konnte das Lächeln nicht aus meinem Gesicht wischen, während ich mit Hyunjin den Raum verließ.
„Was war das denn?“ fragte Hyunjin neugierig, als wir durch den Flur gingen.
„Nichts“, antwortete ich. „Oder vielleicht... etwas sehr Interessantes.“
Ich ließ meinen Kopf in die Kissen sinken, während ich Dori, meine kleine Katze, sanft hinter den Ohren kraulte.
Sie schnurrte zufrieden und kuschelte sich enger an mich, als wolle sie mir sagen, dass alles in Ordnung sei.
Aber in meinem Kopf herrschte keine Ruhe.
Ich starrte an die Decke, das gedämpfte Licht meiner Nachttischlampe warf weiche Schatten in den Raum.
Doch meine Gedanken schweiften immer wieder zu einem bestimmten Gesicht.
Jisung.
Sein Blick, als ich ihn mit dem Buch erwischt hatte, war unbezahlbar. Zwischen Schock und blankem Entsetzen hatte er mich angesehen, als hätte ich gerade sein tiefstes Geheimnis aufgedeckt – was ich wohl auch hatte.
Und dann die Zeichnungen.
Ich konnte nicht anders, als zu grinsen, als ich daran dachte.
Das Portrait von mir war beeindruckend gewesen, keine Frage. Seine Linien waren so präzise, seine Striche so detailreich, dass ich beinahe das Gefühl hatte, mein eigenes Spiegelbild zu sehen. Aber das zweite Bild…
Meine Finger glitten über Doris weiches Fell, während ich daran zurückdachte.
Ohne Hemd, meine Haut in weichen Schattierungen angedeutet, der Blick auf mir intensiv und ein wenig… fordernd.
Was hatte er sich dabei gedacht?
Oder besser, warum hatte er das überhaupt gezeichnet?
Dori streckte sich und trat mit ihren kleinen Pfoten gegen meinen Bauch. „Ich weiß, ich weiß“, murmelte ich leise.
„Ich sollte nicht so viel nachdenken.“
Aber wie konnte ich nicht?
Jisung war wie ein Puzzle, das ich nicht lösen konnte.
Eine Mischung aus Trotz und Verletzlichkeit, aus Sarkasmus und Talent.
Und irgendwie zog mich das mehr an, als ich zugeben wollte.
Dori miaute leise, als hätte sie meine Gedanken gehört.
Ich lächelte und zog sie näher zu mir.
„Er hat Mut, das muss man ihm lassen“, sagte ich halblaut, als wäre Dori in der Lage, meine Worte zu verstehen.
„Und er ist nicht schlecht mit einem Bleistift.“
Die Vorstellung, wie Jisung allein in seinem Zimmer saß und mich zeichnete, brachte mich zum Lächeln. Hatte er dabei an mich gedacht?
Sich über mich geärgert?
Oder war da noch etwas anderes gewesen?
„Verdammt, was machst du mit mir, Han Jisung?“
Dori schnurrte, und ich seufzte. Vielleicht war es an der Zeit, herauszufinden, warum er mich so sehr beschäftigte.
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