Kapitel 4 - Zweifel
Freitag, 15. Mai
CÆRON, Geschäftsleitung, Büro Dr. Heimbs, Delaware, New Cove
Dr. Heimbs schob den Holo-Schirm etwas zur Seite, damit er Scott ansehen konnte. »Und? Wie macht er sich bis jetzt?«
»Ich halte ihn für keine gute Wahl.«
Dr. Heimbs hob die Augenbrauen. »Warum glauben Sie das?«
»Er ist vorlaut, undiszipliniert, nicht teamfähig. Ein Querdenker mit einem ungemütlichen Charakter.« Scotts Aufzählungen klangen wie Paukenschläge.
Dr. Heimbs nickte nachdenklich mit dem Kopf. »Damit kann ich leben.« Er tippte in das Hologramm und eine Tabelle öffnete sich.
Scott verzog ungläubig das Gesicht.
»Haben Sie ein Problem damit?«
»Nein, Sir.« Scott bebte innerlich, versuchte aber gelassen auszusehen.
»Wie ich sehe, ist Projekt 12-45 abgeschlossen. Womit fangen Sie heute an?«
»Wir sind extern im Fairfield Institut. Der erste Praxistest steht an.«
»Erstatten Sie mir weiterhin Bericht.«
»Ja, Sir.«
CÆRON, Sektion 23
»Und Sie dürfen niemals vergessen zu kontrollieren, ob die TAC-Funktion auf EXTERN umgestellt wurde.«
»Hmhm. Was war der Grund noch mal?«
Scott presste unzufrieden die Lippen aufeinander. »A2 kann sonst das CÆRON Gelände nicht verlassen. Sollten Sie die Umstellung vergessen, wird A2 durch die Folgen einen ganzen Arbeitstag ausfallen. Außerdem wird der Schmerzreiz erhöht, damit die Stimmbänder gelähmt sind.«
»Wie bitte?« Ich schnappte nach Luft.
»Es wäre zu auffällig, wenn A2 sich schreiend auf dem Boden windet. «
Dann würde ich dieses Scheißding unterwegs vielleicht nicht einsetzen, du Schlauberger. Am besten überhaupt nie!
»Und das Essenspaket dürfen Sie nicht vergessen. Das hat Agent Shepard abgeholt. Da ist er ja.«
Agent Shepard war Mitte dreißig, knapp zwei Meter groß mit dunklem kurzem Haar. Charly hätte ihn attraktiv gefunden, Sheridan ihn angebaggert. »Hi.«
»Sir.« Er nickte mir zu.
»Hier! Falls Sie Ihre Stimme nicht einsetzen können.«
Was denn jetzt noch, Scott? Er reichte mir eine gottverdammte Fernbedienung! Eine Fernbedienung! Jarod war ein Mensch, kein Roboter. Arsch!
»Und denken Sie daran, der Impuls muss kürzer sein. Schön. Dann können wir A2 abholen.«
Unterwegs in Delaware
Die Fensterscheiben waren abgedunkelt, so dass ich von meiner Position aus nicht hinaus sehen konnte. Scott saß vorne neben dem Fahrer. Die Trennscheibe war oben. Ich saß in der Mitte, Agent Shepard rechts von mir, Mr. Parker links. Mr. Parker trug heute ein hellblaues Hemd und ein dunkles Jackett. Unter seinen Jeans ragten die braunen Stiefelspitzen heraus. Agenten und Betreuer trugen bisher dunkle Schuhe, passend zu ihren Anzügen.
»Und, zufrieden?«
»Ähm, Verzeihung, Sir?«
»Du studierst seit zehn Minuten meine Klamotten.«
Klamotten schien ein Synonym für Kleidung zu sein. »Das ist nicht korrekt. Es waren höchstens zweieinhalb Minuten. Ich würde lieber aus dem Fenster sehen, aber die sind abgedunkelt.«
»Mach doch die Scheibe runter.«
»Mr. Hill hat es nicht autorisiert.«
»Gehst du auch nicht auf die Toilette, wenn Scott das nicht autorisiert?«
»Haben Sie mal eine Kettenreaktion durch einen Stromstoß in all Ihren Zellen gespürt?« Erschrocken über mich selbst biss ich mir auf die Lippen. Das hätte ich nicht sagen dürfen.
Ich lachte. »Wenn ich dir sage, was ich schon alles gespürt habe.«
Erleichtert atmete ich auf. Mr. Parker fand meine Aussage offensichtlich amüsant. Ich wartete einen Moment darauf, dass er mir mitteilte, was er alles gespürt hatte, aber er unterließ es.
»Sir, darf ich Sie etwas fragen?«
»Was denn?«
»Wie ist das Fliegen?«
»Das kommt immer auf die Maschine an. Der erste Flug ist immer total aufregend. Und dann macht es einen Unterschied ob es ein Raumgleiter, oder ein Jet ist.«
Raumgleiter? »Waren... Sie im All?«
»Ja, mehrmals.« Sein ganzes Gesicht drückte Staunen aus. Ich hatte das schon einmal gesehen. Als ich einer Schulklasse von einem Raumausflug erzählte.
»Ich würde auch gerne ins All fliegen.«
Er klang tatsächlich wie ein Kind. »Warum?«
»Ich denke, man fühlt sich dort frei.«
»Vor allem fühlt man sich sehr klein.« Die Trennscheibe fuhr herunter. Scott drehte sich zu uns um.
»Hör auf, Mr. Parker zu belästigen und wirf einen Blick in die Unterlagen!«
»Hat er bereits.«
»Hmhm. Gut.« Die Trennscheibe fuhr hoch.
Erstaunt sah ich zu Mr. Parker. Das war nicht korrekt gewesen. Es war eine Lüge. Er fuhr mit seiner Erzählung fort. Der Zwischenfall von eben schien ihn nicht zu kümmern.
»Der schönste Augenblick ist, wenn die Sonne aufgeht und du darauf zufliegst.«
Mein Brustkorb zog sich zusammen. Die Sehnsucht und der Wunsch, so ein Erlebnis spiegeln zu dürfen, waren übermächtig. Scott würde das niemals autorisieren.
Jarod wirkte auf einmal bedrückt. Er biss sich auf die Lippen und starrte auf das ausgeschaltete Tablet auf seinem Schoß. Sicher hatte er noch nie einen Sonnenaufgang gesehen. »Ich kann dir Fotos zeigen, wenn es dich interessiert.«
Fotos waren eine Hilfe beim Träumen. Ich freute mich über dieses Angebot. Der Druck ließ ein wenig nach. »Gerne. Es würde mich sehr interessieren. Denken Sie, Mr. Hill wird es autorisieren?«
»Ich wüsste nicht, was er dagegen haben sollte.« Ich deutete auffordernd auf Jarods Tablet.
»Ja, Sir.« Mr. Parker erweiterte meinen Horizont. Ich freute mich auf die Bilder, schaltete das Tablet an und öffnete die Datei mit den Projektdaten.
Ich warf Shepard einen kurzen Seitenblick zu. Er wirkte unbeteiligt und sah schweigend vor sich hin. Trotzdem war mir das leichte Schmunzeln um seine Mundwinkel nicht entgangen.
Fairfield Institut, Labor, Delaware, Dover
Menschliche Roboter! Äußerlich waren sie von echten Menschen kaum noch zu unterscheiden. Laut den Unterlagen half Jarod hier bei der Verbindung des menschlichen Motorcortex mit den Robotern. Er wirkte völlig vertieft in seine Aufgabe. Ich nutzte den Moment und trat an Scott heran.
»Sagen Sie mal, Scott, was für eine Tätowierung hat Jarod am linken Handgelenk?«
Scott beugte sich näher an mich heran.
»Mein Hund hat auch so eine Tätowierung im Ohr. Sie zeigt an, dass er jemandem gehört.«
Ich fuhr mir mit der linken Hand über die Augen und schwieg. Das wurde alles immer schlimmer. Er verglich Jarod mit einem Hund!
Die Verbindung mit dem HR-11 schlug erneut fehl. Ich verzog enttäuscht den Mund und blickte zur Seite. Das Labor war sehr groß, aber heute waren fast keine anderen Mitarbeiter hier. Nur ein einzelner Mann war auf der anderen Seite des Labors an einer Computereinheit. Scott saß auf einem Bürostuhl und las etwas auf seinem Data. Er warf nur hin und wieder einen Blick zu mir. Mr. Parker wirkte gelangweilt, behielt mich aber die ganze Zeit im Auge. Ich zwang mich, meine Aufmerksamkeit auf den Cube zu richten. Ich wollte nicht, dass Mr. Parker wegen eines Fehlverhaltens von mir gemaßregelt wurde. Scott musste überzeugt sein, dass Mr. Parker seine Aufgabe hervorragend bewältigte. Dann würde Scott wieder seine eigene Arbeit machen und mich in Ruhe lassen.
Die Tür unseres Labors wurde geöffnet. Ich sah kurz auf und war beeindruckt. Eine junge Dame, mit roten Locken, überreichte dem Mitarbeiter einen Aktenordner. Sie war hübsch und ich genoss ihre weibliche Ausstrahlung. Ich konnte meinen Blick nicht von ihr abwenden.
»So, so. Du magst Rothaarige?«
»Ich finde die Dame... nett.«
Ich lachte. »Ach so. Nett.« Im gleichen Moment wurde Jarods Gesicht starr und seine Augen drückten Panik aus. »Was ist los?«
Der Impuls wurde gestoppt. Ich keuchte auf.
Das konnte doch nicht sein! Scott hielt die Fernbedienung in der Hand.
»Ich habe es gesehen. Er wollte spiegeln. Lyle, passen Sie besser auf!«
»Ich stehe neben ihm, Scott. Da war nicht einmal der Ansatz von Blau in seinen Augen.«
»Ich kenne ihn wesentlich länger. Sie brauchen mehr Praxiserfahrung.«
Die Nachwirkungen waren schmerzhafter als bei den üblichen Attacken. Meine Hände hörten nicht auf zu zittern. Meine Beine fühlten sich weich an. Ich langte nach einem Bürostuhl und setzte mich. Die Dame war gegangen.
»Wissen Sie was, Scott, Sie haben Angst. Deswegen benutzen Sie diesen idiotischen Neurotransmitter viel zu häufig. Wie soll ein Mensch arbeiten, wenn er solchen Schmerzen ausgesetzt ist?« Meine Stimme war lauter geworden.
»Sind Sie verrückt? Seien Sie leiser!« Scott warf demonstrativ einen Blick zu dem Mann vor dem Computer.
»Und wenn Jarod schreiend am Boden liegt, ist das was anderes?«
»Deswegen wurde die Funktion auf Extern umgestellt.«
Ruhig bleiben! Ich schloss kurz die Augen, damit ich mich unter Kontrolle halten konnte. Meine Stimme wurde leise und deutlich. »Scott, wenn sich Jarod noch einmal krümmen sollte, wenn ich neben ihm stehe, dann Gnade Ihnen Gott . Ja, das ist eine Warnung.«
Scott starrte mich ungläubig an. Er schnappte nach Luft, konnte meinem Blick nicht mehr Stand halten und wandte sich an Agent Shepard. »Shepard, was haben Sie gesehen?«
»Verzeihung, Sir. Zu dem Vorfall kann ich nichts sagen. Ich habe die Eingangstür überwacht.«
Scott riss seinen Communicator aus dem Jackett und tippte etwas ziellos darauf herum. »Ich muss noch ein wichtiges Telefonat führen. Shepard, passen Sie auf! Parker scheint mir überfordert.«
»Ja, Sir.«
Scott, du Arsch, hau nur wieder ab! »Shepard, leihen Sie mir Ihre Waffe?«
»Ich denke nicht, dass das eine gute Idee wäre, Sir.« Shepards Gesichtsausdruck war verschmitzt.
Scott knallte die Tür des Labors heftig hinter sich zu. »Ich habe wirklich nicht versucht zu spiegeln. Ich möchte nicht, dass Sie gemaßregelt werden, Sir.«
»Das weiß ich, Jarod. Shepard, wir ziehen die Pause vor, damit sich Jarod erholen kann.«
»Keine Einwände, Sir.«
Fairfield Institut, Pausenraum
Jarod und ich waren alleine in einem kleinen angrenzenden Pausenraum. Ich reichte Jarod das Essenspaket, das Shepard mir gegeben hatte. Es war ein quaderförmiges Päckchen, das ich nur zu gut kannte. »Was ist das?«
»Sich selbst erwärmendes Essen. In der Verpackung ist eine Chemikalie.« Ich knickte das Paket. »Durch das Knicken vermischt sich die Chemikalie und erhitzt das Essen im Inneren.«
»Das weiß ich auch, ich meine, was bekommst du heute zu essen?«
Ich öffnete das Päckchen und blickte prüfend auf das Essen. »Es sieht wie ein Gemüseauflauf aus, Sir.«
»Die haben hier auch eine Kantine. Dann kannst du dir die Astronautennahrung für später aufheben.«
»Das ist nicht autorisiert. Die Mahlzeiten sind auf mich abgestimmt. Ich darf nichts anderes essen. Es ist für mich berechnet.«
»Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis. Nichts und niemand kann ein Essen genau berechnen. Weil keiner exakt ermitteln kann, was du tatsächlich verbrauchst. Das ist dummes Gerede von den Laras.«
»Laras?«
»Laborratten.«
»Aha.«
»Mitarbeiter der Laboratorien.«
Während ich aß, blickte ich mich um und entdeckte einen Kalender an der Wand. Auf dem Kalenderbild war eine Frau ohne Oberteil zu sehen. Fasziniert starrte ich auf die Brüste. Sie waren rund und wirkten weich.
»Die sind nicht echt.«
»Es gibt unechte?«
»Ja. Da wurde künstlich nachgeholfen.«
Neugierig fixierte ich sie genauer.
Ich stand auf, ging zum Kalender und deutete zwischen die Brüste. »Wenn die Wölbung hier so akkurat rund ist, sind sie nicht echt.«
»Danke für die Information, Sir.«
Ich grinste.
»Ich freue mich, dass ich nicht alleine essen muss.«
»Ich mag auch nicht gerne alleine essen.« Ich musterte ihn einen Moment. »Jetzt mal ehrlich. Was hast du angestellt?«
»Wann? Heute?«
»Allgemein. Du weißt, dass dein Leben nicht normal ist.«
»Es ist das Leben, das ich kenne.«
»Hast du Menschen verletzt?«
»Nein, Sir.«
»Jemanden getötet?«
»Nein, Sir!«
»Was für Sachen spiegelst du?«
»Alles, was man mir sagt, Sir.«
»Und wenn man es dir nicht sagt, was spiegelst du dann?«
»Dinge, die ich gehört, oder gesehen habe und nicht verstehe.«
»Gib mir mal ein Beispiel.«
»Kindergarten.«
»Okay. Was noch?«
»Jedi Ritter.«
»Das ist echt sehr gefährlich.«
Seine Stimme klang spöttisch. »Jedi Ritter sind doch Figuren aus einem Film und daher ungefährlich, oder?«
Ich seufzte.
»Sie meinen etwas anderes?«
»Hmhm.«
»Ich habe gespiegelt, wie ich aus CÆRON kommen kann, und bin weggelaufen.«
»Wir kommen der Sache näher. So ganz ohne Opfer ging das bestimmt nicht.«
»Nein. Mr. Hill wurde gemaßregelt.«
»Das erklärt auch seinen Hass.«
Das war nicht korrekt. »Es gab... noch einen anderen Zwischenfall. Danach habe ich den Transmitter bekommen.« Die Erinnerung daran schmerzte.
»Den Scott gerne benutzt.«
»Ich habe bemerkt, dass Sie den Transmitter negativ bewerten, Sir.«
»Die ganze Situation ist negativ!«
»Sir, bitte erwähnen Sie das nicht in Gegenwart von Mr. Hill. Es gab einen Betreuer, der es getan hat. Am nächsten Tag war er verschwunden.«
»Ich werde mich hüten.«
»Ich will nicht auch an Ihrem Tod schuld sein.«
»Das wirst du nicht. So schnell sterbe ich nicht. Warum wolltest du weglaufen?«
»Ich wollte die Sterne sehen.«
Ich verschluckte mich und hustete heftig.
In diesem Moment kam Scott ins Zimmer. Er blickte sofort zu mir, als wäre ich an der Luftnot von Mr. Parker Schuld.
Ich räusperte mich ein paar Mal. »Alles in Ordnung.«
Haus von Ben Carver, Delaware, New Cove
»Schön, dass du Zeit für uns hast, Ben.« Jerry reichte dem ehemaligen Polizisten die Hand.
»Ist gar nicht so selbstverständlich« Ben lachte auf und deutete einladend nach innen. »Ich habe nie Zeit. Bin ständig im Stress.«
»Das hört man immer von den Pensionären.« Phil schmunzelte.
»Wollt ihr was trinken?
»Nein danke.« Jerry antwortete für beide.
Ben führte sie in ein kleines Wohnzimmer und nahm auf dem einzelnen Sessel Platz. »Setzt euch. Ihr habt am Telefon gesagt, dass es um einen alten Fall von mir geht.«
Jerry setzte sich neben Phil auf das braune Sofa. »Der Fall Ted Parker.«
»Hach ja, die Parkers.« Bens Blick glitt nach innen. »Die verrückte Mutter, die von Alien Invasoren und Entführungen sprach. Der Vater, ein gewalttätiger Mensch, der versuchte seiner Frau die Verrücktheit auszuprügeln. Der Sohn mittendrin, bekam von beiden Seiten mächtig was ab. Wir waren froh, als die Parkers hier weg waren.«
»Du warst damals zuständig für den Fall.« Jerry legte den Aktendeckel auf den Tisch vor sich.
Ben streifte die Akte nur mit einem Blick. »Ich war der erste vor Ort und habe alle Zeugen befragt.«
»Glaubst du, dass Lyle Parker seinen Vater getötet hat?« Phil versuchte sich bequemer hinzusetzten, was bei der durchgesessenen Couch nicht einfach war.
»Verübeln könnte man ihm das nicht. Er war gerade aus dem Krankenhaus entlassen worden, als die ganze Sache passiert ist. Sechs Wochen vorher sind Ted und er aneinandergeraten. Sie haben sich geprügelt und im Handgemenge hat Ted seinen Sohn mit einer Eisenstange erwischt. Der Alte hätte ihn fast erschlagen.« Ben schmunzelte. »Ted bekam mächtig Ärger mit der Air Force, wegen Beschädigung von Staatseigentum.«
»Er war frisch entlassen?« Jerry zog einen schmalen Notizblick heraus.
»Ja. Fuhr sofort zu seiner Mutter. Er wollte sie überreden, in ein Sanatorium zu gehen. Dass Ted damit nicht einverstanden war, könnt ihr euch denken. Vermutlich wollte er es diesmal zu Ende bringen und Lyle töten.«
»Davon stand nichts im Bericht.«
»Hm? Ähm... ja. Nur einer Vermutung von mir.«
»Wegen dem Jagdgewehr?«
»Was für ein Jagdgewehr?«
»Martha Brown hat gesagt, Ted Parker hielt ein Gewehr in der Hand.«
»Da war kein Gewehr. Sie muss sich geirrt haben.«
Phil runzelte die Stirn.
Ben fuhr hektisch fort. »Es gab nur einen einzigen Schuss. Der Alte wurde direkt in die Stirn getroffen. War auf dem Weg ins Haus.«
»Dann kam der Schuss vom Haus?« Jerry fiel auf, dass Ben zu schwitzen anfing, obwohl es kühl im Wohnzimmer war. »Lyle Parker hätte einen guten Grund gehabt.«
»Das ist richtig. Aber er hatte keine Schmauchspuren an den Händen und seine Mutter hat ausgesagt, er wäre bei ihr gewesen, als der Schuss fiel. Ohne Waffe.« Ben zuckte mit den Schultern. »Komische Sache.«
»Was ist mit den Männern in den dunklen Anzügen?« Jerry beobachtete Ben aufmerksam.
»Hm?« Ben blickte auf seine Uhr, als wäre ihm plötzlich eingefallen, dass er noch einen dringenden Termin hat.
Jerry beugte sich etwas nach vorne. »Martha Brown hat gesagt, da wären Männer in dunklen Anzügen gewesen. Aber davon steht auch nichts im Bericht.«
Ben zögerte einen Moment und schien nachzudenken. »Doch, doch. Es klang zwar unglaubwürdig, aber ich habe es im Bericht erwähnt.«
»Warte.« Jerry nahm den Bericht aus der Akte und reichte ihn Ben »Sieh selbst. Da steht nichts. Der Bericht ist nicht mal unterschrieben.«
Ben überflog die Seiten, runzelte die Stirn und sah zu den Polizisten. »Jungs, das ist nicht mein Bericht.«
CÆRON, Tiefgarage, Delaware, New Cove
Wir kamen erst nach Feierabend in CÆRON an. Ich war froh, dass ich diesen anstrengenden Tag gleich beenden konnte. Der Fahrer hielt direkt vor den Aufzügen. Wir stiegen alle aus.
»Mr. Hill. Haben Sie eine Entscheidung bezüglich des Geschichtsbuches getroffen?«
»Es kann nicht autorisiert werden.«
Ich war enttäuscht und schluckte hart. »Darf ich fragen wieso, Sir?«
»Seit wann erkläre ich dir die Entscheidungen von CÆRON. Shepard, Sie bringen ihn zurück!«
Shepard nickte und rief Aufzug 1. Scott lief zu einem silbernen Mercedes, der gegenüber vom Aufzug stand. Er öffnete die Tür, ohne vorher aufgeschlossen zu haben. Handsensor. Das Beste, was mir an Scott gefiel, war sein Auto. Scott legte seinen Mantel in den Wagen und schloss mit seiner Hand ab. Er lief zu dem zweiten Aufzug, der direkt in die Geschäftsleitung fuhr. Ob er sich bei Heimbs ausheulen wollte?
Die Türen unseres Aufzuges schwangen zur Seite. Als Shepard sich in Bewegung setzen wollte, tippte ich ihn kurz an. »Ich mach das, Shepard.«
»Danke. Schönen Feierabend, Sir. Bis morgen, Jarod.«
»Auf Wiedersehen, Agent Shepard.« Mr. Parker und ich betraten die Kabine des Aufzuges.
»Danke, dass Sie mich begleiten, Sir.«
»Das ist selbstverständlich und kein Grund, sich zu bedanken.«
»Mr. Hill findet, dass solch niederen Arbeiten seiner Stellung nicht würdig sind.«
»Was?« Jetzt reichte es mir aber!
Erschrocken sah ich Mr. Parker an. Er war verärgert. Ich hätte das nicht sagen dürfen.
»Hör mal... Lektion 1. Einen Menschen an einen bestimmten Ort zu bringen, ist keine niedere Arbeit. Lektion 2. Wenn etwas wertvoll ist, bringt man es persönlich in sichere Obhut. Und jetzt, denk darüber nach.«
Ich war verwirrt. »Verstanden, Sir. Und... was bringen mir diese Informationen?«
»Vielleicht etwas mehr Selbstwertgefühl.«
»Gehört der Satz 'Um optimale Leistung zu erbringen, werden optimale Pausen benötigt' auch zu den Lektionen?«
»Ja. Das ist Lektion... Nummer drei.«
»Danke, Sir.«
»Welches Buch will Scott denn nicht autorisieren?«
»Ich wollte ein Geschichtsbuch über das 19. Jahrhundert.«
Ich grinste. »Kein Wunder, dass Scott das nicht erlaubt hat.«
»Kennen Sie den Grund?«
»Du sollst über einige Dinge nichts wissen.«
»Danke für die Information. Denken Sie an die Fotos, Sir?«
»Unentwegt.«
»Gibt es auch Aufnahmen von den Sternen?«
»Weißt du was? Ich habe einen Film da oben gemacht. Vielleicht sollte ich dir den mitbringen. Obwohl... dein Leben könnte dann unerträglich werden. Vielleicht sollten wir es lieber lassen.«
»Bitte nicht. Ich würde ihn gerne sehen. Ob Scott den Film autorisieren wird?« Mir war der Vorname herausgerutscht. Ob Mr. Parker das bemängeln würde?
»Welcher Scott?«
Oh! Das war eine deutliche Rüge. »Entschuldigen Sie. Scott Hill, Sir.«
Ironie verstand er wohl nicht. Ich griff mir an die Stirn und schüttelte den Kopf. »Jarod, Scott wird den Film nie zu sehen bekommen und du hältst gefälligst die Klappe darüber.«
»Sie werden ihn nicht um eine Autorisierung bitten?«
»Nein. Lektion 4: wenn etwas nicht autorisiert ist, behält man es für sich, wenn man es trotzdem tut.«
Eine Widersprüchliche Regel. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Scott damit einverstanden wäre. »Bekommen Sie dann keine Maßregelung?«
»Warum denn? Er weiß es doch nicht. Ich muss dir noch viel beibringen.«
»Danke, Sir. Ich habe bereits gelernt, wie man echte von unechten Brüsten unterscheidet.«
Das brachte mich zum Lachen. »Erzähl das bloß nicht Scott.«
»Lektion 4.«
»Du lernst schnell.«
CÆRON, Geschäftsleitung, Büro Dr. Isaac Heimbs
»Lyle Parker ist absolut ungeeignet für diese Stelle. Er hat mich bedroht! Er ist nicht bereit, A2 die Sporen zu geben. Er lässt ihm zu viel Zügel...«
»Scott, beruhigen Sie sich! Was ist passiert?«
»A2 wollte unautorisiert spiegeln und Parker hat nicht eingegriffen. Er weigert sich, den Transmitter einzusetzen. Er geht zu weit! Er wollte mir sogar verbieten, den Transmitter einzusetzen.«
»Ist denn ein Einsatz noch so häufig notwendig?«
»Ich habe große Bedenken, dass Jarod widersetzlich wird, wenn wir die Zügel lockern.«
»Dafür verwenden wir doch das PP12. Soweit ich sehen kann, gab es seither keine größeren Vorfälle mehr.«
»Da gab es auch noch keinen Parker. Parker identifiziert sich zu stark mit A2 und ich sehe eine Katastrophe auf uns zukommen, wenn wir nicht rechtzeitig handeln.«
»Das sehe ich nicht so.«
Scott holte tief Luft.
»Ja?«
»Ich verstehe nur nicht, wieso ich mich mit so einem... unqualifizierten Mitarbeiter herumquälen muss. Es gäbe sicher passendere Betreuer.«
»Das beurteile immer noch ich, verstanden?«
»Selbstverständlich, Sir.«
Haus von Lyle Parker, Delaware, New Cove
»Der Tag war ein einziger Albtraum!« Ich ließ mich neben Charly auf die Couch fallen. Sie und Sheridan sahen sich Sex and the City an und schalteten es jetzt, Gott-sei-Dank, aus.
»Für dich, oder für Jarod?«
»Ich denke, für uns beide. Scott ist ein Arsch!«
»Findet Jarod bestimmt auch.«
»Ich bin mir echt nicht sicher, was ich von Jarod halten soll. Er lässt das alles mit sich machen, wie ein braves Opferlamm. Er sagt nichts gegen diese miese Behandlung. Man könnte meinen, sie haben ihm die eigene Meinung operativ entfernt.«
»Schatz, und das wundert dich? Hat Scott nicht gesagt, er wäre seit seiner Kindheit dort? Erlernte Hilflosigkeit. Grundkurs Psychologie. Jarod hat gelernt, dass es nichts bringt, wenn er sich wehrt. Deswegen lässt er es.«
»Schrecklich ist das.« Charly knallte ihr Glas auf den Tisch.
»Hey, Vorsicht!«
Sheri legte ihr einen Untersetzer hin und Charly rollte mit den Augen.
«Wenn das dein einziges Problem ist, Sheri.«
Sheridan winkte ab. »Es würde mich nicht mal wundern, wenn Jarod eine offene Tür nur anstarren, statt weglaufen würde.«
Ich nahm die Flasche, die auf dem Tisch stand, schraubte sie auf und trank direkt daraus. Aus dem Augenwinkel sah ich Sheris empörten Gesichtsausdruck.
»Bakterienschleuderer! Nimm ein Glas!«
Ich setzte ab. »Im All gibt es auch keine Gläser.«
»Im All trinkst du allein, hier bist du in deiner Familie, crétin.«
Ich grinste. Ein uraltes Ritual zwischen Sheri und mir. »Okay, gib mir ein Glas.« Ich zog das Data aus der Hosentasche und legte es auf den Tisch. »Vitalwerte kontrollieren, pah! Jarod trinkt sogar nur dann, wenn man es ihm sagt.«
»Was ist das denn?« Charly nahm das Data in die Hand und betrachtete es.
»Mein neues Tablet - Data.«
Charly grinste. »Wie der Typ aus Star Wars?«
»Star Trek.«
»Ganz schön klein. Sieht aus wie ein Smartphone. Wie geht es auf?«
Ich legte meine Hand auf das Logo und das Databook öffnete sich wie von Zauberhand.
»Das ist klasse. Warum gibt es sowas nicht zu kaufen?«
»Noch nicht. Irgendwann vielleicht.«
»Wie hältst du es da nur aus, Sky?«
»Sehr - große - Selbstdisziplin.«
Samstag, 16. Mai
Haus Lyle Parker, Delaware, New Cove
Sonnenlicht drang durch meine Lider. Ich blinzelte. »Och Angel, du hast die Fenster freigemacht.« Charly stand vor meinem Bett und zog mir die Decke vom Körper. »Steh auf, du Murmeltier! Es ist bereits elf. Was ist mit unserem Picknick?«
»Ich wollte einmal ausschlafen.« Ich grummelte unzufrieden.
»Raus jetzt!«
Sie begann mich zu kitzeln und ich versuchte schnell aus ihrer Reichweite zu kommen.
»Charly! Wie warm?«
»70 Grad. Deine Temperatur. Sheri hat dir Klamotten ins Bad gelegt. Ich helfe ihm beim Beladen des Wagens. Sieh zu, dass du fertig wirst.«
Ich blickte ihr grinsend hinterher, stand auf und sah durch das Badezimmer nach draußen. Wunderbarer Tag, um bei einem Picknick zu entspannen. Ob Jarod jetzt spiegelte?
CÆRON, Sektion 23, Arbeitsraum, Delaware, New Cove
»Jarod, du bist nicht konzentriert.«
»Warum ist Mr. Parker nicht da, Sir?«
»Er arbeitet samstags nicht in Sektion 23.«
»Fliegt er?«
»Das geht dich nichts an.«
»Ist er ein guter Pilot?«
»Das hat dich nicht zu interessieren. Warum spiegelst du ihn denn nicht?«
»Ich darf niemanden unautorisiert spiegeln.«
Scott lächelte schmal. »Sei vorsichtig, dass du ihn nicht so schnell verschleißt wie die anderen. Bereite dich weiter auf deine Spiegelungen vor!«
»Sie mögen ihn nicht, oder?«
»Sei jetzt still!«
»Mir gefallen seine Stiefel.«
Scott gab einen unartikuliertes Ton von sich und verdrehte die Augen.
Küste, Delaware, New Cove
»Eins zu null für mich. Seitenwechsel.« Charly kam hüftschwingend auf mich zu. Auf gleicher Höhe raunte sie mir ins Ohr: »Seit wann lässt du mich das erste Spiel gewinnen?«
»Öfter mal was Neues, Angel.« Ich küsste sie und ging auf meinen neuen Platz zu. Sheridan strich die karierte Decke glatt und zog den Korb zu sich.
»Ach nein! Lass mich nicht den Käse vergessen haben.«
»Lyle! Vorsicht!«
Meine Aufmerksamkeit richtete sich zu spät auf das Spiel. Der Federball traf mich beinahe ins Gesicht. Ich konnte gerade noch ausweichen.
Charly stemmte die Hände in die Seiten. «Erde an Sky, wo bist du mit deinen Gedanken?«
Sie waren überall und nirgends. Jarod musste jetzt arbeiten. Wahrscheinlich nicht sauber und schnell genug, damit Scott ihn bestrafen konnte. Was für ein gottverdammtes, beschissenes Leben!
»Ich habe keinen Kopf zum Federball spielen. Frag Sheri, ob er Lust hat.« Ich drückte Charly den Schläger in die Hand und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Lyle!« Sie verzog unzufrieden das Gesicht.
Sheridan sah mich wortlos an, stand auf und ging zu ihr.
Während des Essens fiel mir erst nach einiger Zeit auf, dass mich Charly und Sheri unentwegt beobachteten. Ich hörte auf zu kauen. »Was?«
»Glaubst du, wir bekommen deine gedrückte Stimmung nicht mit? Es ist wegen deinem neuen Job, oder?« Charly sah mich zärtlich an.
»Ja und Nein.«
»Mit uns kannst du über alles reden, Schatz.« Sheri hatte den Ich-fühle-mit-dir-Ton drauf.
Es entstand eine kleine Pause und dann brachte es Charly auf den Punkt.
»Die Situation weckt Kindheitserinnerungen, oder?«
Ich atmete tief durch. »Ja. Ihr wisst, dass mein Vater jähzornig war...«
»Jähzornig? Er war ein Sadist!« Sheri spuckte auf den Boden.
»Ich hätte Hilfe gebraucht. Ich kann nicht glauben, dass unsere Nachbarn nie etwas mitbekommen haben. Ich habe mir die Lunge aus dem Leib geschrien, wenn er mich verprügelt hat. Selbst im Krankenhaus haben sie nichts gemacht. Ich meine, ich hatte solche Wunden, dass Narben zurückblieben. Einmal war ich ein halbes Jahr in der Klinik und niemand hat etwas gesagt. Meine Mutter konnte mir nicht viel helfen. Sie hat mir einmal das Leben gerettet, dafür hat er sie einen Monat weggesperrt.« Die Erinnerung überrannte mich. Ich schluckte angestrengt den Schmerz herunter.
»Und jetzt sehe ich Jarod und wie Scott ihn behandelt. Ständig wird er wegen Kleinigkeiten bestraft und alle blicken weg. Das kann doch nicht sein. Ich kann und will das nicht mit ansehen.«
Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Ich muss ständig daran denken, dass Jarod jetzt im Augenblick mit diesem gottverdammten Sadisten im Nacken arbeiten muss. Verdammt noch mal!« Ich rieb mir über die Arme, weil mich der Gedanke daran frösteln ließ. »Das ist kein Job für mich!« Charly kam neben mich und nahm meine Hand.
»Wenn du es nicht machst, werden sie einen anderen finden. Ob der dann besser für Jarod ist?«
»Stell dir vor, der nächste ist vielleicht wie dein Vater.«
Ich starrte Sheridan an. »Noch bin ich da. Ich werde sehen, was ich ändern kann. Vielleicht kann ich Jarods Leben verbessern.«
»Das tust du bereits.« Charly warf mir einen liebevollen Blick zu.
Sheridan seufzte. »Wie du immer sagst – die Welt verändert sich.«
»Hoffentlich!«
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