Kapitel 17
Am nächsten späten Morgen, fast Mittag, öffnete Aaron stöhnend die Augen. Himmel nochmal. Ein süßer Schmerz zog durch seinen Unterleib. Er war sich nicht einmal sicher, ob er aufstehen wollte. Der Geruch von Minze und Sandelholz umgab ihn und er genoss ihn. Er genoss die Wärme an seiner Wange, seiner Brust und dem Bauch. Er spürte einen leichten Hauch in seinen Haaren, auf die Cyphers Atem traf. Er war vollkommen ruhig, friedlich. Nur Wärme, keine Kälte. Es waren wenige Minuten des Friedens, die er auskostete, denn sie würden bald enden.
Dieser Dämon ist nicht zu zügeln. Cypher hatte Aaron gestern über sämtliche Grenzen geführt. Er hatte sich ihm nicht nur geöffnet, sondern ihm gezeigt, was körperliche Liebe war. Und doch, es gab noch etwas, was Aaron zurückhielt. Ich kann es nicht annehmen, bis wir unser Ziel erreicht haben. Doch er war stark ins Straucheln gekommen. Er konnte es kaum glauben, hier in seinen Armen zu liegen, wenn er an ihre erste Begegnung zurückdachte. War das Schicksal? Er wusste es nicht. Doch was er wusste, sie hatten eine Aufgabe. Er wusste nicht warum, doch er musste sie finden. Das anfängliche Gefühl war zu einem dringenden Bedürfnis geworden. Ich muss sie finden. Warum, wusste er nicht und genau das machte ihm Sorgen.
Widerwillig erhob er sich und schaute den Dämon an. Er ist so heiß. Bei allen Männern, die er je getroffen hatte, war Cypher der, der ihn am meisten fesselte. Er hatte nie eine Präferenz für Frauen oder Männer gehabt, war keinem abgeneigt.
Sein Dämon entschied sich endlich aufzuwachen, als er sich bereits gewaschen und angezogen hatte. „Du hast es eilig", sagte dieser und fuhr sich über das Gesicht.
„Ja. Wir müssen aufbrechen, damit wir morgen Nacht an unserem Zielort ankommen." Aaron wusste, dass sie nicht viel Zeit hatten, denn bald würden sich die Gerüchte über ihn ausbreiten. Er hatte die Angreifer nicht getötet, sie nicht mundtot gemacht.
Ein absolut sexy Dämon erhob sich aus dem Bett. Er sah die harten Muskeln unter seiner Haut, die sich bewegten und seinen Blick fesselte. Aaron konnte seine Maske nicht aufrechterhalten.
Cypher sah, dass sein Mensch ihn anstarrte, und grinste teuflisch. „Gehört alles dir, du musst es dir nur nehmen, Lämmchen", sagte er mit verführerischer Stimme und leckte sich über die Lippen. Er sah, wie Aaron das Gesicht wegdrehte, doch der Ausdruck und das Feuer in dessen Augen waren ihm nicht entgangen. Er wollte jedoch nicht unvernünftig sein, also zog er sich an.
Sie checkten aus und fuhren mit dem Wagen zum Flughafen. Dort flogen sie für unzählige Stunden. Cypher wusste nicht, wohin Aaron ihn nahm, doch als sie schließlich in Berlin landeten, war es schon Abend. Beide hatten sich so gut es ging ausgeruht. Als die Nacht anbrach, parkte Aaron das Auto in einer Seitenstraße. Dieses Mal verkleidete er sich nicht, sondern zog einfach seinen schwarzen Kampfanzug und seine Waffen an.
„Aaron, wen suchen wir auf?", fragte Cypher.
„Wir suchen das Gehirn der Organisation. Die, die den Zugang zu allen Informationen hat – die weiß, wo meine Akte aufbewahrt wird", antwortete Aaron und stieg aus. Sie würden den Aufenthaltsort aus ihr herauspressen, wenn es sein musste, denn die vertraulichen Informationen waren in autarken Einrichtungen, die keinerlei Verbindung zur Außenwelt hatten.
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Joyce saß an ihrem Computer und tippte auf der Tastatur und bewegte die Maus in einem Tempo, das ihr kaum einer nachmachte. Die Bilder rasten über den Bildschirm, sie erfasste sie in Sekunden – wägte ab, ob sie zu gebrauchen waren oder nicht. Ab und zu nahm sie einen Schluck aus der Kanne neben sich.
Bilder vom Flughafen erschienen auf dem Bildschirm. „Hab dich." Für einen Moment hielt sie inne. Ich habe es nicht geglaubt. Es war eigentlich unmöglich, denn die Person, die sie sah, war tot. Und doch lief sie über diesen Flughafen, hatte denselben gefühllosen Ausdruck wie immer.
„Wo bist du hin, Reaper?", flüsterte sie und ihre Finger flogen erneut über die Tastatur.
„Zu dir", erklang eine kalte Stimme und sie spürte die Metallschnüre um ihren Hals, bevor sie auch nur reagieren konnte. Instinktiv griff sie nach diesen, doch sie wusste, dass es kein Entkommen gab.
„Reaper", presste sie hervor. „Was willst du?" Sie war noch am Leben, also musste er etwas von ihr wollen.
Mit einem Ruck wurde ihr Stuhl gedreht, sodass sie ihm direkt in seine Augen starrte. Die Hände vor seinem Körper überkreuzt, musste er nur eine Ruckbewegung machen und sie wäre tot. Sie war ihm vollständig ausgeliefert.
„Sharin. Wo ist sie?", fragte er ruhig.
Das Entsetzen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Er sucht die Attentäterin, die ihn beinahe getötet hat. Leider hatte es sich in den letzten Wochen einiges geändert, den sein Tod hatte die Organisation erschüttert. Der beste Assassine, den es jemals gegeben hatte, war getötet worden und das von niemand anderem als der zugeordneten Partnerin. Die Oberen waren furios gewesen, wenn auch auf ungeklärte Weise Sharin nicht bestraft worden war. Dann hatte es den Umbruch gegeben. Joyce hatte sich nach Deutschland abgesetzt, da ihr das Ganze zu gefährlich wurde.
„Ich weiß es nicht. Bitte glaube mir", antwortete Joyce, ihr Herz schlug wild vor Angst.
Aaron glaubte ihr, also stellte er ihr die Frage, die ihn eigentlich interessierte. Die erste sollte nur seine Absicht verschleiern und die Frau war darauf hereingefallen. „Dann sag mir, wo gerade die Hauptzentrale ist, in der alle Informationen gesammelt werden." Diese wurde immer wieder verlegt, um sie vor Eindringlingen zu schützen.
„Оймяко́н", röchelte sie, als Aaron die Metallschnüre enger zog. Für einen Moment sah sie ein rotes und goldenes Leuchten an der Wand gegenüber und sah auch die Umrisse einer Person. Wer ist das?
Als er den Namen des Ortes hörte, versteifte er sich. Sein Griff lockerte sich und Joyce führte sofort einen Gegenschlag aus. Er wich aus, nahm ihren Kopf und schlug ihn so hart auf den Tisch, dass sofort jegliche Spannung aus ihrem Körper wich. Daraufhin nahm er eine kleine schwarze Box aus seiner Tasche und steckte sie in den USB-Port ihres Computers. Innerhalb weniger Sekunden wurden alle technischen Geräte in diesem Raum gebrutzelt. So würde sie ihn nicht so schnell aufspüren, sollte sie so lebensmüde sein, ihn zu verfolgen.
Er ging zu Joyce, zog ihr einen gummiartigen Handschuh an und wieder aus, dann erhob er sich. Ohne einen weiteren Blick auf die bewusstlose Frau zu werfen, drehte er sich um und lief zu Cypher, der bewegungslos an der Wand gestanden hatte. „Wir haben unseren Zielort. Lass uns gehen."
Cypher spürte eine tiefe Dunkelheit und Kälte in Aaron. Was hat es mit diesem Ort auf sich? Wieso hat sich sein ganzes Wesen verändert? Stumm folgte er seinem Menschen.
Sie fuhren zum nächsten Flughafen und am Schalter sagte Aaron: „Zwei Sitzplätze für den Flug nach Russland, Moskau."
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Drei Stunden später landeten sie im Flughafen Scheremetjewo in Moskau und Aaron buchte einen Privatflug zum Flughafen Ust-Nera tief im Osten von Russland. Stunden später landeten sie dort und übernachteten in einem Hotel. Früh am Morgen buchten sie dann einen weiteren Flug, der sie in einem kleinen Flugzeug über ihren Zielort fliegen würde. Eine Stunde saßen sie im hinteren Bereich des Flugzeugs, gingen noch einmal alle Eckpunkte durch, die sie gestern lange besprochen hatten.
Aaron hatte nur noch knappe fünf Tage bis sein Zeitlimit um war. Sie mussten es jetzt schaffen, sonst wäre es vorbei. Mit jeder Minute wurde seine Aura dunkler, mit jedem Meter, dem sie ihrem Zielort näher kamen, spürte er die Kälte in sich wachsen. Sie würde alles verschlingen, was von seiner Wärme und Menschlichkeit übrig geblieben war.
„Warst du schon einmal an diesem Ort, Aaron?", fragte ihn Cypher, dem diese Veränderung nicht gefiel. Es ist schlimmer als bei unserer ersten Begegnung. Er würde Aaron dieses Mal nicht schweigen lassen.
Aaron starrte auf den Metallboden des Flugzeuges, verschränkte die Finger. Er musste ihm antworten, das wusste er. „Die Anstalt, in der ich Norman getötet habe." Stille. Er sah die Bestürzung in Cyphers Gesicht und das Mitgefühl nahm etwas von der Kälte, doch dieses verflog schnell.
Ein Ton erklang und sie wussten, es war soweit. Sie schlossen ihre weißen Thermoanzüge, nachdem sie ihre Kapuzen übergezogen hatten, schnallten sich die Fallschirme um. Eine russische Stimme verkündete, dass sich die Türen öffnen würden, was kurz darauf geschah. Ohne zu zögern, sprangen sie aus der Tür in das eisige Nichts. Im freien Fall verspürte Aaron so etwas wie Frieden und Ruhe, doch der Boden kam näher. Beide öffneten die Fallschirme und steuerten ein Fläche in der Nähe eines Waldes an.
Nach der Landung versteckten sie das Geschirr und den Fallschirm und machten sich mit einem Satellitennavi auf dem Weg zu ihrem Ziel. Sie wanderten drei Stunden durch die eisige Kälte Sibiriens und spürten, dass die -51 °C des Umlands von Оймяко́н, welches 135 Kilometer nordöstlich von Suntar-Chajata-Gebirgskette lag, ihnen zusetzte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hielt Aaron inne und bedeutete Cypher stillzuhalten. Er deutete auf verschiedene Punkte und der Dämon konnte dort Kameras ausmachen. Sie waren also auf feindlichem Gebiet. Kein Problem. Er sprach einen Zauber und erschuf um sie eine Barriere, die sie unsichtbar für Außenstehende macht. So lautlos es ging, bewegten sie sich fort. Die Barriere war speziell, denn sie schirmte sie nicht nur für das Auge ab, sondern auch ihre Körperwärme, sodass die Infrarotkameras sie nicht erfassen konnten. Es benötigte jedoch einiges an Energie, weshalb sich Cypher noch am Abend gut genährt hatte.
Als sie das nächste Mal anhielten, ragte eine meterhohe Mauer mit Stacheldraht und unsichtbaren Fallen vor ihnen auf. Sie mussten aufpassen, keine Druckfallen auszulösen, die sofort Alarm schlagen würden. Es gab keine Bäume, von denen sie hätten hineingelangen können.
Cypher gab Aaron ein Zeichen zu warten, dann konzentrierte er sich. Er rief seine zweite Haut und die Schuppen drangen hervor, bedeckten seinen ganzen Körper, sodass dieser vollständig bedeckt war. Sein Körper veränderte sich. Seine Hände legten sich an die Mauer und mit seinem vomeronasalen Sinn erfasste er die Fallen und Unebenheiten der Mauer. Dann bewegte er sich.
Aaron sah, wie Cypher die Mauer einfach entlangkroch, anders konnte er es nicht beschreiben. Es war, als habe der Dämon keine Knochen im Körper, er bewegte sich wie eine Schlange nach oben. Einfach unglaublich. Oben angekommen, ließ dieser ein Seil herunter, das sich Aaron um die Hüfte band und er wurde nach oben gezogen, versuchte jeden Kontakt mit der Mauer zu vermeiden. Ähnlich ging es dann nach unten.
Als sie beide den festen Betonboden unter den Füßen spürten, konnten sie etwas aufatmen. Vor ihnen erstreckte sich ein altes Gebäude, das verlassen aussah – und mit einem Schlag kehrte Aaron in die Vergangenheit zurück.
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Nun sind sie dort - am Ort, wo alles begonnen hat.
Was erwartet sie dort?
Werden sie das finden, wonach Aaron sucht?
Eure Mausegöttin
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