Kapitel 12
Ein Schlag traf ihn im Gesicht und er fiel zu Boden. Daraufhin spürte er weitere Tritte gegen seine Rippen und seine Arme, mit denen er versuchte, sich zu beschützen. Der Schmerz brannte in seinen Körper und er zitterte. Bitte hör doch auf. Die Schläge ließen nach und er schaute vorsichtig auf, ein Auge bereits zugeschwollen. Er blickte in die mit Abscheu erfüllten roten Augen seiner großen Schwester.
„Abschaum. Schwächling", spie sie hervor. Ohne ein weiteres Wort lief sie davon und ließ ihn liegen.
Cypher schlang die Arme um sich und biss sich auf seine geschwollene Unterlippe. Nicht weinen. Wenn du weinst, wird es nur schlimmer. Er blieb dort liegen, bis es dunkel war. Irgendwie hatte er es geschafft, sich nach Hause zu schleifen, hatte den kleinen Raum erreicht, in dem er schlafen durfte. Dort legte er sich in seine Decke, das Einzige, was er besaß, und wickelte sich ein. Dicke Tränen liefen über sein Gesicht. Wieso? Warum habe ich das verdient?
Die Antwort war einfach. Er war ein Mann und dazu auch noch defekt.
In der Rasse der Furien herrschten die Frauen. Sie standen an der Spitze, während Männer einen untergeordneten Wert hatten. Sie waren nur zur Fortpflanzung notwendig. Meist benutzten die Furien vielversprechende Partner nur, um ein Kind zu empfangen oder sie paarten sich untereinander. Cypher hatte seinen Vater nie kennengelernt und war auch der einzige missratene Nachkomme in seiner Familie. Er hatte drei Schwestern, jede mit hohem Magielevel und hervorragenden Kriegerqualitäten. Das war es, was in ihrer Rasse wichtig war. Schwächlinge starben oder wurden verstoßen, so einfach war das.
Der einzige Grund, warum er noch nicht verstoßen worden war, war, dass er noch keine fünfzig Jahre alt war. In weniger als fünfzehn Jahren würden sie ihn verstoßen oder töten, wenn er nicht vorher floh. Jeden Tag quälten sie ihn unter dem Vorwand, ihn stärker zu machen.
Die Stärke einer Furie hing auch mit deren inneren Dämon zusammen, da sie direkt daraus ihre Kraft zogen. Cyphers innerer Dämon schwieg. Dazu kam noch sein Defekt - sein rechtes Auge. Es war nicht wie das rechte rot, sondern vollständig schwarz mit einer goldenen Iris. Dieses stammte von seiner anderen Hälfte. Genau diese Seite war es, was sie so verabscheuten. Sie wollte einen starken Nachkommen zeugen, keinen Mischling. Diese wurden bei den Furien als defekte Wesen angesehen und genau das war er - defekt.
Um diesen Schandfleck zu verstecken, musste er eine Augenklappe tragen. Damit war es ihm nicht möglich räumlich zu sehen und er war blind auf seiner rechten Seite. Das nutzten seine Schwestern, griffen ihn aus seinem toten Winkel an.
Ich will nicht mehr. Doch wo sollte er hin? Er würde niemals da draußen überleben. Die einzige Möglichkeit war, stärker zu werden. Mit jedem Tag wuchs seine Verzweiflung, damit aber auch sein Hass. Seine Tränen versiegten. Morgen wird ein besserer Tag.
Am darauffolgenden Tag ließen ihn seine Schwestern heilen, die einzige Zeit, in der er so etwas wie Frieden empfand. Er schleppte sich nach draußen, denn er wollte nicht in der dunklen Kammer bleiben. Als das Sonnenlicht ihn blendete, kniff er die Augen zusammen. Er humpelte um das Haus, wo metallische Geräusche erklangen.
Hinter dem Haus war eine große Schmiede. Er sah Loren - ein Choronta-Dämon mit kurzen aschgrauen Haaren und fast weißen Augen. Er war 1,78 m groß und hatte einen schlanken, aber definierten Körper. Dieser rührte von seiner Tätigkeit als Waffenschmied. Sein Naturell war friedlich und er nutzte seine Magie, um Waffen zu formen und zu verstärken. Um seinen Hals trug er einen Sklavenring.
Dieser Dämon war das Herz seiner ältesten Schwester und gleichzeitig ihre größte Schande, denn er widersprach allen Grundsätzen der Furien. Er war friedlich, ausgeglichen, kein Krieger. Nur seine hervorragende Arbeit gab ihm eine Aufenthaltsberechtigung in ihrer Kolonie.
Er hat es nicht verdient, so behandelt zu werden. Die Blicke, die ihm zugeworfen werden, die Verachtung. Mit seiner Schwester als Herz war er gestraft, auch wenn er das anders sah. Er liebte Ilyria von ganzem Herzen. Ihr Glück lebten sie nur in geschlossenen Räumen, außerhalb zeigte sie keinerlei Zuneigung.
„Guten Morgen, Kleiner", begrüßte Loren ihn mit einem Lächeln.
Dieser Dämon war der einzige Grund, wieso Cypher noch nicht wahnsinnig geworden war. Seine ruhige und freundliche Art erdete ihn. Er war der Einzige, der mit ihm redete, bei dem er sich normal fühlte.
Als Loren Cyphers Verletzungen sah, machte er ein erschrockenes Gesicht. Er nahm den kleinen Dämon sofort an der Hand und zog ihn in das Hinterzimmer der Schmiede. Dort behandelte und verband er dessen Verletzungen, gab ihm heilende Tränke. In dessen Augen war ein trauriger Blick, denn er wusste, wer ihm diese zugefügt hatte.
Als er fertig war, sah er Cyphers dankbaren Blick, was sein Herz noch mehr schmerzen ließ. Er hat das nicht verdient. Seit einem Monat arbeitete er an etwas, dass er nun endlich fertig bekommen hatte. „Kleiner, ich habe ein Geschenk für dich."
Sofort hellte sich Cyphers Gesicht auf und er schaute neugierig zu dem grauhaarigen Dämon. Dieser holte etwas Metallisches aus einer Kiste.
„Ich habe dich lange beobachtet und bemerkt, dass dein Körper nicht für ein Schwert oder größere Waffen geeignet ist. Du bist schnell, beweglich und hast ein Gefühl für die Umgebung. Etwas Agiles, Schnelles und Bewegliches passt besser zu dir", sagte er mit einem Lächeln. In seinen Händen lag eine lange kupferfarbene Kette. An einem Ende war eine Kugel und am anderen eine gekrümmte Klinge - ein Kyoketsu-shoge. Wenn er einen Knopf an deren Griff, an dem die Kette angebracht war, drückte, sprang ein runde, sichelförmige Klinge am unteren Ende hervor.
Staunend fuhr der kleine Dämon über die Waffe. Sie war hervorragend gearbeitet und lag leicht in seiner Hand. Daraufhin schaute er zu Loren und stotterte: „I-Ist das w-wirklich für mich?" Er konnte kaum den Blick davon abwenden.
Loren nickte. „Komm mit mir, Kleiner."
Cypher folgte ihm. Sie gingen durch die Schmiede zu einer Türe, die er zuvor noch nie geöffnet hatte. Der Dämon öffnete sie und er sah eine Treppe aus Stein, die nach unten führte. Er folgte ihm nach unten und sah einen Gang, der zu mehreren Räumen führten. „Die Schmiede ist mein Hoheitsgebiet, der einzige Ort, an dem ich mich nicht verstecken muss."
Diese Worte taten Cypher um ein Neues weh. Loren hatte so etwas nicht verdient. Der Hass auf seine Schwester wuchs.
Er ging zu einem weiteren Raum, der verschlossen war. Mit einem Schlüssel öffnete der Dämon die Tür und sie betraten diesen. Helle Leuchtsteine erhellten diesen. Erstaunt sah sich Cypher um. Er war so gut wie leer und hatte eine recht hohe Decke. Überall sah er Stühle an der Wand und große Holzgebilde, welche aus einem großen dicken Pfahl mit einer Höhe von etwa zwei Metern bestand, aus dem dünnere lange Stangen in alle Richtungen herauswuchsen.
„Was ist das?", fragte er den Schmied.
„Das ist ein alter Stauraum, doch ich habe ihn entrümpelt und zu einem Trainingsraum für dich umfunktioniert. Hier kannst du ungestört den Umgang mit deiner neuen Waffe üben. Zudem werde ich, sofern es mir die Zeit erlaubt, dich trainieren", antwortete Loren.
Cypher war sprachlos. Er hatte in seinem Leben noch nie ein solches Geschenk erhalten. Niemand hatte sich um ihn gekümmert. Wieso jetzt?
Der ältere Dämon sah das fragende Gesicht, also kniete er sich vor den kleineren Dämon. Er legte seine Hände an dessen Schultern: „Ich kann nicht verhindern, dass sie dir wehtun, doch ich kann es nicht mehr mit ansehen. Mit jedem Jahr wird es schlimmer und du hast keine Möglichkeit dich zu wehren. Wirst du meine Hilfe annehmen?"
Tränen stiegen in Cyphers Augen und er nickte. Er schlang seine Arme um Loren und umarmte ihn, was dieser lachend erwiderte.
Als dieser ihm leicht auf den Rücken klopfte, ließ ihn der kleine Dämon los. Er lächelte ihn an und zog zwei Stühle von der Wand. „Gut, dann wollen wir. Wir beginnen erst mit etwas anderem. Kleiner, du hast eine Schwäche und diese wird dir jedes Mal zum Verhängnis", begann sein neuer Lehrmeister.
Mein Auge. Er wusste es, doch kannte keine Lösung. Zwei Hände legten sich an seine Augenklappe und lösten diese von seinem Kopf. Instinktiv schloss Cypher das Auge, denn als seine Mutter es einmal nach dem Waschen erblickt hatte, hatte er ein bittere Strafe erhalten.
„Öffne es für einen Moment", sagte er mit weicher Stimme. Cypher zögerte, öffnete es schließlich. Ein schwarzes Auge mit goldener Iris schaute ihm entgegen. Soso, er ist also ein Dahāka-Dämon.
„Gut, hör mir genau zu. In diese Augenklappe ist ein Zauber eingewoben, der deine Dahāka-Seite unterdrückt. Wir beginnen damit, dass wir diesen lösen, ohne dass sie es merken. Du musst lernen, deine beiden Hälften zu beherrschen, dann wirst du eine Kraft erhalten, die einer normalen Furie überlegen ist. Deine zweite Hälfte hat nämlich besondere Fähigkeiten, die deine Schwächen ausgleichen. Mit ihr bist du in der Lage zu sehen, auch wenn du nur ein Auge offenhast oder gar beide geschlossen sind."
Der kleine Dämon hörte genau zu, doch den letzten Teil verstand er nicht. „Was meinst du mit sehen?", fragte er.
„Öffne deinen Mund", sagte Loren und Cypher gehorchte. „Gut. Deine zwei Hälfte - die Dahāka-Dämon-Hälfte - ist etwas Besonderes. Die Dahāka-Dämonen sind eine Dämonenrasse, die im Verborgenen lebt", erklärte er dem kleinen Dämon.
Dann fuhr er fort: „Deine Zunge ist vorne leicht gespalten. Der Grund dafür, ist dass du mit ihr sehen kannst. Du bist in der Lage selbst bei einem nur leicht geöffnetem Mund die Umgebung zu riechen, denn du besitzt im Gegensatz zu allen anderen Rassen einen sogenannten vomeronasalen Sinn. Du nimmst über deine Zunge Geruchspartikel auf und kannst dich damit auch räumlich orientieren, ohne deine Augen zu benutzen. "
Der kleine Dämon schaute ihn staunend an. Mit der Zunge sehen? Davon hatte er noch nie gehört, doch er wusste, dass Loren unglaublich viel Wissen besaß, denn er war sehr belesen. Doch wie sollte er das anstellen?
Mit einem Lächeln sprach der Dämon weiter: „Um deine Sinne nutzen zu können, musst du deine zweite Hälfte wecken. Ich werde ihr einen kleinen Schubs geben, denn der Zauber in der Augenklappe hat sie bisher unterdrückt. Das könnte unangenehm werden."
Er hatte ihn zwar gewarnt, doch der Magieimpuls, den er daraufhin durch seinen Körper schickte, ließ ihn zusammenzucken, als hätte er einen Schlag erhalten. Er spürte, wie seine innere Furie fauchte - etwas, was sie noch nie getan hat. Doch neben ihr regte sich etwas, etwas von dem er nicht gewusst hatte, dass es da war. Ein Kribbeln ging durch seinen Körper.
„Gut, nun konzentrier dich. Schließ die Augen und streck deine Zunge heraus. Lass ihn für dich sehen."
Daraufhin schloss Cypher die Augen und tat wie Loren gesagt hatte. Zunächst spürte er nichts und kam sich dumm vor. Bitte lass mich sehen, sagte er zu der Kreatur. Diese zischte leise.
Plötzlich änderte sich die Umgebung. Auch wenn er die Augen geschlossen hatte, sah er, wie sich Formen vor seinen Augen bildeten. Unscharfe Umrisse, doch mit der Zeit, wurden diese schärfer. Es war wie ein 360°-Abbild des Raumes. Er sah Loren, sah die Gegenstände. Er sah alles. Überrascht öffnete er die Augen. Wahnsinn.
„Trainiere in den nächsten Tagen diesen Sehsinn, indem du mit verbundenen Augen durch den Wald läufst", wies er den Jungen an. Dann fuhr er mit dem nächsten fort. „Nun zu der Waffe. Du darfst sie nicht mit nach draußen nehmen. Du wirst mit ihr hier trainieren."
Cypher nickte. Er wusste, dass Loren bestraft werden würde, wenn sie herausfanden, dass er für ihn eine Waffe geschmiedet hatte. Doch sein neuer Lehrmeister war noch nicht fertig. Er zeigte ihm noch für eine Stunde Grundtechniken, wie er mit dem Kyoketsu-shoge umging."
Die darauffolgenden Tage stahl sich Cypher davon, wann immer er es konnte. Er lief blind durch den Wald, wo er sich zahlreiche Schrammen zuzog, doch das interessierte niemanden. Nach und nach lernte er blind zu laufen, sah die Umgebung und erhöhte das Tempo. Dasselbe galt für seine Waffe. Er übte, wie er Gegner umschlang, indem er auf die Holzgebilde zielte und übte das Wirbeln.
In der Bibliothek las er alles über seine Rasse nach. Der Legende nach stammen die Dahāka-Dämonen von einem Gott namens Aži Dahāka ab, welcher drei Schlangenköpfe und sechs Augen besaß. Seine Schuppen waren obsidianschwarz wie auch seine Augen, nur seine Iris leuchtete golden.
Neugierig tastete er seine Zähne ab, suchte nach den Giftzähnen, doch er fand keine. In dem Buch stand, dass sie diese erst ab etwa vierzig Jahren entwickelten und er war ein Mischling, also konnte es sein, dass er diese gar nicht entwickelte. Das Gleiche galt für die Schuppen.
Wenn seine Schwestern oder andere Furien angriffen, um ihn zu „trainieren", nutzte er die Gelegenheit, seinen neuen Sehsinn zu üben und zu schärfen. In Kampfsituationen war es nach wie vor schwierig, doch er wurde besser. Sie trafen ihn nicht mehr so hart, weil er dem Schlag auswich, wenn auch nicht vollständig.
Nach etwa zwei Monaten traf sich Cypher mit Loren wieder im Keller.
„Hast du deine Sinne gestärkt?", fragte er freundlich und der kleine Dämon nickte. „Gut, dann werde ich dir nun neben den Übungen mit der Waffe die Kunst des Lenkens zeigen. Wie du weißt, ist mein Volk eines welche nach dem Grundsatz des Friedens lebt. Wie verabscheuen körperliche Gewalt, weshalb wir eine Kunst entwickelt haben, Angriffe weiterzuleiten, anstatt sie zu blocken und zu erwidern", erklärte er Cypher.
Neugierig, wie diese aussah, setzte er sich auf den Stuhl und ließ seinen Lehrmeister nicht aus den Augen.
Loren stellte sich in die Mitte des Raumes, dann begann er mit Armen und Beinen fließende Bewegungen zu vollführen. Es sah alles elegant und flüssig aus, anmutig. So schön. Dann winkte er ihn zu sich und sagte: „Greif mich an, wie immer du möchtest."
Für einen Moment war Cypher verwirrt. Er wollte Loren nicht schlagen, doch er forderte ihn erneut auf. Mit geballter Faust griff er an, wie er es bei seinen Schwestern schon so oft gesehen hatte. Seine Faust flog auf Lorens Brust zu, doch bevor sie diese erreichte, spürte er eine Berührung an seinem Handrücken. Seine Bewegung wurde sanft weitergelenkt und Loren lief um ihn herum. Seine Arme flossen unter Cypher und eher er sich versah, lag er auf dem Boden.
Wie? Wie hat er das gemacht?
Der Schmied stand mit einem Lächeln über ihm und fragte: „Willst du das erlernen?"
Cypher nickte heftig mit dem Kopf. Das wollte er können.
„Gut, dann beginnen wir mit den Grundübungen."
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Cypher lernt sich zu verteidigen und sein Leben in die Hand zu nehmen.
Was haltet ihr von der Einstellung der Furien und dem Verhalten seiner Familie?
Genießt den nächsten Teil, denn Cypher wächst und entwickelt sich weiter.
Eure Mausegöttin
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