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~Wer zündet bitte Toiletten an?!~
•Vinisha•
»Roux«, stoße ich erstaunt aus - oder wohl eher verschreckt. Sein Kopf ist leicht zur Seite geneigt und seine adamantfarbenen Augen mustern mich missbilligend.
… Oder skeptisch?
»Oder sollte ich lieber Cath sagen?«, spricht er leise und der dunkle Ton, den seine Stimme nun angenommen hat, macht mir Angst.
Doch Verwirrung verdrängt meine Angst. Was meint er damit?
›Und schon wieder habe ich keine Ahnung, wie du es auf ein Gymnasium geschafft hast …‹, raunt er in meinen Gedanken.
›Was soll das denn jetzt wieder heißen?!‹, frage ich zornig.
Aber eine Antwort erhalte ich nicht, dafür redet Roux weiter.
»Ich weiß, dass du es bist. Du kannst dich nicht mehr lange vor mir verstecken, auch wenn du das momentan vielleicht noch denkst.« Seine Worte ergeben keinen Sinn und ich sehe ihn abermals irritiert an. »Wir sind mehr geworden, seit du das letzte Mal hier warst. Schlauer. Schneller. Stärker. Du gewinnst nicht, nicht einmal eine Chance hast du.«
Ich setze zu einer Antwort an, von der ich noch gar nicht weiß, welche Worte sie beinhalten soll, als die Klingel ertönt und das Ende der Pause verkündet. Schnell mache ich mich aus dem Staub, ohne noch einmal zu Roux zurückzublicken.
...
Während der nächsten Stunde - die zum Glück nur vertreten wird, weshalb ich mich nicht auf den Unterricht konzentrieren muss - beruhigt sich mein Puls etwas. Das war mehr als seltsam und langsam steigt meine Panik wieder und ich habe das Gefühl, gleich einfach zusammenzubrechen. Gleich hier.
›Beruhige dich‹, flüstert die Stimme in meinen Gedanken. ›Ich brauche dich bei klarem Verstand, für das, was ich vor habe.‹
›Was hast du denn bitte vor?‹, frage ich zischend. Oder zumindest denke ich, dass ich das so sage.
›Hast du etwa keine Lust, Roux eine Lektion zu erteilen?‹ Ich muss zugeben, dass diese Vorstellung verlockend klingt. Andererseits wäre das leichtsinnig und ich kann mir keine Suspendierung leisten.
›Ach komm schon, du wirst nicht suspendiert.‹ Dieses Flüstern legt sich auf meine Sinne, wie heiße Milch am Abend. ›Schließlich werden wir nicht erwischt.‹
›Das ist verrückt‹, erwidere ich. ›Was hast du eigentlich vor?‹
›Nur dies und das …‹, sagt er leichthin, was mich sofort alarmiert, dass irgendwas nicht stimmt.
›Nein‹, denke ich. ›Dabei helfe ich dir nicht. Was auch immer du vor hast, hört sich an, als könnte es mich in Gefahr bringen. Das Risiko gehe ich nicht ein.‹
›Ich schon‹, sagt er nur und plötzlich spüre ich, wie mein Körper langsam taub wird, bis ich ihn nicht mehr spüre. Es ist das merkwürdigste, was mir je passiert ist. Eigentlich ist es eine ziemliche Selbstverständlichkeit, dass man den eigenen Körper spüren kann. Es ist eines der Dinge, die so selbstverständlich sind, dass sie vom Gehirn ausgeblendet werden. Aber jetzt, wo ich gar nichts mehr fühle, fällt es mir erst auf. Fühlt es sich so an, gelähmt zu sein?
Nur weiß ich, dass ich nicht gelähmt bin. Ich sitze immer noch fest in meinem Stuhl, meine Hand hält immer noch den Stift über dem iPad.
Es ist sogar noch surrealer, als dass seit heute Morgen ein wildfremder Mensch in meinem Kopf zu leben scheint.
›Hey! Woher willst du wissen, dass ich ein Mensch bin?‹ Die Stimme rauscht jetzt nicht mehr durch meine Gedanken. Es ist anders. Als würde ein Echo von den Wänden einer Höhle schallen, in der ich stehe.
Dann steht mein Körper auf einmal auf und geht aus dem Klassenzimmer. Aus dem Augenwinkel erkenne ich ein paar Mitschüler, die mich verwirrt oder belustigt anstarren. Ich versuche sie genauer anzusehen, aber ich kann meine Augen weder spüren, noch kontrollieren. Als die Vertretungslehrerin mir etwas hinterher ruft, bin ich nur froh, dass sie mich nicht benoten kann. Nicht, dass es in diesem Moment eine Rolle spielen würde. Immerhin läuft mein Körper gerade, ohne dass ich ihn nur im Geringsten kontrollieren kann.
›Was tust du?‹, denke ich panisch. ›Du bist das, oder?‹
»Ja, verdammt«, sagt er laut und meine Stimme hört sich mit seinen Worten mehr als fremd an. »Ich bin wieder im Spiel - und Roux kann sich auf etwas gefasst machen.«
Ich schreie ihn an, dass er damit aufhören soll. Doch er hört nicht auf mich, sucht nur alles nach Roux ab. In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nie so hilflos gefühlt. So gefangen. Gefangen in meinem eigenen Körper - wortwörtlich.
»Wo ist Roux?«, höre ich meine Stimme, obwohl sie es eigentlich nicht ist. Ein Schauer durchfährt mich, wenn auch nicht körperlich, so doch gedanklich.
›Gib mir verdammt noch mal meinen Körper zurück!‹, schreie ich bloß.
›Du kannst ihn gleich wieder haben, wenn ich erledigt habe, was ich tun muss. Also wo ist Roux?‹, höre ich nun wieder seine tiefe, raue Stimme.
Ich weiß, dass Roux gerade einen Chemiekurs hat. Ich erinnere mich noch daran, wie alle überrascht waren, als er diesen Kurs gewählt hat, da er sich sonst nie sonderlich für Naturwissenschaften interessiert hat. Aber das werde ich ihm nicht verraten. Eher würde ich hier drin vor Langeweile und Angst umkommen.
›Vielen Dank, das reicht mir schon‹, sagt er zu meiner Verblüffung, da ich vergessen habe, dass er ja ohnehin alle meine Gedanken liest. ›Nur schade, dass du mir diese Infos nicht freiwillig geben wolltest. Wir würden ein gutes Team abgeben.‹ Er klingt gespielt enttäuscht. ›Auch wenn deine Intelligenz manchmal nicht mit der von einer Scheibe Brot auseinanderzuhalten ist‹, fügt er noch spöttisch hinzu. ›Wo ist der Chemieraum?‹
Ich kann es ihm auf keinen Fall sagen. Wer weiß schon, was er tun würde? In meinem Körper. Ich kann aber auch nicht lügen. Ich darf einfach nicht daran denken.
Ich beginne in meinen Gedanken zu zählen. Aber leider habe ich mich nicht gut genug unter Kontrolle und die Zahl 209 schleicht sich zwischen fünf und sechs. Panisch versuche ich, meinen Fehler zu überdecken. ›324, 118, 296‹, aber er ist leider nicht dumm.
Ich sehe, wie er mit den Augen rollt, und dann in Richtung Chemieraum läuft. Ich versuche irgendwie stehen zu bleiben. Aber es ist zwecklos, ich habe nicht das winzigste bisschen an Kontrolle.
Und dann klopft meine Hand an die Tür des Chemieraums. Mir wäre längst der Schweiß ausgebrochen, doch er zeigt nicht mal etwas an Nervosität. Mein Körper steht entspannt vor der Tür und wartet, dass jemand öffnet.
»Vinisha, wie kann ich dir helfen?«, fragt Frau Neus.
»Entschuldigen Sie bitte, Frau Neus. Ich bin hier, weil ich mit Roux ins Sekretariat kommen soll«, sagt er engelsgleich. Es ist so gruselig ihn mit meiner Stimme sprechen zu hören.
»Was hat er denn getan?«, fragt sie und ich hoffe, dass sie ihm damit eine Frage gestellt hat, die er nicht beantworten kann.
»Sie haben es noch nicht gehört?«, fragt er und zieht meine Augenbrauen hoch. »Er hat in den Toiletten ein Feuer gelegt. Zum Glück konnte es schnell gelöscht werden. Und ich bin Zeugin.«
»Oh, das ist mir wirklich neu. Ich wusste nicht, dass er so gewalttätig ist. Ich rufe ihn gleich raus.« Damit schließt sie die Tür wieder und er verzieht meinen Mund zu einem süffisanten Grinsen.
›Wie kommst du auf sowas?!‹, frage ich ihn, wobei ich wirklich gern wissen würde, wie er es schafft, sich in so kurzer Zeit so etwas auszudenken.
›Ich find das passt zu ihm.‹ Diese Antwort habe ich nicht erwartet, aber es ist mir momentan auch eigentlich egal. Es gibt gerade Wichtigeres.
Kurz darauf verlässt Roux mit einem genervten Gesichtsausdruck den Raum und lehnt sich neben der Tür an die Wand.
»Was ist dein Problem? Und was hast du der Neus erzählt? Sie hat mich angesehen, als wäre ich -«
Er bricht den Satz ab, als mein Körper einen raschen Schritt auf ihn zu macht und sich meine Hände um seinen Hals legen.
Ich frage mich, ob er ihn wirklich erwürgen könnte. Wie viel Kraft braucht man dafür? Ist mein Körper dazu in der Lage? Doch dann fällt mir auf, dass er gar nicht wirklich zudrückt. Trotzdem windet Roux sich unter meinem Griff.
»Cath«, keucht Roux und die Feindseligkeit in seinem Blick ist allumfassend.
Dann beginnt meine Sicht zu verschwimmen und ich vermute schon, dass ich ohnmächtig werde, doch das stimmt nicht. Es ist … Nebel. Dichter, dunstiger Nebel, der mich umgibt.
»Verdammt!«, flucht meine Stimme. Mein Körper bewegt sich schnell und ich glaube, dass er alles nach Roux ab sucht. »Zu spät!« Ich höre seine Verärgerung in meiner Stimme.
Auf einmal lichtet sich der Nebel - und Roux ist verschwunden.
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