Taehyung

Der Tag zog als eine wattige, schwammige Masse an ihm vorbei und Taehyung hatte Schwierigkeiten zu sagen was wirklich passierte und was nicht. 

Thannam, Hobi, Chora, Jimin ... Knüsseln? 

Alles ein Film ohne Ton, nicht in der richtigen Reihenfolge abgespielt und verschwommen, als würde er sich das ganze durch Wasser ansehen. Nichts sagend. Verwirrend. Er hatte weder über seinen Körper, noch über seinen Geist wirklich Kontrolle.

Schluss damit. Es kotzte ihn an. Taehyung fing an zu kämpfen. 

Wo war seine Hand? Er konnte sie ballen, das musste er hinbekommen. Ganz bewusst, denn es war seine verdammte Hand. Was war das Letzte an das er sich wirklich erinnern konnte? Schmerzhaft sprang ihm das Bild vor Auge, wie der Titan Jimin erwischte.

Das würde sich wahrscheinlich für immer in seine Netzhaut einbrennen. Es hinterließ eine Narbe in Taehyung und riss eine tiefe Wunde in Taehyungs Selbstvertrauen.

Wie hatte er das zulassen können? Er war der beschissene Protector, seine Aufgabe war es seine Leute zu beschützen und Jimin war wohl möglich inzwischen tot, während er einen Drogenrausch ausschlief, getötet von Taehyungs Unfähigkeit den Titanen richtig einzuschätzen.

Der Titan war nicht schlau gewesen. Um Himmels  Willen, nein, das war er nicht. Im Gegenteil er war strohdumm. Schlau war nur der, der ihn geleitet hatte. Taehyung war völlig schleierhaft, wie man einen Titanen steuern konnte, doch es war im Nachhinein mehr als offensichtlich, denn als der Titan Jimin erwischte, war er Taehyung ins offenen Katana gelaufen - zumal sich Jimin eigentlich an einer sicheren Stelle befunden hatte, als das Vieh plötzlich durchdrehte und sein Bedürfnis Jimin zu fressen über das stellte am Leben zu bleiben. 

Das war wider jedem natürlichen Verhalten eines Tieres. Technisch gesehen machte sich ein Tier nur Gedanken um eine Sache: Wie überlebe ich lange genug, um meine Gene in die nächste Generation zu schleudern? Naja, zum Beispiel in dem man nicht den Pathfinder kaut und sich damit dem Protector vor die Füße wirft, der einen dann der Länge nach aufschneidet. 

Ein Bauernopfer...
Eine klare Anweisung. 

Geh vor die Hunde, aber nimm den Pathfinder mit. 

Das Schachbrett musste neu überdacht werden. Irgendwer spielte mit ihnen und dieser jemand war bereit Figuren zu opfern. 

Wie auch immer, das alles lief aus dem Ruder. Doch immerhin konnte Taehyung seine Erkenntnisse in klaren Bahnen lenken. Schön, wenn das Hirn wieder funktionierte. 

Was kam danach...? Das Letzte voran sich Taehyung zu hundert Prozent erinnern konnte war, dass er seinen Schuh auf den Knopf geworfen hatte, der Hoseoks Warnleuchte aktivierte, weil dieser Klugscheisser Ferrys meinte, es würde reichen einen Boten zu Hoseok zu schicken, das ginge schnell genug. Daraus war ein ziemlicher Tumult entstanden. Allem was danach kam traute Taehyung nicht wirklich. 

Er konzentrierte sich auf das hier und jetzt, bemühte sich irgendwie seine Sinne anzuschalten. 

Es roch nach Chora. Dass seine Schwester in seiner Nähe war wunderte ihn nach allem was passiert war nicht wirklich. Er spürte ihre Finger durch sein Haar gleiten und die Geste hatte etwas extrem Tröstendes. Doch irgendwie machte sie Taehyung auch traurig, erinnerte ihn Chora so fast schon viel zu sehr an ihre Mutter.  

Außerdem roch es nach ... Leder? Das machte schon weniger Sinn. Genauso, wie die Geräusche eines Verbrennungsmotoren und der Klang von merkwürdiger Pop-Musik, die mit einander kämpften. 

Wo zur Hölle waren sie??

Taehyung versuchte die Augen zu öffnen, doch seine Lieder waren so schwer, genau wie sein kompletter Körper. Körper und Geist waren sich nicht ganze einig. 

Der Körper war mehr so: Ach, komm, lass gut sein, Dude. Lass noch ne Runde pennen...
Aber der Geist war eher: NOT TODAY! Bitch.

Taehyung gab sich selber einen mentalen Arschtritt, bevor er wieder in die wattige Dunkelheit hätte abdriften können. Folglich gab die Starre endlich nach und Taehyung gewann mehr oder weniger zappelnd sein Bewusstsein endgültig zurück.

Beinahe hätte er Chora erwischt, doch die neigte sich schnell zur Seite und Taehyung fand Halt an der Lehne des Sitzes, um sich aufzustützen. Er blinzelt, drehte den Kopf und sah in das niedliche Dollface seiner kleinen Schwester. Er brauchte noch ein paar Momente um wirklich wach zu werden. "Jimin?", fragte er nur.

"Anwesend", lautete die flapsige Antwort von vorn. Warte was? Taehyung drehte sich, so dass er auf dem mittleren Sitz endlich saß und nach vorne sehen konnte.

Auf dem Fahrersitz saß Jimin und fuhr. Erleichterung durchströmte Taehyung. Jimin war okay. Er lebte. Also war es Hoseok gelungen ihn irgendwie zu retten und Jimin war dem Tod noch mal von der Schippe gesprungen. Apropos Hoseok. War da nicht was?

Taehyung entschied sich, sich darum später zu kümmern und sich auf das Dringlichste zu konzentrieren.  "Was machen wir in Korea?" "Was wohl, wir erfüllen meinen letzten Wunsch." Jimin wirkte sehr zufrieden mit sich selbst. "Du bist aber nicht tot, du Penner!" Wollte er ihn verarschen, oder was? Mal abgesehen davon, dass sie ihn offensichtlich mehr oder weniger entführt hatten, war Jimins Zustand sicher nicht grade großartig und auch Chora hatte hier verdammt noch mal nichts verloren. 

Langsam aber sicher wurde der Flieder sauer. "Fahr rechts ran", grollte er. "Taehyung jetzt beruhige dich, es ist-" "Fahr.rechts.ran." Jimin seufzte und machte am Straßenrand halt. Taehyung schnaubte und dann erfüllte für ein paar Minuten bleiernde Stille den Wagen. 

"Was denkt ihr euch dabei?! Chora, du warst ja wohl lang genug in Korea und hast genug Zeit verloren! Du hast hier nicht zu suchen, für die nächsten 10 Jahre, in Curare-Zeit gesehen! Und du Jimin gehörst ja wohl sowas von auf die verdammte Krankenstation! Und ich war bis vor etwa vier Minuten noch geistig abwesend und davor völlig stoned! Also wie kann es sein dass wir hier sind?!" 

Jimin seufzte und dreht sich zu ihm. "Ich seh mir das nicht mehr mit an, Tae. Vor allem nicht nach heute! Es kann so schnell vorbei sein und dann hast du keine Chance mehr es richtig machen, okay?! Kapierst du das? Und wenn ich dafür ausnutzen muss, dass du völlig drauf bist, weil du stoned weniger ein Vollidiot bist, als nüchtern, dann tu ich das verdammt noch mal. Lilly ist ein Voyager, zur Hölle. Wenn uns jemand sicher hier durch bringt, dann bist das nicht du und auch nicht ich, sondern sie. Ich will das alles hier auch nicht mit unnötigen Diskussionen in die Länge ziehen! Wenn dieser scheiß Stein aufhört zu wirken, dann will ich meinem Mate in die Arme fallen, also wehe du versaust mir das! Und komm mir nicht mit: Ich habe eine Entscheidung getroffen, blablablabla. Dein Jungkook braucht nämlich ganz dringend ein fettes Exit-Zeichen aus dieser Welt. Lilly?" 

Taehyung wollte was erwidern, doch seine Schwester brachte ihn mit einem angesäuerten Blick zum Schweigen. "Wenn du mit mir geredet hättest, dann wüsstest du das, Taehyung", meinte sie fast ein bisschen kühl. "Sagen wir Jungkook... ich denke er wäre ganz froh, wenn er hier weg könnte, den ihm machen genug Leute genug Probleme. Vorsichtig formuliert." Vorsichtig formuliert? Was wollte sie ihm sagen? Taehyung spürte sofort eine gewisse kalte Wut in sich, die ihn gefährlich machte. Nicht für Chora oder Jimin, natürlich nicht. Aber für alles und jeden, der einen seiner Leute anfasste. Und hier ging es, um seinen Mate. Taehyung war nicht umsonst der Protector. Das war nicht nur ein Titel, es war eine Lebenseinstellung. 

Er spürte wie Chora ihm eine Hand auf den Oberarm legte. "Beruhige dich erst einmal, Tae. Bitte. Lass deine Rachepläne stecken und es gut sein. Wir nehmen ihn einfach mit und machen keinen Aufstand, okay?" "Woher weißt du das?" Chora bedachte sie mit einem Seitenblick. "Du bist mein Bruder, ich weiß was in deinem Protector-Hirn  vor sich geht." Taehyung zischte. "Das meine ich nicht. Ich meine Jungkook." 

Taehyung gefiel nicht, wie Lilly nervös wurde und auf ihre Hände starrte, bevor sie antwortete. "Jungkook ist ein Mensch, der seine Probleme eher einer Topfpflanze anvertraut, als seine Freunde damit zu belasten." Sie schnaubte leicht. "Eine Sache, die du auch bringen würdest." 

Taehyung seufzte frustriert und wandte den Blick zur Decke des Autos. "Es sind noch 30 km, Tae", hörte er Jimin sagen, "nur 30." Taehyung wandte den Blick wieder nach vorn und nickte auf den Beifahrersitz. "Du gehst schön darüber." Jimin grinste und stieg aus und Taehyung kletterte nach vorn auf den Fahrersitz, während sich Jimin, wie der letzte Assasine, über die Motorhaube rollte. Taehyung wartete bist Jimin eingestiegen war und fuhr an. Es wurde Zeit seine Mate zu holen. 

***

Als sie letztendlich an dem Hochhaus ankamen, erfüllte Taehyung eine Aufregung, die ihn schon fast fertig machte. Er hoffte, dass Jungkook da war. Jetzt, wo die Entscheidung ihn mitzunehmen erst einmal gefallen war, wollte er auch nicht mehr warten. Den Fahrstuhl ließ er links liegen, weil er zu nervös war auf das verdammte Ding zu warten, was auch nur zur Folge hatte, dass er trotzdem zeitgleich mit Jimin und Lilly da oben ankam, nur war er deutlich mehr außer Atmen. Taehyung ignorierte die Erkenntnis und drückte die Klingel. 

Nichts passierte.

Er drückte die Klingel noch mal, doch wieder passierte gar nichts. "Scheinbar ist er nicht da", meinte Jimin und setzte sich auf die Treppenstufen. Taehyung schnaubte ungeduldig und holte Dietrich und Spanner aus der Tasche. Warum hatte er nur so ein ungutes Gefühl bei der Sache? Er machte sich an dem Schloss zu schaffen, bis es mit einem leisen Klicken nachgab. Dann stieß er die Tür auf und ging in die Wohnung.

Er hatte damit gerechnet, dass Jungkook ihn irgendwie bemerkt hatte in der Nacht. Auch damit dass er ihm vielleicht Angst gemacht hatte. Doch nicht damit, dass er ihn vielleicht so verängstigt hatte, dass der gleich auszog. 

Denn die Wohnung war leer.