III
Dem Tod so nahe kommen, dass man geküsst wird. – Debra Wings
„Sie hat die Waffe!" Unwillkürlich wichen selbst die Mitglieder der Hohen Garde vor Vios schimmernde Kuppel zurück. „Die Waffe, die selbst Unsterbliche töten kann." Das Gemurmel um mich herum schwoll an, bis es plötzlich ganz still wurde.
Goldene Flammen schossen aus dem Messer hervor als Vio es hochhielt. Der Offizier war weiß wie ein Skelett geworden. Er wusste, dass sein Schicksal besiegelt war. Vio hatte ihm etwas zugeflüstert und blickte jetzt von oben auf ihn herab. Sternenförmige Funken trafen zischend auf die Kuppel und zerplatzten, goldene Schatten tanzten erwartungsvoll um Vio und das Messer herum. Dann stach sie es dem Offizier in die Brust. Die Flammen zerfraßen ihn und er zerfiel zu Staub, von dem einen Sekundenbruchteil später nichts mehr zu sehen war.
Ihre Augen glühten silberblau als sie den Blick hob und meinen suchte. Die goldenen Schatten erhoben sich noch einmal, schwebten über Vio wie eine Feuerkrone. Alle verharrten einen Moment ungläubig. Die Hohe Garde hatte sich zuerst gefangen und Baseel der zweite Offizier murmelte leise Befehle. Doch ich konnte meinen Blick nicht von ihr nehmen. Die Fangzähne waren eindeutig. Vio war eine Dämonin. Und sie hatte den Offizier der Hohen Garde umgebracht.
Das würde als eine der größten Ermordungen aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Gleich nach Beelzebubs, der von Balthazar getötet wurde. Mit der ersten mächtigen Waffe aus einer Prophezeiung. Mit diesem Tod war der erste Teil der uralten Prophezeiung der Schicksalsgöttinnen wahrgeworden. Sie würden Vio niemals mit der Waffe gehen lassen.
Die Hohe Garde hatte Vios Kuppel umstellt, aber jetzt, da sie in Sicherheit war, gab es kein Halten mehr für mich. Alicia konnte mir noch so viel Blut abzapfen. Der Offizier konnte Vio nichts mehr tun. Ich hätte ihn sofort umbringen müssen, als er drohte sie gefangen zu nehmen. Aber meine Angst um ihre Sicherheit war zu groß gewesen, deshalb war ich mitgegangen.
Ich rief mein Seelentier und gab dem Zischeln auf meiner Brust endlich nach, indem ich Chimi frei ließ. Die Chimäre manifestierte sich vor aller Augen – anmutig wie eh und je – und postierte sich dann demonstrativ neben mir. Ursprünglich machte sie Jagd auf Menschen, aber mit meiner Hilfe hat sie erkannt, dass Dämonen ein viel ansprechenderes Ziel sind.
Da die wenigsten wussten, dass sie in meinem Besitz war, hatte ich mit Überraschung gerechnet, aber sie wichen regelrecht zurück. Äußerst befriedigend. Ich vergaß immer mal wieder wie angsteinflößend Chimi aussah, und dass, obwohl sie gerade nur in ihrer Schlangenform war und ihre anderen Gestalten verbarg. Es war ihre Lieblingsform, Chimi war eitel und ihre Schlangengestalt hatte schöne dunkelgrüne Schuppen und stechend goldgelbe Augen. Dazu war sie ziemlich groß und ihr Gift auch für Dämonen schädlich.
Vio wischte sich das Blut vom Kinn und richtete sich auf. Sie wirbelte das Messer in ihrer Hand, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht. Ich hörte die Dämonin neben mir von der Prophezeiung murmeln. Vios Blick wanderte über die umstehenden Dämonen und blieb an Azalee hängen, die sich unauffällig weiter nach vorne manövriert hatte und nun direkt vor einem Soldaten der Hohen Garde stand.
Fenrir trat aus meinen Schatten in den Saal. Die Anspannung stieg. Blicke wurden gewechselt und Hände tasteten nach Schwertergriffen. Die Dämonen meines Hauses hatten sich um die Hohe Garde herum postiert. Wir waren zahlenmäßig unterlegen, aber Fenrir und Chimi glichen das aus. Jedenfalls solange die Seelentiere der Hohen Garde nicht ebenfalls gleich auftauchten.
Vio betrachtete Fenrir aufmerksam und der riesige Wolf blinzelte sie aus seinen bernsteinfarbenen Augen an.
„Vio, das ist Fenrir, mein Mate. Fenrir, das ist Vio." Der Wolf senkte einen Augenblick den Kopf. Die Fackeln an den Wänden ließen sein graues Fell bläulich schimmern. Vios und sein Kopf waren jetzt exakt auf einer Höhe, als sie ihren schief legte und dann nickte.
„Ramiel, sagt ihr, dass sie uns die Waffe geben muss." Baseel ließ Vio nicht aus den Augen. Er taxierte sie gierig. Ich kannte diesen Blick. Es war derselbe wie der des Offiziers. Sie sahen in ihr nicht mehr als eine Trophäe, die es zu gewinnen gab. Zum Glück kannten sie sie nicht. Und Gnade ihnen Gott, wenn Vio es herausfindet.
„Ich werde dir alles erklären", versprach ich ihr. Vio blieb völlig reglos. Nicht einmal ich konnte ihr ansehen, ob sie meinen Gedanken hören konnte.
„Ich bezweifle, dass du das kannst." Sie antwortete, doch meine Erleichterung blieb aus. „Ich bezweifle, dass du ehrlich sein kannst, Prinz." Die spitze Betonung auf meinen Titel war mehr als deutlich.
„Er hat gesagt, er wird dich nach der Zeremonie gehen lassen. Meine Freiheit gegen deine. Das war der Deal."
„Sicher?" Sie klang spöttisch. „Mir hat er etwas ganz anderes gesagt." Ihr Ton war bissig. Ich spürte, dass sie etwas hinzufügen wollte, sich aber im letzten Moment davon abhielt. Dann sperrte sie mich aus. Es war wie eine riesige, schwere Tür, die sie direkt vor meiner Nase und mit voller Wucht zuknallte.
Ich hätte ihm alles von mir gegeben, damit sie in Sicherheit ist. Ich wäre auf jegliche Forderungen eingegangen. Und das hatte er gewusst und ausgenutzt. Cael hatte recht. Sie war meine Schwachstelle. Meine Achillesferse.
„Sie ist anwesend und mag es nicht, wenn über sie gesprochen wird, als wäre sie nicht da, Baseel." Vio funkelte den zweiten Offizier an, als wäre er ein lästiges Insekt, das man dringend entfernen musste. „Noch so ein frauenfeindliches Arschloch", seufzte sie und ging kurzerhand zu einem Soldaten der Hohen Garde und knöpfte ihm seinen Umhang auf. Er wusste gar nicht, wie ihm geschah. „Ich darf doch?" Sie warf sich den Umhang über und ihre Haare und die rosa Strähnen schimmerten auf dem mattschwarzen Umhang wie gesponnenes Gold.
Sie drehte eine Runde in dem Kreis, den die Soldaten der Hohen Garde um sie geschlossen hatten. Der Pfotenabdruck auf ihrem Schulterblatt leuchtete glühend rot.
Nachdem Vio derart viel uraltes Blut getrunken hat, war es nahezu unmöglich, dass sie nicht in einen Machtrausch oder gewissen Größenwahnsinn verfiel. Vor allem weil sie keine vollständige Dämonin war. Sie konnte nicht sie selbst sein, aber irgendwie war sie es doch. Nur noch unerschrockener. Noch mutiger. Noch gefährlicher.
„Ich habe einen Vorschlag, zweiter Offizier." Sie blieb vor ihm stehen. Ihr Schild schimmerte wie ein goldener Film auf ihrer Haut. „Da ihr ja so auf alte Traditionen steht, biete ich euch eine. Und zwar fordere ich euch zum Duell." Baseel und sein Gefolge brachen in hämisches Gelächter aus. Die Dämonen, die weder meinem Haus noch der Hohen Garde angehörten, zogen sich weiter zurück.
Doch bevor Baseel die Aufforderung annehmen konnte, veränderte sich die Temperatur im Raum. Ich fluchte und biss die Zähne hart aufeinander. Nicht jetzt, verdammt. Azalee war neben mir angekommen, ihr Blick wurde mitfühlend und sie legte zitternd eine Hand auf meinen Arm.
„Ich habe es die letzten Male geschafft. Auf ein weiteres kommt es auch nicht an", versuchte ich das Kommende herunterzuspielen. Chimi kam zu mir zurück und legte sich warm auf die Haut über meinem Herzen. Fenrir knurrte ein letztes Mal, bevor er meinen Anweisungen folgte und zurück in die Schatten trat.
Azalee nickte verkniffen. „Du wirst zurückkommen zu uns. Zu ihr."
Vio stand noch immer vor Baseel, die Miene neutral, aber sein vorfreudiges Grinsen irritierte sie merklich.
„Kümmere dich um sie, ja?" Ale versprach es mir. Die Feuer an den Wänden erloschen. „Ihr müsst Azael und Cael aus der Finsternis holen. Er hat sie da eingesperrt."
„Mach dir keine Sorgen um uns." Die Temperatur stieg weiter und die goldenen Wände begannen rot zu leuchten. Die Dämonen flohen. Nur die Hohe Garde und die meines Hauses blieben zurück.
„Sag es ihr nicht."
„Das ist nicht dein Ernst?!" Ale sah mich an, als wäre ich verrückt geworden.
„Wenn sie es wissen würde..." Ich ließ den Rest des Satzes unausgesprochen. Wenn es andersherum wäre, würde ich alles riskieren, um sie zu befreien. Und Vio war unfassbar eigensinnig und stur. Und viel mutiger als gut für sie war.
„Das ist ein Befehl."
„Ich scheiße auf deine..."
„Und eine Bitte", fügte ich hinzu. „Ich würde es nicht ertragen, wenn sie auch dort wäre." Allein der Gedanke daran war pure Folter.
„Ramiel..."
„Ich schaffe es sonst nicht, Ale." Sie wusste, dass es stimmte. Dass ich das, was mir bevorstand nur durchstehen würde, wenn ich Vio in Sicherheit wusste. Egal, wie sauer sie auf mich wäre. Egal, ob sie danach nie wieder ein Wort mit mir wechseln würde. Hauptsache, sie musste nicht dorthin. Die Wände glühten jetzt dunkelrot und begannen zu dampfen. Vio kam unsicher auf uns zu und suchte meinen Blick.
„Warte nicht auf mich."
„Was?" Sie funkelte mich wütend an. Ihre Unsicherheit war vergessen. Das Silber in ihren dunkelblauen Augen ließ nach.
Der Boden begann zu beben. Unbewusst rieb ich mit der Faust über mein Brustbein. Vios Blick folgte meiner Hand, ihre Wut ebbte ab, stattdessen bekam sie Angst.
Sie rümpfte die Nase. Fauliger Schwefelgeruch befiel den Raum. Dann verstand sie es. Das Messer fiel aus ihrer Hand und landete klirrend und zischend auf dem Boden. Niemand machte Anstalten es aufzuheben.
Vio trat den letzten Schritt auf mich zu und ich lehnte meine Stirn an ihre. Ich spürte, wie die Wunden an meinem Rücken wieder aufplatzten und warmes Blut zu Boden tropfte.
„Du bist alles, was ich immer wollte und alles, was ich nicht verdient habe", sagte ich leise. Ich bekam kaum noch Luft, die Hitze und die Erinnerungen schnürten mir die Kehle zu. Meine Hände zitterten, als ich die lederne Schnalle an ihrem Hals öffnete. Das Band fiel rasselnd zu Boden.
Vio beugte sich zu mir, bis ihr Atem meine Lippen traf. Der Anblick ihrer pechschwarzen Wimpern, die ihre meerblauen Augen umrahmtem, die noch immer von silbernen Schlieren durchzogen waren, brannte sich in mein Bewusstsein. Flatternd schlossen sich ihre Augen und dann küsste sie mich. Und plötzlich war alles vergessen. Die Schmerzen, die mir bevorstanden, die Dunkelheit, die Qualen. Die Hitze, die weiter anstieg und das Stöhnen der ersten Dämonen, als ihr Blut zu kochen begann.
Alles, was ich spürte waren ihre weichen Lippen. Der Geschmack von Blut auf ihrer Zunge, die Spitzen ihrer scharfen Zähne, die ich erkundete. Ich spürte ihren erhitzten Körper an meinem, ihr pochendes Herz. Ihre Hände, die über meinen Rücken strichen, meinen Nacken und meinen Hals entlangfuhren.
Ich zog sie noch fester an mich, meine Hand an ihrem Hals, mein Daumen an ihrem Kinn. Und die Erinnerung an unsere erste Berührung in der Bibliothek blitzte auf. Dieser Kuss war mehr als ich mir jemals erträumt hatte. Viel mehr. Und ich wusste, dass wie auch immer es enden würde, dass hier alles wert gewesen war. Und was immer noch geschehen wird, die Erinnerung an diesen Kuss mich aufrecht halten wird. Sie wird mich zurückkommen lassen, denn ein Teil von mir, würde nicht brechen. Nicht dieses Mal.
Azalee schrie. Ich öffnete die Augen und wünschte mich sofort in die Benommenheit des Kusses zurück, denn aus der meterhohen goldenen Wand neben uns, formten sich dämonische Züge. Teuflische Züge, um genau zu sein. Ich hielt Vio fest und sie mich. Den Kopf an meine Brust geschmiegt, sahen wir zu, wie das Gesicht meines Vaters sich vor uns manifestierte. Die Dämonen um uns herum waren auf die Knie gesunken, sie hielten schreiend ihre Augen zu, versuchten blutende Wunden zu stoppen und verbrannten sich an der flirrenden Hitze, die in der Luft lag. Es roch nach verbrannter Haut, nach Schwefel, nach Tod. Alles um uns herum glühte, doch Vio strahlte ein kühles Pochen aus. Ich sah hinunter und auf dem oberen Punkt ihres Brustbeins breitete sich ein silberner Schimmer aus. Einen Moment war ich wie gebannt. Dann schob ich reflexartig den Umhang davor.
„Mit einer Sache hatte Alicia Recht." Vio küsste mich zärtlich auf den Mund. „Dein Kuss ist es wert zu sterben."
Ich wollte ihr so viel sagen. Dass ich zu ihr gehörte, seit ich sie das erste Mal gesehen hatte. Dass ich ihr überall hin folgen, sie immer finden würde. Dass ich dankbar war für jede Nacht, die wir gemeinsam verbracht hatten. Für jede Sekunde, in der ich sie beim Lesen beobachtet hatte. Für jeden Moment, den ich in ihrer Nähe sein durfte.
Stattdessen zitierte ich einen Teil der uralten Prophezeiung. „Aus Schatten geschmiedet – von Sternen gekrönt." Sie blinzelte mich an, Tränen standen in ihren Augen. Aber ihre Entschlossenheit war unverkennbar.
„Noch nie hat mich jemand so angesehen, wie du, Vio. Als wäre ich wertvoll." Ich küsste sie, schmeckte das Salz unserer Tränen. „Ich danke dir dafür." Glühende Hitze legte sich auf meine Haut, verbrannte die Wunden an meinem Rücken, erstickte die Luft in meinen Lungen und holte mich zu sich.
„Das ist unser Anfang nicht das Ende. Das ist kein Abschied. Hörst du, Ramiel?" Sie schluchzte, als ich fortgerissen wurde. „Das ist kein Abschied!", hörte ich sie brüllen, als die Hand des Teufels mich fortzog. Fort in die Tiefen der Hölle, jene Abgründe, denen selbst Dämonen fernblieben.
ENDE
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Super super super gerne hätte ich jetzt deine Meinung zu der Geschichte insgesamt und zum Ende. Ich habe noch keinen zweiten Teil geschrieben, deshalb kann ich die Motivation sehr gut gebrauchen!🧡
Was hast du besonders gerne gelesen? Wovon wünschst du dir mehr? Was ging dir beim Lesen der Geschichte durch den Kopf?💛
Das Feedback am Ende meiner Bücher ist eines meiner absoluten Highlights 💜
Es sind wahrscheinlich nicht alle Fragen geklärt, weil ich einige erst im Laufe des zweiten Bands auflösen werde💚
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