chapter 69
„In diesem Spiele ist es die Königin, die dem König am meisten zusetzen kann; alle übrigen Figuren unterstützen sie." - Teresa von Ávila
„Vio, wappne dich." Die Stimme meiner Großmutter klang genauso eindringlich und fest wie früher als sie mir von den Runen und ihrer Bedeutung erzählt hatte. „Sie kommt zurück und das nicht allein. Was du gemacht hast, war unbedacht, mutig, aber dennoch unglaublich töricht. Sie kommt zurück und sie ist zornig. Da ist so unglaublich viel Wut und Hass. Ich kann ihn riechen, weißt du? Den Hass, den metallenen Geruch nach Blut, das sie vergießen will. Ich spüre ihn bereits, den Schmerz, die Qualen, die ihre Vergeltung sein werden. Ihre blutdürstige Rache, sie kommt näher. Sie ist bereits auf dem Weg zu dir."
Ich flehte mein Bewusstsein an, endlich aufzuwachen, aus diesem Alptraum und in der schützenden Dunkelheit meines Bettes aufzuwachen. Doch ich blieb, wo ich war, zusammengesunken neben dem Wasserspeier auf der Empore im Foyer, das Handy noch immer fest umklammert.
Unter mir öffnete sich eine der Flügeltüren, die zur Bibliothek führten und Morty und Pepper verließen das Foyer durch den Haupteingang. War seine Schicht zu Ende? Ich blieb wie versteinert auf dem kalten Steinboden sitzen, presste meine Stirn an den Sockel, auf dem der gotische Wasserspeier thronte, samt Horn, Flügeln und furchterregenden Augen.
„Oma?", flüsterte ich irgendwann heiser. Wenn das gerade kein Alptraum war, dann hatte sie mich angerufen, obwohl sie gerade keinen lichten Moment hatte. Das war vorher noch nie passiert.
Nach einer weiteren Ewigkeit schaffte ich es, trotz meiner stark zitternden Hände, mein Handy von meiner schweißnassen Wange zu nehmen. Mein Bildschirm war dunkel, sie hatte aufgelegt oder die Verbindung war unterbrochen worden.
Ich rief den Kontakt der Clayton auf, wofür ich unfassbar viele Versuche brauchte, sodass mir bereits Tränen der Frust in die Augen stiegen, bevor ich auf Anrufen gedrückt hatte. Ich biss mir so fest auf die Lippe, dass ich Blut schmeckte, dann ertönte das Freizeichen und ich konzentrierte mich auf meine Atmung, suchte mir ein Mantra, an das ich mich klammerte.
Atmen. Einatmen. Eins. Zwei. Drei. Ausatmen. Vier. Fünf. Sechs. Sieben. Dann wieder von vorne.
Ich zog meine Atemzüge in die Länge, doch mein Herz pochte immer noch derart heftig in meiner Brust, dass es wehtat.
„Guten Tag, Clayton Residenz für Seniorinnen und Senioren. Was kann ich für Sie tun?"
„Hier ist Viona Cartwright, meine Oma hatte gerade angerufen und die Verbindung wurde unterbrochen. Können Sie mich nochmal mit ihr verbinden?"
„Kleinen Moment, bitte." Ich wiederholte mein Mantra. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann meldete sich die Pflegerin wieder. „Das muss ein Missverständnis sein, Miss Cartwright. Ihre Großmutter macht gerade ein Schläfchen und hat in der letzten Stunde mit Sicherheit kein Telefonat geführt."
Der Kloß in meinem Hals wuchs. Tränen liefen mir über die Wange. Ich begann stoisch zu nicken. „Sie können es gerne zur Kaffeezeit ab drei Uhr nochmal versuchen, aber Sie wissen ja bereits, dass ihr Zustand sich aktuell zusehends verschlechtert." Sie wartete kurz, ob ich etwas sagen würde und fuhr dann fort. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?"
Ich räusperte mich, doch das Engegefühl in meinem Hals blieb. „Nein. Danke." Ich murmelte noch eine Verabschiedung, bevor mir mein Handy aus der Hand glitt und auf den Steinboden krachte.
Sie hatte doch mit mir gesprochen, gerade eben? Wie konnte das sein?
Verzweifelt war nicht ausreichend, um zu beschreiben, wie ich mich fühlte. Es war dermaßen unheimlich, dass ich zu frösteln begann und alles um mich herum in einen Dämmerzustand versank. Vielleicht war es doch nur ein Traum gewesen? Dabei hatte ihre Stimme so real geklungen. Bedrohliche Dunkelheit breitete sich um mich herum aus. Ich machte mich ganz klein und schirmte sie von mir ab. Und dann begann ich mein Mantra zu wiederholen. Bitte, bitte, lass es ein Traum gewesen sein.
Ich hörte eine Stimme. Ich konnte sie nicht direkt zuordnen, aber ich kannte sie. Männlich, melodisch, verwundert.
Ich öffnete blinzelnd die Augen. Ein Student kniete vor mir. Einen besorgten Ausdruck in den warmen dunkelbraunen Augen, die einen Moment lang silbern zu schimmern schienen. Dämon, kommentierte mein Unterbewusstsein trocken.
Ich blinzelte. Meine Lider fühlten sich zu schwer an. „Bel?" Es war der Student, der unten in dem Campus Laden arbeitete. Er war es gewesen, der mir nach Ezras erstem Überfall meine Tasche gegeben hatte. Wir hatten uns wiedergesehen, als ich im Laden die Sachen von meinem Geburtstag zurückgebracht hatte und er nichts Besseres zu tun hatte, als Ramiel zu rufen, anstatt meine Fragen zu beantworten.
Wieder hatte ich den Eindruck die Dunkelheit wurde näherkommen und ich machte mich wieder klein und festigte meine Abschirmung.
„Ganz genau. Hey, Vio, Ramiel ist schon auf dem Weg. Sie haben dich gesucht."
„Gesucht?" Das kam mir merkwürdig vor, immerhin konnten Ramiels Schatten mich aufspüren. Zu dem Schluss war ich jedenfalls gekommen, als er vor ein paar Tagen aus dem Nichts vor mir in der Bibliothek erschienen ist. Und das war schließlich nicht zum ersten Mal passiert. Meine Gedanken suchten sich wieder ihre eigene Wege, jäh unterbrochen von dem Klang seiner Stimme.
„Vio!" Ramiel trat aus den Schatten heraus. Ich legte verwundert den Kopf schief, er sah beunruhigt aus. Die schwarze, lederne Kluft lag eng an seinem muskulösen Körper. Er trug sie sonst nur in der Hölle. An seinem Gürtel funkelte ein Schwert, das ich bisher noch nie gesehen hatte. Der dunkle Stahl funkelte im Licht. Als ich Ramiel genauer ansah, bemerkte ich noch weitere Waffen. Darunter auch den Dolch.
Zwischen seinen Brauen hatte sich eine steile Falte gebildet und in seinen Augen tobte ein Sturm aus bodenlosem schwarz. „Es ist alles gut", wollte ich ihn beruhigen. Ich nuschelte jedoch so stark, dass ich verwundert innehielt. Es dauerte etwas, bis ich es geschafft hatte, mich in eine sitzende Position zu hiefen. Dabei fiel mein Blick auf die roten Flecken um mich herum.
Es waren nicht nur Flecken. Es waren Runen. Runen, die ich jedoch bisher noch nie gesehen hatte. Sie waren fremd, kantiger, ohne Schnörkel und sorgten dafür, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken lief.
„Was ist das?", fragte ich entsetzt und lehnte mich an den Sockel des Wasserspeiers an, versuchte möglichst viel Platz zwischen mich und die Runen zu bringen. Meine Beine, mein ganzer Körper fühlten sich an, als hätte ich gerade drei Reisen zur Hölle hinter mir.
Und dann sah ich Ramiels Entsetzen und bekam Angst. Bel war aufgesprungen und drei Schritte zurückgetreten. „Das kann nicht sein." Seine Stimme klang ungläubig. Erneut wanderte mein Blick über die blutigen Runen und etwas in mir wusste genau, worum es sich dabei handelte.
„Aber ich kenne doch gar keine...", setzte ich zu einer Erklärung an.
„Vio, das spielt jetzt keine Rolle. Brichst du sie?" Ramiel betrachtete mich eingehend. Er kam näher und blieb eine Armlänge von mir entfernt stehen. Ich nickte. Und ohne, dass ich bewusst daran denken musste, öffnete sich eine Wunde an meinem Unterarm. Ich tauchte meine Finger in das Blut und durchbrach die verschiedenen Runen.
Ich spürte wie die Kuppel, dich ich unbewusst zum Schutz um mich errichtet hatte, langsam schwächer wurde und sich zurückzog. Nachdem ich die letzte Rune durchbrochen hatte, fiel mir das Atmen augenblicklich leichter. Mein Körper fühlte sich noch immer tonnenschwer an, aber die Schmerzen waren um einiges abgeklungen. Ramiel hatte mich nicht aus den Augen gelassen. Seine Iriden funkelten noch immer onyx. Seine Anspannung war nicht gewichen. Ich sah es an dem Zug um seine schönen Lippen, an den Knöcheln seiner Hand. Doch am allermeisten beunruhigte mich dieser Schimmer in seinen Augen.
Ramiel streckte eine Hand aus, um mir hoch zu helfen und ich sah im Augenwinkel, wie Bels Augenbrauen senkrecht nach oben schossen. Ich nahm seine Hand oder besser ich wollte sie nehmen, denn als meine Hand nur Millimeter von seiner entfernt war, wurde Ramiel nach hinten gerissen und an die Wand geschleudert. Er ächzte und richtete sich dann stöhnend auf.
„Tja, da hast du deine Antwort", kommentierte Bel trocken und Ramiels Miene verzog sich vor Wut und Schmerz.
„Verschwinde", zischte er und im nächsten Moment war von Bel keine Spur mehr zu sehen.
„Was zur Hölle?", fragte ich und strich über meine Hand. Daraufhin meinte ich ein warmes Knistern zu spüren, konnte aber bei genauerer Betrachtung nichts sehen. Natürlich nicht, schellte ich mich.
Ramiel stand stöhnend auf und rieb sich den linken Arm. Er war frustriert und hob das Kinn, als er wieder auf mich zukam und vor mir stehen blieb. „Du hast einen Schutz um dich herum gebaut. Wie die goldene Kuppel im Wald." Er grinste schief, aber in seinen Augen lag kein anzügliches Funkeln, wie sonst. „Nur hast du diese hier mit dämonischen Runen verstärkt. Runen, die selbst mir nicht gänzlich bekannt sind. Und anscheinend ist ein Rest dieser Kuppel geblieben." Meine Gedanken waren bei dämonischen Runen hängen geblieben. Ich hatte sie in dem Moment erkannt, wo ich sie gesehen, nur Sinn ergibt es für mich in keiner Weise.
„Du kannst es dir wie einen magischen Schutzanzug vorstellen, der auf deiner Haut liegt." Ramiel musste mir ansehen, dass ich ihm nicht folgen konnte. „Man sieht ihn nicht, aber wenn dir jemand mit übernatürlichen Kräften zu nahe kommt, kriegt er ihn zu spüren."
„Aber woher...?", begann ich. Die Fragen kreisten in meinem Kopf wie ein Jahrmarktkarusell. Woher wusste ich von diesen Runen? Wieso kannte ich sie? Wieso war dieser Schutz nicht automatisch verschwunden, als ich die Runen durchbrochen habe? Und dann begannen sie wieder von vorne.
„Wie viel habt ihr über die Versuche der societas iustitiae mit Menschen und Dämonenblut herausgefunden?" Ramiels Stimme war gefährlich ruhig und seine Miene verschlossen. Ich sah Verzweiflung und den Frust, aber nur oberflächlich. Mehr ließ er mich nicht sehen.
„Nicht viel. Das war keines der Themen, die uns brennend interessiert haben." Mich irritierte seine Frage, aber ich war damit beschäftigt, erleichtert zu bemerken, dass mein Körper sich von der extremen Magieanwendung zu erholen schien.
„Vio." Sein durchdringender Tonfall ließ mich aufblicken. „Ich glaube, du hast Dämonenblut in dir."
„Vergiss es." Ich weigerte mich auch nur daran zu denken. Außerdem wirbelte die Stimme von meiner Oma durch meinen Kopf. Und ihre Worte waren wie ein Hurricane, der alles mit sich riss. Mir wurde schwindelig und ich zwang mich dazu mich zu konzentrieren.
„Wir sind hier nicht bei Supernatural." Ich stand auf und klopfte mir den imaginären Staub von der Hose. Irritiert bemerkte ich, dass durch die gusseisernen Bogenfenster Sonnenlicht schien. „Wie spät ist es?" Ich dachte, es wäre längst dunkel geworden.
„Gleich halb zehn."
Wieder warf ich einen prüfenden Blick nach draußen. „Wieso ist es dann noch so hell?"
„Es ist nicht noch so hell, sondern wieder, Vio. Du warst die ganze Nacht hier."
_____________
Was sagst du zu dem Kapitel?
Und vor allen zu diesem Zitat!? (Ich liebe es!!) und gesagt hat es niemand geringeres, als die Namensgeberin der Ávila University 💛
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro