chapter 50
2. Teil
Ich verließ das Wohnheim und machte mich ohne Umschweife auf den Weg zu Sumis Mutter. Ich hoffte, alle dort zu finden. Das Haus stand in einer ehemaligen gehobenen Siedlung voller Villen und war soweit wir wussten als einziges noch bewohnt. Und ja, es war haargenau so gruselig wie es sich anhörte.
Immer wenn ich durch dieses Dorf ging, beschlich mich dasselbe beklemmende Gefühl. Die ehemals prachtvoll angelegten Gärten hatten sich in wilde Jungels und unkontrolliert wachsende Dornenbüsche verwandelt. Das Wasser in den Brunnen war entweder grünlich und voller Seerosen oder das Becken war vollkommen ausgetrocknet. Durch die Münder beziehungsweise Krüge der Wasserspeier oder Jungfrauen floss schon längst kein frisches Wasser mehr und über dem ehemals glänzenden Marmor hatte sich ein braungrüner Pilz ausgebreitet. Die Villen waren verschlossen, doch nur einigen sah man den Zerfall tatsächlich an. Wären wir vier hier aufgewachsen hätten wir unsere Zeit sicher mit der Erkundung dieser Häuser verbracht und dabei eine Menge Spaß gehabt.
Ich lenkte mich weiter mit den Details um mich herum ab. Einer uralten Eiche, die meinem Lieblingsbaum im Park glich. Gusseiserne Bänke und Tore, von Rosen überwuchert. Einem weißen Sockel, der bestimmt einmal freistand, die Natur, die sich inzwischen jedoch ihren Platz zurückerobert hatte. Beim Anblick einer Weide wandte ich den Blick schnell ab.
Nachdem ich durch ein weiteres schmiedeeisernes Tor gegangen war, lag das Grundstück von Sumi und ihrer Mutter vor mir. Wie meistens blieb ich einen kurzen Moment stehen und betrachtete es eingehend. Das Herrenhaus mit seinen drei Etagen entsprach dem damals für das ländliche England gebräuchlichem karolinischem Baustil. Es besaß einen H-förmigen Grundriss und die Mauern bestanden aus weißem Kalkstein. Sumi hatte mal erzählt, dass es bereits im 17. Jahrhundert erbaut wurde, nach dem Vorbild des berühmten Belton House und genau so sah es tatsächlich auch aus. Die großzügige Gartenanlage war akkurat gepflegt und die kreisförmigen Wege um den imposanten Brunnen herum erweckten den Eindruck, als würden gleich zwei britische Damen mit Hut, Schirm und bodenlangen Kleidern aus einem anderen Jahrhundert entlang spaziert kommen.
Umso stärker war der Kontrast, wenn man das Haus betrat. Mrs Chang hatte eine ganz eigene Idee davon ein Haus einzurichten und liebte Stilbrüche mit Klasse und ihre Kultur. Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, wurde die Tür schwungvoll aufgerissen und Sumi sah mich mit großen Augen an.
Ramiel hatte gesagt, sie würden sich an nichts erinnern, nur daran, dass ich wieder da war. Ich grinste hilflos und bemerkte zu meinem Erschrecken, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Sumi stürmte auf mich zu und nahm mich fest in den Arm. Ich presste die Augen zu und erwiderte ihre Umarmung, war so unglaublich froh, wie sicher und vertraut mir meine Freundin war und einfach nur erleichtert, als sich Alex und Ellie unserer Umarmung anschlossen.
Es dauerte, bis wir uns wieder voneinander lösten, ich hatte meinen Kopf an Ellies Schulter gelegt und umklammerte sie immer noch ganz fest. Alex hielt meine Hand und machte auch keine Anstalten sie wieder loszulassen und Sumi stand mir gegenüber. Sie trug den Pullover ihrer Lieblings-K-Pop-Band und ihre Powerohrringe, auf denen die koreanischen Schriftzeichen für Liebe und Mut eingraviert waren. Ihr Dutt wurde nachlässig von zwei Stiften gehalten und ich sah ihr an, dass sie viele Fragen hatte, die ihr nahezu auf den Lippen brannten.
Das Einzige, was ich auf dem Weg hierher beschlossen hatte, war, mir keine Gedanken zu machen und einfach intuitiv zu entscheiden. Ich hatte Azaels Warnung noch deutlich im Kopf, was es für Menschen bedeutete, wenn sie von der Existenz Übernatürlichem wussten und die Dämonen darüber im Klaren waren. Andererseits hatte ich keinen blassen Schimmer, wie ich meine Abwesenheit erklären sollte oder die Tatsache, dass ich total fertig war und noch wichtiger: ich wollte sie nicht anlügen.
„Meine Mama hat Tee gekocht. Lass uns erstmal reingehen", entschied Sumi und scheuchte uns voran. Alle drei beteuerten mir immer wieder, wie froh sie waren, dass ich wieder da war und wie viel Sorgen sie sich gemacht hatten.
Wir ließen uns auf einem der dunkelblauen Sofas nieder. Ich lehnte mich an Ellie und gönnte mir noch einen Moment Ruhe, bevor Sumi mit dem Teetablett das Zimmer betrat. Sie goss den Tee ein und setzte sich zu Alex auf das gegenüberstehende Sofa, das in denselben Blautönen gehalten und ebenfalls mit senfgelben Zierkissen überschüttet war. Ich machte mich bereit auf den Ansturm von Fragen, doch als dieser ausblieb musterte ich die drei misstrauisch. Mrs Chang begrüßte mich nicht, sonst scharwenzelte sie immer wie ein Wirbelwind um uns herum. Das allein würde normalerweise ausreichen, um mich stutzig zu machen.
Ich richtete mich auf und sah von Alex zu Sumi und dann zu Ellie. Etwas stimmte nicht. In ihren Gesichtern fehlte die Leichtigkeit, die Unbeschwertheit, die unsere Freundschaft auszeichnete. Lag es daran, dass ich verschwunden war? Oder war in meiner Abwesenheit noch etwas anderes passiert? Hatten die Engel sie bedroht?
Ich suchte nach Blessuren oder anderen Anzeichen dafür, dass sie angegriffen worden waren, fand aber nichts.
„Vio", begann Alex schließlich und räusperte sich. „Wir haben etwas herausgefunden", fuhr sier fort. Sier rutschte unbehaglich auf dem Sofa herum und bedeutet Sumi fortzufahren.
„Dein Fehlen in der ersten Nacht haben wir noch hingenommen. Wir waren besorgt, aber als Azael uns versicherte, dass es dir gut geht, erst einmal besänftigt. Doch dann kamst du am nächsten Tag nicht zurück. Und an dem danach auch nicht. Wir haben sowohl die Polizei als auch Dumbledore über dein Fehlen informiert. Doch keiner hat reagiert. Das kam uns merkwürdig vor und hat unsere Sorge nur noch gesteigert."
Sumi senkte den Blick und nestelte am Bund ihres Pullovers. Sie wirkte unsicher, nahezu beschämt. „Wir haben deine Sachen durchgeschaut", gab sie leise zu. „Wir hatten so Angst, dass dir etwas passiert ist, nach diesem Angriff und allem..."
Ellie sah mich direkt an. „Wir haben den Karton unter deinem Bett gefunden."
Ich verdrehte die Augen. „Und haltet mich jetzt für verrückt?", fragte ich schief grinsend. „Ist das eine Intervention?"
„Nein, Vio. Das tun wir nicht."
Sumis Satz hin bedeutungsvoll in der Luft und es dauerte, bis er wirklich bei mir ankam.
„Wie meinst du das?" Ich war derart schockiert, dass Sumi kurz grinste, bevor sie wieder ernst wurde und fortfuhr.
„Das bedeutet, dass wir von der Existenz von Dämonen und Engeln wissen", ließ sie die Bombe platzen und ich war vollkommen baff. Es vergingen geschlagene Minuten, bis ich darauf klarkam.
„Und es kommt noch besser." Sumi beugte sich vor und jetzt sah ich, wie sehr ihr das Ganze hier gefiel. Ihr größter Wunsch war wahr geworden. Sie war in einem ihrer Fantasy Romane erwacht. Das war einfach irre. „Wusstest du, dass es mal eine geheime Organisation gab, die Dämonen und Engel auf der Erde überwacht haben?"
Ich erinnerte mich dunkel, dass Ramiel anfangs etwas derartiges angedeutet hatte. „Und?", fragte ich. Sumis Augen funkelten vor Begeisterung, während sie hibbelig mit ihren Ohrringen spielte.
„Hast du dich nicht gefragt, wieso es überhaupt Menschen an der Uni gibt?"
Ich blinzelte. „Ja, weil es zu auffällig wäre, wenn hier nur Übernatürliche studieren würden."
„Das ist zwar richtig. Aber wonach glaubst du werden die Menschen ausgewählt, die hier studieren?" Sie genoss ihre Rolle definitiv viel zu sehr.
Ellie stöhnte genervt. „Sumi! Beende diese Fragestunde endlich!"
„Es ist kein Zufall, dass wir hier studieren. Es gibt einen bestimmten Grund, und zwar weil unsere Vorfahren Mitglieder dieser Organisation waren. Von uns allen!" Sie deutet von Alex zu sich selbst und dann auf Ellie und mich.
„Wahnsinn, oder?" Sumis helle Begeisterung schien auf Alex abgefärbt zu haben, denn siene Augen funkelten aufgeregt. Sumi und sier wechselten einen vieldeutigen ich-kann-es-noch-immer-kaum-glauben-Blick. Ich sah zu Ellie, die als Einzige nicht begeistert schien.
„Was denkst du?", fragte ich sie.
Ellie schüttelte ungläubig den Kopf. „Du fragst mich, was ich denke? Vio, du hast gerade erfahren, dass deine Vorfahren Teil einer Geheimorganisation waren! Da kannst du mich nicht fragen, was ich denke."
„Und ob ich das kann!", widersprach ich ihr vehement und drückte ihre Hand.
Sie seufzte und ein Teil ihrer Anspannung verließ sie augenblicklich. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Klar, es ist cool. Aber wisst ihr, wie gefährlich das ist? Wie oft die Dämonen wahrscheinlich schon kurz davor waren uns umzubringen? Nur so zum Spaß? Du warst so gut wie Tod, als du vorhin aufgetaucht bist." Sie sackte noch tiefer in die Kissen zurück.
„Unsere Vorfahren müssen Mittel und Wege gehabt haben. Sonst wären sie niemals am Leben geblieben." Alex nickte bei Sumis Worten zustimmend.
„Du sagst es doch schon! Sie sind nicht mehr am Leben und diese Organisation ist nicht mehr existent. Selbst wenn es diese Mittel und Wege je gegeben hat, haben wir keinen Zugriff darauf." Ellies Hände waren ineinander verknotet. Ich spürte, wie schwer ihr das hier fiel und wie ungerne sie all das sagte. Aber ich verstand auch, dass nach allem was sie durchgemacht hatte, sie nicht immer mit einem positiven Ausgang rechnete. Nicht wenn es einen oft so viel schlimmer getroffen hat, als bereits befürchtet.
„Aber das ist es ja. Das versuche ich euch zu sagen." Sumi sah uns aufgeregt an. „Wir haben diese Mittel und Wege."
„Wie meinst du das?" fragten Alex und ich gleichzeitig.
„Meine Uroma war ein Mitglied und sie hat alles, was sie wusste, an meine Mutter weitergegeben. Deshalb ist sie hierhergezogen. Dahin, wo bereits ihre Mutter als junges Mädchen gelebt hat, in dieses Dorf, zu dieser Uni."
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Ein alles entscheidendes Kapitel! Was sagst du zu der neuen Entwicklung?💛
Und herzlich willkommen zu der Lesenacht, mit dem nächsten Kapitel könnt ihr hoffentlich in circa einer Stunde rechnen und dann kann ich euch vielleicht schon eine weitere kleine Veränderung ankündigen🧡
Was machst du heute und morgen schönes?✨
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