chapter 34
Junge Dämonen suchen sich oft ihre eigenen Familien. Die Dämonen, mit denen sie aufwachsen und trainieren, werden zu ihren besten Freunden, zu ihren Familien. Nur selten entstehen bei der dunklen Geburt von Dämonen zwei statt einem. Ihr Band ist
dann besonders stark.
- Vios Aufzeichnungen, Seite 40
Der Mythologie nach und den Legenden zufolge war das Zentrum des Himmels die Silberne Stadt. Und das, was ich sah, als ich oben angekommen war, entsprach ganz und gar nicht meinen Erwartungen.
Soweit das Auge reichte, sah ich goldene Dächer, funkelnde Säulen, glänzenden Marmor und strahlende Kuppeln. Alles glitzerte Gold. Es war beeindruckend, das musste ich zugeben, aber ich ließ mich nicht täuschen von dem goldenen Funkeln. Ich wusste, worauf dieser Ort gebaut war. Was ihn ausmachte. Knochen, Blut und Höllenquallen. Wortwörtlich.
Ich begann mit dem Abstieg. Außerhalb der Stadtmauer herum, auf der in regelmäßigen Abständen goldene Feuer brannten, war die Landschaft grau und trist. Vereinzelt bebte der Boden und die kleinen Steindünen entpuppten sich als aktive Vulkane. Je näher ich kam desto mehr roch ich es. Den Geruch aus meinen Träumen. Nach verbrannter Haut, nach salzigen Tränen der Verzweiflung, nach dem metallenen Geruch vergossenen Blutes, nach Schwefel.
Ich betrat die Stadt durch eine der vier vergoldeten Stadttore. Die Straßen waren aus schneeweißem Marmor, durchlaufen von goldenen Fäden und vollständig verwaist. Ich näherte mich dem Palast, ohne einer Dämonin, einem Dämon oder sonst jemanden zu begegnen. Er thronte auf einer Anhöhe mittig in der Stadt. Wieder bebte die Erde und ich verlor das Gleichgewicht und landete auf den Knien. Ich spürte sie mehr, als dass ich sie sah, die verlorenen Seelen, ihre Gefängnisse, ihr Leid. Ihre Schreie durchzuckten den Boden, ihre Qual war Teil dieses Ortes, mehr noch als das Gold, mehr noch als die brennende Hitze.
„Wenn haben wir denn da?", fragte eine Stimme hinter mir. Ich wirbelte herum. „Sieh mal an. Die meistgesuchte Nepheline seit Anbeginn der Zeit." Die braunhaarige Dämonin grinste mich anerkennend an. Ihre Haut war wunderschönen braun und ihre Augen strahlend hellblau. „Noch nie wurde so ein Wirbel um eine Frau gemacht, die zur Hälfte menschlich ist. Du hast meinen vollen Respekt." Neugier stand ihr ins Gesicht geschrieben, genauso gut zu erkennen, wie ihr goldener Brustpanzer und ihre Kampfmontur.
„Du erinnerst mich an jemanden", sprach ich das Erste aus, was mir in den Sinn kam.
„Gut möglich." Sie grinste und entblößte zwei sehr spitze Fangzähne, die ich anscheinend etwas zu unverhohlen anstarrte. „Sie sind schön, oder?" Ich nickte. „Du kennst vielleicht meinen Bruder."
„Deinen Bruder?", echote ich. Das war sicher nicht die Person, an die ich gedacht hatte.
„Ganz recht, Azael. Er hat nicht so viel Schönheit abbekommen wie ich, aber wer hat das schon?" Sie lachte und hakte sich dann bei mir unter. „Komm, Vi, du wirst sowas von erwartet und ich will auf gar keinen Fall etwas verpassen."
Sie nannte mich beim selben Spitznamen wie Azael und absurderweise mochte ich sie auf Anhieb. „Wie heißt du?"
„Azalee. Meinst du, wir sollten dir zuerst etwas anderes anziehen? Ich meine", sie zupfte an meinem zerstörten Hoodie, „das hier wird keine Begeisterung hervorrufen. Und vielleicht wäre es klüger dich nicht ganz so verletzlich zu präsentieren." Sie verzog nachdenklich die Lippen und ich stolperte fast als ich ihr absolut perfekt Augen Make-Up genauer betrachten konnte.
„Wieso das denn?", fragte ich verständnislos. Meine Prioritäten lagen definitiv nicht bei meinem Aussehen.
„Das wirst du noch früh genug herausfinden. Wie hast du es überhaupt hierhergeschafft?"
In letzter Zeit fand ich mich in derart vielen absurden Situationen wieder, dass ich diese hier zwar merkwürdig, aber dennoch irgendwie angenehm befand. „Alicia und Olivia haben mich netterweise auf diese Weise geschickt."
„Ja, das weiß ich. Aber woher wusstest du, wie du diese Reise heil überlebst und wie hast du es bis in die Goldene Stadt geschafft?" Sie schob mich um mehrere Ecken und durch einen hohen Torbogen, der wie alles in diesem Palast aus glatt geschliffenem Gold bestand. Keine Schnörkel, keine Verzierungen. Nichts.
Ich erzählte ihr die Kurzfassung und ließ nur die Begegnung mit dem Panther aus. Inzwischen war ich davon überzeugt, dass das eine Art Höllen Fata-Morgana gewesen sein musste.
„Du bist einfach immer weiter gegangen und ausgerechnet hier gelandet? Wenn das mal nicht eigenartig ist", befand Azalee. „Das ist mein Zimmer." Sie hob die Arme und drehte sich einmal um die eigene Achse.
„Okay?", antwortete ich trocken. Das Zimmer war genauso schlicht, wie der Rest des Palastes. Die Wände bestanden aus geschliffenem Gold. Das Bett, die Chaiselongue und die Frisierkommode hingegen waren pechschwarz.
Sie schob mich hinter einen ebenso schwarzen Paravent in der Ecke des Zimmers. „Ich suche dir was raus, kleinen Moment." Ich zog meinen Hoodie und die zerrissene Jeans aus. „Nochmal kurz zum Anfang deiner Geschichte. Du wusstest nicht nur, in welche Richtung du gehen musst, du wusstest auch instinktiv, wie du die Reise zur Hölle überlebst?"
„Wenn du mit instinktiv meinst, dass ich mich irgendwann nicht mehr gegen den Schmerz gewehrt, sondern ihm einfach nachgegeben habe, dann ja."
„Erstaunlich", kommentierte sie bewundernd. „Hier." Sie legte mir Kleidung auf den Paravent, die der ähnlich war, die sie selbst trug. Also enge ledernen Hosen, eine weiße lockere Bluse und einen goldenen Brustpanzer. „Vi, deine Schonzeit ist gleich vorüber und wenn du nicht nackt auftreten willst, würde ich mich beeilen." Schnell schlüpfte ich in die Sachen und als letztes in die Sandalen, die sie mir reichte.
Azalee klatschte begeistert in die Hände. „Ich hatte gehofft, dass sie dir passen, aber dass sie so gut aussehen. Wow!" Da kein Spiegel in der Nähe war, zuckte ich einfach mit den Schultern und versuchte mein Haargummi aus meinem Haar zu befreien. „Ich mache das." Sie entwirrte die Knoten und meine Kopfhaut seufzte erleichtert auf. „Tief durchatmen, Vi. Sie kommen."
Ich sah sie verwirrt an. Eigentlich sollte ich mich darüber wundern, dass sie so etwas wusste. Kurz verspürte ich den Drang sie in den Arm zu nehmen. „Danke Azalee", sagte ich stattdessen.
Sie sah mich entgeistert an. „Vi! Hat dir etwa niemand gesagt, dass du einer Dämonin nie danken darfst oder sie um etwas bitten? Das kann schnell nach hinten losgehen."
„Ähhh", machte ich bedeppert und just in diesem Moment wurden die Türen aufgestoßen. Dachte ich jedenfalls bei dem Windzug, aber es gab hier keine Türen.
Ramiel stand in der Tür. Schwarze, wildtanzende Schatten umrankten ihn. Sein Gesicht wirkte neutral, war aber bei genauerem Hinsehen brodelte es unter der Oberfläche. Er war flankiert von Azael und Cael und hinter den Dreien konnte ich weitere Dämonen ausmachen.
„Vio", donnerte er und seine Stimme ging mir durch Mark und Bein. Ich hatte schon immer extrem auf ihn reagiert, aber hier und jetzt, löste seine Stimme etwas in mir aus, was eigentlich nicht existierte. Seine Wut, die mit jedem Augenblick exponentiell zu wachsen schien, besänftigte die Wut in mir. Weil es ihm gut ging. Er war wütend, aber es ging ihm gut.
„Hey?" Ich sah von Ramiel zu Cael und zu Azael, aber ihre Mienen waren derart verschlossen, wie ich es vorher noch nie gesehen hatte. „Was ist?", fragte ich vorsichtig und Ramiel explodierte. Seine Schatten stoben auseinander und hüllten alles in eine absolute Dunkelheit. Gefährlich und lauernd spürte ich sie an meinem Körper entlangstreichen. Ich hörte, wie Azalee neben mir keuchte und jemand nach Luft schnappte.
„Ramiel, beruhige dich", ächzte Azael.
Azalee neben mir schnaufte. „Du willst ihr nicht wehtun!", warnte sie. Und mit einem Schlag war die Dunkelheit mitsamt ihrer Schatten verschwunden. Genauso wie Ramiels Dämonengefolge. Zurück blieben wir fünf. Cael und Azael nach Atem ringend und Azalee, die sich gerade wieder aufrichtete,
„Lasst uns allein", grollte Ramiel drohend.
Doch Cael und Azael richteten sich nur zu ihrer vollen Größe auf. „Das werden wir nicht."
„Du weißt wieso, Bruder", stimmte Cael Azael zu.
„Ich werde ihr nichts tun", knurrte Ramiel. In den Augen kein Schimmer des funkelnden Onyxes. Sie waren abgrundtief schwarz. Ohne einen Funken Licht. „Vio." Er sah mich anklagend an. „Was hast du dir dabei gedacht?"
„Wie bitte?", erwiderte ich fassungslos. „Was ich mir dabei gedacht habe, während ich durch die Hölle gestapft bin? Oder auf der Reise hierher fast gestorben wäre?" Ich funkelte ihn wütend an.
Sein Kiefermuskel trat aus, ebenso wie die Muskeln an seinen Armen, die nicht von dem T-Shirt bedeckt waren. Die Hände zu Fäusten geballt, erwiderte er meinen Blick genauso wutentbrannt. „Die Frage war eher darauf bezogen, dass du Alicia und Olivia nicht nur in die Arme gelaufen bist, du hast nach ihnen gesucht, du bist zu ihnen gegangen! Dabei habe ich dir doch gesagt, dass sie sich an dir rächen wollen!"
Zu erklären, dass ich eigentlich zu ihm wollte, klang einfach zu lächerlich und armselig, um es auszusprechen. Wieso hatte ich mir eingebildet, ihm helfen zu können? War ich völlig übergeschnappt wegen meiner Fähigkeiten, von denen ich, seit ich hier war nichts mehr gespürt hatte? Ich sank in mich zusammen.
„Ich dachte du bist tot." Ramiels Stimme war tonlos und Azael und Cael zogen sich nun doch zurück. „Ich dachte die letzten Tage, dass du tot bist, Vio. Und ich dachte, dass es meine Schuld ist."
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