chapter 32
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich ausgeruht. Ich fühlte mich gut, keine Alpträume, keinen bitteren Geschmack im Mund. Ich machte Ellie und mir einen Kaffee und stellte ihren auf den Nachttisch. Dann, weil ich noch Zeit hatte, bevor ich aufstehen musste, kuschelte ich mich zurück in mein Bett und begann zu lesen.
Ich las so lange, dass ich mich dann doch wieder beeilen musste, um pünktlich zu kommen. Und, obwohl ich in Eile war, bemerkte ich, dass die anderen Studierenden mich anders ansahen. Ohne die feindselige Überheblichkeit, die vorher immer offen in ihren Blicken zu erkennen war. Überheblich schauten einige noch immer, aber statt der Feindseligkeit, meinte ich eher Neugier in einigen Mienen sehen zu können.
Ich war kurz davor meinen Vorlesungssaal zu betreten, da pulsierte eine Stimme in meinem Kopf. „Es ist etwas passiert", dröhnte es. Ich keuchte und stützte mich an der Wand ab. Es fühlte sich an wie der schlimmste Migräneanfall überhaupt. Kurz darauf ließen die Schmerzen wieder nach und nur noch ein dumpfes Pochen blieb in meinem Kopf zurück. Ich wollte gerade aufatmen, da kehrte es mit voller Wucht zurück. „Azael, Cael, ich brauche euch!"
Ich taumelte und war froh, dass eine vorbeigehende Studentin mich stütze. Mein Kopf fühlte sich an, als würde jemand von innen mit meinem Hammer gegen schlagen. Als sich der Nebel in meinem Blickfeld wieder lichtete, nickte ich der Studentin dankend zu, drehte mich um und stolperte von meinem Vorlesungsraum weg.
Ich kramte mein Handy raus und tippte eine Nachricht nach der anderen. Denn die Stimme in meinem Kopf gehörte nicht irgendwem. Es war Ramiels.
Ich lehnte mich in einem Seitengang an die Wand und starrte, ohne zu blinzeln auf mein Handy. Ich versuchte eine Antwort heraufzubeschwören, doch als dies nicht funktioniert, erinnerte ich mich an gestern.
„Azael!", rief ich leise und hoffte, dass der blonde Dämon gleich vor mir auftauchen würde. „Cael?" Nichts rührte sich. Na gut, dann eben den unbequemen Weg.
Kurzentschlossen ging ich ins Sekretariat und unter dem Vorwand einer gemeinsamen Campusaktion bekam ich den Stundenplan von Alicia. Ob das eine gute Idee war? Sicher nicht. Hatte ich eine andere Wahl? Genauso wenig.
Also machte ich mich auf den Weg in die Schwimmhalle, denn laut Stundenplan müsste Alicia sich dort aufhalten. Ein Teil in mir flüsterte, oder besser gesagt, brüllte, dass das wirklich schief gehen konnte. Aber wenn Ramiel Hilfe brauchte, würde ich einen Teufel tun und es ignorieren und brav in meiner Vorlesung sitzen. Und da Alicia und Olivia die einzigen waren, bei denen ich mir sicher war, dass sie Dämoninnen sind, blieb mir keine Wahl.
Ich stürmte in die Halle, in der ich vorher noch nie gewesen war, die aber genauso luxuriös aussah, wie auf den Fotos der Unihomepage und folgte den Schildern vor den Umkleiden in Richtung des Schwimmbereichs.
Der Schwimmbereich und das Becken waren riesig und ich blieb abrupt stehen. Denn Alicia und vier andere Studierenden standen keineswegs in Bikini und Badehose an den Startblocks. Nein, sie standen da nicht einmal als Menschen. Sie waren in ihrer Dämonengestalt. Mit Flügeln und kleinen pechschwarzen Hörnern auf der Stirn.
Ich sah sie von hinten und bestaunte die Flügelspannweite, die pro Dämonin zwei Bahnen einnahm. Und eine Bahn war mehr als 6,5 Fuß breit. Die größte Frau der Welt ist nur halb so groß wie die Flügelspanne der Dämonen breit. Die ledernen Flügel glänzten matt und auf den gezackten Spitzen thronten beeindruckende Dornen. Anscheinend hatte ich doch irgendein Geräusch von mir gegeben, denn die fünf übernatürlichen Wesen und die Dozentin drehten sich gleichzeitig zu mir um.
„Äh, hi." Ich hob eine Hand. „Sorry für die Störung. Ich muss nur ganz kurz mit Alicia reden." Die Dozentin taxierte mich lauernd und während sie näherkam, bemerkte ich, dass ich sie kannte. Es war die fiese Trainerin vom Trainingsplatz, die Alicia und Olivia trainiert hatte, während ich joggen war. Sie pfiff in ihre Trillerpfeife und alle Dämonen schossen gleichzeitig in die Höhe. Bloß nichts anmerken lasse, sprach ich mir selbst Mut zu.
Sie baute sich vor mir auf und versperrte mir die Sicht. „Unser Training ist gleich vorbei. Du kannst vor den Kabinen auf Alicia warten." In ihrem Blick lag etwas Animalisches. Eine Wachsamkeit, die ich nicht einschätzen konnte. Ich nickte und sah zu, dass ich da wegkam.
Es dauerte nur Minuten, die ich auf mein Handy starrend verbrachte, bis Alicia die Umkleide verließ, Olivia im Schlepptau. Das konnte ja heiter werden.
„Hey." Ich wippte unruhig auf den Zehen auf und ab, bis ich es bemerkte und mich zwang still zu stehen. „Wisst ihr, wo Ramiel ist? Ich würde euch nicht fragen, wenn es nicht dringend ist, das wisst ihr doch, oder?" Ich hoffte, die beiden würden den Ernst der Lage erkennen. Ob es naiv war zu hoffen, dass die beiden mir einfach weiterhelfen würden? Oder dumm? Mutig oder schwachsinnig? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich ihm helfen wollte, so wie er mir geholfen hatte. Mit Ezra.
Alicia und Olivias pechschwarze Schneewittchen Haare waren trocken. Keine Hörner mehr. Keine Flügel. Die anderen Studierenden und die Trainerin gingen an uns vorbei, wobei Letztere mir noch zuzwinkerte und ich das Gesicht verzog, sobald sie außer Sichtweite war.
Alicia und Olivia blieben drei Schritte von mir entfernt stehen. „Alsoo", begann Alicia gedehnt. „Natürlich wissen wir wo Ramiel ist."
„Echt?", echote ich ungläubig. „Wo denn?" Wieder begann ich aufgeregt auf der Stelle zu wippen.
„Du möchtest also zu ihm?" Wäre ich nicht so abgelenkt, hätte ich den erfreuten Unterton in ihrer Stimme sicherlich nicht überhört. Ich nickte und überwand den unnatürlich großen Abstand zwischen uns, woraufhin Alicia angewidert aufstöhnte und mich scharf ansah.
„Was ist?", fauchte ich ungeduldig, als die beiden einen bedeutungsvollen Blick tauschten.
„Du riechst nach ihm." Olivia rümpfte missbilligend die Nase. „Wie kann das sein?", fragte sie laut, Alicia sah aus als würde sie sich dieselbe Frage stellen.
„Soll ich euch erklären, wie sowas möglich ist, oder was?", fuhr ich sie an, ohne nachzudenken. Die Frage, ob Dämonen auch über einen besser ausgeprägten Riechsinn verfügten, erübrigte sich hiermit.
Kurz sahen sie sich ratlos an, dann brachen sie, zu meiner Überraschung in Gekicher aus. „O, wir haben uns so getäuscht. Sie bedeutet ihm also rein gar nichts", stellte Alicia zufrieden fest.
Ich funkelte sie böse an. Meine Ungeduld wuchs mit jeder Sekunde dieses unnötigen Gesprächs. „Wo ist Ramiel?"
Alicia unterbrach ihr Gekicher, um mich anzusehen. In diesem Moment sah sie nahezu freundlich aus, kein hasserfülltes Funkeln in den Augen, kein hämischer Zug um ihre Mundwinkel. Sie sah nicht so aus, als würde sie nach Rache dürsten.
Wie konnte ich mich so täuschen?
„Du willst zu Ramiel?" Nach einem kurzen Seitenblick auf ihre Schwester drückte Alicia mir etwas in die Hand. „Gute Reise", wünschte sie mir, bevor alles um mich herum schwarz wurde. Einen Moment fühlte ich nichts und dann begann ich zu schreien. Denn das Einzige, was schlimmer war als die Schmerzen, war die Tatsache, dass ich genau wusste, wo mich diese Reise hinführen würde.
„Falls du überlebst", hörte ich Alicia hämisch lachen.
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