|| 2 || *Willkommen in Brevas*
***
»Die Welt Brevas besitzt zwei Sonnen. Ihre menschlichen Bewohner fürchten sich vor der Magie und führen noch heute – genauso wie damals auf der Erde in der frühen Neuzeit - Exekutionen bei Hexen durch. Brevas gilt somit als eine der gefährlichsten Welten. (...) Crosis, welche als Kinder auf die Welt Erde kamen, erschienen oft traumatisiert und ängstlich...«
-Lehrbuch 3, Die vier bekannten Welten, Kap. 3: Brevas
***
Er würde wirklich jeden Befehl seines Meisters befolgen, doch was er nicht ausstehen konnte, war bei einer Exekution dabei sein zu müssen.
Schon allein bei dem Gedanken auf dem Dorfplatz zu stehen und der Hinrichtung entgegenzublicken wurde ihm schlecht.
Eigentlich war sein Auftrag wirklich einfach. Er sollte sich so unauffällig wie möglich verhalten und nur darauf achten, dass keine Crosis auf dem Scheiterhaufen landeten.
Crosis würde er anhand eines Überkreuzens der Finger erkennen. Es war ein Zeichen, das ihnen schon seit Generationen weitergegeben wurde, für den Fall, dass ein Crosis in einer solch lebensbedrohlichen Situation steckte.
So lange die Opfer aber keine Crosis waren, wurde ihm verboten sich einzumischen.
Man sollte sich mal vorstellen, wie schrecklich es war bei einer Exekution einfach zuzusehen und genau zu wissen, dass jeder einzelne, der verbrannt wurde, in Wirklichkeit unschuldig war. Man blickte den Opfern entgegen, sah den Schmerz in ihren Gesichtern und ihre Schreie brannten sich in das Gedächtnis.
Die Schuld lag dann als schwere Last auf den eigenen Schultern und man wusste genau, man verdiente dieses schlechte Gewissen, doch ändern hätte man ihr Schicksal nicht können.
Schnell schüttelte er diese Gedanken aus dem Kopf und widmete sich seiner Umgebung. Er schlenderte schon seit einer Weile durch das Dorf, fand aber den Schauplatz noch immer nicht. Seine Füsse trugen ihn ganz automatisch über den gepflasterten Boden.
Die braunen Holzhäuser waren dicht aneinandergereiht. Die Dächer waren alle von einer rotbraunen Farbe und die Fenster wurden von roten Fensterklappen gedeckt.
Viele Klappen waren geschlossen, was vermutlich an der Exekution lag.
Die Bewohner reagierten ganz unterschiedlich auf Exekutionen. Die einen, die sich fürchteten, mitansehen zu müssen, wie Leute elendig dahingerichtet wurden. Andere wären am liebsten bei jeder Exekution dabei und zum Schluss gab es noch diejenigen wie ihn, denen keine andere Wahl blieb, als zuzusehen.
Noch immer schlenderte er gemächlich durch die Gassen. Zeit hatte er noch genug, das hatte ihm die Kirchenuhr bestätigt. Erst wenn sie drei Mal läutete, musste er sich sputen.
Der junge Mann kam an eine Kreuzung, wo er kurz stehen blieb. Er blickte gen Himmel. Die beiden Sonnen von Brevas kitzelten mit ihren Strahlen sein Gesicht. Sie wärmten ihn.
Es war ein wunderschöner Tag, abgesehen von der Exekution natürlich. Schnell versuchte er sich zu konzentrieren und blickte auf die Wege vor ihm. Sein Blick schweifte zuerst zu der Richtung, aus der er kam, dann wandte er sich nach rechts.
Er kämpfte eine Weile mit dem Gedanken, einfach alles abzubrechen und zu seiner Hütte zurück zu kehren, doch er riss sich gerade noch zusammen.
Die enge Gasse führte hinab durch einen Tunnel, der zu einem offenen Platz führte. Das war der richtige Weg. Er schien sich beinahe hundertprozentig sicher zu sein. Gerade wollte er weitergehen, als er Schritte hinter sich hörte. Eilig versteckte er sich hinter einer Wand.
Seine Hand lag ganz automatisch an seinem Gürtel, wo sein Schwert steckte. Seine Finger fuhren dem Griff entlang und folgten den Spuren der Gravur, das Zeichen der Crosis.
Er spitzte seine Ohren und verstärkte seinen Griff, als er in seiner Nähe zwei Stimmen vernahm.
»...nein, meine Eltern erlauben es mir nicht«, meinte ein Junge kichernd. »Sie halten nicht viel von Hinrichtungen.«
»Vielleicht sind sie ja selber Hexen und verstecken sich bloss.«
Der Mann im Schatten horchte auf, als er das schmutzige Wort aus der Stimme des zweiten Jungen vernahm.
Man hätte dies für ein albernes Gespräch zwischen zwei Jungen halten können, doch er war sich ziemlich sicher, dass es diesem zweiten Jungen ernst war.
'Jagen oder gejagt werden', hiess es in dieser Welt.
Auch der erste Junge schien die Anspielung in der Stimme seines Freundes gehört zu haben, denn er verabschiedete sich schnell und verschwand in die Richtung, aus der der junge Hüter gekommen war.
Dieser atmete leicht auf, kam aber noch immer nicht aus seinem Versteck heraus, denn er war noch immer nicht allein.
Der zurückgelassene Junge rannte schnell an der Wand vorbei, wo sich der Mann versteckt hatte.
Es musste mit Glück zu tun haben, dass er nicht entdeckt wurde. Schliesslich war der Junge keine drei Fuss von ihm entfernt vorbeigelaufen.
Als der junge Mann den Jungen weder sehen, noch hören konnte, trat er aus seinem Versteck hervor, zog seine Kapuze tiefer übers Gesicht und machte sich auf, um den entfernenden Schritten zu folgen.
Nicht mehr lange und er würde sich seinem Auftrag entgegensehen müssen und dazu sollte er sich wirklich beeilen. Zu viel Zeit hatte er dort in den Schatten verschwendet.
Seine Schritte erklangen auf dem Steinboden, auch wenn er versuchte sich so leise wie möglich fortzubewegen.
Es dauerte nicht lange, bis seine Schritte von der jubelnden Menschenmenge, die sich auf dem Marktplatz angesammelt hatte, verschluckt wurden.
Die drei Schläge der Kirchenglocken liessen ihn zusammenzucken. Die Exekution begann.
Der Schauplatz war eine freie Stelle inmitten der Reihenhäuser, die gemeinsam einen Kreis darum herum bildeten. In der Mitte des Platzes auf einer Tribüne fand man den Scheiterhaufen vor und davor hatte sich schon eine riesige Ansammlung an Menschen bereitgemacht.
Alle warteten nur darauf, dass die Hexen brannten. Unauffällig wie er war, mischte er sich unter die Menschentraube. Seine Kapuze verdeckte sein völlig zerzaustes Haar und auch seine schwarzen Augen waren kaum zu sehen. Seine Hand lag noch immer wachsam auf seinem Schwert.
Hinter dem Scheiterhaufen konnte der junge Mann das riesige Gebäude des Hauptmanns sehen.
Hauptmann Blade war der treue Berater des Königs und redete ihm immer wieder ein, man solle den Hexen nicht vertrauen. Vermutlich stünde der König schon längst auf der Seite der Crosis, doch Blade machte alles zunichte. Alles schob er ihnen in die Schuhe, obwohl ein Crosis einem Menschen nie etwas zuleide tun würde.
Als einst ein Crosis versucht hatte mit dem König zu reden, wurde er auf der Stelle umgebracht.
Seitdem wagte es kein Crosis mehr.
Blade war eben ein guter Redner und beeinflusste die Menschen stark. Viel gefährlicher als die Crosis waren eigentlich die Riesen, von denen die Menschen noch nie einen zu Gesicht gekriegt hatten. Vermutlich lag es aber daran, dass nie jemand lebendig zurückkehrte, nachdem er einem Riesen begegnet war.
Sein Blick ging unruhig durch die Menge, bis er auf dem Scheiterhaufen stehen blieb.
Ein Mann war dort aufgetaucht und begann auch schon mit seiner Rede. Es war weder Blade noch sonst jemand, den der junge Hüter kannte.
Kaum kam das erste Wort über seine Lippen, da verstummte die Menschenmenge auch schon und lauschte gebannt.
»Wir alle treten hier und heute zusammen, um den Tod dreier Hexen zu feiern. Lasst die Zeremonie beginnen!«, rief er und die Menge jubelte.
Der junge Mann blieb stumm und musste sich zurückhalten, um nicht vorzuspringen und dem Redner mit seinem Schwert die Kehle aufzuschlitzen.
Es machte ihn noch immer wütend, dass die Menschen die Crosis als Hexen bezeichneten.
Er biss sich fest in die Wange, sodass seine Schmerzen ihn davon abbrachten und er Blut schmeckte.
Er verzog leicht das Gesicht, als sich der metallische Geschmack in seinem Mund breit machte. Gerade als er das Blut auf den Boden spucken wollte, wurde die Tür zu Blades Haus aufgerissen.
Drei in Ketten gelegte Gestalten, deren Gesichter von einem Sack bedeckt wurden, traten auf die Tribüne hinaus. Dicht hinter ihnen stand Blade und zeigte dem Volk seine strahlend weissen Zähne.
Sofort wurde dem jungen Hüter übel und seine Arme spannten sich an. Er beobachtete, wie Blade die Gefangenen an drei Pfosten band, die alle auf dem Scheiterhaufen standen.
Von einem der Gestalten kam ein Schluchzen, doch die beiden anderen blieben stumm.
Bevor sich Blade wieder zu der Menge umdrehte, riss er jedem einzelnen den Sack vom Kopf und drei schrecklich entstellte Gesichter kamen zum Vorschein. Die erste Gestalt, die geweint hatte, schien mit ihren blonden Haaren bestimmt einst eine wunderschöne Frau gewesen zu sein. Die anderen beiden waren Männer im mittleren Alter und hatten beide rote Haare. Zwillinge.
Sofort wurde der junge Hüter wachsam und ignorierte die Frau vollständig. Sie war definitiv keine Crosis, doch die zwei Männer konnten welche sein.
Sein Blick suchte ihre Hände, doch keiner der beiden schien ein Zeichen machen zu wollen oder zu können.
Enttäuscht blickte er weg. Es waren doch keine Crosis, sonst hätten sie ihm schon längst ein Zeichen gegeben. Es machte ihn wütend, dass er an diesem Tag keine Leben retten konnte.
Auch wenn sein Auftrag nun zu Ende war, durfte er nicht vom Schauplatz verschwinden.
Die Gefahr, selbst als Hexe verdächtigt zu werden, war zu gross. Also blieb er.
Er sah zu, wie der Scheiterhaufen langsam Feuer fing und die Flammen sich rasend schnell ausbreiteten. Das Knistern des Feuers wurde vollständig von den Schreien der brennenden Menschen überdeckt.
Ein Schauer fuhr dem jungen Mann über den Rücken, doch er konnte nicht anders als hinzusehen.
Erst als der letzte Schrei verklungen war, schloss er die Augen und bemerkte panisch, dass er die Luft angehalten hatte. Genauso gut hätte er dort oben auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden können.
Kaum war das Feuer erloschen, da trat Blade vor die Menschen und fing an zu reden, doch der junge Herr hörte nicht hin. In seinen Ohren rauschte es noch immer wegen der Schreie.
Er konnte sich noch zu gut an den einen gescheiterten Fall erinnern. Noch immer konnte er die Schreie der Crosis hören, deren Tod seine Schuld gewesen war. Was sich sein Meister dabei dachte, ihm noch immer diese Arbeit aufzutragen, war ihm ein Rätsel.
Er hätte es ihm nicht verübelt, wäre der Auftrag an einen anderen Hüter gegangen. Schliesslich trägt jemand wie er die Verantwortung für das Leben eines Crosis.
Als die Schaulustigen sich wieder ihrem Alltagsgeschäft widmeten und sich in den verschiedenen Gassen verteilten, kehrte er in die Wirklichkeit zurück und wollte sich ebenfalls zum Gehen bewegen. Seine Füsse steuerten gerade die Gasse an, aus der er gekommen war, als hinter ihm ein Aufschrei ertönte.
Zuerst dachte er, es handelte sich um die Frau auf dem Scheiterhaufen, doch als er einen Blick zurückwarf, konnte er gerade noch sehen, wie jemand vom Himmel hinab genau vor dem Scheiterhaufen landete.
Augenblicklich wurde ihm bewusst, dass er heute doch noch ein Leben retten konnte. Er durfte sich jetzt keinen Fehler leisten. Nicht noch einmal.
Sein Schwert war schneller in seinen Händen, als dass Blade und seine Soldaten reagieren konnten.
Sofort warf er sich zwischen die Crosis und Blade, sein Schwert hoch erhoben.
»Lauf!«, schrie er der Gestalt zu, doch sie reagierte nicht. Immer wieder rief er, doch keine Reaktion folgte.
Blade war schon aus seiner Starre erwacht und hatte sich vor ihm aufgebaut.
Der junge Hüter wusste, dass er keine Chance hatte, wenn die Crosis nicht reagieren würde, also blieb ihm bloss eine Wahl. Er steckte seine Hand in seine Hosentasche, zog die schwarzen Aschekörner hervor und warf sie vor sich auf den Boden. Sofort stieg eine schwarze Rauchwolke auf und verdeckte allen die Sicht.
Der junge Mann machte auf dem Absatz kehrt und zog die Crosis hoch auf die Beine. Eilig rannte er in die Gasse und zog den schlaffen Körper mit sich. Seine Füsse waren schneller als seine Gedanken und kaum dass er den Pfad passiert hatte, da war er schon mitten im Wald. Er hoffte inständig, dass keiner mitbekommen hatte, wo er hingerannt war.
Er blieb kurz stehen und liess die Crosis los, die sich nun selbst halten konnte.
Er machte eine kurze Pause, um sich zu beruhigen. Dann wandte er sich an das Kind. Kaum musterte er sie genauer, wich er auch schon erschrocken zurück.
Anstatt aber einem zehnjährigen Kind gegenüberzutreten, so wie es üblich war, erblickte er eine junge Dame mit grünen Augen.
»Was zum...?« Er wusste nicht, was er sagen sollte. Noch nie in seinem Leben hatte er eine jugendliche Crosis erblickt, die gerade erst in eine neue Welt trat.
»Wo bin ich?«, flüsterte sie panisch. »Und wer bist du?«
Das Mädchen zitterte leicht. Noch immer wankte sie. Er wollte sie halten, doch sie entriss sich seinen Händen.
»In Brevas«, meinte er knapp. »Und wer ich bin spielt keine Rolle. Wichtiger ist, wie es möglich sein konnte, dass ein 16-jähriges Mädchen erst jetzt in eine neue Welt tritt.«
»17«, verbesserte sie. »Brevas?«
Sie wirkte verwirrt und aufgewühlt. Alles schien ihr so surreal. Wie war das möglich?
Der junge Hüter erkannte an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie keine Ahnung hatte, was da gerade ablief.
»Mädchen, du bist nicht mehr in deiner eigenen Welt«, meinte er jetzt etwas sanfter, schliesslich wollte er ihr keinen Schrecken einjagen, »du bist jetzt in Brevas, der Welt der zwei Sonnen.«
»Das ist unmöglich!«, rief sie aufgewühlt.
»Ich weiss!«, stimmte er zu und blickte tief in ihre grünen Augen. Ihre roten Locken standen von ihrem Kopf ab und machten dem Hexenklischee alle Ehre.
»Komm schnell, bevor man uns findet. Ich werde dich in Sicherheit bringen.«
»Wieso sollte ich dir vertrauen?« Ihre Augen verengten sich und ihr Körper machte sich bereit zur Flucht.
»Ich bin ein Hüter...«, erklärte er und räusperte: »Mein Name lautet Ravos und ich bin ein Hüter des Zirkels.«
***
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro