🍭Fading Colors🍭
Manche Geräusche vergisst man nie.
Ich hörte sie immer, wenn ich nach Hause kam.
Meine Mutter.
Ihr neuester Kunde.
Und das Stöhnen, das sich durch die Wände fraß wie Gift.
Ich sog die Luft durch die Zähne ein, während ich meinen Rucksack an die Wand lehnte und so schnell wie möglich den Flur entlang huschte. Ich wusste genau, wo ich hintreten musste, um die Dielen nicht knarren zu lassen.
Nicht hinsehen. Nicht nachdenken.
Tür auf. Tür zu.
Stille.
Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen das alte Holz, das längst abgesplittert war. Für einen Moment ließ ich meinen Kopf zurückfallen, schloss die Augen.
Die Kopfhörer lagen auf meinem Schreibtisch, ein Kabel hing über den Rand. Ich griff danach, zog sie mir über die Ohren und drückte auf Play.
Musik.
Ich konnte das Stöhnen immer noch hören. Aber es war jetzt weit weg. Gedämpft.
Ich zwang meine Gedanken auf etwas anderes. Auf den leeren Bogen Papier vor mir. Auf die Stifte, die in einem ausrangierten Kaffeebecher steckten.
Und dann fing ich an zu zeichnen.
Linie um Linie, Strich um Strich.
Die Welt draußen verblasste.
Hier, in diesen Schatten, in diesen Farben, war ich sicher.
Ich wusste nicht, wie lange ich schon saß, als die Geräusche im Nebenzimmer plötzlich verstummten. Schritte. Ein leises Murmeln. Der Klang einer Tür, die ins Schloss fiel.
Stille.
Ich ließ den Bleistift sinken, betrachtete das Bild vor mir.
Ein Gesicht.
Seine Augen waren dunkel, nachdenklich. Als würde er etwas verstehen, das niemand sonst verstehen konnte.
Ich kannte diesen Blick.
Ich hatte ihn heute im Unterricht gesehen.
Mr. Bahng.
Ich biss mir auf die Unterlippe, legte den Stift zur Seite und rieb mir mit der Hand übers Gesicht.
Verdammt.
Ich sollte nicht so über ihn nachdenken. Ich sollte ihn nicht zeichnen. Aber es war passiert, ohne dass ich es kontrollieren konnte.
Ich drehte das Blatt um, ließ es unter einen anderen Stapel verschwinden. Dann zog ich mir die Kopfhörer ab, ließ mich nach hinten auf mein Bett fallen.
Die Decke über mir hatte kleine Risse, dunkle Flecken, wo mal Wasser durchgesickert war.
Es war vorbei.
Der Mann war gegangen, seine Schritte waren kaum verklungen, da öffnete sich auch schon die Tür zum Schlafzimmer meiner Mutter. Ich hörte das Klirren einer Flasche, das Knistern eines Feuerzeugs.
Dann Stille.
Ich wusste, was als Nächstes kommen würde.
Ich wusste es immer.
„Hyunjin.“
Ihre Stimme war tonlos. Nicht fragend, nicht warm. Nur ein Wort, das aus ihrer Kehle fiel wie eine Münze in einen Abgrund.
Ich schloss die Augen. Zählte in meinem Kopf bis drei. Öffnete sie wieder.
„Was?“
Die Tür zu meinem Zimmer wurde einen Spalt geöffnet. Nicht ganz, niemals ganz – als könnte sie den Anblick ihres eigenen Sohnes nicht ertragen.
Ich drehte den Kopf nicht zu ihr, sondern ließ meinen Blick auf dem unfertigen Porträt auf meinem Schreibtisch ruhen. Der Bleistift in meiner Hand lag schwer zwischen meinen Fingern.
„Ich bin morgen nicht da. Kümmere dich ums Essen.“
Ich hörte das Klicken ihres Feuerzeugs erneut. Den Geruch von Zigarettenrauch, der sich mit billigem Parfüm mischte.
„Okay“, sagte ich leise.
Sie antwortete nicht.
Ihr Blick huschte durch mein Zimmer – eine Sekunde, nicht länger. Dann zog sie die Tür wieder zu.
Kein Gute Nacht. Kein Warum bist du noch wach? Kein Lass uns morgen frühstücken.
Nichts.
Es war immer so.
Ich saß noch einen Moment regungslos da, die Kopfhörer halb über den Ohren, aber ohne Musik. Der Lolli in meinem Mund schmeckte plötzlich nach nichts.
Meine Mutter war wieder ins Wohnzimmer gegangen. Die Flasche klirrte gegen das Glas, als sie sich einschenkte. Ich hörte den dumpfen Laut, als sie sich auf die Couch fallen ließ.
Wieder Stille.
Ich wusste nicht, ob sie geweint oder einfach nur an die Wand gestarrt hatte. Aber es war mir egal.
Sie hasste mich.
Vielleicht, weil ich aussah wie mein Vater. Vielleicht, weil ich sie an all die falschen Entscheidungen erinnerte, die sie getroffen hatte.
Vielleicht, weil ich noch da war.
Ich schüttelte den Kopf, als wollte ich diese Gedanken vertreiben. Dann setzte ich endlich die Kopfhörer auf, drehte die Musik auf, so laut, dass ich nichts mehr hören konnte.
Und ich fing an zu zeichnen.
Linie um Linie, Strich um Strich.
Kein Gesicht diesmal.
Nur Schatten.
Schatten, die sich über das Papier fraßen wie eine Wunde, die niemals heilen würde.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro