Kapitel 15 - Die erste Narbe
*^~ Leo PoV ~^*
Ich hasse dieses Heim! Diese verdammte Psychiatrie! Und noch mehr hasste ich sie! Ich wollte gar nicht erst an ihren Namen, geschweige denn an ihre Existenz denken! Sie, die mir das alles beschert hatte! Sie hatte mich verlassen, ohne mir etwas davon zu sagen... Und sie hatte mir meine Mutter genommen! Als wüsste ich nicht, was geschehen war! Nun, ich kannte sie seit elf Jahren, habe sie elf Jahre lang nachts beobachtet und elf verdammte Jahre hatte sie mich nicht einmal beachtet! Keinen Gedanken hatte sie daran verschwendet, bei mir zu sein! Und dann... Ist sie einfach gegangen... Dachte, wir würden uns eh nicht um sie scheren! Aber da lag sie falsch! Ich weiß alles! Dieses verdammte Mädchen! Wenn ich sie noch einmal in die Finger bekomme, wird sie sterben, so viel ist klar! Das lasse ich nicht mit mir machen! Sie hat es verdient! Wahrscheinlich machte sie sich jetzt ein schönes Leben und ich saß hier, gefangen und von Idioten umgeben und kann nichts tun! Mit dem größtes Hass und der meisten Verachtung spuckte ich die Wörter aus, die mir schon so viele Tage auf der Zunge lagen: "Mach dich auf dein Ende gefasst... Liv..." Mit dem Klang ihres Namens ertönte plötzlich ein schriller Ton und erst nach ein paar Sekunden wurde mir klar, dass es die Klingel gewesen sein musste, die vielleicht alle zwei Wochen mal benutzt wurde. Doch es interessierte mich eh nicht, wer auch immer es war, wollte entweder irgendein Produkt verkaufen oder war einer der 'Bewohner' hier und hatte seinen Schlüssel vergessen. Dass dieses eine Geräusch so viel verändern würde, hätte ich selbst im Traum nicht geahnt...
*^~ Liv PoV ~^*
Ich wartete ungeduldig vor der Tür, doch nichts rührte sich. Auch Soso stand nur weiterhin still hinter mir. War denn niemand da? Oder funktionierte die Klingel nicht? Ich wusste es nicht. Ich suchte nun auch die kleinen Fenster nach Kindern und vor allem nach Leo ab, doch nirgendwo war etwas zu sehen. Vielleicht mussten sie auch gerade schlafen... Da ich es genau wissen wollte, klingelte ich noch einmal und auch ein drittes Mal, doch es änderte nichts: Die Tür blieb verschlossen und ich war mir nicht sicher, ob sich hier jemand befand. "Soso! Ich halte das nicht aus!", rief ich und drehte mich zu ihr um. Doch sie stand weiterhin einfach da und ihr Blick war getrübt, als wüsste sie, dass gleich etwas schreckliches passieren würde. Ich redete es mir aus, immerhin konnte sie nicht in die Zukunft sehen und was sollte schon passieren? Mein Bruder vermisste mich und ich ihn, es würde eine wunderschöne Begegnung werden. Nach weiteren fünf Minuten hielt ich es schließlich nicht mehr aus, nahm meinen Stock und zog die Tür zu uns, damit sie endlich offen war. Wie eine Irre rannte ich hinein und suchte mit meinen Augen die Umgebung ab. Ich stand in einem kleinen Flur, von dem aus eine Treppe nach oben führte und vier Zimmer abgingen. Da ich von oben Geräusche hörte, hechtete ich die Stufen hoch und erstarrte, als ich einen Jungen an einem großen Esstisch sah, der mir seltsam bekannt vorkam. Es war Leo. Es war mein Bruder.
*^~ Leo PoV ~^*
Ich starrte sie einfach an. Ihr hellblaues Auge und das, welches sie immer versteckt hatte. Ich war so geschockt, dass ich nicht ein mal ein Wort herausbrachte. Nicht mal Verachtung lag in meinem Blick. Warum war sie hier? Und warum genau jetzt? Und warum konnte ich mich nicht rühren? Was passierte hier? Ich zwang meine Gedanken zur Ruhe und schloss für einen winzigen Augenblick meine Augen, die beide noch funktionsfähig waren. Als ich sie wieder aufschlug, schaffte ich es endlich, aufzustehen und mich ihr gegenüber zu stellen. Auch sie konnte sich scheinbar nicht rühren und war vollkommen perplex. In der Zeit, in der sie nicht da gewesen war, war ich gewachsen und überragte ihre jämmerliche Gestalt mit einigen Zentimetern. "L-Leo...", hauchte sie, während sie sich an einem Stuhl hinter ihr abstützte. Ich war wohl auch stärker als sie geworden, denn sie schaffte es nicht, gegen diese unbarmherzige Kraft anzukämpfen, die uns beide zu lähmen versuchte. Endlich schaffte ich es, ein fieses Grinsen aufzusetzen. "Ich habe auf dich gewartet, Liv." In das letzte Wort legte ich all den Hass, den ich gegen sie hegte. Plötzlich klappte sie zusammen und blieb wie ein schlaffes Stofftier auf dem Boden liegen, ein Arm klammerte sich immer noch um den Stuhl und ihr schwarzes Auge blutete leicht und zog einen schwarzen Streifen über ihre Wange, der sich wie eine Narbe in die Haut einbrannte...
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