04. Machenschaften
Unglaublich. Ich versuche, die neuen Informationen in meinen Kopf zu bekommen. Es grenzt an ein Wunder, dass ich gerade nicht komplett ausraste. Es fühlt sich an, als würde die Zeit stehen bleiben und ich schiele zu meinem Vater herüber, der selbstsicher zur Bühne schaut. Es kann doch absolut kein Zufall sein, dass er eine Bibliothek spendet, während ich gleichzeitig an dieser Universität angenommen werde. Mich beschleicht eine böse Vorahnung, die nicht unbedingt dafür sorgt, dass ich mich innerlich beruhige – ganz im Gegenteil sogar. »Das kann doch gerade wirklich nicht dein Ernst sein, oder? Du hast es mir versprochen!«, klage ich ihn an.
Er sieht mich nicht einmal an, als er mir völlig gleichgültig antwortet: »Ich weiß nicht, wovon du gerade sprichst.«
Das ärgert mich gerade ziemlich, weshalb ich mich vor ihn dränge und ihm enttäuscht ins Gesicht blicke, um ihn zur Rede zu stellen. »Wir hatten eine Abmachung. Du wolltest dich nicht einmischen, sodass ich angenommen werde, weil ich für würdig erklärt wurde und nicht, weil du Harvard bestochen hast!«, fauche ich aufgebracht und ein bisschen lauter als beabsichtigt.
Seine Augen verengen sich zu kleinen Schlitzen »Kannst du deinen Mund halten, du undankbares Kind?«, blafft er mich verärgert an und reißt mich am Arm von der Menschenmasse weg. Kaum haben wir die unmittelbare Hörweite der Zeugen verlassen, lässt er von mir ab und schubst mich leicht von sich weg. »Willst du uns in Teufelsküche bringen, Kind? Denkst du nicht nach, bevor du solche Vorwürfe vor anderen Anwesenden von dir gibst?«, zischt er.
Ich stemme meine Arme in die Hüfte und bin fest entschlossen, mir diesmal nicht die Schuld in die Schuhe schieben zu lassen. »Ich fasse es einfach nicht. Du hast mir dein Wort gegeben!«, sage ich anklagend, woraufhin mein Vater seine Augen verdreht.
»Du hast doch nicht wirklich gedacht, dass ich einfach nur zusehe? Man hätte dich nicht genommen, wenn ich nicht nachgeholfen hätte. Man hätte irgendein armes, schlitzäugiges Kind vorgezogen, um die Vielfalt zu gewähren. Und ich sehe nicht tatenlos zu, wie du unseren Familiennamen beschmutzt, wenn du Medizin an einer anderen Universität studierst. Harvard ist die Alma Mater deiner Familie!«
Ich kann einfach nicht glauben, dass er mir illegal einen Platz verschafft hat oder dass solch eine renommierte Universität das zulässt und nicht verhindert. »Und es ist ja überhaupt nicht auffällig, dass du eine Bibliothek spendest und ich zufälligerweise in diesem Jahr hier anfange zu studieren. Man kann doch eins und eins zusammenzählen! Jeder Blinder sieht, dass da etwas nicht stimmen kann!«, sage ich empört und höre bereits die Gerüchteküche brodeln. Ich verstehe nicht, wieso ich noch hier bin, denn ich wurde nur wegen der Bestechung von meinem Vater angenommen. Ich habe jemanden den Platz genommen, der es mehr verdient hätte als ich. Und das nur, weil ich einen reichen Vater habe. Diese Welt ist einfach ungerecht, vor allem, weil Menschen wie mein Vater immer mit ihren Machenschaften durchkommen.
Er hebt eine Augenbraue, nimmt meine Bedenken ganz offensichtlich mal wieder nicht ernst. »Denkst du nicht, dass ich daran gedacht habe? Der Check wurde erst letzte Woche ausgefüllt und überreicht, drei Monate, nachdem du angenommen wurdest. Es ist eine nette Geste von einem dankbaren Vater, der seine Tochter unterstützen will und deshalb der Fakultät etwas Gutes tun möchte«, erklärt er mir voller Arroganz, weil er klug genug gewesen ist, alles bis ins letzte Detail zu planen. »Außerdem gibt es keine plausible und nachvollziehbare Verbindung zwischen dem zuständigen Dekan und mir. Wir kennen uns durch einen diskreten und exklusiven Herrenclubs.« Seine nächsten Worte sind wie eine verbale Ohrfeige. »Du solltest statt deiner haltlosen und frechen Anschuldigungen und Beschwerden lieber dankbarer sein! Ich habe dir zu einem begehrten Platz verholfen. Ohne mich hättest du es nie geschafft! Du hast zwar exzellente Noten und bist in der Community engagiert, doch du hast nichts Besonderes, was hervorsticht. Dein Lebenslauf ist nicht interessant genug, du wärst in der Masse untergegangen.«
Mein Herz bricht, weil es verdammt wehtut, zu hören, dass der eigene Vater nicht an einen glaubt. Ich habe immer gewusst, dass er sich nicht allzu sehr für mich interessiert, doch habe gedacht, dass er eigentlich ziemlich stolz und zufrieden mit meinen Leistungen ist. Ich habe nicht nur die Schule mit Auszeichnungen absolviert, sondern bin zudem auch Jahrgangsbeste in meinem Bachelorstudium gewesen, sodass man mir Stipendien für ein Masterstudium angeboten hat. Jeden Sonntag helfe ich in der Suppenküche aus und spende öfter Kleidung, die ich nicht mehr trage, um etwas für das Allgemeinwohl zu tun. Bereits jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich heute durch meinen Umzug nicht in meiner baptistischen Kirche aushelfen kann. Ich bin zwar nicht streng religiös, doch ich glaube an Gott sowie dass man immer anderen Menschen helfen sollte.
»Können wir jetzt bitte zurückgehen?«, fragt mein Vater genervt, weil für ihn die Auseinandersetzung vorbei ist.
»Nein«, erwidere ich barsch und weiß nicht, was plötzlich über mich kommt. »Ich kann nicht einfach so tun, als wäre nichts passiert. Du hast mir gerade ins Gesicht gesagt, dass du nicht an mich glaubst. Ich tue immer, was du sagst und von mir forderst. Ist es wirklich zu viel verlangt, mich einmal zu loben oder zu unterstützen?«, will ich wissen.
»Scarlet, also bitte. Was soll diese unzählige Gefühlsduselei jetzt? Was willst du von mir hören? Als ob ich dich nicht unterstützen würde. Ich habe gerade eine halbe Million Dollar für dich ausgegeben!«
»Nein«, sage ich und schüttle traurig mit meinem Kopf. »Du hast das Geld allein für dich ausgegeben, damit du deinen Willen bekommst. Ich habe nie den Wunsch verspürt, hier zu studieren, weshalb die Spende von meiner Seite aus nicht notwendig war. Wenn du mich wirklich lieben und unterstützen würdest, dann hättest du mir geholfen, normal angenommen zu werden oder meinen Wunsch respektiert und mich auf einer anderen Universität studieren lassen. Ich bin mir bewusst, dass es eine Familientradition ist, doch wieso darf ich nicht glücklich sein und dort studieren, wo ich will?«, will ich niedergeschlagen wissen.
Er schnalzt missbilligend mit seiner Zunge und verdreht seine Augen. »Wir hatten das verdammt nochmal geklärt, Scarlet!« Warnend hebt er seinen Finger und blickt mich streng an, sicher deshalb, weil sein Geduldsfaden demnächst reißen wird. »Du bist eine Pierce, also wirst du gefälligst hier studieren! Und du behältst das Geheimnis mit der großzügigen Spende für dich, denn wenn du dafür sorgst, dass wir auffliegen, bist du nicht mehr meine Tochter und kannst deinen Traum von einem Medizinstudium vergessen! Ich werde dich verstoßen und dich nicht mehr finanziell unterstützen. Du kannst dann dreißig Jahre lang in einem dreckigen Diner arbeiten, bis du das Geld für ein Medizinstudium gespart hast. Und du weißt, dass das keine leere Drohung ist!«
Es ist gewiss, dass das keine leere Drohung ist, weil ich es am eigenen Leib erfahren habe, beziehungsweise den Verlust, welchen es mit sich brachte. Ich habe einen geliebten Menschen verloren, weil man es sich mit seinem Vater verscherzt hat. Und ich habe leider nicht genug Kraft, um das allein durchzustehen. Ich möchte nicht von vorne anfangen und meinen Traum wegwerfen, nur um meinen Vater zu trotzen. Mir ist mein Studium wichtiger, als frei von meinem eiskalten und berechnenden Vater zu sein. Und deshalb muss ich ihm vorerst weiter gehorchen, damit die ganzen Jahre der Herrschsucht nicht umsonst gewesen sind.
»Haben wir uns verstanden?«, fragt er forsch, obwohl ich die Gewissheit, dass er gewonnen hat, bereits in seinen Augen ablesen kann. Wie gerne würde ich sagen, dass er mich kreuzweise kann und ich nicht mehr mitmache? Doch ich bringe es einfach nicht übers Herz. Ich habe weder den Mut noch die wichtige Entschlossenheit und verabscheue mich selbst ein wenig dafür. Ich bewundere alle, die lieber alles aufgeben, als weiter in einem unglücklichen Leben gefangen zu sein.
»Ja, Vater.«
Niedergeschlagen folge ich ihm zurück zu der Menschenmenge, um weiter der Rede des Präsidenten zu lauschen. Ich kann ihm kaum zuhören, weil meine Gefühle und Gedanken gerade verrücktspielen. Am liebsten würde ich schreien, gleichzeitig weinen und verschwinden. Freunde kann man sich aussuchen, seine Familie leider nicht. Ich bin an meine gebunden, ob ich nun möchte oder nicht. Eines nicht zu fernen Tages wird sich diese emotionale Folter hoffentlich auszahlen.
»-deshalb verabschiede ich mich mit den Worten von Winston Churchill. Es ist sinnlos zu sagen, wir tun unser Bestes. Es muss dir gelingen, das zu tun, was erforderlich ist«, kommt der Präsident langsam zum Ende und ich lächle traurig, weil seine Worte meine jetzige Situation beschreiben. »In vier Stunden geht es in den jeweiligen Fakultäten weiter. Dort wird sich nachher das Lehrpersonal vorstellen sowie man die Informationen für den morgigen Tag verkünden wird«, erklärt er.
Die Menge verstreut sich, um sich in den jeweiligen Wohnheimen einzuquartieren. Weil es für uns hier auch nichts mehr zu erledigen gibt, laufen wir zu Michael und dem Auto zurück. Ich schmunzele, als ich sehe, wie Michael ein paar Videos auf seinem Telefon anschaut und deshalb laut loslacht. Er zuckt zusammen, als mein Vater mürrisch an die Fensterscheibe klopft, damit er das Auto entriegelt. »Wird es bald, Michael?«, fragt er unzufrieden, weil er länger als zwei Sekunden warten muss.
»Entschuldigung, Mr. Pierce«, verkündet dieser, als er das Auto aufsperrt, damit wir einsteigen können. »Wo geht es nun hin?«, möchte er wissen, um die Adresse in den Bordcomputer einzugeben. Ich schaue auf die Karte, um die Adresse meines Wohnheimes herauszusuchen.
»11. Mission Park Drive.«
Als die Navigation zwanzig Minuten anzeigt, stutze ich ein wenig. »Ist das richtig? Ich dachte, die Wohnheime sind nicht einmal fünf Minuten entfernt?«, frage ich und schaue unsicher zu meinem Vater.
»Schön zu sehen, wie gut du dich informiert hast.« Seine Stimme trieft vor Ironie. »Die Harvard-Medical-School befindet sich nicht auf dem Hauptcampus, sondern in der Longwood Medical und Academic Area in Boston«, erklärt er mir tadelnd. Ich habe es wirklich nicht einmal erkannt, als ich mir die Karte vom Campus der Medical School angeschaut habe. Ich kenne die meisten Gebäude hier nicht einmal, da ich mich nicht wirklich für die Universität interessiere.
»Mein Fehler.«
Ein wenig später halten wir vor einem kleinen Apartmentkomplex, wo bereits mehrere Autos entladen werden. Wir stellen uns auf den einzig freien Platz gegenüber und steigen aus. Es ist eine hübsche Straße mit vielen Bäumen, ein paar Cafés und weiteren Häusern, die wahrscheinlich auch Wohnheime sind. Sehr zielstrebig kommt eine junge Studentin mit einem Klemmbrett auf uns zu. »Willkommen im Buckingham-Wohnheim. Ich bin Sylvia und helfe heute ein wenig aus, damit es schnell und gesittet vorangeht. Wie lautet denn dein Name?«, erkundigt sie sich.
»Scarlet Pierce«, stelle ich mich vor und sie sucht meinen Namen in ihrer Liste.
»Ah, da haben wir dich. Apartment 102, 1. Obergeschoss. Du teilst es dir mit Ava González, sie wird allerdings erst heute Abend anreisen«, verkündet sie. »Auf deinem Zimmer liegen ein paar Broschüren mit Informationen über die Harvard-Medical-School und den zugehörigen Campus. Wenn du irgendwelche Fragen hast, kannst du dich an mich wenden«, sagt sie.
Danach lässt sie uns allein, damit wir anfangen können. Gerade, als Michael und ich die ersten beiden Kisten in die Hände nehmen, meldet sich mein Vater zu Wort. »Ich muss mal eben ein paar Anrufe tätigen, entschuldigt mich«, sagt er und lässt uns allein, woraufhin ich nur die Augen verdrehe. Wir betreten das Gebäude also ohne ihn. Im Erdgeschoss befinden sich drei Apartments, ein Aufenthaltsraum sowie ein kleiner Raum mit Sicherheitsbeauftragten. Wenn man nachts rein will und keinen Schlüssel besitzt, muss man sich dort melden. Ich finde das gut, denn so ist die Sicherheit der Studenten hier gewährleistet. In meinem Stockwerk befinden sich vier Apartments. Ich hole meine Schlüsselkarte hervor und öffne damit die Tür. Ich befinde mich in einem kleinen Flur mit insgesamt 4 weiteren Zimmern, zwei Schlafzimmern, einer Küche und einem Badezimmer. Zuerst kann ich keinen Hinweis darauf finden, welches Zimmer wem gehört, weshalb Michael und ich uns in beiden Schlafzimmern umschauen.
Beide bestehen aus einem kleinen Bett, welches vor dem Fenster steht, daneben ein kleiner Nachttisch mit einer Lampe. Auf der gegenüberliegen Seite befinden sich ein Kleiderschrank und ein Schreibtisch, während neben der Tür noch eine Kommode und ein Bücherregal stehen.
Ich laufe zum Schreibtisch und durchforste die Unterlagen. Und als ich ein Schreiben mit meinem Namen finde, rufe ich Michael. »Hier, das ist mein Zimmer.« Er stellt seinen Karton ab und wir laufen zum Auto zurück. Die komplette nächste Stunde tragen wir zusammen die Umzugskisten sowie meine Koffer mit den Anziehsachen nach oben.
Und als hätte er nur darauf gewartet, klopft mein Vater an meine Apartmenttür, als wir endlich fertig geworden sind. »Hat ein wenig länger gedauert. Seid ihr durch mit allem?«, fragt er, obwohl er die Antwort darauf natürlich kennt. Er hat dieses Talent – oder es ist einfach nur eine schlechte Angewohnheit – immer dann aufzukreuzen, wenn die Leute gerade ihre Arbeit beendet haben, sodass er nicht mehr gezwungen ist zu helfen.
Ich nicke und lasse ihn herein, damit auch er sich nun umschauen kann.
»Ziemlich klein und einfach gehalten«, brummt er unzufrieden.
Ich jedoch zucke lediglich mit meinen Schultern, während ich die Kisten stapele, damit ich ein wenig Platz in meinem Zimmer schaffe. »Es ist halt nur ein Wohnheim und kein Luxushotel«, entgegne ich.
Die nächste Stunde fangen wir schon an, die Sachen für die Küche einzuräumen und alle Lehrbücher zu verstauen. Mein Vater schaut auf seine Armbanduhr. »Wir sollten langsam zum Campus laufen, damit wir rechtzeitig da sind. Michael, du kannst nach Hause fahren. Ich weiß nicht, wie lange es heute dauern wird. Ich werde mir heute Abend ein Taxi nach Hause nehmen«, verkündet mein Vater und entlässt ihn damit aus dem Dienst, sodass er Feierabend machen kann.
»Natürlich, Mr. Pierce. Ich wünsche einen schönen Abend! Wenn Sie etwas brauchen, dann rufen Sie mich an.« Dass er damit mehr mich als meinen Vater meint, weiß ich auch ohne seinen bedeutungsvollen Blick.
Nachdem wir ihn noch zum Auto begleitet haben, laufen wir nur wenige Minuten zum Hauptgebäude hinüber. Gordon Hall ist ein beeindruckender Bau ganz aus Marmor, der einen an die Architektur in Washington D.C erinnert. Es sind bereits etliche Studenten versammelt, die sich ihren Weg in den Festsaal bahnen, ein ziemlich großer, feierlich geschmückter Raum. Es gibt eine kleine Bühne, etliche Stehtische und ein kleines Buffet sowie eine Bar mit Kellnern. Durch die Lautsprecher wird leise, klassische Musik gespielt, sodass sich die Leute gut miteinander unterhalten können.
»Ich gehe mal schnell zum Buffet, möchtest du auch etwas?«, erkundige ich mich höflich, doch mein Vater schüttelt seinen Kopf.
»Nein, ich werde mich ein wenig unter die Menge mischen.«
»Gut, bis gleich«, sage ich und begebe mich in Richtung des Buffets, um einen kleinen Happen zu naschen. Mein Magen knurrt mittlerweile so laut, dass ich vor Hunger kaum mehr klar denken kann.
Ich bin fast an der langen Tafel angekommen, als ich plötzlich mit jemanden zusammenstoße. »Oh, Entschuldigung!«, sage ich schnell und schaue kurz danach in wunderschöne, rehbraune Augen, die mir sehr vertraut vorkommen. Es dauert nicht lange, bis der Groschen gefallen ist.
Mir steht der Mann gegenüber, der mich vor wenigen Tagen entjungfert hat.
Mir stockt der Atem und ich kann keinen einzigen Ton von mir geben, weshalb er mir zuvorkommt. »Was machst du denn hier?«
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro