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Welcome Home
Ich war Jahre nicht mehr bei meiner Familie und eigentlich wollte ich das auch nicht so schnell ändern. Allerdings hatte meine Schwester vor zu heiraten – und da ich die Trauzeugin war, durfte ich einfach nicht fehlen.
Meine Familie kam aus einem kleinen Ort in Deutschland. Dort kannte jeder jeden. Schrecklich. Für mich war das nichts, aus diesem Grund lebte ich nun schon seit fast zehn Jahren in London. In dieser Stadt war einfach immer etwas los und es war nie still. Genau das Richtige.
Meine Eltern konnten diese Entscheidung nie verstehen. Auch heute störte sich mein Vater noch daran, dass ich mit meinen dreißig Jahren einen sehr erfolgreichen Job hatte. Als Chefredakteurin einer,international, sehr bekannten Modezeitschrift, hatte ich alles erreicht, was ich mir immer erträumt hatte. Meine Eltern allerdings, hätten es lieber, dass ich im familieneigenen Hotel arbeite. So wie meine Schwester Alicia. Sie war schon immer der Liebling gewesen. Aber daran hatte ich mich keineswegs gestört. Alicia und ich hatten ein sehr enges Verhältnis. Sie war die jüngere von uns beiden, aber spielte häufiger für mich den Beschützer. Nach ihrem Abschluss an der Hotelfachschule, stieg sie sofort in den Betrieb ein und machte unsere Eltern damit sehr stolz. Nicht so wie ich. Aber im Grunde war mir das mehr als egal. Ich lebte mein Leben und war damit sehr glücklich. Durch meinen Job kam ich ziemlich viel umher und sah Orte, die meine Eltern in ihrem Leben niemals sehen würden.
Ich hatte die zwei Wochen bei meiner Familie so gut wie es ging verdrängt – bis ich im Flugzeug saß. Ab da war meine Stimmung nicht mehr die beste. Ich hatte mir zwei Wochen freischaufeln können, in denen ich nicht im Büro sein musste. Das hieß allerdings nicht gleich automatisch auch Urlaub. Ich hatte ein paar wichtige Telefonkonferenzen mit Designern und Fotografen. Außerdem musste ich die Artikel für die nächste Ausgabe lesen. Ich konnte nur hoffen, dass ich bei meinen Eltern eine gute Internetverbindung hatte.
„Sie sind doch die Chefin von Couture", hörte ich die Dame neben mir sagen. „Ich lese regelmäßig Ihre Zeitung. Einfach super. Wahnsinn, dass ich jetzt neben Ihnen sitze. Sie fliegen auch nach Deutschland? Dumme Frage, sonst wären Sie ja nicht hier im Flieger. Wo wollen Sie denn hin? Machen Sie Urlaub? Nein, Sie fliegen bestimmt zu einem Interview". Oh man. Diese Frau konnte reden. Das sollten die längsten Stunden meines Lebens werden.
„Nein, meine Familie lebt in Deutschland", antwortete ich und wand mich wieder meinen Unterlagen zu.
„Ach wirklich? Dann kommen Sie auch aus Deutschland?", fragte sie und wechselte sofort in die deutsche Sprache. „Sehen Sie, dass wusste ich gar nicht." Ich verdrehte innerlich die Augen. Mir war das ganz recht, dass niemand meine wirkliche Herkunft kannte. Da ich ihr nicht mehr antwortete, gab sie zum Glück Ruhe.
Eine Stunde später durfte ich endlich den Flieger verlassen. Zum Glück hatte mir meine Assistentin schon ein Taxi bestellt. Und genau das wartete auf mich um mich in das kleine Dörfchen meiner Kindheit zu bringen. Ich freute mich schon tierisch.
„So Frau Fischer, dann wollen wir mal losfahren. Kennen Sie denn die Gegend? Sonst kann ich Ihnen ein paar Details erzählen", meinte der Taxifahrer, nachdem er mein Gepäck verstaut hatte. „Vielen Dank, aber ich bin hier aufgewachsen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich noch ein paar Telefonate führen", sagte ich und wählte dabei schon die erste Nummer. „Ne ne, machen Sie mal".
„Hi Bill, hier ist Ellie. Dein Artikel kann so wie er ist in den Druck. Ich wusste doch das du Biss hast. Weiter so. Ich bin die nächsten zwei Wochen zwar nicht im Büro, aber dennoch erreichbar", sagte ich auf englisch und sah aus dem Fenster. Ich vermisste die pulsierende Großstadt schon jetzt. Hier war alles eher ländlich gehalten. Obwohl ich in der Nähe von München groß geworden bin, hat mir das nie gereicht. Der kleine Ort aus dem ich kam, hatte knapp 800 Einwohner. Nicht gerade viel. Ein bisschen Leben in den Ort brachte das Hotel. Aber die Gäste wollten eben dieses auch kaum verlassen. Die meisten buchten ein Wellnesshotel schließlich zur Erholung. Sightseeingtour stand nicht oft auf dem Programm.
„Arbeiten Sie für eine Zeitung?", fragte der Fahrer neugierig. „Ja, aber ich denke, die werden Sie nicht kennen. Es ist eine Frauenzeitschrift".
„Ah, ja da werden Sie recht haben. Meine Frau ließt nur eine Zeitung. Die Couture, aber da werden Sie wahrscheinlich nicht arbeiten", meinte er und zeigte mir lachend die neueste Ausgabe. „Die bringe ich ihr nachher mit. Mein Frau hat sich beim Fenster putzen die Hüfte gebrochen und kann sich nicht so bewegen. Da muss ich ihr den Lesestoff besorgen".
Der Taxifahrer war schon eine Marke für sich. Aber sehr nett, daher offenbarte ich mich ihm. „Ich muss gestehen, ich bin die Chefin des Ganzen. Ich gebe Ihnen mal meine Karte. Vielleicht hat Ihre Frau ja Lust mich zu kontaktieren. Ich bin für zwei Wochen in Deutschland", sagte ich und reichte ihm meine Visitenkarte.
Da er fast eine Vollbremsung hinlegte, krallte ich mich in den Sitz. „Sie sind die Frau Fischer? Ellie Fischer? Von der Couture? Ich fasse es nicht", meinte er und schüttelte den Kopf. „Wenn ich meiner Frau diese Karte gebe, wird sie Sie nicht mehr in Ruhe lassen, das kann ich Ihnen versprechen".
Ich sah grinsend aus dem Fenster und wappnete mich endgültig für das Treffen mit meinen Eltern.
„Da gaben Sie sich aber ein schmuckes Hotel ausgesucht. Hier kann man bestimmt einen schönen Urlaub verbringen". Die Fahrt ging schneller vorbei, als gewünscht. Ich war tatsächlich wieder in der Heimat. „Meinen Eltern gehört das Hotel. Allerdings ist das nicht wirklich Urlaub. Vielen Dank für die Fahrt und grüßen Sie Ihre Frau. Ich hoffe ihr geht es bald wieder besser", sagte ich ehrlich und drückte ihm ein großzügiges Trinkgeld in die Hand. „Vielen Dank Frau Fischer. Das richte ich aus".
„Ahh, du bist da", rief meine Schwester aufgeregt und kam mir entgegen gerannt. „Ich hab dich so vermisst". Und da hatte sie schon ihre Arme um mich geschlungen. „Ich habe dich auch vermisst". Erst nachdem meine Schwester mich wieder losließ, hatte ich die Möglichkeit mich umzusehen. „Es hat sich ganz schön verändert". „Das stimmt. Mama und Papa haben alles ein bisschen modernisiert. Ich habe dir übrigens ein Zimmer zurecht machen lassen. Du willst sicher deine Ruhe haben", meinte meine Schwester und stupste mich leicht an. „Du bist echt die Beste Schwester. Habt ihr eigentlich endlich ein Haus gefunden?", fragte ich neugierig. Alicia und ihr Verlobter lebten mit meinen Eltern in deren Wohnung im Hotel. Das hätte ich kein Jahr ausgehalten. „Nein. Papa will auch nicht, dass wir ausziehen. Stattdessen will er uns den Dachboden ausbauen lassen. Du kennst ihn ja". Ja ich kannte ihn. Viel zu gut. „Hauptsache ihr fühlt euch wohl. Alles andere ist egal". Sie nahm einen meiner Koffer und schob mich zum Eingang. „Ich bin echt froh das du da bist. Aber ich dachte du kannst nur zwei Wochen bleiben. Wofür brauchst du so viel Zeug?", fragte sie und deutete auf die zwei riesigen Louis Vuitton Koffer. „Achso, nein ich muss nach der Hochzeit für ein Meeting nach New York", erklärte ich ihr und zuckte mit den Schultern. „Darum beneide ich dich ja. Du kannst einfach so in den Flieger steigen und so aufregende Personen treffen. Meine Freundinnen freuen sich übrigens schon dich kennen zu lernen. Mein Kleid kommt hoffentlich auch noch rechtzeitig". Alicia hatte sich ein wundervolles Kleid ausgesucht. Eine Creation von Ashley Summers. Ashley war eine der besten Modedesignerinnen und hatte schon viele Fotostrecken in der Couture. Auch privat waren wir befreundet und so kam Alicia auch zu ihrem Kleid. Sonst hätte sie vermutlich nicht so viel Geld ausgeben wollen. Zwar verdient meine kleine Schwester nicht schlecht im Hotel, dennoch war sie immer sehr sparsam. „Keine Sorge. Sie und ihr Mann wollen ein paar Tage Urlaub machen. Sie bringt es dir sogar persönlich vorbei", antworte ich schmunzelnd. Eigentlich wollten die beiden heimlich ihre Flitterwochen verbringen. Ashley und Caleb hatten vor ein paar Wochen heimlich geheiratet. Nur die engsten Freunde waren eingeweiht. Beide wollten kein großes Aufsehen veranstalten.
„Wirklich? Das ist ja super. Ich hatte schon Angst, dass es die Post nicht mehr rechtzeitig schafft". Meine Schwester war bildschön. Ob es an der bevorstehenden Hochzeit oder an der noch sehr frischen Schwangerschaft lag, dass sie so strahlen ließ, konnte ich nicht wissen. Sie hatte es mir vor ein paar Tagen aufgeregt während eines Telefonats erzählt. Da ich ihr versprechen musste, niemandem etwas zu sagen, ging ich davon aus, dass es unsere Eltern noch nicht wussten.
„Keine Sorge. Dein großer Tag wird perfekt werden. Gibt es denn noch etwas, was ich tun kann?", fragte ich und folgte ihr in das große Gebäude meiner Kindheit. Alicia wollte keinen Junggesellinenabschied, also hatte ich so gut wie gar nichts zu planen. Damit hatte ich überhaupt kein Problem. „Nein, alles ist fertig. Du musst einfach nur bei mir sein, das reicht. Ich bin wirklich froh, dass du dir Zeit nehmen konntest". „Das ist..." „Für ihre Schwester wird sie sich ja wohl Zeit nehmen können", meinte unser Vater und sah mich mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck an. Ja. Genau so hatte ich es mir vorgestellt. Das schwarze Schaf war wieder zuhause. „Natürlich, Vater. Die nächsten zwei Wochen bin ich hier". „Gut, dann hoffe ich, du hast dein Handy auf der Insel gelassen". „Papa, du weißt doch, dass Ellie erreichbar sein muss. Mir ist das egal. Hauptsache meine große Schwester steht bei der Hochzeit neben mir", entgegnete meine Schwester und legte ihren freien Arm auf meine Schulter. Ich sagte ja, sie beschützt mich.
„Gerade deshalb sollte sie ihr Handy einfach ausschalten. So wichtig ist sie jetzt auch nicht. Außerdem heißt sie noch immer Elisabeth", murmelte er, doch noch laut genug um es zu hören.
„Ich weiß, du bist noch immer nicht mit meiner Entscheidung zufrieden, aber du weißt ganz genau, dass dieses Hotel mich nie glücklich gemacht hätte. Das Magazin, für welches ich arbeite, lesen Millionen Menschen, weltweit. Und so ganz nebenbei, habe ich deiner liebsten Tochter so ihr Traumkleid verschaffen können. Außerdem bekommt ihr die tollsten Bilder für Euer Hotel", sagte ich voller Wut und ließ meinen Vater stehen. Ich hatte schon mit so einem Moment gerechnet. Nur nicht direkt zu Beginn.
„Ellie, du weißt doch wie er ist. Soll ich dir erst einmal dein Zimmer zeigen?", fragte meine Schwester und sah mich mit ihren grünen Augen an. „Heißt das, dass dein schnuckeliger Fotograf kommt? Simon ist zwar noch nicht so ganz überzeugt davon, dass wir unsere Hochzeit fotografieren lassen, aber es ist gute Werbung. Und da er so tickt wie Papa, ist er einverstanden".
Wir rollten beide mit den Augen. Dass Alicia sich ausgerechnet so einen wie Simon aussuchen musste. Aber sie waren glücklich und das war alles was wichtig war.
„Nein, Leo kommt nicht. Er muss in London Aufträge erfüllen. Außerdem ist er nicht mein Fotograf. Wir sind Kollegen".
„Ellie, ihr seid doch mehr als nur Kollegen". Meine Schwester blieb stehen und sah mich lachend an. „Wie oft seid ihr jetzt schon im Bett gelandet? Vier mal?"
„Alicia, bitte", sagte ich warnend und sah mich um. Wir waren schließlich noch immer im Hotel und alle konnten uns hören. „Es war lediglich dreimal. Und das wird auch nicht mehr passieren. Wir sind Kollegen mehr nicht. Leo und ich... das würde nicht funktionieren".
„Ich weiß gar nicht was du hast. Also im Internet sah dieser Leo sehr schnuckelig aus. Es ist schade, dass er nicht kommt. Dann hättest du eine Begleitung für die Hochzeit gehabt. Dein Ex kommt übrigens auch. Simon und er sind befreundet", verriet sie mir und brachte mich kurz zum Innehalten.
Jonas und ich waren seit dem Kindergarten befreundet und später ein Paar geworden. Allerdings haben wir nie wirklich zusammen gepasst, würde ich heute sagen. Schließlich scheiterte es dann auch an unseren unterschiedlichen Lebensplänen. Jonas wollte unbedingt in diesem öden Dorf bleiben. Und mein Traum war es schon immer, in die weite Welt zu ziehen. Nach meinem Studium blieb ich dann schließlich in London hängen.
„Wie schön. Was macht Jonas denn heute?", fragte ich aus reiner Höflichkeit. In Wirklichkeit interessierte es mich nämlich kein bisschen. Nach unserer Trennung war er nicht wirklich fair geblieben. Erzählte jedem Menschen Lügen und machte sich an meine damaligen Freundinnen ran. - Aus Rache vermutlich. Allerdings hatte er mich damit nicht verletzen können. Und diese Freundinnen interessierten sich auch nicht mehr für mich. Aber das beruhte auf Gegenseitigkeit.
„Er ist mit Clarissa zusammen. Mama vermutet, dass die beiden als nächstes heiraten werden. Ich weiß es ja nicht", erzählte meine Schwester und öffnete meine Zimmertür.
Dies war eine wirkliche Überraschung. Unsere Cousine hatte sich meinen Exfreund geangelt. Ja, so war meine Familie. Alles ein durcheinander.
„Das Zimmer ist sehr schön. Man erkennt deine Handschrift", sagte ich lobend und hob meinen Koffer auf das Bett. Eigentlich lebte ich sonst immer aus dem Koffer und machte mir erst gar nicht die Mühe, alles auszuräumen. Allerdings musste mein Kleid für die Hochzeit ja nicht unbedingt knittern.
„Danke. Ich habe mir auch wirklich Mühe gegeben. Das WLAN Passwort liegt auf dem Schreibtisch. Du wirst es bestimmt brauchen".
„Du bist die beste Schwester. Ich versuche auch nicht zu viel zu arbeiten", versuchte ich zu versprechen. Allerdings kannten wir beide die Wahrheit.
„Ellie, du kannst wegen mir so viel arbeiten, wie du willst. Aber du bist mal wieder hier. Das finde ich so schön. Jetzt mache es dir erst einmal bequem. Wir sehen uns später beim Abendessen. Simons Eltern kommen auch".
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