77 | what happened
Bogums Wohnung war der Inbegriff von einer versifften Studentenbude. Bis auf, dass Jeongguk sich ziemlich sicher war, dass Bogum nie auch nur eine Bildungsanstalt betreten hatte.
Der Zigarettenrauch saß überall fest und Jeongguk brauchte eine Weile um sich daran zu gewöhnen. Überall lagen Klamotten und anderes Zeugs herum. Der Flur führte in ein offenes Wohnzimmer mit einer offenen Küche mit Bartresen auf dem sich leere Flaschen aneinanderreihten und die Überreste einer Pizza lagen. Vom Flur gingen noch drei weitere Türen ab, die allerdings verschlossen waren.
Eine junge Frau, Jessica, lag ausgestreckt auf der Couch im Wohnzimmer und nippte immer mal wieder an einem Weinglas, obwohl ihr Blick schon völlig benebelt war. Als sie zu sechst eintraten, ließ sie das Glas vor Schreck beinahe fallen.
„Wer zu Hölle sind die?", fragte sie sofort und kniff misstrauisch die Augen in dem gedämpften Licht zusammen. „Bin ich voll oder sieht der Typ da aus wie dieser schwule Friseur, der sich den Prinzen gekrallt hat..." Sie zeigte auf Jeongguk und lehnte sich sofort vor, bis sie vom Sofa rutschte. Beinahe ein wenig genervt ließ Bogum von Taehyung ab und zog seine Mitbewohnerin zurück auf die Beine.
„Ich würde vorschlagen, du gehst jetzt erstmal ins Bett. Wenn ich dir heute alles erkläre, wirst du vermutlich aus dem Fenster springen", redete er beruhigend auf sie ein und nahm ihr das Glas weg. Staunend beobachtete Jeongguk wie sie sich sofort auf seine Worte hin trollte, allerdings dicht an Jeongguk vorbeiging, um sein Gesicht zu packen und einmal kurz hin und her zu drehen. Er erschrak sich zu sehr um sich wehren zu können.
„Man bist du hübsch. Das Fernsehen macht dich echt nicht vorteilhaft", bemerkte sie, ließ von ihm ab und schlurfte in eines der Zimmer. Ihr alkoholisierter Atem aber blieb in der Luft zurück.
Peinlich berührt sah Jeongguk zurück in die Runde und bemerkte, dass alle Blicke auf ihm lagen. Inklusive der von Bogum. Ein Blick, der abfälliger und amüsierter zugleich nicht sein könnte.
„Ist es okay wenn wir morgen über alles reden?", fragte Taehyung irgendwann in die Runde und blieb dabei an Jeongguk hängen. „Wir sollten jetzt alle mal ein bisschen schlafen, um den Kopf einmal freizukriegen."
„Bin ich dafür", meinte Yoongi und stellte den Koffer ab. „War ein langer Tag."
„Ja, ich auch", schloss Namjoon sich an und sie alle sahen zu Bogum, der langsam nickte und sich bückte um das Sofa auszuziehen.
„Zwei von euch können hier schlafen. Dann haben wir eine Ausziehcouch in der Kammer und du..." Er deutete auf Shuhua, die noch immer ein wenig abseits stand und sich offensichtlich ziemlich unwohl fühlte. Sie hatte die Finger ineinander verschränkt und irgendwie sah sie aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. „Unter Jessis Bett ist noch eine Matratze. Und keine Sorge, wenn sie einmal nüchtern und ausgeschlafen ist, ist sie eigentlich ganz nett."
Dann drehte Bogum sich zu Taehyung um und auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.
„Und bei mir im Bett wär noch Platz..."
Sofort drehte Jeongguk sich weg und biss die Zähne zusammen, um dieses eklige Gefühl in seinem Bauch zu ignorieren.
„Yoongi, schlafen wir dann hier?", fragte er leise an den Blonden gewandt, allerdings nicht zu leise, dass Taehyung es nicht mitbekam.
„Bogum, ich kann dir nicht genug für das hier danken, aber... bitte nicht, okay?"
„Schon in Ordnung", setzte Jeongguk an. „Ich werd einfach..."
„Nein, das wirst du nicht", unterbrach Taehyung ihn und mühte sich dabei wirklich ab sein Lächeln zu halten. Yoongi senkte unwohl den Blick und Namjoon verkniff sich ein Grinsen.
„Wir nehmen die Kammer. Ich muss noch ein paar Dinge mit dir besprechen..."
Kammer war tatsächlich nicht untertrieben. Eine eingebaute Plattform etwa zweieinhalb Meter über ihnen hielt vermutlich Unmengen an Zeugs, was sonst in den Keller gekommen wäre. Eine Malerleiter stand eingeklappt in einer Ecke für den Fall, dass man etwas von dort oben brauchte. Dadrunter stand die gleiche Couch wie im Wohnzimmer, mit dem Unterschied, dass sie grau statt rot und bereits bezogen war. Als wäre das hier das Gästezimmer.
Jeongguk fühlte sich sofort wohl.
Irgendwie erinnerte ihn die Winzigkeit des Raumes an sein Zimmer Zuhause. Mit dem kleinen Unterschied, dass bis auf ein Röhrenfernseher an der Wand nichts weiter an Einrichtung hineinpasste.
Trotzdem warf er sich sofort auf das Polster der Couch und vergrub seine Nase in den Kissen, die alle nach einer Mischung aus Rauch und billigem Waschmittel rochen. Erst jetzt fiel ihm auf, wie sehr er dieses Leben vermisst hatte.
Es war so schön einfach gewesen.
Die einzigen Sorgen, die man gehabt hatte, waren, dass der Tag nicht genug Kunden für ein Abendessen brachte, wie man stockbesoffen mit der Bahn wieder nach Hause kommen sollte und dass es seinen engsten Bekannten einigermaßen gut ging.
Seit er Taehyung kannte, hatte sich all das in Luft aufgelöst und Platz für Reiche-Menschen-Probleme gemacht. Und vielleicht bildete er es sich ein, aber die waren tausendmal schlimmer, als die mit denen er davor zu kämpfen hatte.
Überall wurden Intrigen gesponnen. Jeder log jeden an. Er dachte an Seokjin, der seine beste Freundin als Frau vorführte und sich hinter dem Rücken seines Vaters vermutlich durch das halbe Land vögelte.
Taehyung, der sich mit ein paar Millionen nach Schweden abseilen wollte. Das ganze Königshaus, was auf einer achtzig Jahre alten Lüge basierte.
Kein Wunder, dass die normal Sterblichen langsam die Nase voll hatten von dem Mist.
Wenn er so darüber nachdachte, konnte er es Hoseok und Jimin nicht einmal verübeln, dass sie das Schloss übernommen hatten. Sie hätten nur nicht so gewaltsam dabei vorgehen müssen. Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen, führte meistens in eine Sackgasse und...
Jeongguk stockte in seinen Gedanken, als er die Klinke der Tür hörte.
Taehyung.
Sollte er so tun, als würde er schlafen? Eigentlich wollte er gar nicht mit ihm sprechen. Er wollte gar nicht wissen, wie oft er mit Bogum das Bett geteilt hatte, damit dieser ihm jetzt hier Unterschlupf gewährte.
Immerhin hatte er die letzten zwei Wochen Zeit gehabt, seine Schuld hierfür zu begleichen.
„Jeongguk?"
Der Lichtspalt vom Flur wurde kleiner, als Taehyung so leise wie möglich die Tür hinter sich zuzog.
„Hey..."
Jeongguk gab ein unverständliches Grummeln von sich und drehte sich auf die Seite, den Rücken zu Taehyung gewandt. Das Polster neben ihm sank ein wenig ein und kalte Finger strichen ihm über die Schulter, hoch zu seiner Wange.
„Ich weiß, dass du noch wach bist", murmelte Taehyung leise, holte Luft, um noch etwas hinterher zu setzen, ließ es jedoch sein und zog seine Hand weg. „Yoongi kannst du damit was vormachen. Mir nicht."
Jeongguk schwieg und krallte sich fester an das Kissen.
„Naja, ist eigentlich auch egal. Vermutlich ist es eh besser, wenn du mich ausreden lässt." Er seufzte noch einmal. „Um ehrlich zu sein hat auch alles mit dir angefangen."
Wie sollte es anders sein, dachte Jeongguk und biss sich auf die Lippe um es nicht auszusprechen.
„Weißt du noch wie ich dich gefragt hab, ob du ein Rebell bist? Du hast es nicht sonderlich glaubhaft abgestritten, deswegen hab ich Namjoon darauf angesetzt dich zu durchleuchten und deinen Freundeskreis einmal zu filzen. Und ja, ich weiß... das war falsch." Wieder seufzte er. „Aber tatsächlich hat Namjoon nicht viel gefunden. Das Einzige, was wir danach über diese Menschen wussten, war das, was wir eh schon aus den Anschlägen auf das Schloss erfahren haben."
Eine vage Erinnerung schlich sich in Jeongguks Kopf.
Hatte Taehyung nicht bei einem ihrer ersten Treffen einen Anschlag erwähnt? Allerdings war er danach so wortkarg gewesen, dass es irgendwie in all den anderen Gedanken untergegangen war.
„Seit knapp zwanzig Jahren versucht die Gegenbewegung die Regierung zu übernehmen. Hat aber noch nie so richtig funktioniert. Bisher war das alles immer ziemlich ungeplant, deswegen sind wir auch davon ausgegangen, dass es einfach nur eine Gruppe wütender Obdachloser ist, die versucht was zu ändern. Das ist übrigens auch der Grund, weshalb das alles aus den Nachrichten rausgehalten wurde. Mein Vater dachte, dass wir damit schon klarkommen." Er machte eine Pause und Jeongguk wusste einfach, dass er das Gesicht verzog.
„Naja jedenfalls... von den Anschlägen wussten nur Eingeweihte und weil du so planlos davon warst, war mir eigentlich schon klar, dass du nicht dazu gehören kannst, aber Namjoon hat trotzdem nicht locker gelassen. Was vielleicht erklärt, warum er auf einmal... so zu dir war... Ich weiß nicht genau, wen er alles dafür gestalkt hat, aber irgendwann ist er zu mir gekommen und hat mir von seinem Verdacht erzählt, dass bald wieder ein Angriff stattfinden würde. Dieses Mal mit mehr Hilfe und Organisation von außerhalb. Ich hab das natürlich sofort meinem Vater gesagt, aber er hat nichts weiter getan als die Sicherheitsvorkehrungen zu verschärfen."
Jeongguk dachte an Yugyeom, der fast im Stehen eingeschlafen war, als er ihn an diesem Morgen im Gang getroffen hatte. Er war also nicht krank gewesen, sondern hatte einfach eine viel zu lange Reihe an Überstunden hinter sich.
„Eigentlich hätte mich das beruhigen sollen, aber irgendwie... ich weiß auch nicht. Irgendwie ist in dem Moment alles zusammen gekommen. Namjoon hat sich echt besorgt angehört und das tut er sonst nie. Und außerdem warst du zu dem Zeitpunkt im Schloss... Also bin ich los, um selbst rauszufinden, was sich in der Stadt abspielt. Und weil Bogum der Einzige ist, den ich hier kenne und vertraue, bin ich zu ihm."
Jeongguk wollte etwas sagen, ihn unterbrechen, doch sein Kopf war zu leer.
„Ich bin zu ihm und hab ihn gefragt, ob er was aus der Szene gehört hat. Natürlich wollte er was für die Info haben. Er war immer noch sauer, dass das mit uns jetzt offiziell ist, deswegen... bin ich über Nacht bei ihm geblieben. Aber immerhin wusste ich am nächsten Morgen, dass ungefähr die Hälfte der Stadt sich gegen die Monarchie verschworen hat und für einen Umbruch jederzeit bereit wäre. Ich wusste nur noch nicht wann. Ich wusste nur, dass wir dieses Mal ganz bestimmt nicht standhalten und gewinnen können."
Von irgendwoher tönte eine Polizeisirene.
„Die zwei Wochen in denen ich weg war, hab ich versucht dich nicht zu beunruhigen, einen Platz zu finden, wo wir uns verstecken können und Vorbereitungen zu treffen, für den Fall eines Angriffes. Inklusive alle Dokumente aus der Bibliothek zu entwenden, die beweisen, dass wir unrechtmäßig an der Macht sind. Mein Dad hat mich natürlich für vollkommen übergeschnappt gehalten, deswegen hab ich versucht meinen eigenen Arsch zu retten. Und alle aus dem Schloss an denen mir etwas liegt... Beziehungsweise an denen dir etwas liegt."
„Shuhua?"
„Ja..."
Langsam drehte Jeongguk sich zurück auf den Rücken und starrte an die Decke.
„Ich weiß nicht genau, was Hoseok und Jimin vorhaben, aber wenn wir da geblieben wären, wären wir jetzt so gut wie tot."
„Ich kann irgendwie nicht glauben, dass sie jemanden für sowas umbringen würden...", murmelte Jeongguk und ein Bild kämpfte sich an die Oberfläche von den Gedanken, die er versucht hatte zu unterdrücken.
„Sie haben deinen Vater umgebracht, Jeongguk", erwiderte Taehyung leise und legte eine Hand auf Jeongguks Schulter. „Es hat sich alles schon entschieden."
Sie verharrten etwa eine Minute lang so. Dann setzte Jeongguk sich auf und Taehyung schloss ihn in die Arme.
„Er ist tot...", flüsterte Jeongguk und vergrub sein Gesicht an Taehyungs Hemd, bevor er anfing seinen ganzen Frust, seine ganze Trauer und seine ganze Angst abzubauen und in Tränen aus seinem Körper zu waschen.
„Und ich hab ihm nicht einmal Auf Wiedersehen gesagt."
...ich hoffe euch geht's gut ✨
PS.: Hört es euch an...
Songempfehlung des Tages:
Zone [3racha]
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