36 | yoga for beginners
Das Türschloss rastete ein und Jeongguk drehte sich auf die Seite.
„Morgen, Shuhua", murmelte er schläfrig und gähnte ohne die Augen zu öffnen. „Tut mir Leid, ich... ich bin gleich wach. Ich muss nur kurz..."
Schwerfällig ließ er sich auf den Rücken fallen und rieb sich über die vom Schlaf verklebten Augen, während langsam wieder das Leben in seinen Körper zurückkehrte. Ein schreckliches Gefühl. Als würde man von einer Wolke herunterfallen und auf Beton landen.
Diese zwei Minuten direkt nach dem Aufwachen waren die Schönsten. Wenn man nicht wusste, wo man sich befand und warum. Wenn man nicht wusste, was am Abend zuvor passiert war und weshalb. Wenn man nicht einmal wusste, wie man hieß.
Unwissenheit ist ein Segen und das der lebende Beweis dafür.
Als Jeongguk die Augen schaffte zu öffnen und wohlig lächelnd an die Decke starrte, tröpfelten die Erinnerungen an letzte Nacht ein wie langsamer Regen.
Es war schon wieder passiert.
Sofort sah Jeongguk an sich runter, stellte jedoch fest, dass er noch alle seine Sachen von gestern Abend anhatte, was in diesem Moment echt unangenehm war, allerdings auch irgendwie beruhigend. Er war ja sonst nicht so, aber wenn er mit Taehyung geschlafen hätte, hätte das die Dinge nur unnötig kompliziert gemacht. Es reichte ja schon, dass sie miteinander rumgemacht hatten.
Zum zweiten Mal. In drei Tagen.
Fast schon gewohnheitsgemäß drehte er seinen Kopf zur Seite in Erwartung dort einen dunklen Wuschelkopf schnarchend zwischen den Kissen zu finden, doch die andere Hälfte des Bettes war leer.
Erschrocken setzte Jeongguk sich auf.
Er war in Taehyungs Zimmer, in Taehyungs Bett. Die Tür zum Bad stand sperrangelweit offen, die Zimmertür war zu. Auf dem Tisch lag ein Tablett mit Frühstück. Kein Taehyung.
Natürlich. Der Prinz war abgehauen, als er festgestellt hatte, dass sie schon wieder an genau demselben Punkt gelandet waren wie vor zwei Tagen. Und weil er ihn schlecht rauswerfen konnte, hatte er sich einfach selbst aus dem Staub gemacht.
Die Kirsche auf dem Cupcake wäre jetzt noch, dass die Tür abgeschlossen war, damit er auch ja nicht abhaute.
Genervt stand Jeongguk auf und lief zu dem Frühstückstablett, um sein Wasserglas leer zu trinken. Irgendwie tat ihm der Kopf ein bisschen weh und er erinnerte sich daran, wie viel sie gestern getrunken hatten. Wie peinlich. Das letzte Mal, als er einen Kater gehabt hatte, war, als er mit Hoseok und Jimin im Naturkundemuseum eingebrochen war. Ein unvergesslicher Abend. Jeongguk musste grinsen, als er daran zurückdachte.
Als er das Glas wieder absetzte, fiel sein Blick auf einen Zettel, der neben dem dampfenden Rührei lag.
Ich weiß genau, was du gestern Abend versucht hast. Handtücher sind im Bad.
Taehyung
Ach ja? Was hatte Jeongguk denn versucht? Taehyung abzufüllen, damit er sich ganz sicher sein konnte, dass es ihm egal war, ob der Prinz ihn leiden konnte oder nicht? Immerhin hatte es funktioniert.
Eher semi gut, aber es hatte funktioniert.
Es war ihm egal. Es war schön, aber es war ihm egal.
Ohne an den Zettel einen weiteren Gedanken zu verschwenden steckte Jeongguk sich ein Stück von dem geschnittenen Apfel in den Mund und machte sich auf den Weg ins Bad, um das Kribbeln von gestern Abend von seiner Haut abzuwaschen.
Doch egal wie lange er seine Haut mit Pfirsich und Wildblumen einseifte - er hätte auch Taehyungs Duschcreme nehmen können, aber vermutlich war das die einzige Zeit in seinem Leben, in der er wie eine verdammte Fee riechen durfte, ohne von anderen komische Blicke zu bekommen -, die roten Flecken an seinem Hals verschwanden nicht.
Taehyung hatte sein Zimmer sehr spärlich bestückt. Nur das Notwendigste vom Notwendigsten, doch trotzdem fand Jeongguk in dem Schrank eine frische Boxershorts, Regenbogensocken, Shorts und ein weißes T-Shirt.
Auch Bücher hatte der Prinz sich auf seinem Nachttisch deponiert. Stolz und Vorurteil und ein kleines Heftchen über eine jahrtausendealte, indische Meditationstechnik und körperliche Bewegungsabläufe... auch Yoga genannt. Jeongguk hatte grinsen müssen, als er das Büchlein aufgehoben hatte. Warum musste man die Sachen immer beeindruckender beschreiben, als sie waren?
Seine Mutter hatte eine Zeit lang einmal Yoga gemacht, doch so richtig einen Unterschied hatte er nicht an ihr ausmachen können. Seitdem hatte er es als Alte-Frauen-Sport abgestempelt.
Ein Grund mehr warum er wissen wollte, weshalb Taehyung so ein Buch zu seiner Abendlektüre zählte. Bevor er jedoch reinsehen konnte, hörte er auf einmal ein Geräusch. Etwas, was er seit gut einem Monat nicht mehr gehört hatte.
Das nervtötende Klingeln eines Handys.
Verblüfft legte Jeongguk das Buch zurück auf Stolz und Vorurteil und ging dem Geräusch nach. Das Telefon lag so offensichtlich auf dem Bücherregal, dass er sich fragte, warum er es nicht schon vorher wahrgenommen hatte. Es war ein IPhone. Eins von den Neuen, die sich per Face ID entsperrten. Jeongguk zog eine Grimasse, das Ding vibrierte und er gab es auf.
Ein verpasster Anruf von Jin und unzählige Nachrichten.
Neugierig ignorierte Jeongguk jegliche Stimmen der Vernunft und setzte sich mit Taehyungs Handy zurück aufs Bett, um es genauer unter die Lupe zu nehmen.
Taehyung hatte seinen älteren Bruder und den Thronfolger ohne jeglichen Emoji eingespeichert und Jeongguk stellte sofort wilde Theorien auf weshalb. Er hatte den Prinzen schon oft in der Zeitung gesehen und eigentlich hatte er immer genau das gleiche Unnahbare wie Taehyung an sich gehabt, doch trotzdem hatte ihn eine andere Aura umgeben, die ihm ein wenig von der Kälte nahm, welche sein jüngerer Bruder noch manchmal versprühte. Auch wenn Jeongguk zugeben musste, dass sie, je länger sie miteinander Zeit verbracht hatten, mehr und mehr verblasst war.
Seokjin war auf jeden Fall jemand, unter deren Regentschaft Jeongguk weiterleben würde. Er hatte keine Ahnung von der Politik, die er betrieb, aber so an sich, hatte er immer einen ganz sympathischen Eindruck auf ihn gemacht. Vielleicht ein wenig verklemmt, aber wer war das nicht aus der Königsfamilie.
Obwohl...
Jeongguk sah auf und ein Bild von gestern blitzte ihm durch den Kopf; als Taehyung irgendwann keine Geduld mehr hatte und seine Hände von Jeongguks Hüfte auf seinen Hintern gewandert waren. Ein Schauer lief ihm über den Rücken und er wandte sich schnell wieder dem Handy zu.
Dad kannst du anlügen. Mich nicht.
Du fährst nicht zu Tante Jieun. Dafür warst du zu glücklich, als du dich verabschiedet hast.
Was zur Hölle ist los mit dir?
Es war ein Eingriff in Taehyungs Privatsphäre, doch Jeongguk scrollte weiter in den ungelesenen Nachrichten. Namjoon hatte ihm auch geschrieben.
Sei vorsichtig, ja?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass Jeongguks Weste nicht so weiß ist, wie dein Vater glaubt...
Verwirrt sah Jeongguk auf. War das der Grund warum Namjoon ihn behandelte, wie einen Spion, der Taehyung ihm Schlaf abstechen würde? Falls ja, hatte er mit ihm nächstes Mal noch ein Wörtchen zu reden. Wie sehr man sich doch in Menschen irren konnte...
Als das Handy erneut zu vibrieren anfing, ließ Jeongguk es fast fallen vor Schreck.
Bogum ließ es vier Mal klingeln, bevor er es aufgab.
Lang genug, damit Jeongguk einfiel, woher diesen Namen in Bezug auf Taehyung schonmal gehört hatte.
Die darauf eintreffenden Nachrichten bestätigten seine Annahme nur noch und ein Stich fuhr durch sein Herz.
Hey Tae, wir haben uns lang nicht mehr gesehen
Ich hab das mit deinem Verlobten in den Nachrichten mitbekommen
Hättest mich ja wenigstens vorwarnen können haha
Willst du den echt heiraten oder wird dir das wieder von deinem Dad aufgezwungen?
Falls du jemanden zum Reden und Abreagieren brauchst... ich bin für dich da
Mit hochgezogener Augenbraue scannte Jeongguk noch einmal über die Nachrichten, als eine weitere eintraf.
So wie der aussieht, kommt er ja nicht einmal im Ansatz an das ran, was du jetzt gerade haben könntest ;)
Sofort klickte Jeongguk auf das darauffolgenden Bild, doch nur die Codeeingabe ploppte auf. Wütend ließ er das Handy sinken. Nicht nur, dass dieser Bogum ihn offensichtlich versuchte bei Taehyung schlecht zu reden. Er schickte ihm auch Dinge von denen Jeongguk eigentlich froh war keinen Zugriff auf sie zu haben.
Als wäre Taehyung solo und der Kerl seine heimliche Affäre von der niemand etwas wissen durfte, weil er ja angeblich jemandem versprochen war...
Jeongguk hielt inne und schluckte schwer.
So abwegig war das gar nicht.
Er wusste praktisch nichts von Taehyung. Und irgendwie würde es ihn auch nicht wundern, wenn er sich nur mit ihm abgab, weil er nicht wollte, dass Jeongguk die Fliege machte oder anfing sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Genug Gründe hätte er. So hält man den Tiger im Käfig. Gib ihm Essen und Küsschen, bis er schnurrend in deinen Armen einschläft.
Ganz große Klasse.
Und er, Jeon Jeongguk, der sich immer geschworen hatte nichts und niemandem mehr zu vertrauen, der es auf seine Lippen abgesehen hatte, war darauf hereingefallen.
Man kann ja sagen was man will, aber ich mag dieses graue Wetter... irgendwie fühlt es sich immer gut an dann im Bett liegen zu bleiben
Songempfehlung des Tages:
Wish you were here [Super M]
♡
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