31 | save the penguins
„Raus aus den Feder, Prinzessin! Ich hab den Befehl bekommen mit dir ein wenig Gassi zu gehen."
„Geh weg, Yoongi."
„Sorry, Großer. Ich bin treu ergeben und hab außerdem schon meine Sportsachen an. Jetzt oder nie..."
Müde wälzte Jeongguk sich in seinem Bett hin und her, bis er letztendlich doch aufsah und Yoongi im Türrahmen einen finsteren Blick zuwarf. Der Blonde trug eine Jogginghose und ein viel zu großes T-Shirt mit der Aufschrift Rettet die Pinguine. Jeongguk grinste.
„Werbung für deine Familie?"
„Wenn du Witze reißen kannst, kannst du auch aufstehen. Los! Hopp Hopp! Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit." Laut klatschte er in die Hände und kam auf Jeongguk zu, woraufhin dieser sich schnell aufrappelte und aufstand.
„Ist ja gut. Als ich gesagt hab, dass ich gern mal rausgehen würde, hab ich nicht gemeint, dass du mich jeden Tag für eine Stunde aussperrst, damit ich joggen gehe", grummelte er und zog sich seinen Pullover über den Kopf, um ihn gegen ein T-Shirt zu tauschen. Als er zusammen mit Taehyung aufgewacht war, hatte es noch den ganzen Tag danach geregnet und die Erde ordentlich abgekühlt. Aber sobald er anfing sich zu bewegen, würde es besser werden.
„Jaa... nur dass ich dieses Mal mitkomme. Wir können die Route laufen, die Namjoon und ich immer spaziert sind", schlug Yoongi vor, während Jeongguk sich so langsam wie möglich eine Hose und seine ausgelatschten Turnschuhe anzog.
Er war müde. Es war irgendwann am Nachmittag und er lag seit dem Frühstück in seinem Bett und döste vor sich hin. Genau wie er es schon die letzten zwei Tage getan hatte. Wenn er richtig gerechnet hatte, war es mittlerweile Sonntag, doch die Erinnerung an Freitagabend hing noch immer viel zu schwer nach und drückte ihm auf die Stimmung wie eine Grippeerkrankung.
„Ich dachte, du läufst nicht", meinte Jeongguk und baute sich neben Yoongi auf, der seine blonde Mähne unter eine Cap geschoben hatte, als würde er dadurch sportlicher aussehen.
„Wir laufen auch ganz langsam. Und mit Pausen. Und wenn du darauf keine Lust hast, musst du mich tragen", grinste Yoongi, worauf Jeongguk nur genervt die Augen verdrehte und sich wortlos an seinem persönlichen Aufpasser vorbeischob.
Immerhin würde Yoongi ihn danach für den Rest des Abends in Ruhe lassen.
Hoffentlich.
Der Wald war schön. Es roch nach Regen und die Sonne glitzerte in den Tropfen, die noch an den zartgrünen Blättern hingen. Der Boden war zum Glück nicht allzu matschig und aufgeweicht und Jeongguk trabte im Gleichschritt mit Yoongi, der ohne Punkt und Komma erzählte, sich allerdings mehr fürs Erzählen interessierte, als dafür auch irgendwann anzukommen.
„Und dann hab ich noch Macarons gekauft, die ich dir eigentlich mitbringen wollte. Aber dann hab ich sie mit einem Straßenkünstler geteilt, der diese eine Sinfonie von Schostakowitsch gespielt hat. Du weißt schon... dieses duum duum du dam dam... die musste ich mal in der Schule analysieren. Musik LK und so. Sowas bleibt ewig hängen. Jedenfalls... das war ein echt gutes Arrangement für eine Geige, aber ich hatte kein Geld für seinen Koffer dabei, weil ich ja davor die Macarons gekauft hab. Und deswegen hab ich gewartete bis er fertig ist und dann haben wir ein bisschen gequatscht und uns die Macarons geteilt. Er mochte Vanille am liebsten. Verrückt, oder? Aber das war eigentlich alles... was hast du heute so Schönes gemacht?"
„Nichts", brummte Jeongguk und war versucht sein Tempo anzuziehen, damit Yoongi schneller außer Atem geriet und womöglich irgendwann die Klappe hielt, ließ es jedoch bleiben.
Die frische Luft pustete seine Gedanken einmal durch und den Muff aus seinem Kopf, der sich gestern und heute dort breit gemacht hatte. Dass sie langsam liefen hatte außerdem den Vorteil, dass er den Geruch des Waldes richtig genießen konnte, und wenigstens etwas hatte mit dem er sich davon ablenken konnte nicht zurück in seine Grübeleien über Freitagnacht zu verfallen.
Die Flecken an seinem Hals waren glücklicherweise schon etwas verblasst, die Erinnerung hingegen kein bisschen. Doch je länger er darüber nachgedacht hatte, desto dämlicher kam er sich vor.
Er hatte sich von einem Prinzen küssen lassen und, so ungern er es sich eingestand, es hatte ihn gefallen.
Anderseits hatte er sich schon von sehr vielen anderen Leuten küssen lassen, die er vermutlich im echten Leben gar nicht leiden konnte, und es im Nachhinein nie bereut. Vielleicht konnte er Taehyung einfach als eine seiner vielen, kleinen Affären abstempeln und fallen lassen. Die ganze Sache zwischen ihnen war sowieso schon kompliziert genug.
„Wie nichts? So gar nichts?"
„Nein."
„Liest du nicht immer irgendwas?"
„Heute nicht."
„Du gehst ein, wenn du deine Gedanken nicht mal ein bisschen bewegst."
„Wer hat dir denn die Scheiße erzählt?"
„Meine Mutter. Sie meinte, wenn ich mich weigere Sport zu machen, soll ich im Gegenzug Klavier spielen lernen, um wenigstens meinen Kopf auf Trab zu halten."
„Und? Hat es was gebracht?"
„Können wir eine Pause machen?"
Ungläubig sah Jeongguk zu seinem Mitläufer, der bereits ganz rot im Gesicht war und immer schwerer zu atmen schien.
„Jetzt schon? Wir sind vielleicht zehn Minuten unterwegs...?"
„Acht Minuten zu lang. Ich kann nicht mehr, Jeongguk, bitte."
„Na schön", seufzte er und verlangsamte sein Tempo bis er schnell und mit großen Schritten ins Gehen überging. Er war bei weitem noch nicht ausgepowert. Er schwitzte noch nicht einmal.
„Hast du eigentlich einen Spitznamen, den du so gar nicht leiden kannst?"
„Damit du mich in jeder freien Sekunde damit nerven kannst? Nein danke", grinste er und vergrub die Hände in den Hosentaschen, um die Nase höher zu halten und sich auf den Geruch von Regen und Holz zu konzentrieren. Doch Gedanke an den Kuss versuchte immer wieder die Oberhand zu übernehmen.
„Nein, ich frag nur... einfach so. Wusstest du, dass Taehyung..."
„Nein", unterbrach Jeongguk ihn sofort und hob eine Hand. „Kein Wort über Taehyung. Sonst dreh ich um und geh zurück."
„Bist du immer noch wütend wegen Freitag?", fragte Yoongi ungläubig und boxte Jeongguk sanft in die Seite. „Also Tae hat mir erzählt, dass er du echt gut küssen kannst und wenn ich mir da so deinen Hals angucke, dann..."
„Yoongi?"
„Ja?"
„Ich mein's ernst. Das war nicht witzig. Ich fand's nicht witzig. Es war schön. Aber nicht witzig. Klar?"
„Aber sollte man nicht über schöne Sachen reden?"
Ohne eine Antwort zu geben fing Jeongguk wieder an zu rennen.
„Okay, okay. Ich hab verstanden. Bleibt stehen, bitte", rief Yoongi ihm hinter her. „Sag mir einfach nur, warum ihr euch immer streiten müsst. Und am besten auch noch, warum du den Mut hast Taehyung sowas ins Gesicht zu sagen."
Jeongguk rollte mit den Augen.
Natürlich. Der Prinz hatte gepetzt. Schon wieder.
Und jetzt durfte er sich rechtfertigen für die Dinge, die er zu ihm gesagt hatte?
„Er hat bei mir ziemlich an Respekt verloren, als er meinte, er hat mich entführen lassen, um seinem Vater mehrere Millionen abzuzwacken mit denen er sich dann nach Schweden verpisst."
„Er will abhauen?"
„Klar. Damit er mich nicht doch heiraten muss... das war doch der Sinn der Sache, oder?"
Yoongi nickte langsam, schien mit den Gedanken jedoch ganz woanders zu sein.
„Und warum wir uns immer streiten, liegt wahrscheinlich daran, dass er sich einen Dreck für meine Welt interessiert und ich mich einen Dreck für seine. Wir sind zu verschieden. Das hätte eh nicht funktioniert. Das ist als würdest du eine Schlange und ein Kaninchen in einen Käfig sperren und erwarten, dass sie Kinder kriegen."
Jeongguk drehte sich um und lief rückwärts weiter, um Yoongi ansehen zu können.
„Ich hoffe, das beantwortet deine Frage. Lass uns lieber darüber reden warum du so auf ABBA abfährst."
„Ich bin in 1998 geboren. Damals hat man den Kindern noch das Beste vom Besten zu hören gegeben. Aber nochmal zurück zu Taehyung..."
Jeongguk war gerade im Begriff die Arme vor der Brust zu verschränken und jeden weiteren Versuch abzublocken ihn auf den Prinzen anzusprechen, als er mit der Ferse gegen einen etwas größeren Stein stieß und das Gleichgewicht verlor.
Vielleicht nicht unbedingt das schlimmste, was ihm je passiert war, würde der steinige Wanderweg nicht in genau diesem Moment zu einer Schräge abfallen.
Yoongi schaffte es nicht rechtzeitig seine Hand auszustrecken, sodass Jeongguk ungehindert bis zur Hälfte des Abhangs rutschte und erst als er angehalten hatte, kraftlos den Kopf sinken ließ.
Warum passierte sowas eigentlich immer ausgerechnet ihm? Sein Knöchel hatte sich gerade wieder normal angefühlt.
„Verdammte Scheiße", röchelte er und bemerkte aus dem Augenwinkel wie Yoongi rutschend neben ihm zum Stehen kam und sich auf den steinigen Boden kniete.
„Du brauchst uns gar nicht, um dich in Schwierigkeiten zu bringen, oder?", grinste er und drehte Jeongguk auf den Rücken, um vorsichtig sein Gesicht nach irgendwelchen ernsten Verletzungen abzutasten.
„Bevor ihr mich gekidnappt habt, ist mir sowas nie passiert", stöhnte er und setzte sich langsam auf. Er würde überall an seinem Körper blaue Flecken haben. Da konnte er von Glück sprechen, dass er bis jetzt kein Blut sah.
„Kannst du aufstehen? Ich will gucken, ob du dir was geprellt hast", murmelte Yoongi, als er fertig war und Jeongguk die Hand hinhielt. „Ich hätte dir vielleicht sagen sollen, dass es hier steiler bergab geht. Ganz davon abgesehen, hätten wir oben auf dem Hang nach rechts abbiegen müssen."
„Beim nächsten Mal", knurrte Jeongguk ironisch und klopfte sich den Dreck aus den Klamotten. Die konnten also schon wieder in die Wäsche. Na toll. Shuhua wird bestimmt richtig glücklich darüber sein.
„Tut dir irgendwas weh, wenn du läufst?"
Jeongguk machte ein paar Schritte und schüttelte den Kopf. Mitten in seiner Bewegung jedoch hielt er inne.
„Was?", fragte Yoongi sofort und eilte an seine Seite, doch Jeongguk winkte ab. Da war etwas. Hinter der Abzweigung des Weges waren Stimmen. Laute Stimmen. Stimmen, die ihm erschreckend vertraut vorkamen.
Langsam machte Jeongguk ein paar Schritte darauf zu und spähte durch das frische Blattwerk der Bäume. Nach der Abzweigung tat sich eine riesige Lichtung auf, an der ein Aushängeschild die Besonderheiten des Waldes beschrieb. Unzählige Wege und Pfade gingen von dieser Lichtung ab.
Und inmitten darin stand ein Auto.
Ein Auto und zwei Personen, die lautstark miteinander stritten.
„Ich hab dir gesagt, fahr links lang."
„Ich bin links gefahren."
„Du bist rechts gefahren, du Idiot."
„Nachdem ich links gefahren bin. Hättest du nicht die Hälfte der Zeit auf der Rückbank gepennt, hättest du es mitbekommen."
„Hättest du unsere Karte nicht in diesen verdammten See fallen lassen, könnte ich dir vielleicht sogar vertrauen."
Jeongguk rieb sich über die Augen und sah noch einmal hin, doch das Bild veränderte sich nicht.
Da auf der Lichtung standen Hoseok und Jimin.
Und ein alter, verrosteter Van, der verdächtig nach dem Auto aussah, das sich seine zwei besten Freunde schon mehrmals von ihrem neunzig Jahre alten Nachbarn ausgeborgt hatten.
Es gibt nichts, was schlimmer in meinem Kopf festsitzt, als das Thema aus Schostakowitschs 7. Sinfonie ungefähr ab Minute 7:15... es ist übel, Freunde... es ist übel
Songempfehlung des Tages:
7. Sinfonie „Leningrader" [Dmitri Schostakowitsch]
♡
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