-(27)- Ich könnte dir niemals böse sein
Harry
Ein lautes Klopfen an der Türe reißt mich eher unsanft aus dem Schlaf. Ziemlich genervt schlage ich meine Augen auf und hoffe, dass der Jenige da draußen verdammt noch einmal eine gute Erklärung für das hat. Ich hasse es nämlich gegen meinen Willen geweckt zu werden.
Mit einem kurzen Blick auf die Uhr schlage ich die Decke grummend von meinem Körper und watschele eher verschlafen zur Türe. Auf dem kurzen Weg versuche ich noch schnell meine Haare richtig zu richten. Ich meine, der Jenige soll jetzt auch nicht vor Schock umfallen.
Es klopft erneut, dieses Mal um einiges heftiger.
"Ich komm' ja schon!", rufe ich genervt und öffne die Türe einen Spalt. Niall steht vor meinen Augen. Er guckt verwirrt auf den Boden. Ich öffne die Türe ganz.
"Was willst du?", frage ich mir kratziger Stimme.
"Hast du Emma gesehen?", fragt Niall fast schon etwas kalt.
Seine Augen starren mich herausfordernd und direkt an. Verwirrt schüttele ich nur mit dem Kopf.
"Wieso?", will ich wissen.
"Ach, nur so", meint er und dreht sich um, um zu gehen. Ich halte ihn allerdings leicht fest.
Seine Augen erdolchen mich beinahe, als er sich erschrocken zu mir umdreht.
Er entreißt sich meinem Griff sofort.
"Tut mir leid", murmele ich nur nebenbei. "Was ist mit Emma?", frage ich stattdessen ausweichend.
"Ich kann sie nur nicht finden. Keine Angst, du musst dich schon nicht wieder aufspielen Harry", faucht er mich an und verschwindet dann. Mehr als erstaunt starre ich ihm hinterher.
Oh man, wann wird dieser Streit nur endlich ein Ende finden? Wie soll es nur zwischen Niall und mir weitergehen, wenn wir erst einmal wieder auf Tour gehen?
Ich schließe die Türe und beschließe nicht mehr zurück in mein Bett zu gehen. Stattdessen ziehe ich mir, nach einem kurzen Blick nach draußen, einfach Sportsachen an und beschließe etwas Joggen zu gehen. Da es draußen ziemlich kalt aussieht nehme ich mir einen Pulli und eine lange Jogginghose aus meinem Schrank und greife mir mein Handy plus Kopfhörer.
Ich bin ziemlich schnell unten und trinke schnell noch ein bisschen Wasser in der Empfangshalle, ehe ich mich nach draußen in die Kälte traue. Mein Atem ist als Rauch sichtbar und es friert mich sofort total. Ich hoffe das wird nicht schlimmer.
Ich gehe nach rechts und laufe mich etwas ein, springe Richtung Wald und dehne mich auf halber Strecke etwas. Durch meine Ohren dröhnt der Bass irgendeines Liedes, das ich nicht kenne. Ich muss mir dringend wieder Spotify Premium holen. Oh man.
Erst beim Refrain wird mir klar, dass ich doch tatsächlich zu Wake me up before you Go-Go jogge. Genervt bleibe ich stehen und ziehe mein Handy aus der Hosentasche. Wirklich? Ist heute irgendein achtziger Jahre Tag oder warum schlägt Spotify mir gerade dieses Lied vor?
Ich reiße mir beinahe schon die Kopfhörer aus den Ohren, als mir dieses Lied so langsam auf die Nerven geht und suche eine andere Playlist, in der garantiert nichts kitschiges untergetaucht ist.
Allerdings stoppe ich, als aus dem Schuppen, der meines Wissens auch noch zu der Kurklinik gehört, ein Schluchzen ertönt. Verwundert stopfe ich mein Handy wieder in meine Hosentasche und gehe langsam auf den Schuppen zu. Ich habe mich wahrscheinlich sowieso nur verhört, aber lieber gucke ich mich mal um.
Oh Gott, vielleicht liegt dort ein verletztes Tier!
Eilig gucke ich mich nach etwas um, mit dem ich mich eventuell auch verteidigen kann. Das Einzige, das ich sehe ist ein großer Stock, der auf dem Acker neben mir liegt. Also nehme ich den etwas feuchten Ast eher etwas angewidert in meine Hand und bewege mich weiter auf den blauen Schuppen zu. Er ist außen mit ganz vielen Holzpanelen gestaltet, die alle blau angemalt sind. Die Türe steht tatsächlich etwas offen.
Ich glaube die Kur lagert hier ein paar reperaturbedürftige Sportgeräte. So hat es mir zumindest einmal die eine Mitarbeiterin erzählt, als wir das aller erste Mal hier waren um uns die Gegend und das Gebäude anzugucken. Wir wollten ja immerhin, dass alles ziemlich abgeschottet und ländlich liegt.
Da drin macht es einen weiteren Schlag und ich hebe den Stock erschrocken, um wirklich bereit zu sein, falls mich gleich ein Wildschwein oder eventuell ja sogar noch ein weiterer Bär angreifen will. Ich sollte wirklich nicht wieder an Bären denken. Eigentlich sollte es ja hier auch keine freilaufenden Tiere dieser Art geben.
Ich greife nach der Türe und spicke etwas hinein. Es ist ziemlich dunkel da drin. Und zugestellt. Aber ich bin mir, von den Geräuschen her, sicher, dass etwas da drin ist. Etwas lebendiges.
Meine Hand zittert etwas, aber dennoch bin ich wahnsinnig wachsam. Die ganze Müdigkeit, die ich gerade noch hatte, ist verschwunden. Ich fühle mich wie auf Drogen. Na ja, glaube ich zumindest.
"Verdammt!", höre ich eine zitternde Stimme von drinnen jammern. Also, ich denke nicht dass Wildschweine sprechen können.
Schade, ich hätte gerne einmal eines in echt gesehen.
Mit weniger Angst trete ich komplett in den Schuppen ein und versuche etwas in der Dunkelheit zu erkennen, was mit den Sekunden immer besser wird.
"Hallo?", frage ich mutig und erkenne tatsächlich eine Gestalt in der Ecke stehen. Ich greife nach dem Handy in meiner Tasche und mache die Taschenlampe an, um besser sehen zu können, wer sich dort aufhält.
"Emma?", frage ich erstaunt nach. Schnell laufe ich zu ihr hin und blicke ihr verwundert ins Gesicht. Ihre Augen sind komischerweise total verheult und blicken mich beinahe schon panisch an, ihre Haare sind verstrubbelt und ihr Pulli ist am Ärmel zerfetzt. Ich lasse meinen Blick auf ihren Arm sinken und erkenne, warum sie in diesem Schuppen ist.
Ihr Unterarm ist zwischen zwei Dingen eingequetscht, die ich allerdings nicht identifizieren kann. Vor Schreck, als ich das viele Blut sehe, fällt mir mein Handy aus der Hand.
"Mist!", fluche ich leise und bücke mich nach dem Gerät. "Emma! Was ist passiert? Was hast du gemacht?", frage ich, als ich mein Handy wieder in den Händen halte. Komsicherweise fängt sie sofort wieder an zu weinen. Aber nicht leise und still oder so, nein. Ihr Gesicht verzieht sich, als hätte sie die größten Schmerzen überhaupt und sie lässt ihren Kopf sinken und beinahe schon hängen.
Was um Himmels Willen ist bitte mit ihr passiert?
"Hey! Schh! Ich hol' dich da raus! Keine Angst! Hör' auf zu weinen!", meine ich und ziehe vorsichtig das Ende ihres Ärmels nach oben. Es ist zum Glück nur eine kleine Schnittwunde, aber dennoch ziemlich viel Blut. Immer wieder blicke ich zwischen ihrem eingeklemmten Arm und ihrem hängenden Kopf hin und her. Was ist nur los mit ihr?
Ich hebe das eine Teil, das auf ihrem Arm liegt, langsam hoch und fühle mich etwas erschlogen von dem Gewicht.
"Zieh deinen Arm weg Emma!", meine ich nur und warte darauf, dass sie ihren Arm bewegt. Aber sie bewegt sich nicht einmal. Sie steht nur weiter da und heult.
Geschockt beschließe ich sie einfach zur Seite zu schucken, denn ich kann das Ding nicht noch einmal absetzen, ohne sie eventuell noch stärker zu verletzen.
Sie plumpst hart auf den Boden kiecht allerdings sofort zur Wand. Ich lasse das Ding los und springe zu ihr.
"Emma! Was ist passiert?", frage ich sie verwirrt und blicke sie an, in der Hoffnung sie redet mit mir. Aber sie schüttelt nur ihren Kopf und vergräbt das Gesicht in ihren Händen. Ihre eine Hand ist noch komplett rot und voller getrocknetem Blut. Ich entreiße ihr die Hand und ziehe mir mein Shirt, das ich unter meinem Pulli trage, aus, um es ihr über die Wunde zu legen.
"Hey! Sieh' mich an!", meine ich nun sanft und hebe ihren Kopf am Kinn an. Ihre Augen sind voller Tränen und ehrlich gesagt tut es mir selbst etwas weh, sie so sehen zu müssen.
Ihre Lippen bewegen sich zitternd, allerdings höre ich keinen Ton.
"Was?", frage ich verwirrt nach.
"Es tut mir so leid", flüstert sie nun nur und schüttelt immer wieder den Kopf.
"Was meinst du? Was tut dir leid?", frage ich nur nach und lege meine Hand an ihre Wange.
"Du willst mich bestimmt nicht anfassen, nachdem was ich euch alles angetan habe", schluchzt sie nur weiter. Ich verstehe ehrlich gesagt überhaupt nicht, was sie da faselt.
Hat sie etwa Drogen genommen?
"Was meinst du denn damit?", frage ich stattdessen und rücke etwas näher an sie heran.
"Es tut mir so leid", wiederholt sie nur.
"Was tut dir leid? Emma, ich habe keine Ahnung von was du sprichst! Hast du etwa Drogen genommen?"
"Was?", fragt sie verwundert schluchzend.
"Oh Gott, bitte nicht! Was war es? Cannabis? Heroin? Crack? Oh Gott! Woher hast du das Zeug nur her?!"
"Ich habe aber doch gar keine Drogen genommen", murmel sie nur verwirrt. Mittlerweile blickt sie mich sogar direkt an.
Erleichtert atme ich aus und nicke nur leicht. "Zum Glück! Hallelujah!"
"Was ist los mit dir?", fragt sie mich mit kritischem Blick.
"Was mit mir los ist? Was ist bitte mit dir los?", kontere ich. Aber anscheinend habe ich das Falsche gesagt, denn es scheint fast so, als fängt sie gleich wieder an zu heulen. Mit großen Augen fuchteln meine Hände vor ihrem Gesicht herum.
"Nein! Nicht weinen! Nicht wieder anfangen zu-"
Sie fängt erneut an.
"Weinen", vervollständige ich meinen Satz nur leise seufzend und beschließe sie einfach in den Arm zu nehmen. Ich drücke sie an meine Brust und streiche ihr ein paar Mal über den Kopf während ich immer wieder ein 'Shh' durch den kalten Raum ziehen lassen.
Die Minuten vergehen ohne dass sie aufhört. Ich bleibe sitzen und beschließe sie lieber nichts mehr zu fragen. Sie muss wahrscheinlich einfach nur unter Schock stehen. Das muss es sein.
Deswegen ist sie so ultra komisch drauf.
Na ja, anders kann ich es mir zumindest nicht erklären.
"Emma", versuche ich es doch. Ganz sanft und leise.
Sie beginnt wieder ihren Kopf zu schütteln.
"Ich drehe durch!", sagt sie hyperwentilierend.
"Sieht ganz so aus", meine ich, schaue mich aber gleichzeitig etwas um in dem Schuppen um. Ich entdecke eine einzelne Papiertüte, in der man als Schüler immer sein Essen in der Schule dabei hatte.
In Filmen hilft das doch, nicht wahr?
Ich stehe auf, schnappe mir die Tüte und halte sie Emma unter die Nase. Verwirrt blickt sie zuerst die Tüte und dann mich an.
"Atme da rein", meine ich nur. Zögernd nimmt sie mir die Tüte aus der Hand und atmet tatsächlich durch sie ein und aus.
Ich beobachte die Tüte dabei, wie sie sich aufblasen lässt und sich wieder zusammenzieht.
Und ich kann sehen, dass Emma sich tatsächlich auch beruhigt. Komisch. Hätte nicht gedacht dass das klappt.
"Besser?", frage ich, als sie die Tüte von ihren Lippen setzt und mich einfach nur anblickt. Sie nickte leicht und seufzt auf.
"Was hast du hier zu suchen?", starte ich einen neuen Versuch.
"Ich musste mal raus", antwortete sie.
"Und dann klemmst du deinen Arm in einem alten Schuppen ein?", frage ich mach.
"Das war nicht geplant", meinte sie mit einem kleinen Lächeln im Gesicht, das mich ehrlich gesagt schon etwas aufmunterte. "Aber ich bin ja immerhin ziemlich gut in ungeplanten Dingen."
Ich hebe meine eine Augenbraue nach oben. "Was meinst du?"
"Ich weiß es, Harry", meint sie auf den Boden blickend.
"Was meinst du damit? Was weißt du?", verstehe ich nicht ganz.
"Ich weiß was passiert ist. Das Meiste zumindest. Was ihr getan habt, was ich getan habe."
Es fühlt sich an, als würde mir das ganze Blut in den Adern gefrieren. Ich würde am liebsten schreien, aber was soll ich machen?
Ich schlucke und blicke sie an. "Bist du und böse?", frage ich vorsichtig.
Sie lacht auf, schüttelt aber dann erstaunlicherweise ihren Kopf.
"Ich bin euch dankbar."
Bitte, was?
"Ähm", murmele ich. "Bist du sicher?"
Ihre blauen Augen bohren sich schmerzhaft in meine. Aber dann nickt sie einfach.
"Wie hast du's rausgefunden?", frage ich flüsternd. Ich würde meinen Kopf gerade am liebsten gegen die Wand hinter mir schlagen. Sie weiß es! Aber sie ist uns aus irgendeinem Grund nicht böse? Das ergibt keinen Sinn. Nicht nach dem, was wir ihr getan haben.
"Ich hab mich in das Büro der Leiterin geschlichen und ihren Computer gehackt", sagt sie grinsend.
"Haha, und jetzt die Wahrheit?", meine ich schmunzelnd. Ist klar.
Sie blickt mich mit großen Augen an und nickt untermalend.
Meint sie das wirklich ernst? Jetzt echt?
"Guck nicht so! Das ist die Wahrheit!", versichert sie mir. Ich nicke einfach.
"Und dann?", frage ich.
"Na ja, ich bin ins Internet. Und der Rest erklärt sich von alleine", meint sie. Ich nicke nur mit zusammengebissenen Zähnen.
"Ich habe einen Artikel über das ganze gefunden", fährt sie fort, obwohl sie das eigentlich nicht einmal tun muss. "Und na ja, ich kann dir gar nicht sagen wie leid es mir tut."
"Dir muss gar nichts leid tun. Es ist unsere Schuld."
"Klar, ich meine, würdet ihr nicht bei mir aufgetaucht sein, dann hätte ich euch niemals so betrügen und hintergehen können, aber es ist meine Schuld, weil ich so gehandelt habe."
Ich starre sie an. "Was?"
"Na du weißt schon. Die Sache mit meinem Vater und meinem Haus und dem Geld. Ich hätte euch niemals so benutzen dürfen. Ich meine, ihr seid immerhin echt gute Freunde."
"Du erinnerst dich gar nicht?", frage ich schluckend nach.
Fast schon enttäuscht nickt sie. "Ist vielleicht besser so. Wer weiß wem ich noch alles geschadet habe."
"Oh Gott", murmele ich und schlage mir die Hand an die Stirn.
Sie hat den Artikel im Internet gefunden und glaubt jetzt wirklich, dass sie das, was wir in die Welt gesetzt haben, getan hat.
"Harry?", fragt sie. "Alles okay? Du bist so bleich."
"Ja", presse ich heraus.
"Bist du mir böse? Ich würde so etwas nie wieder tun! Das musst du mir wirklich glauben!"
"Ich bin dir nicht böse", meine ich verneinend. "Ich könnte dir niemals böse sein. Niemals."
Sie blickt mich an. In ihren Augen liegt so viel Schuld und Reue. Ich würde ihr am liebsten die richtige Wahrheit erzählen. Die echte. Aber ich fürchte das kann ich gerade einfach nicht tun.
Plötzlich legt sie mir ihre Hand an meine Wange und gebt meinen Kopf beinahe schon.
"Was-", beginne ich zu fragen, aber ehe ich meinen Satz vervollständigen kann küsst sie mich schon.
Ich spüre ihre warmen Lippen auf meinen kalten und bemerke wie sehr ich sie eigentlich vermisst habe. Es ist ein wahnsinniges, lang ersehntes Gefühl, das mich durchströmt.
Ich könnte ihr niemals böse sein. Sie trifft ja auch keine Schuld.
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Bin ich nicht Cute? 🤔
Haha! Ich hoffe das Kapitel hat euch gefallen! Lässt mich wissen was ihr dazu denkt!
Ily!
Alina xx
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